von Simon Musekamp
Migration und Entwicklung wurden lange Zeit kaum miteinander in Verbindung gebracht – und wenn, dann eher unter negativen Vorzeichen, etwa bei der Sorge vor Brain Drain, der Abwanderung für die Entwicklung notwendiger Fachkräfte aus Ländern des Südens. In den letzten fünf Jahren ist es hier mehr und mehr zu einem Perspektivwechsel gekommen. Dazu hat insbesondere eine Studie der Weltbank im Jahr 2003 beigetragen, mit der erstmals die Zahlen für Rücküberweisungen in Entwicklungsländer einer breiteren (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden (Ratha 2003).
Nach damaligen Zahlen beliefen sich diese insgesamt auf mehr als das doppelte der offiziellen staatlichen Entwicklungshilfe. Weitere Nahrung erhielt die Diskussion durch den Bericht der Weltkommission für internationale Migration 2005. Die Debatte ist mit etwas Verspätung auch in Deutschland angekommen. So war zu Zeiten der Green Card-Verordnung und beim Streit um das Zuwanderungsgesetz die Entwicklung der Herkunftsländer von Migrantinnen und Migranten praktisch kein Thema.
Mittlerweile ist Entwicklung und Migration auch in Deutschland in aller Munde. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz) haben grundlegende Studien durchgeführt und beginnen erste konkrete Projekte. So wurden Diasporaprojekte kofinanziert, beispielsweise in Afghanistan, dem Senegal, Nigeria und Guinea. Studien sind insbesondere über verschiedene Diasporagruppen in Deutschland sowie über Rücküberweisungskanäle entstanden (siehe hierzu). Sogar Bundesinnenminister Schäuble (CDU) mahnt die Wahrung der Interessen aller drei, der Eingewanderten selbst, des Aufnahmelandes und des Herkunftslandes an, so etwa auf der Metropolis-Konferenz am 28.10.2008 in Bonn.
Insgesamt lässt sich ein politischer Klimawandel feststellen, der sich in einer bemerkenswert offenen Debatte manifestiert. Allerdings schlägt er sich (noch) kaum auf die Ebene politischer Maßnahmen durch. Dies entspricht auch der Beobachtung Dietrich Thränhardts (2008) über die deutsche Migrationsdebatte und –politik insgesamt. Ein bemerkenswerter politischer Klimawandel, vergleicht man die Debatte Anfang der 1990er Jahre mit heute, geht einher mit einer Stagnation bei den politischen Entscheidungen bei gleichzeitig ins Negative gesunkenen Nettozuwanderung. Trotz Zuwanderungsgesetz bestehen nach wie vor hohe Hürden für qualifizierte Einwanderung, man fördert Illegalität durch fehlende Einwanderungskanäle für gering qualifizierte Einwanderung, enthält vielen Geduldeten einen sicheren Aufenthaltsstatus vor und begegnet Zugewanderten, insbesondere muslimischen Glaubens, mit ausgeprägtem Mißtrauen.
Im vorliegenden Beitrag wird die Verknüpfung von Entwicklungs- und Migrationspolitik aus dem Blickwinkel politischer Kohärenz betrachtet. Kohärente Politik zeichnet sich durch das Vermeiden von Widersprüchen zwischen Politikfeldern aus (Hoebink 2004: 184). Eine positive Definition versteht Politikkohärenz als das Zusammenwirken von Politiken in Hinblick auf übergeordnete Ziele (Ashoff 2005: 41).
Im Wesentlichen hat Kohärenz zwei Zielsetzungen:
-
Erstens sollen politische Ziele effektiver erreicht werden, indem bestehende Konflikte von Zielen und/oder Instrumenten zwischen den entsprechenden Politikfeldern minimiert werden.
- Zweitens sollen Mittel möglichst effizient eingesetzt werden, indem unnötige Kosten minimiert werden, die durch Störeffekte aus dem jeweils anderen Politikfeld entstehen.
In einem engen Verständnis politischer Kohärenz geht es allein um das Zusammenwirken von Politikfeldern bzw. Politiken. Verbreitet wird sich dem Thema aber auch mit einem weiteren Verständnis von Kohärenz genähert. So nehmen beispielsweise die Internationale Organisation für Migration (IOM) und die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in kürzlich erschienenen Analysen zu Kohärenz von Migration und Entwicklung auch die Zusammenarbeit staatlicher Akteure mit Migranten zum Wohle der Herkunftsländer in den Blick (Naik/Koehler/Laczko 2008, OECD 2007). Migrationspolitik selbst ist dabei dann höchstens mittelbar betroffen. Diesem weiten Verständnis folgt auch der vorliegende Beitrag.
Kohärenz kann in verschiedenen Dimensionen untersucht werden. So können institutionell-rechtliche Voraussetzungen von politischem Handeln, etwa der Zuschnitt bestimmter Ministerien oder bestehende interministerielle Kooperationsstrukturen dahingehend untersucht werden, ob sie die Kohärenz zwischen Politiken fördern oder behindern. In der politischen Dimension wird der politische Prozess untersucht und beispielsweise gefragt, welchen Stellenwert das Ziel Kohärenz dort genießt. In diesem Zusammenhang steht auch das politische Gewicht der Politikfelder und ihre politische Definition und Abgrenzung. Auf inhaltlicher Ebene werden konkrete politische Inhalte, Entscheidungen und Projekte unter dem Gesichtspunkt der Kohärenz analysiert (ähnlich: Forster/Stokke 1999: 20).
Der vorliegende Beitrag kann das Thema Migration und Entwicklung nicht erschöpfend darstellen. Vielmehr soll anhand einiger Beispiele die Debatte um Migration und Entwicklung sowie einige konkrete Ergebnisse in den Kontext des Ansatzes der Kohärenz gestellt werden, wie er insbesondere in der Europa- und Entwicklungsforschung diskutiert wird. Dabei beschränkt sich der Artikel auf Fragen der Kohärenz zur Entwicklungspolitik.
Institutionell-rechtliche Grundlagen von Kohärenz und der politische Prozess
Grundsätzlich ist auch die Entwicklungspolitik an den grundgesetzlichen Auftrag aus dem Amtseid der Bundesministerinnen und -minister gebunden, deutschen Interessen zu dienen. Entsprechend könnte natürlich auch argumentiert werden, sie solle Zielen der Migrationspolitik dienen. Es geht also um den Ausgleich unterschiedlicher staatlicher Interessen, hier zwischen Entwicklungs- und Einwanderungspolitik. Dementsprechend ist hundertprozentige entwicklungspolitische Kohärenz nicht realistisch erreichbar (und auch ob sie wünschenswert ist, kann bestritten werden).
Dessen ungeachtet gibt es durchaus Grundlagen für einen recht umfassenden entwicklungspolitischen Kohärenzanspruch an andere Politiken. So wurde dieser von der Bundesregierung mehrfach ausdrücklich anerkannt. Beispiele im internationalen Rahmen sind die Milleniumserklärung 2000 und Entschließung der UN-Generalversammlung 2005 zur Überprüfung der Umsetzung der Milleniumsziele, Verpflichtungen im Rahmen der OECD sowie die Gemeinsame Erklärung des EU-Ministerrats, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission zur Entwicklungspolitik der Europäischen Union (Europäischer Konsens). Auch auf nationaler Ebene hat die Bundesregierung das entwicklungspolitische Kohärenzgebot hervorgehoben, etwa im Koalitionsvertrag der Großen Koalition, dem Zwölften Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung von 2005, der Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland von 2002 sowie im Aktionsprogramm 2015 der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung der Armut von 2001 (Ashoff 2007).
Auch in den Reden der für Entwicklungs- und Migrationspolitik Verantwortlichen wird – durchaus vor dem Hintergrund der eigenen politischen Agenda – eine engere Verbindung von Migration und Entwicklung angemahnt und mehr und mehr auf die nicht ausgeschöpften Potenziale hingewiesen. Der Deutsche Bundestag hat mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anfang 2007 einen Beschluss verabschiedet, der die Bundesregierung auffordert, Migration sowie die Migrantinnen und Migranten selbst stärker in der Entwicklungszusammenarbeit zu berücksichtigen. Somit besteht ein breiter Konsens darüber, Migration und Entwicklung enger miteinander zu verzahnen (BT-Drs. 16/4164, 31.1.2007).
Die institutionelle Zusammenarbeit zwischen den Ministerien wird durch Art. 65 GG grundsätzlich geregelt: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung.” (Kanzlerprinzip/Richtlinienkompetenz, Ressortprinzip, Kollegialprinzip) Darüber hinaus bestimmt die Geschäftsordnung der Bundesregierung und die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien die weiteren Arbeitsabläufe.
Inhaltliche Kohärenz messen: Der Commitment to Development Index
Kohärenz kann als Maß institutioneller Effektivität verstanden werden (Hydén 1999: 59). Doch wie lässt sich Kohärenz „messen”? Einige Aspekte aus dem Migration-Developement-Nexus lassen sich quantifizieren. Dies gilt etwa für die Höhe von Rücküberweisungen, die Eingewanderte zu Gunsten ihrer Familien im Herkunftsland tätigen oder für staatliche Ausgaben für die Kofinanzierung von Entwicklungsprojekten von Diasporagruppen. Allerdings können solche Zahlenwerte lediglich einen Eindruck über Zusammenhänge zwischen Entwicklung und Migration vermitteln. Die Zahlen für Rücküberweisungen beruhen z.T. auf unsicheren Schätzungen und sagen nichts über ihre Verwendung aus. Haushaltszahlen sind nur in Bezug zu anderen Ausgaben oder in der zeitlichen Entwicklung aussagekräftig. Viele Aspekte von (In-)Kohärenz entziehen sich zudem einer einfachen Quantifizierung.
Eine Möglichkeit, den komplexen Gegenstand greifbarer zu machen, bildet der seit 2003 jährlich für die Mitglieder des Entwicklungsausschusses (DAC) der OECD erstellte Commitment to Development Index (CDI) des Centers for Global Development in Washington (Roodman 2007). Insgesamt bezieht er sieben Politikfelder in seine Bewertung der Entwicklungswirkung von staatlicher Politiken ein. Neben der Entwicklungspolitik selbst sind dies die Felder Handel, Investitionen, Migration, Umwelt, Sicherheit und Technologie. Der Index bewertet einzelne Indikatoren aus diesen Bereichen, gewichtet und verrechnet sie. Insgesamt liegt Deutschland mit einem Wert von 5,2 auf einer Skala von 0 bis 10 im Mittelfeld auf Rang 12. Der Index hat zwar aufgrund seiner Methodik und der Festlegung einer Rangfolge Diskussionen von wissenschaftlicher wie politischer Seite ausgelöst. Einwände werden aber z.T. durch Verfeinerungen der Methodologie und Variablen aufgenommen. Insgesamt bildet er den bislang umfassendsten Versuch, systematisch die Auswirkungen anderer Politiken auf Entwicklung darzustellen.
Die Komponente Migration beruht auf der Annahme, dass sich Migration in der Regel positiv auf die Entwicklung des Herkunftslands auswirkt. Migrantinnen und Migranten erzielen höhere Löhne, sodass sie Geld oder Güter ins Herkunftsland senden können. Darüber hinaus entstehen Migrationsnetzwerke, die zu einem verstärkten wirtschaftlichen Austausch zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland führen können. Zudem ruft Migration Ausgleichsprozesse zwischen den wohlhabenden und armen Ländern sowie positive Arbeitsmarkteffekte hervor. Der Bereich Migration wird mit Hilfe von vier Indikatoren abgebildet (siehe auch: Kevenhörster 2006).
- Erstens, der Zuzug von Einwandernden aus nicht-OECD-Ländern im letzten Jahr, dessen Zahlen verfügbar sind (Gewicht: 32,5%): Deutschland erhält mit einem Anteil von 0,59% an der Gesamtbevölkerung einen Wert von 5,7.
- Zweitens, die Veränderung im Bestand legaler, nicht qualifizierter Einwanderinnen und Einwanderer aus nicht-OECD-Ländern als Anteil an der Gesamtbevölkerung (1990-2000 mit einem Gewicht von 32,5%): Qualifizierte Migration wird im Index nicht berücksichtigt, um der Debatte um Brain Drain gerecht zu werden. Deutschland erhält mit einer Erhöhung der Bestands von Eingewanderten von 1% bezogen auf die Gesamtbevölkerung einen Wert von 4,1.
- Drittens, der Anteil von Studierenden aus nicht-OECD-Ländern unter den ausländischen Studierenden (Gewicht: 7,5%) sowie die Möglichkeit für diese in Deutschland kostenlos zu studieren (7,5%). Deutschland erhält hier mit einem Anteil von 78% von nicht-OECD-Studierenden unter den ausländischen Studierenden einen Wert von 6,3 und für deren kostenloses Studium (im Jahr 2005) einen Wert von 8,5.
- Viertens, der Aufenthalt von Flüchtlingen und anderen „people of concern” nach UNHCR-Daten sowie die Zahl der Flüchtlingsaufnahmen, jeweils abhängig vom Bruttoinlandsprodukt (Gewicht: 20%). Hier erhält Deutschland einen Wert von 8,9, übertroffen nur von Schweden.
Insgesamt steht Deutschland mit einem Wert für Migration von 6,0 auf dem 7. Platz. Damit wird Deutschland ein überdurchschnittliches Zeugnis für die Entwicklungswirkung seiner Migrationspolitik ausgestellt. Insbesondere der hohe Bestand an Flüchtlingen und anderen Schutzsuchenden in Deutschland und die vergleichsweise hohe Zahl von Einwandernden aus Entwicklungsländern, sowie der hohe Anteil an Studierenden aus Entwicklungsländern (die ebenso wie Deutsche 2005 keine Studiengebühren zahlten) werden als Stärken berücksichtigt. Allerdings zeigt der Index auch, dass das Ranking Deutschlands seit der ersten Erhebung des Indexes 2003 stark gesunken ist (von 8,0 und Rang 4 auf 6,0 und Rang 7). Mehr noch: vor dem Hintergrund, dass die Einwanderungszahlen und insbesondere die Aufnahmen von Flüchtlingen rückläufig sind, ist eine weiteres Absinken zu erwarten.
Interessant ist auch, dass wenig darauf hin deutet, dass die guten Werte auf absichtsvolles politisches Handeln im Sinne der positiven Verknüpfung von Migration und Entwicklung zurück geführt werden können. Der relativ hohe Anteil unqualifizierter Einwandernder und die geringe Anwerbung von Qualifizierten und Hochqualifizierten beruht eher auf einer noch immer verbreiteten generellen Skepsis gegenüber Einwanderung (man erinnere sich nur an die Debatten um Green Card und Zuwanderungsgesetz) in Verbindung mit den Bedürfnissen einzelner Wirtschaftszweige nach Arbeitskräften. Die hohen Einwanderungszahlen in den 1990er Jahren wurde eher negativ im Sinne eines Versagens der Migrationskontrolle wahrgenommen, nicht als positiver Beitrag zur weltweiten Entwicklung. Hinzu kommt, dass sich die deutsche Flüchtlingspolitik seit dem Asylkompromiss von 1992 eher um eine Verringerung der Flüchtlingszahlen bemüht hat (Definition von Sicheren Drittstaaten, Flughafen- und Grenzverfahren, Zusammenarbeit auf EU-Ebene zur Sicherung der für Deutschland besonders wichtigen EU-Ostgrenze).
Insgesamt ist der CDI durchaus ein sinnvolles Instrument zum Vergleich der Entwicklungswirkung unterschiedlicher Politiken der untersuchten Länder im Zeitverlauf. Allerdings hat er auch seine Grenzen. Einige wichtige Aspekte von Kohärenz zwischen Entwicklung und Migration fallen von vornherein aus dem Untersuchungsraster heraus. So werden Rücküberweisungen aufgrund schwacher Datenlage nicht berücksichtigt. Staatliche Unterstützung von Diasporainitiativen und andere prominente Aspekte der derzeitigen Diskussion um Migration und Entwicklung lassen sich kaum mit Hilfe eines solchen quantitativen Untersuchungsrasters abbilden. Gesetzliche Regelungen zur Einwanderung und ihre Auswirkung auf Entwicklung sind nur mittelbar, in ihren etwaigen Auswirkungen auf das Migrationsgeschehen, einbezogen.
Konkrete inhaltliche Beispiele aus dem Schnittfeld Migration und Entwicklung
Aufgrund der genannten Grenzen des CDI ist es für ein umfassenderes Bild des Zusammenhangs von Migration und Entwicklung notwendig, konkrete inhaltliche Maßnahmen sowie politisches Handeln in die Analyse einzubeziehen.
Bei der Zusammenarbeit mit der Diaspora ist in Deutschland mehr und mehr Aktivität zu verzeichnen, wenn auch nicht in dem Umfang wie etwa in Spanien und Frankreich. Insbesondere die gtz hat in ihrem Sektorvorhaben Migration und Entwicklung wichtige Grundlagen gelegt. So wurden systematisch Informationen über verschiedene Diasporagruppen zusammen getragen und bestehende Initiativen von Migranten identifiziert. Aktuelle Beispiele der konkreten Arbeit sind Pilotprojekte in Zusammenarbeit mit der marokkanischen Diaspora, sowie Maßnahmen zur stärkeren Vernetzung von Diasporaorganisationen in Deutschland.
Allerdings zeigen sich beim Engagement der Diaspora auch Inkohärenzen zwischen der deutschen Einwanderungspolitik und dem Versuch der Entwicklungspolitik, Migrantinnen und Migranten als Entwicklungsakteure zu mobilisieren und zu unterstützen. So müssen in Deutschland ansässige Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen, Einschränkungen für ein mögliches längerfristiges Engagement im Herkunftsland in Kauf nehmen, da nach 6 Monaten im Ausland ihr Aufenthaltstitel in Deutschland erlischt. Für Geduldete bilden die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Erwerbstätigkeit weitere Hürden.
Bleibender Beliebtheit in der Debatte um Migration und Entwicklung erfreut sich das Thema der Rücküberweisungen. Die Weltbank schätzt ihren Gesamtwert für die Entwicklungsländer auf 251 Mrd. US-Dollar (2007). Deutschland lag im Jahr 2004 mit über 2,75 Mrd. US-Dollar an dritter Stelle unter den Ländern aus denen Rücküberweisungen getätigt werden. Ende 2007 stellte die gtz die Internetdatenbank „GeldtransFAIR” vor. Hier können Migrantinnen und Migranten den für sie günstigsten Transferweg bestimmen, um die zum Teil horrenden Kosten einiger Anbieter einzusparen. Gleichzeitig soll so durch erhöhte Transparenz der Wettbewerb unter den Finanzdienstleistern angekurbelt und eine generelle Senkung der Überweisungskosten erreicht werden. In Großbritannien, wo ein ähnliches Projekt bereits seit längerem läuft, gibt es in dieser Hinsicht offenbar erste Erfolge.
Eine zur Zeit intensiv geführte Debatte betrifft die zirkuläre Migration. Darunter wird die mehrfache Wanderung zwischen Aufnahme- und Herkunfstland verstanden. So könnten Probleme des “Brain Drain” gemildert und Transferprozesse von Wissen und Fähigkeiten in Gang gesetzt werden. Angestoßen durch den Bericht der Weltkommission für internationale Migration 2005 und aufgegriffen in verschiedenen Initiativen im Rahmen der EU findet zirkuläre Migration auch in Deutschland und insbesondere beim BMZ derzeit verstärktes Interesse. Bislang bestehen zwar nur Debatten und Überlegungen, aber man darf gespannt sein, was sich hier entwickelt. Immerhin befürwortet nicht nur die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, das Konzept, sondern auch Bundesinnenminister Schäuble lobt es als mögliche Lösung im Interessenkonflikt zwischen Herkunftsland, Migrant und Aufnahmeland. Insgesamt wird die Debatte erstaunlich offen geführt, vergleicht man sie etwa mit der Diskussion um das Zuwanderungsgesetz.
Dennoch sollte man die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen. So sind hier die Zuständigkeiten verschiedener Ressorts mit ihren je eigenen Interessen berührt. Zur Zeit findet nennenswerte Einwanderung von qualifizierten Einwandernden nach Deutschland so gut wie gar nicht statt. Die Initiative zur zirkulären Migration der Innenminister Schäuble und Sarkozy vom 26.11.2006 auf EU-Ebene räumt entwicklungspolitischen Zielen auch nur nachgeordnete Bedeutung ein – der Ruf nach Zirkulation entspricht vielmehr in erster Linie dem Interesse an Rückführung und Verhinderung ungesteuerter und irregulärer Zuwanderung (vgl. Angenendt 2007). Die Erfahrungen aus der Gastarbeiteranwerbung zeigen zudem, dass zur Zirkulation bzw. zur freiwilligen Rückkehr nach einem Aufenthalt im Gastland eine Wiedereinreiseoption von großer Bedeutung ist. Heute könnte die doppelte Staatsbürgerschaft Garant für eine solche Option darstellen – aber die wird in Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten der EU nur sehr eingeschränkt gewährt.
Fazit
Die Darstellung des Nexus von Migration und Entwicklung in Deutschland unter dem Blickwinkel der Kohärenz konnte einige Schlaglichter auf Ergebnisse und Herausforderungen der Verbindung der beiden Bereiche werfen. Gleichzeitig gibt sie auch Hinweise für weitere Diskussionspunkte in Bezug auf die Frage der Kohärenz zwischen Entwicklung und Migration.
- Kohärenz ist schwer zu erreichen und vollständige Kohärenz gibt es ohnehin nicht. Die aktuelle Begeisterung über das Potenzial von Migration für die Entwicklung der Herkunftsländer weckt die Erwartung von leicht zu erreichenden win-win-Situationen. Möglichkeiten hierfür bestehen zwar an vielen Stellen durchaus, die Erwartung, Migrationspolitik sei problemlos kohärent zu den Zielen der Entwicklungspolitik zu gestalten, ist aber unrealistisch. Andere staatliche Ziele, unter anderem die Migrationssteuerung und -begrenzung werden oft im Vordergrund stehen. Im Sinne eines Leitbildes, auf welches hinzuarbeiten lohnt, kann die Vision einer zu Entwicklungszielen kohärenten Migrationspolitik aber durchaus nützlich sein.
- Kohärenz zu analysieren ist ein schwieriges Unterfangen. Der Ansatz des CDI kann hier als gutes Beispiel dienen. Seine Stärken liegen insbesondere im Vergleich zwischen den Staaten und darin, Debatten über Kohärenz und inkohärentes politisches Handeln anzustoßen. Zudem ist er bewusst „work in progress” und verfeinert seine Analysekategorien laufend. Allerdings basiert er auf z.T. voraussetzungsreichen theoretischen Annahmen und muss aus methodischen Gründen zentrale Aspekte des Nexus von Migration und Entwicklung ausklammern. Daher ist es notwendig, auch konkrete Projekte und politisches Handeln zu untersuchen.
- Deutschland hat die Debatte um Migration und Entwicklung vergleichsweise spät aufgenommen, dann aber schnell und auf verschiedenen Ebenen interessante erste Schritte unternommen. Dort, wo die Entwicklungszusammenarbeit allein handeln kann, ist auch bereits recht viel passiert, wenn auch die tatsächlich bestehenden Projekte noch eher klein sind. Dort hingegen, wo die Abstimmung mit anderen Ressorts von Nöten ist, insbesondere mit dem Bundesministerium des Inneren (BMI), muss sich noch erweisen, wie weit politisches Handeln konkret reicht.
Insgesamt gilt bislang das von Dietrich Thränhardt beschriebene Paradox eines politischen Klimawandels mit nur wenig konkreter Bewegung auch für die politische Verknüpfung von Migration und Entwicklung. Das Thema ist in der öffentlichen und politischen Debatte angekommen, auch im BMI. Abgesehen von den Projekten der Entwicklungszusammenarbeit scheint es aber noch keine greifbaren Auswirkungen auf die konkrete Politik zu geben.
Literatur
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- Ashoff, Guido (2005): Der entwicklungspolitische Kohärenzanspruch. Begründung, Anerkennung und Wege zu seiner Umsetzung. In: Messner, Dirk/Scholz, Imme (Hrsg.): Zukunftsfragen der Entwicklungspolitik. Baden-Baden: Nomos, 41–58.
- Ashoff, Guido (2007): Entwicklungspolitischer Kohärenzanspruch an andere Politiken. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 57, Nr. 48, 17–22.
Bundestagsfraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (2007): Antrag: Diaspora – Potenziale von Migrantinnen und Migranten für die Entwicklung der Herkunftsländer nutzen, BT-Drs. 16/4164 vom 31.1.2007. - Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz): Verschiedene Studien und Projekte zu Migration und Entwicklung.
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- Thränhardt, Dietrich (2008): Wenig Bewegung nach all den konzeptionellen Debatten. Was ist zu tun? In: ders. (Hrsg.): Entwicklung und Migration: Jahrbuch Migration - Yearbook Migration 2006/2007. Münster: Lit Verlag, 9–26.
- Weltkommission für Internationale Migration (2006): Migration in einer interdependenten Welt. Neue Handlungsprinzipien. Berlin: Weltkommission für Internationale Migration.
Simon Musekamp studierte an den Universitäten Trier und Liège Politikwissenschaft und Geschichte. Er promoviert an der Universität Trier zum Thema Kohärenz zwischen Entwicklungs- und Migrationspolitik.