von Franziska Woellert
In Deutschland leben rund 15 Millionen Zugewanderte beziehungsweise deren hier geborene Nachkommen. Fast 20 Prozent der Einwohner haben damit einen so genannten Migrationshintergrund. Und ihr Anteil in der Bevölkerung wird wachsen, denn schon heute bekommen Migranten ein Drittel aller in Deutschland geborenen Kinder. Doch woher kommen diese Migranten ursprünglich, wie finden sich die unterschiedlichen Herkunftsgruppen in Deutschland zurecht, und welches Bundesland beziehungsweise welche Stadt integriert besonders erfolgreich?
Bisher gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die sich mit den Integrationsdefiziten, aber auch mit Erfolgsgeschichten der Integration beschäftigen. Meistens wird dabei allerdings die Gruppe der Ausländer betrachtet, also jene über sieben Millionen Personen, die nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Mittlerweile besitzt aber eine etwa gleich große Gruppe von Migranten einen deutschen Pass – ohne dass sich dadurch zwingend die Integrationsprobleme gelöst haben. Erst mithilfe der neusten zugänglichen Daten des Mikrozensus, einer jährlichen Stichprobenerhebung von einem Prozent aller Haushalte in Deutschland, bei der 2005 zum ersten Mal nach der nationalen Herkunft gefragt wurde, lassen sich spezifische Aussagen zu den sozioökonomischen Eigenschaften der gesamten Gruppe von Migranten machen.
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat auf Grundlage dieser Daten erstmals einen Index zur Messung von Integration (IMI) entwickelt, der den Integrationserfolg acht verschiedener Herkunftsgruppen in Deutschland untersucht. Zusätzlich wurden die Integrationserfolge regional – nach Bundesländern und größeren Städten – differenziert. Dadurch lässt sich mehr über den Einfluss von regionalen wirtschaftlichen und politischen Strukturen auf die Integration erfahren.
Der IMI beschreibt mit Hilfe von 20 Indikatoren aus den Bereichen Assimilation, Bildung, Erwerbsleben und soziale Absicherung die Situation der Migranten im Vergleich zur deutschen Mehrheitsgesellschaft. Als gelungene Integration wird dabei die Annährung der Lebensbedingungen von Menschen mit Migrationshintergrund an die der Einheimischen definiert. Dies muss in einem beidseitigen Prozess erreicht werden, bei dem Migranten und Mehrheitsgesellschaft gleichermaßen gefordert sind.
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Fast 20 Prozent der deutschen Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Über die Hälfte dieser Menschen besitzt einen deutschen Pass. Sie sind Deutsche mit ausländischen Wurzeln. Die größte Gruppe unter den Migranten sind die Aussiedler, gefolgt von den Türkischstämmigen. Insgesamt überwiegen Menschen aus europäischen Ländern, wenngleich der Anteil jener mit nahöstlichen und afrikanischen Migrationshintergrund wächst.
Die Herkunft entscheidet über den Integrationserfolg
Generell gibt es in allen Gruppen ein weites Spektrum an gut und schlecht Integrierten. Sowohl die Mittelwerte als auch die Verteilung variieren jedoch stark – einige Gruppen tendieren zu besseren, andere zu deutlich schlechteren Integrationswerten.
Im Durchschnitt am besten integriert sind die rund zwei Millionen Menschen aus den „Weiteren Ländern der EU-25“ (ohne Südeuropa). Sie gehören zumeist zu der europaweiten Wanderungselite, die leicht Beschäftigung findet und sehr gut gebildet ist – sogar besser als der Durchschnitt der einheimischen Bevölkerung.
Ebenfalls gute Integrationswerte weist die größte der Herkunftsgruppen auf, nämlich die der Aussiedler. Über diese war bisher wenig bekannt, weil die Zugewanderten sofort einen Anspruch auf einen deutschen Pass haben und bisher statistisch nicht mehr zu identifizieren waren. Sie werden in dieser Studie erstmals als eigene Gruppe untersucht. Die Aussiedler sind mit einem vergleichsweise hohen Bildungsstand nach Deutschland gekommen. Sie finden sich relativ gut auf dem Arbeitsmarkt zurecht, und viele Faktoren weisen darauf hin, dass sie sich aktiv um die Integration in der Gesellschaft bemühen. So hat sich die Generation der in Deutschland Geborenen gegenüber der ihrer Eltern in jeder Hinsicht deutlich verbessert. Ihre nachwachsenden Generationen dürften sich damit in einigen Jahrzehnten weitgehend mit der hiesigen Kultur und Gesellschaft vermischt haben.
Die Gruppe mit südeuropäischem Migrationshintergrund, also häufig ehemalige Gastarbeiter und ihre Nachkommen, weist im Durchschnitt nach wie vor nur eine niedrige Bildungsqualifikation vor. Doch trotz dieses Defizits haben die Südeuropäer ihre wirtschaftliche und soziale Nische gefunden – sie sind ausreichend beschäftigt und haben heutzutage kaum noch mit Vorbehalten aus der Bevölkerung zu kämpfen. Auch weil aus den südeuropäischen Herkunftsländern, insbesondere aus Spanien, immer mehr hoch Qualifizierte und Studenten im Rahmen der europäischen Binnenwanderung nach Deutschland kommen, verbessern sich deren Integrationswerte.
Die Herkunftsgruppen aus dem Nahen und dem Fernen Osten sind sehr gemischt. Dies liegt an den unterschiedlichen Rahmenbedingungen ihrer Einwanderung. Manche kamen als Bildungsmigranten oder angeworbene Erwerbstätige, andere als Asylbewerber. Sie vereinen sowohl hoch wie auch gering Qualifizierte, für die jeweils unterschiedliche Integrationserfolge zu verzeichnen sind. Insgesamt schneiden sie jedoch im Bildungsbereich deutlich besser ab als auf dem Arbeitsmarkt.
Zum Teil massive Integrationsmängel bestehen dagegen bei Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Afrika und vor allem bei denen aus der Türkei. Sie sind nach fast allen Kriterien weit entfernt von einer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Migranten der jugoslawischen Herkunftsgruppe sind zum einen ehemalige Gastarbeiter, zum anderen Bürgerkriegsflüchtlinge. Sie bringen also jeweils schwierige Startbedingungen mit. In der heterogenen afrikanischen Gruppe finden sich wie in der nah- und der fernöstlichen sowohl hoch wie auch gering Qualifizierte. Da aber auch die besser Ausgebildeten Schwierigkeiten haben, eine Beschäftigung zu finden – weil Abschlüsse nicht anerkannt werden, weil der Asylantenstatus eine Erwerbsarbeit verhindert oder gesellschaftliche Vorurteile bestehen –, wird diesen Gruppen die Integration zusätzlich erschwert.
Von den hier lebenden 2,8 Millionen Türkischstämmigen ist knapp die Hälfte schon in Deutschland geboren. Diese zweite Generation schafft es jedoch kaum, die Defizite der meist gering gebildeten Zugewanderten aus den Zeiten der Gastarbeiteranwerbung auszugleichen. So sind auch noch unter den in Deutschland geborenen 15- bis 64-Jährigen zehn Prozent ohne jeden Bildungsabschluss – siebenmal mehr als unter den Einheimischen dieser Altersklasse. Dementsprechend schwach fällt ihre Integration in den Arbeitsmarkt aus.
Ein Nachteil der türkischstämmigen Gruppe ist ihre Größe: Weil es gerade in Städten so viele sind, fällt es ihnen leicht, unter sich zu bleiben. Das erschwert gerade zugewanderten Frauen, die häufig nicht erwerbstätig sind, die deutsche Sprache zu erlernen. Damit fehlt auch den Kindern eine wesentliche Voraussetzung für gute Integration.
Generell integrieren sich Eingebürgerte besser als Ausländer. Gerade bei Türkischstämmigen verbessern sich die Integrationswerte, wenn sie den deutschen Pass bekommen. Dabei bleibt die Frage nach Ursache und Wirkung ungeklärt: Es ist auch denkbar, dass die besser Integrierten mehr Anstrengungen unternehmen, sich einbürgern zu lassen.
Sowohl sehr gute auch sehr schlechte Integrationswerte
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Die Herkunftsgruppe aus den Weiteren Ländern der EU-25 (ohne Südeuropa) erzielt bei fast allen Indikatoren des Index zur Messung von Integration (IMI) sehr gute Ergebnisse. Die Migranten aus der Türkei schneiden indessen fast überall am schlechtesten ab. Herkunftsgruppen mit einem sehr hohen Anteil an Asylbewerbern und Asylanten – wie zum Beispiel diejenige aus dem Nahen Osten – schwanken in ihren Ergebnissen dagegen stark. Im Bildungsbereich erreichen sie meist sehr gute Werte, während ihre Integration in den Arbeitsmarkt sehr schwach ausfällt.
Regionale Unterschiede
Regional gesehen verläuft die Integration generell dort besser, wo der Arbeitsmarkt möglichst viele Personen aufnehmen kann. Umgekehrt stößt sie auf Probleme, wo viele gering qualifizierte Personen mit Migrationshintergrund leben. Auf die Bundesländer bezogen weisen daher Hessen und Hamburg relativ gute Integrationswerte auf, besonders schlechte erreicht dagegen das Saarland. Unter den Städten fallen München, Frankfurt, Bonn und Düsseldorf positiv auf, während die Bedingungen für Migranten in Ruhrgebietsstädten wie Duisburg oder Dortmund sowie in Nürnberg am schlechtesten sind. Allerdings sind selbst in den Regionen mit den besten Ergebnissen Migranten mehr als doppelt so häufig erwerbslos wie Einheimische, und sie hängen mehr als doppelt so oft wie diese von öffentlichen Leistungen ab.
Die Integration verläuft dort besser, wo der Arbeitsmarkt möglichst viele Personen aufnehmen kann. Städte und Regionen mit einer modernen Dienstleistungsökonomie, mit Banken, Verwaltungszentren, Forschungseinrichtungen und Medien, ziehen zum einen qualifizierte Migranten an und schaffen zum anderen auch Jobs für gering Gebildete. Umgekehrt stößt die Integration auf Probleme, wo viele gering qualifizierte Personen mit Migrationshintergrund leben. Letzteres ist meist in Regionen der Fall, die vom wirtschaftlichen Strukturwandel betroffen sind, der vor allem die Beschäftigten aus der Gastarbeitergeneration den Job gekostet hat. Weil die besser Qualifizierten unter ihnen häufig in wirtschaftsstärkere Gebiete oder zurück in die alte Heimat gezogen sind, und die gering Qualifizierten weniger mobil sind, häufen sich in den ökonomisch schwächeren Regionen auch die Problemfälle der schlecht Integrierten.
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Migranten sind keineswegs immer und überall schlecht qualifiziert. In Bundesländern wie Berlin oder Hamburg finden sich unter den Zugewanderten mit Berufsausbildung sogar mehr Akademiker als in der einheimischen Bevölkerung. Allerdings liegen die Anteile von Migranten ohne jeden Berufsabschluss überall deutlich über dem der Einheimischen. Die neuen Bundesländer, in denen lediglich fünf Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben, schneiden in Punkto Bildungsstand am besten ab. Schlusslicht Saarland erreicht bei beiden Indikatoren schlechte Werte.
Die Bundesländer sind in absteigender Rangfolge im Index für Integration (IMI) dargestellt – vom bestplatzierten Hessen zum letztplatzierten Saarland.
Was tun?
Ohne ausreichende Bildung ist Integration nahezu unmöglich. Bildung bedeutet aber nicht automatisch eine gelungene Integration, denn nach wie vor baut die Gesellschaft Hürden für Migranten auf: Selbstständigen wird die Niederlassung erschwert, Abschlüsse werden nicht anerkannt, es fehlt an Möglichkeiten zur Nachqualifizierung. Generell weisen Migranten bei gleicher Qualifikation höhere Erwerbslosenquoten als Einheimische auf. Und sie haben Probleme Jobs zu bekommen, die ihrer Befähigung entsprechen. Ein ausländischer Pass erschwert die Arbeitsvermittlung weiter. Bei all diesen Punkten ist die Mehrheitsgesellschaft gefordert, offener auf die Migranten zuzugehen, um deren Potenziale für die Gesellschaft besser zu nutzen. Weil die betrachteten Zuwanderergruppen unterschiedliche Startbedingungen hatten und verschieden gut gebildet sind, sollten differenzierte Programme aufgelegt werden, die den jeweiligen Bedürfnissen entgegenkommen.
Um allen Migrantenkindern, also der wichtigen nachwachsenden Generation, so früh wie möglich eine Chancengleichheit trotz vielfach unterprivilegierter Elternhäuser zu verschaffen, sind ein verpflichtendes Vorschuljahr und kostenlose Kindergärten mit pädagogisch geschultem Personal zur Sprachförderung unerlässlich. Die frühe gemeinsame Bildung von einheimischen und Migrantenkindern fördert obendrein die Vermischung – eine Voraussetzung, um Parallelgesellschaften zu verhindern.
Schulen sollten zu ganztägig offenen Integrationszentren ausgebaut werden, in denen neben dem Unterricht Projektarbeit stattfindet, Weiterbildung und Beratung für die Eltern angeboten wird und Integrationsbeauftragte gesellschaftliche Defizite aufdecken.
Um eine Identifikation mit Deutschland zu erleichtern, empfiehlt sich eine Einbürgerung von hier Geborenen nach dem ius soli, wie es in Frankreich oder den Vereinigten Staaten üblich ist. Sinn dieser Politik ist es, den Menschen ein Zeichen zu setzen, dass sie von Anfang an willkommen sind und gebraucht werden.
All diese Maßnahmen sind notwendig, um die Lage von Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Aber auch um von ihnen verlangen können, dass sie sich auf diese Angebote einlassen und ihrer Bringschuld zur Integration nachkommen. Deutschland braucht aufgrund seiner demografischen Entwicklung auch in Zukunft Migranten – und zwar in wachsender Zahl und mit möglichst guten Qualifikationen. Diese Personen werden nur in unser Land kommen, wenn sich die Lage der schon hier lebenden Migranten deutlich verbessert – wenn in Deutschland Menschen unabhängig von ihrer Herkunft die Zukunft des Landes mitbestimmen können und sollen.
Quellen
- Statistisches Bundesamt: Mikrozensus 2005. Scientific Use File. Wiesbaden
- Statistisches Bundesamt: Mikrozensus 2005. Grundfile. Wiesbaden.
Weitere Ergebnisse der Studie „Ungenutzte Potenziale“ finden Sie auf der Homepage des Berlin-Instituts.
Diskutieren Sie mit dem Berlin-Institut über die neue Studie "Ungenutzte Potenziale". Schicken Sie Ihre Fragen per E-Mail an diskussion(at)berlin-institut.org. Ihre Fragen werden - anonymisiert - am 9. Februar auf der Institus-Homepage beantwortet.
Franziska Woellert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und beschäftigt sich dort mit den Themen Migration und Integration.