von Mario Peucker
Diskriminierung von Minderheiten und MigrantInnen ist ein äußerst komplexes Phänomen, das durch eine unübersichtliche Vielfalt von Erscheinungsformen charakterisiert ist: Ethnische Ungleichbehandlung läuft intentional, zielgerichtet, aber oft auch unbeabsichtigt ab; es kann einen „Täter“ geben oder durch Strukturen oder unterschwellige Mechanismen verursacht sein; sie kann rassistisch motiviert sein, unbedacht oder gar in „guter“ Absicht erfolgen; es gibt Diskriminierungsformen, die sind gesetzlich verboten, und solche, die „objektiv gerechtfertigt“ oder sogar gesetzlich angeordnet sind. Ungleichbehandlung kann offen in Erscheinung treten oder verdeckt und von den Betroffenen unbemerkt ablaufen.
Nicht zuletzt ist unter Diskriminierung sowohl ein Prozess struktureller oder individueller Ungleichbehandlung zu verstehen als auch die Folgen solcher Prozesse, wie die Definition der Vereinten Nationen (CERD) von „rassistischer Diskriminierung“ bereits im Jahr 1965 betonte.
Bei einer solchen Komplexität überrascht es nicht, dass der empirisch gesicherte Nachweis und die Analyse von ethnischer Diskriminierung ein oft mühsames Unterfangen ist. In den letzten Jahren ist – insbesondere seit dem Beschluss der beiden EU-Antidiskriminierungsrichtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG im Jahre 2000 – das Bedürfnis nach objektiven und verlässlichen Daten zum Nachweis von Diskriminierung vielerorts in Europa stark gestiegen.
Einblicke in ethnische Diskriminierung – für wen?
Zuverlässige Kenntnisse über das Ausmaß und die Funktionsweisen ethnischer Diskriminierung werden prinzipiell von verschiedenen AkteurInnen zu verschiedenen Zwecken benötigt – in Gerichtsverfahren und in der Politik ebenso wie von ArbeitgeberInnen, Nichtregierungsorganisationen (NROs) und von europäischen und internationalen Organisationen, wie etwa dem Europarat, der EU oder den Vereinten Nationen (EU Commission 2007 , S.24).
Die unterschiedlichen Zweckkonstellationen haben einen wesentlichen Einfluss darauf, in welcher Form der Nachweis von Diskriminierung zu leisten ist. So würden die Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von MigrantInnen zu ihren subjektiven Diskriminierungserfahrungen wohl kaum als hinreichend tragfähiger Nachweis von individueller Diskriminierung in einem Gerichtsverfahren eingestuft werden; für die Planung und Durchführung einer Antidiskriminierungskampagne der Bundesregierung wären solche Informationen hingegen durchaus relevant und brauchbar.
Zwei methodische Ansätze zum Nachweise und zur Analyse ethnischer Diskriminierung haben sich in unterschiedlichen Kontexten europaweit als besonders überzeugend erwiesen:
- Durch Testing-Verfahren lassen sich Formen interpersoneller Ungleichbehandlung etwa beim Zugang zum Arbeitsmark (z.B. Goldberg/Mourinho 2000) oder bei der Wohnungssuche (z.B. Planerladen 2009) aufdecken. Dabei werden öffentlich ausgeschriebene Wohnungen oder Arbeitsstellen in einem quasi-experimentellen Design von zwei Personen getestet, die sich hinsichtlich der für den Job oder die Wohnung relevanten Kriterien nicht unterscheiden (matched pair); lediglich die Namen der Tester verraten deren angebliche Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung bzw. zu einer ethnischen Minderheit. Während solche Testings direkte Diskriminierung meist sehr eindrucksvoll belegen, sind strukturelle Formen der Ungleichbehandlung damit kaum nachzuweisen.
- Ein zweiter methodisch viel versprechender Analyseansatz basiert auf statistischen Daten, die eine Identifizierung der potenziell von ethnischer Diskriminierung betroffenen Personen(gruppe) zulässt. Solche Statistiken spielen bei der Untersuchung insbesondere von struktureller Diskriminierung eine entscheidende Rolle, was aber bislang nur von wenigen EU-Ländern systematisch genutzt wird (Makkonen 2007).
Ethnische Daten und ethnic monitoring in Deutschland
Eine statistische Erfassung der ethnischen Zugehörigkeit zum Nachweis von individueller und struktureller Benachteiligung von Minderheiten (ethnic monitoring) gibt es in Deutschland nicht; generell existieren kaum Statistiken zur ethnischen Herkunft. Zwar ist die Erhebung solcher Daten nicht per se verboten (im Asylverfahren wird die ethnische Herkunft von AntragstellerInnen aus bestimmten Ländern wie etwa der Türkei, Russland oder dem Irak explizit erfasst), doch unterliegt die Erfassung dieser „besonderen Art personenbezogenen Daten“ (§ 3 (9) BDSG) strengen datenschutzrechtlichen Beschränkungen.
Internationale Antirassismus-Institutionen des Europarates und der Vereinten Nationen kritisieren regelmäßig das Fehlen von Statistiken über die „ethnische Zusammensetzung“ der Bevölkerung (CERD 2008, No. 14) und empfehlen Deutschland, differenzierte Daten zur ethnischen Herkunft zu erheben – unter Berücksichtigung menschen- und europarechtlicher Prinzipien wie Freiwilligkeit, Vertraulichkeit und Selbst-Identifizierung (ECRI 2009, No. 164; siehe auch EU-Richtlinie 95/46/EG).
Die Bundesregierung wehrt sich vehement gegen solche Forderungen, und auch einzelne Minderheitengruppen, die selbst von Diskriminierung betroffen sind, lehnen ethnische Statistiken – oft unter Bezugnahme auf den systematischen Datenmissbrauch durch das Naziregime im Dritten Reich – ab. Angesichts dieser kritischen Haltung einerseits und den andauernden Forderungen internationaler Organisationen andererseits drängt sich die Frage auf, was ethnische Statistiken zum Nachweis von Diskriminierung eigentlich leisten können.
Auch die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, zu welchem Zweck Ungleichbehandlung bewiesen werden soll. Muss der Nachweis juristisch tragfähig sein und eine(n) Richter/in überzeugen? Möchte der Gesetzgeber oder auch ein Unternehmen wissen, ob eingeleitete Antidiskriminierungsregelungen und -maßnahmen effektiv greifen? Oder möchten NROs oder andere Akteure Sensibilisierungskampagnen oder Fördermaßnahmen entwickeln?
Anhand des Einsatzes von statistischen Daten zur ethnischen bzw. nationalen Herkunft (zum Thema Migrationshintergund vs. ethnische Herkunft siehe unten) als Indiz für Diskriminierung im Gerichtsverfahren lassen sich die Möglichkeiten und Grenzen des ethnischen monitoring exemplarisch aufzeigen.
Statistiken zur ethnischen Herkunft im Gerichtsverfahren
Erst seit In-Kraft-Treten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 besteht in Deutschland ein umfassender, verbindlicher Rechtsrahmen, der – bei aller Kritik an bestehenden Regelungslücken – ethnische Diskriminierung im Arbeits- und Zivilrecht weitgehend verbietet. Dadurch hat die Frage, wie ungerechtfertige Ungleichbehandlung interpersoneller und struktureller Art vor Gericht nachzuweisen ist, erheblich an Bedeutung gewonnen. ´
Das AGG trägt, wie von der EU-Richtlinie 2000/43/EC vorgesehen, den Schwierigkeiten beim Diskriminierungsnachweis durch die Verschiebung der Beweislast Rechnung (§ 22 AGG). So muss die klagende Partei Diskriminierung nicht im sonst üblichen Sinne beweisen, sondern „lediglich“ Indizien für eine solche Ungleichbehandlung glaubhaft machen (laut AGG „Indizien beweisen“). Kann der/die KlägerIn dies leisten, muss die beschuldigte Partei Gegenbeweise zur eigenen Entlastung anführen. Statistiken können dabei sowohl als be- wie auch entlastende Indizien fungieren und stellen somit im Prinzip für beide Parteien ein juristisch relevantes Instrument der Beweisführung dar (Gastwirth 1992, S. 58-59).
Grundsätzlich sind zwei Anwendungsformen von Statistiken in Gerichtsverfahren zu Diskriminierung zu unterscheiden, die in der deutschen Rechtspraxis jedoch bislang kaum, in Fällen ethnischer Diskriminierung noch gar nicht angewandt wurden:
- Die statistische Unterrepräsentanz von MigrantInnen und Minderheiten in bestimmten Strukturen, die die beklagte Partei zu verantworten hat, kann vor Gericht als Indiz für Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft gewertet werden.
- Statistiken können zeigen, ob neutral erscheinende Selektionsmerkmale unter bestimmten Minderheitengruppen überdurchschnittlich ausgeprägt sind, was als Hinweis auf indirekte Diskriminierung zu werten wäre.
Unterrepräsentanz als Indiz für Diskriminierung
Während Statistiken insbesondere beim Nachweis von indirekter Diskriminierung ihre wahre Stärke zeigen, liefern sie bei Gerichtsverfahren wegen direkter Ungleichbehandlung eher selten die ausschlaggebende Beweise; allerdings können sie den/die RichterIn auch in Fällen interpersoneller Diskriminierung als ein zusätzliches Indiz vom Vorliegen eines hinreichenden Verdachtsmoments überzeugen.
Der EU-Antidiskriminierungsexperte Makkonen verweist etwa auf das britische Arbeitsgerichtsurteil im Verfahren Marshall gegen F. Woolworth & Co. Ltd. (1988): Die Schwarze Klägerin, die sich erfolglos um einen Arbeitsplatz beworben hatte, fühlte sich wegen ihrer Hautfarbe direkt diskriminiert; der Richter wertete den vorgelegten statistischen Nachweis, dass bei dem beklagten Betrieb keine einzige Schwarze Person angestellt war, obwohl in der Region sehr viele Schwarze lebten, als hinreichendes Indiz für ethnisch bedingte unmittelbare Ungleichbehandlung (Makkonen 2007, S. 32).
Deutlich öfter, wenngleich in den meisten EU-Ländern immer noch relativ selten, werden Statistiken in Gerichtsverfahren zu indirekter Diskriminierung herangezogen – hier zeigt sich das echte Potenzial des ethnic monitoring. Indirekte ethnische Diskriminierung liegt laut AGG dann vor, wenn „dem Anschein nach neutrale“ Mechanismen und Verfahren bestimmte Personen (Plural!) wegen ihrer ethnischen Herkunft „gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen“. Diese Definition geht über den individuellen Fall der persönlichen Ungleichbehandlung hinaus und basiert auf dem Vergleich zwischen Gruppen. Wie sonst, wenn nicht mit Statistiken und quantitativ-statistischen Verfahren, ließen sich solche Gruppendifferenzen nachweisen – vorausgesetzt die vorliegenden Statistiken sind nach den jeweiligen angeblichen Nichtdiskriminierungsgründen aufgeschlüsselt?
Das europaweit wohl bekannteste Gerichtsurteil zu indirekter ethnischer Diskriminierung wurde im November 2007 vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof auf der Basis von vorgelegten statistischen Daten gesprochen: Im Fall H.D. und andere gegen Tschechische Republik (Nr. 57325/00) konnten die Kläger nach jahrelangem Weg durch sämtliche Instanzen mit den gesammelten Statistiken überzeugend darlegen, dass die starke Überrepräsentanz von Roma-Kindern in Sonderschulen der tschechischen Stadt Ostrava eine Folge von strukturell diskriminierenden Selektions- und Segregationsmechanismen darstellt und daher – unabhängig davon, ob ein persönliches, absichtliches Fehlverhalten der Schulbehörden vorlag – als Resultat rechtswidriger Ungleichbehandlung zu werten ist (ERRC 2008).
Solche Urteile zu ethnischer Diskriminierung sucht man in Deutschland bislang vergebens – was auch mit dem noch schwach ausgeprägten Verständnis von dem Konzept der indirekten Diskriminierung zu erklären ist (siehe dazu Argumentation des Arbeitsgerichts Berlin vom 26.09.2007; Az: 14 Ca 10356/07). Allerdings ist inzwischen auch hierzulande in juristischen Fachkreisen eine Debatte darüber entbrannt, inwieweit Statistiken als Beleg von Ungleichbehandlung vor Gericht Anwendung finden können.
Die wenigen Urteile in Deutschland, die eine solche statistische Beweisführung gelten ließen, sind bisher im Bereich der geschlechtsbezogenen Diskriminierung ergangen. So betonte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Az.: 15 Sa 517/08) in einem Fall, bei dem sich eine Frau bei der Beförderung in eine Führungsposition diskriminierend übergangen fühlte, im November 2008, dass statistische Nachweise zur Geschlechterverteilung auf den einzelnen Hierarchieebenen des Unternehmens herangezogene werden können; diese seien „schon deswegen berücksichtigungsfähig (..…), da anderenfalls eine verdeckte Diskriminierung bei Beförderungen (‚gläserne Decke’) nicht ermittelbar wäre“ (Leitsatz 2). Die Klägerin hatte statistische Belege vorgelegt, wonach zwar zwei Drittel der Beschäftigten Frauen waren, die 27 Führungspositionen jedoch allesamt von Männern besetzt waren.
Ansätze und Probleme der statistischen Beweisführung bei ethnischer Diskriminierung
Im Prinzip scheint der Weg des statistischen Nachweises in deutschen Gerichten auch in Fällen ethnischer oder rassistischer Diskriminierung gangbar; dies setzt jedoch das Vorliegen differenzierter Statistiken voraus. Folgende zwei Szenarien sind zu unterscheiden:
- Um die systematische Benachteiligung von MigrantInnen und Minderheiten bei Frage der Kündigung, der Beförderung oder der unternehmensinternen Entlohnung nachzuweisen, bedarf es vor allem eines: interner MitarbeiterInnenstatistiken, die nach den vermuteten Diskriminierungsgrund differenzieren. Der datenbasierte Nachweis kann der betroffenen Person oft nur gelingen, wenn er/sie Zugang zu diesen Personalstatistiken hat. ArbeitgeberInnen legen diese Daten aber meist nur offen, wenn sie gesetzlich dazu verpflichtet sind oder sich davon eine entlastende Wirkung versprechen. Oft bräuchte die sich diskriminiert fühlende Person diese Daten jedoch schon im ersten Schritt der Beweisführung zur Glaubhaftmachen von Diskriminierung. Kann die klagende Partei – mit oder ohne Mithilfe des Beklagten – genügend Indizien für Diskriminierung vorlegen, ist es am Beklagten, diesen Vorwurf zu widerlegen. Weigert sich der Beschuldigte weiterhin, interne Daten vorzulegen, wird der/die Richter/in nach eigenem Ermessen entscheiden, wie dies zu werten ist (siehe etwa Arbeitsgericht Stuttgart, Az.: 15 Ca 11133/06, 26.4.2007). Die Befugnis von nationalen Gleichbehandlungsstellen in vielen EU-Mitgliedsländern, Dateneinsicht zu fordern oder selbst Untersuchungen in den beschuldigten Unternehmen durchzuführen, ist als Antwort auf dieses Problem der Datenverfügbarkeit zu sehen.
- Um indirekte Diskriminierung bei der Personaleinstellung, d.h. beim Zugang zum Arbeitsmarkt – und ähnliches gilt für den Zugang zu Bildung, dem Wohnungsmarkt, dem Gesundheitssystem oder öffentlichen Dienstleistungen – mit statistischen Mittel aufzudecken, bedarf es neben diesen systeminternen Daten auch externe Bevölkerungsstatistiken. Diese werden den internen Daten vergleichend gegenüber gestellt, um eine systematische Unterrepräsentanz bestimmter MigrantInnen- oder Minderheitengruppen zu zeigen. Interne wie externe Statistiken müssen nach vergleichbaren Indikatoren ausdifferenziert sein, so dass sie die Identifizierung der jeweiligen Gruppe ermöglichen. Der Kern der statistischen Beweisführung liegt in der Bildung von möglichst genauen Vergleichsgruppen und entsprechenden statistischen Vergleichsanalysen (Gastwirth 1992):
Angenommen ein junger Mann türkischer Herkunft hegt den Verdacht, bei seiner Bewerbung bei einem Unternehmen diskriminiert worden zu sein. Um dies statistisch glaubhaft zu machen, bräuchte er zum einen nach nationaler Herkunft differenzierte MitarbeiterInnen- bzw. Einstellungsstatistiken des Unternehmens und zum anderen Bevölkerungsstatistiken, die den Anteil der Personen türkischem Herkunft in der Region ausweisen – idealerweise noch differenziert nach dem allgemeinen Qualifikationsniveau. Je differenzierter die beiden Datenquellen sind, desto besser lassen sich passende Vergleichsgruppen bilden und desto überzeugender kann der Nachweis von indirekter Diskriminierung gelingen.
Sind Minderheiten von „neutral erscheinenden“ Selektionsmerkmalen besonders betroffen?
Neben diesem Beleg der Unterrepräsentanz bestimmter Minderheitengruppen, können Statistiken noch auf eine weitere Weise zum Nachweis von indirekter Diskriminierung beitragen: Sie können zeigen, dass „neutral erscheinende“ Selektionskriterien bestimmte Gruppen „in besonderer Weise benachteiligen“ (§ 3 (2) AGG), da dieses Kriterien von Minderheiten überdurchschnittlich oft erfüllt werden. Nicht immer sind dafür statistische Berechnungen notwendig. Verlangt ein Arbeitgeber „muttersprachliche Deutschkenntnisse“, so leuchtet es auch ohne statistischen Nachweis ein, dass ethnische Minderheiten von diesem Selektionsmerkmal überdurchschnittlich betroffen sind (siehe Arbeitsgericht Berlin, Az: 55 Ca 16952/08; 11.02.2009).
Auch das Verbot des Tragens einer Kopfbedeckung am Arbeitsplatz hat offensichtlich eine indirekt diskriminierende Wirkung auf (z.B. türkische) Migrantinnen. Doch nicht immer gestaltet sich der Beleg einer diskriminierenden Wirkung von Selektionskriterien so plausibel. Stellt etwa ein Unternehmen niemanden ein, der aus einem bestimmten Stadtviertel kommt, so verstößt dies zunächst nicht gegen ein in § 1 AGG genanntes Diskriminierungsmerkmal; zeigen aber regionale Bevölkerungsstatistiken, dass in diesem Viertel bestimmte Minderheiten deutlich überrepräsentiert sind, dann kann daraus womöglich ein Indiz für indirekte ethnische Diskriminierung abgeleitet werden.
Migrationshintergrund vs. ethnische Herkunft
Entscheidend für die statistische Beweisführung ist die Qualität der internen und der externen Statistiken, auch hinsichtlich der Differenzierung nach dem jeweiligen Nichtdiskriminierungsgrund (§ 1 AGG) – dies gilt für den Nachweis der Unterrepräsentanz von Minderheiten in bestimmten Positionen ebenso wie für den Beweis von deren Überrepräsentanz hinsichtlich neutral erscheinender Selektionsmerkmalen. In Deutschland geht man in den letzten Jahren zunehmend dazu über, Verwaltungs- und Bevölkerungsstatistiken nicht mehr nur nach der Nationalität aufzuschlüsseln, sondern Kriterien wie Familiensprache (z.B. Kinder- und Jugendhilfestatistik; BiBB-BAuA-Befragungen) bzw. biografische Daten zur Konstruktion eines persönlichen „Migrationshintergrundes“ zu berücksichtigen (z.B. Mikrozensus, SOEP, kommunale Statistiken).
Diese Entwicklung ist auch im Hinblick auf den datenbasierten Nachweis von Diskriminierung als Fortschritt zu werten (trotz der zentralen Schwäche der uneinheitlichen Definitionen von Migrationsintergrund in den verschiedenen Statistiken), da das Kriterium der Nationalität in Zeiten von Einbürgerungen und ius soli-Elementen im Staatsangehörigkeitsrecht stark an Trennschärfe verloren hat. Das Merkmal Migrationshintergrund in Kombination mit der Spezifizierung des jeweiligen nationalen Hintergrunds kann in vielen Fällen ein brauchbares Differenzierungskonzept zum statistischen Nachweis darstellen – vorausgesetzt, Unternehmen, Schulen, Wohnungsbaugesellschaften und Dienstleistungsanbieter führen ähnliche interne Statistiken.
Dennoch bleibt ein Kernproblem bestehen: die ethnische Herkunft – und nicht der Migrationshintergrund – ist der im AGG genannte Nichtdiskriminierungsgrund. Vor dem Hintergrund ethnischer Pluralisierung und hoher Einbürgerungsquoten auch in anderen Ländern in Kombination mit globalen Migrationsbewegungen (man denke nur an die Freizügigkeit der 500 Millionen EU-BürgerInnen) erscheint auch die statistische Differenzierung nach Migrationshintergrund als Proxy-Indikator für die ethnische Herkunft zunehmend unscharf zu werden.
Insbesondere ethnische Minderheiten ohne Migrationshintergrund und Minderheiten, deren Staatsangehörigkeit eher weniger auf ein erhöhtes Diskriminierungsrisiko hindeutet, lassen sich damit kaum identifizieren. Was ist etwa mit dem deutschen Sinto, dessen Vorfahren seit Jahrhunderten in Deutschland leben, oder dem Schweden, der als somalischer Asylbewerber in Schweden Schutz fand und sich inzwischen einbürgern ließ, dem Franzosen algerischer Herkunft, dem jungen Deutschen mit türkischen Wurzeln in der vierten Generation, oder dem deutschen Schwarzen, dessen Ur-Urgroßeltern im späten 19. Jahrhundert aus den deutschen Kolonien in Afrika nach Deutschland kamen?
Fazit
Die Verwendung von Statistiken zum Nachweis von ethnischer Diskriminierung bzw. zur Überprüfung der Wirksamkeit von Gleichbehandlungsmaßnahmen ist in Deutschland noch stark unterentwickelt – dies gilt für Gerichtsverfahren ebenso wie für die Politik, in Unternehmen und Verwaltung. Der Verweis auf die besondere Sensibilität von Daten zur ethnischen Herkunft ist berechtigt und spielt eine Rolle für die skeptische Haltung zu ethnic monitoring. Doch auch einheitlich und gründlich erhobene Daten zum Migrationshintergrund würden durchaus eine brauchbare Basis für den Einsatz von Statistiken liefern.
Das Kernproblem scheint weniger in der Kontroverse zur Erhebung ethnischer Daten zu liegen (die öffentlich und sachlich geführt werden sollte), sondern in der qualitativen Unzulänglichkeit, der Unzugänglichkeit bzw. dem schlichten Nicht-Vorhandensein der benötigten internen Statistiken. Um dies systematisch zu ändern, müsste der Gesetzgeber aktiv werden und entsprechende Verpflichtungen einführen, wie dies etwa in Großbritannien (vgl. hierzu den Beitrag Joana Vassilopoulou in diesem Dossier, Anm. d. Red.) in Folge der Stephen Lauwrence Inquiry geschehen ist.
Solche Schritte werden in Deutschland aber kaum diskutiert, was auch darin begründet liegt, dass hierzulande sowohl in der Politik wie auch in der Justiz, und erst recht in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung, meist große Verständnis- und Hilflosigkeit im Umgang mit dem Konzept der indirekten Diskriminierung herrscht. Erst wenn das Prinzip der strukturellen Ungleichbehandlung – unabhängig von rassistischer Motivation des „Täters“, unabhängig von persönlichem (Fehl-)Verhalten – als menschenrechtliches Problem und rechtswidrige Form von Diskriminierung anerkannt wird, kann ethnic monitoring praktische Bedeutung erlangen – und mehr noch: erst dann ist mit echten Erfolgen im politisch-rechtlichen Kampf gegen Diskriminierung zu rechnen.
Literatur
- Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) (2008): Concluding Observations of the CERD. Germany (73rd session, 28 July – 15 August 2008)
- EU Commission (2007): European handbook on equality data. Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities
- European Commission Against Racism and Intolerance (ECRI) (2009): ECRI Report on Germany (fourth monitoring cycle). CRI (2009)19, Straßburg: ECRI
- European Roma Rights Centre (ERRC) (2008): Roma Rights Journal of the ERRC. Roma Education: The Promise of D.H. (No. 1/2008), Budapest: ERRC
- Gastwirth, Joseph L. (1992): “Statistical Reasoning in legal Setting”, in: The American Statistician, Jg. 46, Nr. 1 (Feb. 1992), S. 55-69
- Goldberg, Andreas & Mourinho, Dora (2000): The Occurrence of Discrimination in Germany, in: Zegers de Beijl, R. (Hrsg.): Documenting discrimination against migrant workers in the labour market. A comparative study of four European countries, Genf: ILO, S.53-63
- Makkonen, Timo (2007): Measuring Discrimination. Data Collection and EU Equality Law. Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities
- Planerladen e.V. (2009): Ungleichbehandlung von Migranten auf dem Wohnungsmarkt. Ergebnisse eines telefonischen “Paired Ethnic Testings” bei regionalen Immobilienanzeigen. Dortmund: Planerladen
Mario Peucker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Forum für Migrationsstudien an der Universität Bamberg. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Integrationsforschung und in der Analyse von Rassismus und ethnischer Diskriminierung.