von Romin Khan
Die Schreckensbilder sind hierzulande schnell wieder verblasst. Vor über zwei Monaten sorgte die ausländerfeindliche Gewalt in Südafrika für weltweites Entsetzen. Nach letzten Informationen werden die Opfer des Mobs auf über 60 Tote und fast 60.000 Vertriebene beziffert. Alleine in der Kapregion haben 20.000 Menschen ihr Heim im Zuge der Gewaltwelle verloren. Dort, wie auch in der Region um Johannesburg, wurden die Vertriebenen entgegen den anfänglichen Versprechungen der südafrikanischen Regierung in Lagern untergebracht von denen noch immer über 30 existieren.
Aus der Zivilgesellschaft haben von Beginn der Gewalt an Gruppen wie die Treatment Action Campaign (TAC), die sich für eine soziale Gesundheitspolitik und die Rechte von AIDS Infizierten einsetzt, zu den Angriffen Stellung genommen und die Regierung für ihren Umgang mit der Krise scharf kritisiert. Nathan Geffen, der Koordinator der TAC, warf der Regierung vor, sich in den ersten Tagen der Angriffe weggeduckt und die Unterstützung der Flüchtlinge zivilen Organisationen überlassen zu haben. Er forderte die Regierung auf, die Lager zu schließen. Andernfalls würde den Angreifern das Signal senden, dass sich die Attacken gelohnt hätten. Stattdessen braucht es laut Geffen, eine Politik, die die Integration der Einwanderer nicht mehr nur den Armen in den informellen Siedlungen überlässt, sondern auch die von den Mittelklassen bewohnten Vororte bei dieser Aufgabe mit einbezieht.
Mit dieser Bezugnahme auf die Lebensverhältnisse der Armen in den Städten ist bereits der Erklärungsrahmen umrissen, der auch hierzulande in den meisten Analysen bemüht wurde. Als Hauptgründe für die ausländerfeindliche Gewalt wurden die Arbeitslosigkeit genannt, die in vielen Townships bis zu 60 Prozent beträgt und die sich im Zuge der steigenden Lebensmittel- und Energiepreise weiter verschlechternden Lebensbedingungen. Gleichzeitig ist Südafrika aufgrund der regionalen Nähe zu anderen, häufig krisengeschüttelten Ländern wie Simbabwe, aber auch aufgrund der Abschottung Europas in den letzten Jahren zu einem verstärkten Anziehungspunkt für afrikanische Einwanderer geworden.
Die Konkurrenzsituation in der sich viele schwarze SüdafrikanerInnen mit den EinwandererInnen aus anderen afrikanischen Ländern befinden, bewirkt somit Spannungen, in denen sich alltägliche Konflikte schnell zu einem „sozialen Tsunami“ entwickeln können.
Die These, dass es sich im Wesentlichen um Armutsrevolten handle, wird durch das Institute for Democracy in South Africa (IDASA) unterstützt, welches in seiner Untersuchung der Vorkommnisse in ausgewählten Townships zu dem Schluss kommt, dass die Gewalt häufig mit Plünderungen einherging, in denen sich mit dem Eigentum der Einwanderer, vielfach Ladenbesitzer, bereichert wurde.
Befördert werden die Gewaltakte dabei von der xenophoben gesellschaftlichen Grundstimmung, zu der Medien, Polizei und Politik beigetragen haben, wie eine Analyse des Southern African Migration Project (SAMP) herausstellt. Die Untersuchung weist auf den Zusammenhang zwischen den ausländerfeindlichen Äußerungen von Politikern und Medien und der faktischen Entrechtung von MigrantInnen hin, die wiederum der willkürlichen Behandlung von Einwanderern durch die Polizei, Tür und Tor öffnet. In dieser Situation können sich die Angreifer, dem SAMP zufolge, legitimiert fühlen, ein gesellschaftliches Bedürfnis zu exekutieren.
Fremd ist nicht gleich fremd
Betrachtet man die Angriffe vor diesem Hintergrund erscheint die Situation am Kap sehr viel weniger befremdlich, als sie es hierzulande häufig dargestellt wurde. Tatsächlich erinnert das Zusammenspiel von medialer Hetze, staatlicher Entrechtung und ausländerfeindlicher Grundstimmung in der Bevölkerung stark an die Situation zur Zeit der massiven rassistischen Angriffe in Deutschland Anfang der neunziger Jahre oder an die aktuellen antiziganistischen Pogrome in Italien.
Trotz der Ähnlichkeiten zur europäischen Situation sollte der Frage nachgegangen werden, welche Erklärungsmuster dafür verantwortlich sind, dass Menschen, die ähnlichen sozialen Bedingungen unterworfen sind, die scheinbar für ihre prekäre Lage verantwortliche Konkurrenzsituation als naturgegeben betrachten und danach handeln. Mit der für die aktuellen Konflikte in Südafrika verwendeten Erklärung, dass „xenophobe“ Einstellungen weit verbreitet seien, stößt man bei der Beantwortung dieser Frage jedoch schnell an Grenzen. Der deutlichste Hinweis dürfte darin liegen, dass nicht alle MigrantInnen von der „fremdenfeindlichen“ Gewalt, in gleicher Weise betroffen sind. Völlig unbehelligt von dieser Gewalt blieben hunderttausende von Europäern, darunter viele Deutsche, die sich besonders in den Metropolen in den letzten Jahren niedergelassen haben. Diese Einwanderer fühlen sich nicht nur von den Arbeitsmöglichkeiten, sondern auch der Schönheit des Landes und von seiner Lebensqualität angezogen. Dass diese Lebensqualität, zu der primär das „weiße“ Erscheinungsbild der Metropolen und Küstenstreifen gezählt wird, auf der Gewalt der Apartheid gründet, wird dabei stillschweigend in Kauf genommen. Doch diese Geschichtsvergessenheit lässt sich nicht nur auf die subjektiven Erzählungen der europäischen Einwanderercommunities beschränken, die zumeist davon überzeugt sind, "Geld in das Land zu bringen" und sich damit von weitergehender sozialer Verantwortung befreit sehen.
Auch in der südafrikanischen Öffentlichkeit wird kaum über die negativen Implikationen gesprochen, die mit der Einwanderung aus dem Norden bzw. dem Boom im Tourismus verbunden sind. Gemeint ist damit die Reproduktion der rassistischen Spaltungslinien in der Gesellschaft, die nicht zuletzt auch durch den Lebensstil und die Konsummuster der europäischen EinwandererInnen befördert wird. Besonders deutlich macht sich dieser Einfluss in der anhaltenden Spaltung der Städte bemerkbar, die ein wesentliches Charakteristikum der Apartheid war. Denn im Zuge von mit ausländischen Währungen getätigten Investitionen sind die Preise für Bauland und Immobilien in den letzten Jahren deutlich angestiegen und bewirken, dass sozialer Wohnungsbau zumeist nur am Rande der Städte realisiert werden kann. Die Armut bleibt damit wie zu den Apartheid-Zeiten auf die ausufernden Ränder der Städte konzentriert (Khan 2005).
Dort in den informellen Barackensiedlungen und Townships sind die Wohngebiete derjenigen, die sich auf den wachsenden informellen Arbeitsmärkten der „second economy“, wie sie Thabo Mbeki bezeichnet, gegenseitig Konkurrenz machen. Es sind nicht nur die Auffangbecken für die Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen aus anderen afrikanischen Ländern wie Simbabwe, Mozambique und Malawi, sondern auch für die BinnenmigrantInnen aus den verarmten ländlichen Regionen und ehemaligen Homelands Südafrikas. Viele sind illegalerweise bereits in den 60er und 70er Jahren in die Zentren migriert, andere sind erst nach dem Wegfall der mobilitätsbeschränkenden Apartheid-Gesetze in die Städte gezogen. Obwohl ein Großteil der BinnenmigrantInnen demnach schon seit Jahrzehnten in den Städten leben, sind sie noch immer nicht in die städtische Gesellschaft integriert und bleiben oftmals von staatlichen und kommunalen Sozialprogrammen ausgeschlossen (vgl. Parnell 2004). Das Vorhandensein einer beiderseitig geteilten Migrations- und Exklusionserfahrung von Angreifern und Opfern der pogromhaften Gewalt, müsste in einer weiterführenden, aber an dieser Stelle nicht zu leistenden Analyse der Angriffe einbezogen werden.
Festzuhalten ist, dass die beschriebene Konkurrenzsituation der Armen nicht ohne diejenigen auskommt, die von diesem Verhältnis profitieren bzw. es aufrechterhalten. Dies sind in dem bestehenden politisch-ökonomischen Rahmen in Südafrika, der die rassifizierten Ausbeutungsverhältnisse aus der Apartheid-Zeit noch lange nicht überwunden hat, nicht nur die südafrikanischen Eliten, sondern auch die finanzstarken Einwanderer aus dem Norden. Es findet zwar mit der staatlichen Förderung und Bevorzugung schwarzer Beschäftigter und Unternehmer die Herausbildung einer noch immer zahlenmäßig geringen afrikanischen Ober- und Mittelklasse statt. Doch gilt für die städtischen Eliten, dass sie, auch vor dem Hintergrund der Einwanderung aus Europa, noch immer überwiegend weiß sind. Deren Nachfrage nach billiger Arbeitskraft für private, häusliche Dienstleistungen ist nicht allein, aber anteilig dafür verantwortlich, dass im neuen Südafrika ein Bedeutungsverlust der ehemaligen entlang von ‚Rasse’kategorien vorgenommenen Klassifizierungen der Menschen im Land, in weite Ferne gerückt ist.
Regenbogen-Obsessionen
Vor dem Hintergrund dessen, dass weiße Südafrikaner und Europäer trotz der aufgezeigten gesellschaftlichen Mit-Verantwortung für die heutigen Verhältnisse, nicht zur Zielscheibe der „fremdenfeindlichen“ Angriffe wurden, kann die hierzulande überstrapazierte Verwendung der visuellen Metapher vom zerbrechenden (Die Zeit, 29.05.2008), bewölkten (Neues Deutschland, 24.06.2008) oder verschwindenden (Deutschlandradio, 03.06.2008) Regenbogen nur verwundern. Schließlich symbolisiert das Sinnbild der südafrikanischen Nation im engeren Sinne nicht vielmehr als eine Koexistenz der entlang ‚Rasse’-Kategorien geschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Doch gerade die Stabilität dieser Ordnung hat sich mit Angriffen eher bewahrheitet, als einen Schaden genommen.
Den deutlichsten Ausdruck für diese Wahrnehmung liefert der Verlauf der Angriffe im Township Alexandra, wo am Rande Johannesburg 600.000 Menschen auf kleinstem Raum leben. Nur wenige Kilometer entfernt in Sichtweite befindet sich mit Sandton das im Zuge der Suburbanisierung entstandene neue Wirtschaftszentrum des Landes, mit einer Aneinanderreihung von Shopping-Malls, Bürogebäuden und hochpreisigen Hotelkomplexen. Die räumliche Nähe von erster und dritter Welt ist in Südafrika kein seltenes Phänomen, zeigt sich hier jedoch besonders augenscheinlich. Während sich in Alexandra die Menschenjagden ereigneten bei denen drei Menschen starben, hat das Leben in Sandton seinen normalen Gang genommen. Die Gefahr des Übergreifens der Straßengewalt auf eines der teuersten Viertel des Landes bestand dagegen nicht.
Trotz der begrenzten Aussagekraft der Regenbogen-Metapher kommt sie in der westlichen Berichterstattung weiter zur Anwendung. Denn in einem weiter gefassten Sinne strahlte das Bild, welches für das neue Südafrika geschaffen wurde, auch eine Vision aus. Der Regenbogen besaß mit seinem Leitgedanken „Unity in diversity!“ eine leuchtende Ausstrahlungskraft, die signalisierte, dass es nicht nur möglich ist, rassistische Denkmuster friedlich zu überwinden, sondern auch, dass sich eine kulturell und ethnisch heterogene Gesellschaft neu konstituiert und dabei sogar zum Vorbild für multikulturelle Einwanderungsgesellschaften im 21. Jahrhundert werden kann. Allerdings ist zu bedauern, dass diese Hoffnung nicht mit einer stärkeren Aufmerksamkeit für die gesellschaftlichen Prozesse, die sich an die Demokratisierung anschlossen, einherging.
Stattdessen entwickelte sich das Land zu einer Projektionsfläche für die selbstverständliche Existenz einer multikulturellen Gesellschaft. Dieser unkritische Bezug überrascht umso mehr, als das Konzept hierzulande in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten unter Druck geriet und sogar von seinen Urhebern wie dem grünalternativen Spektrum in Frage gestellt wurde. Dass die Realität gegenüber dieser von Widersprüchen befreiten Imagination, an der auch die touristischen Selbstvermarktungsstrategien Südafrikas ihren Anteil haben, nicht standhalten kann, ist offensichtlich. Wie komplex und umkämpft die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Gruppen im Land sind, hat sich in den letzten Jahren vielfach gezeigt. Als Beispiele können hier die Auseinandersetzungen um die Politik der positiven Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt (Affirmative Action), um Konzepte einer integrierten Stadtentwicklung und um Quoten für Sportler aus ehemals benachteiligten Gruppen in den nationalen Sportmannschaften, wie z.B. beim Rugby genannt werden.
Unaufgearbeitete Vergangenheit
Mit der Migration aus anderen afrikanischen Ländern, die kein neues Phänomen darstellt, aber in ihrer Quantität zu genommen hat, haben die gesellschaftlichen Prozesse in Südafrika endgültig eine Dynamik erhalten, die die starre Regenbogen-Metapher als Selbstbild überfordern. Diese Starrheit und Überforderung des Begriffs dürfte auch dafür verantwortlich sein, dass er in der südafrikanischen Öffentlichkeit fast 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid kaum noch eine Rolle spielt. Stattdessen muss sich auf die Suche nach Selbstkonzeptionen und Wegen gemacht werden, wie das neue Südafrika die Trennlinien zwischen den verschiedenen Gruppen überwinden kann, ohne einen nationalen Integrationsprozess auf Kosten von afrikanischen Einwandern zu gestalten.
Hier ließe sich an Neville Alexanders (2001) Kritik an dem Bild der Regenbogennation anknüpfen, in der er die Überbetonung und Festschreibung der ‚Rasse’kategorien, die mit der Verwendung des Begriffs einhergeht, problematisiert. Demgegenüber stellt er das Bild eines Hauptflusses, der die südafrikanische Nation symbolisiert. In diesen, in der Sprache der Nama als Garieb, im Englischen als Orange-River bezeichneten Hauptfluss fließen die europäischen, asiatischen und afrikanischen Nebenflüsse mitsamt ihrer „unterschiedlichen kulturellen Traditionen, Praktiken und Überzeugungen“ ein (2001: S. 125). Dieses erwünschte Zusammenfließen der Nebenflüsse würde erfordern, dass nicht nur den europäischen und asiatischen, sondern auch den afrikanischen transnationalen Einflüssen in Südafrika Akzeptanz entgegengebracht wird.
Mit der Verwendung des Begriffs der „afrophobischen“ Gewalt wurde in neueren Analysen der Ereignisse unterstrichen, dass die aktuellen Entwicklungen in die gegenteilige Richtung weisen. Marjorie Jobson, die Direktorin der Khulumani Support Group, einer Selbsthilfe-Organisationen von Überlebenden der Apartheid-Gewalt erklärt die Wirkungsweise dieser Gewalt wie folgt: „Die internalisierten Stereotypen aus der Apartheid-Zeit kommen (…) nach wie vor zum Tragen. Das Apartheid-Regime hatte ein perfektes System von Spaltungsstrategien gegen die ausgegrenzte Mehrheit der Bevölkerung entwickelt und realisiert. Ohne sie zu hinterfragen, wurden aus dieser Zeit stammende Stereotypen vom Schwarzen als Dieb, Vergewaltiger und Dummkopf auf die Einwanderer übertragen. Hinzu kommt, dass die großen Erzählungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) und die nachfolgenden Strategien zur Nationenbildung darin bestanden, dass „wir alle eins sind“, dass wir uns gegenseitig verziehen haben.“
Damit stellt sich zwischen den Ereignissen der letzten Wochen und der jüngeren Geschichte des Landes ein Zusammenhang her, auf den ich abschließend eingehen möchte. In Jobsons Wahrnehmung der TRC, als eines Prozesses der mit seiner engen Fixierung auf Versöhnung und Nation-Building alternative Erzählungen über die Gewalt des Apartheid-Staates unmöglich machte, spiegelt sich die Kritik wider, die bereits kurz nach den Anhörungen laut wurde. Besonders Mahmood Mamdanis viel beachtete Position, dass die TRC es nicht vermocht hat, den strukturellen, systemimmanenten und alltäglichen Gewaltcharakter des Apartheid-Regimes aufzuarbeiten, scheint sich mit den aktuellen Angriffen auf bitterste Weise zu bewahrheiten.
An der damit verbundenen Verinnerlichung des kastenähnlichen Klassifizierungssystems der Apartheid haben die politischen Konzepte zur Korrektur der historischen Ungleichheitsmuster bisher wenig ändern können. Bei diesen Maßnahmen wurde der Schwerpunkt auf eine Politik der positiven Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt gelegt. Vielfach wird kritisiert, dass das Black Economic Empowerment und die Maßnahmen der Affirmative Action weniger zu einer Transformation des rassifizierten Arbeitsmarktes, als zu einem Transfer von Eigentum und Machtpositionen hin zu einer zahlenmäßig sehr geringen und dem ANC nahe stehenden schwarzen Mittelklasse beigetragen haben (vgl. Mbembe 2007). Die meisten Statistiken und Untersuchungen bestätigen diesen Eindruck und kommen zu dem Schluss, dass die in Kolonialismus und Apartheid wurzelnde Marginalisierung für einen Großteil der schwarzen Bevölkerung in der Post-Apartheid-Gesellschaft eine Fortsetzung findet (vgl. Marais 2001; Terreblanche 2002; UNDP 2003).
Konstruktionsfehler des Nation-Buildings
Michael Neocosmos (2008) zufolge fallen die bereits erwähnten ausländerfeindlichen Äußerungen südafrikanischer Politiker in dieser Situation auf fruchtbaren Boden. Die Gründe sind seiner Meinung nach jedoch nicht auf die Bedingungen sozialer Marginalisierung zu reduzieren, sondern auch im Prozess des südafrikanischen Nation-Buildings zu suchen. Dafür sprechen nach Neocosmos zwei Faktoren:
Zum einen kritisiert er, dass die zu Apartheid-Zeiten kultivierte Weigerung, sich als integraler Teil des Kontinents zu verstehen, nicht mehr nur eine Haltung des weißen Südafrikas beschreibt, sondern dieses Verhältnis zum Rest Afrikas auch den neuen schwarzen Eliten zu eigen geworden ist. Afrika, das sei der Platz des „Anderen“. Im Sinne einer negativen Integration findet diese Haltung auch ihren Widerhall bei den verarmten Massen, deren Option auf soziale Verbesserungen einzig an die nationale Zugehörigkeit geknüpft ist. Diese Verknüpfung von Indigenität und citizenship, d.h. den Zugang zu politischen, bürgerlichen und sozialen Rechten über die Staatsbürgerschaft zu regeln, kritisiert Neocosmos als zweiten Geburtsfehler des neuen Südafrikas: „This necessarily leads to a debate on who is more indigenous, and hence to nativism, the view that there is an essence of South Africanness which is to be found in ‘natives’.” Aus diesem Nativismus erwachse Neocosmos zufolge die Gefahr weitergehender rassifizierter Gewalt in Südafrika, die sich auch zwischen den unterschiedlichen südafrikanischen Gruppen ereignen könnte.
Zwar ist es jenseits des beschriebenen strukturellen Kontextes bis dato nicht zu größeren Ausbrüchen derartiger Gewaltformen gekommen. Doch mit den beschriebenen gesellschaftlichen Prozessen ist deutlich geworden, dass die noch aus der Apartheid-Zeit stammenden Klassifizierungen und Identitäten der Menschen im Land kaum an Relevanz verloren haben und damit für politische Zwecke mobilisierbar bleiben. In die Post-Apartheid-Nation bleiben die gesellschaftlichen Effekte des Rassismus aus der Kolonial- und Apartheidzeit eingeschrieben und werden noch lange ihre Wirkung entfalten. Die Reintegration Südafrikas in die globalen Kapital- und Migrationsbewegungen hat diese Problematik eher verstärkt, als aufgehoben.
Eine Revision der Verhältnisse, deren Notwendigkeit nicht zuletzt mit den ausländerfeindlichen Angriffen in Verbindung steht, müsste dagegen in zwei wichtigen miteinander verbundenen Bereichen ihren Anfang nehmen. Zum einen müsste die Demokratisierung mit einer im Sinne Steve Bikos (1987) verstandenen Dekolonisierung des Bewusstseins einhergehen und stärker die strukturellen und subjektiven Effekte des Rassismus thematisieren. Die Fokussierung der ANC-Regierung auf die Ebene der Repräsentation im öffentlichen Leben und das Ziel in der Arbeitwelt Verhältnisse zu schaffen, die der demographischen Verteilung in der Gesellschaft entsprechen, hat diese Aspekte in den Hintergrund treten lassen. Wie fatal dies ist, hat der eliminatorische Charakter der Gewalt der letzten Wochen gezeigt. Mit dem Aspekt der Schaffung von sicheren Arbeitsplätzen für die breite Masse, ist die zweite dringliche Veränderung benannt, die Südafrika vornehmen muss. Denn die neoliberale Orthodoxie, der das Land gefolgt ist, hat einen sozialen Entwicklungsprozess verhindert, der die strukturelle Exklusion des Großteils der Bevölkerung beenden könnte.
Perspektiven der Legalisierung
Doch nicht nur in diesem Bereich ist deutlich geworden, dass das „neue“ Südafrika in vielen Bereichen konservativen politischen Konzepten gefolgt ist.
Hält man sich die Vergangenheit des Landes und der Region vor Augen, muss darüber hinaus kritisiert werden, dass in die Verfassung, die kanonisch als progressivste der Welt bezeichnet wird, nicht weitergehende, soziale Rechtsansprüche und Legalisierungsmöglichkeiten für Nicht-Staatsbürger mit aufgenommen wurden. Dies hätte bedeutet, die Existenz der Wanderarbeit als eine wesentliche Begleiterscheinung des Kolonialismus anzuerkennen und nicht auf dem Geburtsort als primärem Kriterium für den Zugang zu Staatsbürgerschaft zu beharren (vgl. Mamdani 2000). Darüber hinaus hat das System der Wanderarbeit eine spezifische historische Ausprägung im südlichen Afrika. Denn hier steht es im engen Zusammenhang mit der sozialen und wirtschaftlichen Destabilisierungspolitik, die das Apartheid-Regime gegenüber den regionalen und angrenzenden sozialistisch orientierten Ländern in der Hochphase des Kalten Krieges betrieben hat.
Obwohl im aktuellen Kontext wie auch schon zuvor die Solidarität der afrikanischen Länder mit dem südafrikanischen Befreiungskampf betont wurde, stand eine Materialisierung dieser Dankbarkeit in Südafrika nie zur Debatte. Aufgrund des Verzichts auf politische Schritte wie eine Entkopplung von Staatsbürgerschaft und dauerhafter Aufenthaltsrechten für Arbeitsmigranten, ist es nicht überraschend, dass die panafrikanischen Solidaritätsappelle der ANC-Spitze bei der eigenen Anhängerschaft vielfach als reine Rhetorik verhallen. Umso ermutigender ist hingegen, dass der Zusammenhang von Entrechtung und Ausgrenzung der Migranten von neuen politischen Akteuren wie der Bewegung der Bewohner der Armenviertel Durbans auf die Tagesordnung gesetzt wurde. So forderte diese Bewegung in einer Solidaritätserklärung mit den Opfern der Angriffe: „Lasst uns für einen sicheren Aufenthaltsstatus, für Papiere für unsere Nachbarn kämpfen, so dass wir uns alle für die Rechte der Armen in gleicher Weise einsetzen können.“ (Abahlali baseMjondolo 2008).
Literatur
Abahlali baseMjondolo (2008): Unyawo Alunampumulo: There is only one human race. In: afrika süd Nr. 3, Juni 2008.
Alexander, Neville (2001): Südafrika. Der Weg von der Apartheid zur Demokratie. München
Biko, Steve (1987): I write what I like. Johannesburg
Geffen, Nathan (2008): Shattered Myths: The xenophobic violence in South Africa.
Institute for Democracy in South Africa (2008): Report on Recent Xenophobic Violence in Gauteng.
Jobson, Marjorie (2008): Arme gegen Arme. Interview in medico-rundschreiben 02/08.
Khan, Romin (2005):Exklusionsmaschine Kapstadt. In: arranca! Nr. 33.
Mamdani, Mahmood (1998): Die Kommission und die Wahrheit. In: Medico International: Der Preis der Versöhnung – Südafrikas Auseinandersetzung mit der Wahrheitskommission. Frankfurt am Main
Mamdani, Mahmood (2000): Democratic Theory and Democratic Struggles in Africa. In: Nnoli, Okwudiba (Hrsg.): Government and Politics in Africa. Harare
Marais, Hein (2001): South Africa: Limits to Change. The Political Economy of Transition. Cape Town/London/New York
Mbeki, Thabo (2003): Bold steps to end the 'two nations' divide. In: ANC Today, Vol 3 No 33
Mbembe, Achille (2007): Whiteness without apartheid: the limits of racial freedom.
Neocosmos, Michael (2008): The Politics of Fear and the Fear of Politics.
Parnell, Susan (2004): Constructing a developmental nation – the challenge of including the poor in the post apartheid city .
Southern African Migration Project (2008): The Perfect Storm: The Realities of Xenophobia in Contemporary South Africa – 50.
Terreblanche, Sampie (2002): A history of inequality in South Africa, 1652-2002. Scottsville
United Nations Development Programme of South Africa (2003): South African Human Development Report - Summary, Cape Town.
Romin Khan studierte in Berlin und Kapstadt Politik und Soziologie. Er gibt zusammen mit Jens Erik Ambacher den Ende 2008 erscheinenden Sammelband „Südafrika nach der Apartheid – Die Grenzen der Befreiung“ heraus (Verlag Assoziation A).