von Bernhard Franke
Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Wer allerdings bei einer Diskriminierung am Arbeitsplatz nach diesem Grundsatz handelt, macht manchmal schlechte Erfahrungen. Zuweilen reagieren Arbeitgeber darauf mit ausgesprochen negativen Maßnahmen. Dazu ein reales Beispiel: Einem asiatischen Trainee in einem Großunternehmen wurde mitgeteilt, dass er nach Abschluss der Traineezeit nicht weiterbeschäftigt werde, weil man eher „deutsche Mitarbeiter“ wünsche und er zu „exotisch“ sei. Seine Beschwerde darüber bei der im Unternehmen nach dem AGG eingerichteten Beschwerdestelle hatte aber keinen Erfolg, im Gegenteil: Das Unternehmen kündigte ihm kurz darauf fristlos wegen „Störung des Betriebsfriedens“.
Um solchen oder ähnlichen Situationen einer sog. „sekundären Viktimisierung“ (zweiter oder erneuter Opferwerdung) nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, enthält das AGG ein sog. Maßregelungsverbot. In § 16 AGG heißt es:
Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen. Die Zurückweisung oder Duldung benachteiligender Verhaltensweisen durch betroffene Beschäftigte darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Beschäftigten berührt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.
Der folgende Beitrag möchte die Hintergründe, den Regelungsgehalt und die Rechtsfolgen dieses Verbots näher vorstellen.
Paragraph 16 AGG beruht auf Vorgaben des Europarechts. Diese Vorschrift setzt Artikel 9 der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG, Artikel 11 der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG und Artikel 7 der Genderrichtlinie Arbeitsrecht 2002/73/EG in deutsches Recht um. Die genannten Richtlinienbestimmungen verpflichten die Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Einzelne vor Benachteiligungen zu schützen, die als Reaktion auf eine Beschwerde oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfolgen. Die Bestimmungen beruhen auf der Erwägung, dass die Voraussetzung für eine effektive Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes ein angemessener Schutz vor Viktimisierung ist (1). Rechte sollen nicht nur auf dem Papier stehen, Beschäftigten soll auch die Entscheidungsfreiheit über ihre Inanspruchnahme gewährleistet werden. Damit soll der Schutz vor Viktimisierung auch zur Effektivität des Rechtsschutzes beitragen (2).
Paragraph 16 AGG übernimmt und konkretisiert im Übrigen den bereits im BGB enthaltenen Schutzgedanken, dass ArbeitnehmerInnen nicht deswegen benachteiligt werden dürfen, weil sie in zulässiger Weise ihre Rechte ausüben (§ 612 a BGB). Einen vergleichbaren Schutz gewährleistet auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) im Hinblick auf Teilzeitarbeit (§ 5 TzBfG).
Viktimisierungsverbote finden sich schließlich auch in neueren menschenrechtlichen Übereinkommen. So enthält beispielsweise das Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979 (CEDAW) ein Viktimisierungsverbot von Personen, die sich aufgrund dieses Protokolls mit einer Beschwerde an den bei der UN eingerichteten Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau gewandt haben (Art. 11). Ein Vertragsstaat des Fakultativprotokolls, wozu auch Deutschland gehört, ist danach verpflichtet, Misshandlungen oder Einschüchterungen gegenüber diesem Personenkreis weder selbst vorzunehmen noch zuzulassen.
Hintergründe und Regelungsgehalt des Maßregelungsverbots
Das AGG setzt den Schutz vor erneuter Opferwerdung durch ein Maßregelungsverbot in § 16 Abs. 1 AGG um. Dieses Verbot richtet sich dem Gesetzeswortlaut nach an den/die ArbeitgeberIn. Zu Recht wird aber angenommen, dass das Maßregelungsverbot sich auf alle erstreckt, die Arbeitgeberfunktionen ausüben, also z. B. auch Vorgesetzte, und nicht allein von der formalen Stellung als Arbeitsvertragspartei abhängt (3).
Das Verbot lehnt sich übrigens an Vorbilder im US-amerikanischen Recht an (4). Die wichtigsten amerikanischen Antidiskriminierungsgesetze, („Title VII“ des Civil Rights Act aus dem Jahr 1964, Age Discrimination in Employment Act (ADEA) aus dem Jahr 1967, Americans with Disability Act (ADA) aus dem Jahr 1990, Genetic Information Nondiscrimination Act (GINA) von 2008) verbieten unter der Bezeichnung „retaliation“ (Vergeltung, Rache) die Maßregelung von ArbeitnehmerInnen und BewerberInnen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte aus den genannten Gesetzen. Ebenso geschützt wie im deutschen Recht sind Personen, die Benachteiligte unterstützen oder ArbeitnehmerInnen, die die Durchführung einer unzulässigen Anweisung verweigern.
Geschützter Personenkreis/Geschütztes Verhalten
Das Maßregelungsverbot im AGG schützt vier Gruppen von Personen:
- Beschäftigte, die Rechte aus dem arbeitsrechtlichen Abschnitt des AGG selbst in Anspruch nehmen. Geschützt sind auch BewerberInnen für ein Beschäftigungsverhältnis sowie Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist, da sie als Beschäftigte gelten (§ 6 Abs. 1, Satz 2 AGG),
- Beschäftigte, die sich weigern, eine Anweisung zur Diskriminierung auszuführen,
- Personen, die Beschäftigte bei der Inanspruchnahme von Rechten unterstützen,
- und Personen, die im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Rechten durch Beschäftigte als ZeugIn aussagen.
Durch das Maßregelungsverbot geschützt ist die Inanspruchnahme von arbeitsrechtlichen Rechten aus dem AGG. Solche Rechte sind, wie im eingangs beschriebenen Beispiel, das Beschwerderecht wegen einer Diskriminierung bei einer zuständigen Stelle des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle (§ 13 AGG), das Recht auf Einstellung der Tätigkeit in Fällen von Belästigung oder sexueller Belästigung (§ 14 AGG), das Recht, Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche (§ 15 Abs. 1. u. 2 AGG), gegebenenfalls auch klageweise geltend zu machen sowie die Berufung auf den Schutz des Maßregelungsverbots selbst (5). Der Schutz vor Maßregelung erstreckt sich ferner auf die Weigerung, eine diskriminierende Anweisung auszuführen, z. B. wenn ein/e PersonalchefIn angewiesen wird, keine Arbeitskräfte türkischer Herkunft mehr einzustellen.
Nicht ausdrücklich erfasst vom Schutz ist nach dem Wortlaut allerdings, wenn Beschäftigte von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu wenden, weil sie der Ansicht sind, benachteiligt worden zu sein (§ 27 Abs. 1 AGG). Ein Schutzbedürfnis vor einer Maßregelung kann hier insbesondere dann bestehen, wenn die Stelle mit Einverständnis der Betroffenen die ArbeitgeberInnen um eine Stellungnahme ersucht hat und damit der Kontakt bekannt wird. Da der Kontakt zur Antidiskriminierungsstelle aber regelmäßig in Zusammenhang mit einer Beratung zur möglichen Inanspruchnahme von Rechten aus dem arbeitsrechtlichen Abschnitt des AGG stehen wird, besteht auch hier ein Schutz durch das Maßregelungsverbot.
Voraussetzung für den Schutz durch das Maßregelungsverbot ist, dass die Rechtsausübung durch den Beschäftigten selbst rechtmäßig war. Geschützt ist nur die rechtmäßige Verteidigung gegen rechtswidrige Maßnahmen des/der ArbeitgeberIn (6).
Bezogen auf die einzelnen Rechte gilt folgendes: Grundsätzlich immer ist die Einlegung einer Beschwerde eine berechtigte und durch das Maßregelungsverbot geschützte Rechtsausübung, und zwar unabhängig von deren Ausgang, weil Voraussetzung für das Beschwerderecht lediglich ist, dass der Beschäftigte sich benachteiligt fühlt. Selbst wenn sich die Beschwerde als inhaltlich falsch erweist, rechtfertigt dies beispielsweise unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten keine fristlose Kündigung, weil ansonsten das gesamte im AGG geregelte Beschwerdeverfahren ad absurdum geführt würde (7). Ebenso geschützt ist grundsätzlich auch eine Klage auf Schadensersatz oder Entschädigung nach § 15 AGG, da auch hier unabhängig vom Ausgang des Verfahrens die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe ein geschütztes Recht ist (8).
Ausgenommen hiervon ist lediglich ein rechtsmissbräuchliches Verhalten, beispielsweise bei querulatorischen Beschwerden oder mutwilligen Klagen, was aber von Seiten der ArbeitgeberInnen dargelegt und bewiesen werden muss (9). Ebenso kann eine Beschwerde, die erwiesenermaßen auf bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen beruht, zu einer arbeitgeberseitigen Reaktion berechtigen. Hier ist aber auch in der Regel der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen, d.h. vor einer Kündigung ist zunächst eine Abmahnung erforderlich.
Risiko eines Irrtums
Dagegen ist im Falle einer (sexuellen) Belästigung ein Schutz durch das Maßregelungsverbot bei einer Leistungsverweigerung nur gegeben, wenn deren im Einzelnen in § 14 AGG geregelte Voraussetzungen vorliegen. Das Gleiche gilt bei der Weigerung, eine Anweisung auszuführen. Hier kommt es darauf an, dass die Anweisung objektiv gegen das Benachteiligungsverbot verstößt. In diesen Fällen kann sich für die Betroffenen das Risiko eines Irrtums über die Sach- und Rechtslage stellen, wenn sich beispielsweise im nach hinein herausstellt, dass keine benachteiligende Anweisung im Sinne des AGG vorlag. Das Risiko einer fehlerhaften Einschätzung wird nach überwiegender Auffassung /bei den ArbeitnehmerInnen gesehen und ist durchaus hoch einzuschätzen (10). Etwas anderes soll aber richtigerweise im Fall eines entschuldbaren Tatsachen- oder Rechtsirrtums gelten, weil sonst der durch das Maßregelungsverbot beabsichtigte Schutz faktisch wirkungslos bliebe (11). Ist für die ArbeitgeberInnen erkennbar, dass die Beschäftigten gutgläubig von einem nicht bestehenden Recht ausgehen, müssen sie sie vor einer belastenden Maßnahme anhören und darauf hinweisen, dass er über das Vorliegen eines Rechts geirrt hat, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren (12).
Beispiel aus der US-amerikanischen Rechtsprechung
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des California Supreme Court vom August 2005 (13). In diesem Fall hatte sich Frau Yanovitz, eine regionale Verkaufsleiterin bei L´Oreal, geweigert einer in den Augen ihres Vorgesetzten unattraktiven dunkelhäutigen Verkäuferin zu kündigen („because she was not hot enough“), obwohl es sich um eine Topverkäuferin handelte und Frau Yanovitz kein sonstiger Grund für die Kündigung genannt wurde. In der Folgezeit wurde Frau Yanovitz u. a. selbst mit Kündigungen bedroht und war zunehmend einem sog. feindlichen Arbeitsumfeld (hostile environment harassment) ausgesetzt. Der oberste kalifornische Gerichtshof gab ihrer Klage wegen Maßregelung statt. Interessant ist dabei, dass das Gericht bei Beurteilung der Weigerung, die Anweisung auszuführen, auf die Motive der Klägerin abstellt. Fraglich war, ob eine Diskriminierung wegen des Geschlechts vorlag, weil die Anweisung nicht darauf abzielte, eine Frau gegen einen Mann auszutauschen, sondern eine aus Sicht des Vorgesetzten weniger attraktive Frau gegen eine attraktivere. Frau Yanovitz habe aber in vertretbarer Weise angenommen, dass eine diskriminierende Anweisung deshalb vorlag, weil hier unterschiedliche Maßstäbe an weibliche und männliche Beschäftigte angelegt werden. Des Weiteren kann eine Maßregelung nicht nur in einer einzigen Maßnahme liegen, sondern sich auch aus einer Serie subtiler, aber dennoch schädigender Verletzungen herleiten lassen.
Durch das Maßregelungsverbot geschützt sind auch Personen, die benachteiligte Beschäftigte unterstützen sowie als ZeugInnen aussagen. ZeugIn bezeichnet dabei Personen, die in einem formalisierten Verfahren, wie z. B. in einem Arbeitsgerichtsprozess, über eigene Wahrnehmungen berichten und zur Sachverhaltsaufklärung beitragen. Personen, die zu einer lediglich betriebsinternen Untersuchung eines Diskriminierungsvorwurfs herangezogen werden, gelten nicht als ZeugInnen bzw. UnterstützerInnen; gleichwohl ist es sinnvoll, sie in den Schutz des Maßregelungsverbots einzubeziehen (14).
In diesem Sinne hat zu Title VII des Civil Rights Act im Januar 2009 der Supreme Court im Rechtstreit Crawford v. Metropolitan Government of Nashville and Davidson County, Tennessee entschieden (15). Geschützt vor einer Maßregelung hat das Gericht durch die entsprechende Bestimmung im US- Recht auch eine Beschäftigte gesehen, die nicht auf eigene Initiative bei einer Diskriminierung unterstützend tätig wurde, sondern lediglich im Rahmen einer betriebsinternen Untersuchung Fragen zu einem Diskriminierungsvorwurf beantwortete und anschließend gekündigt wurde.
Verbotenes Verhalten
Das Maßregelungsverbot in § 16 AGG untersagt jede rechtliche oder faktische Benachteiligung des darin geschützten Personenkreises wegen der Inanspruchnahme der genannten Rechte. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist der Begriff Benachteiligung in § 16 nicht auf die in § 3 definierten Erscheinungsweisen der Benachteiligung beschränkt, sondern in weitem Sinn zu verstehen (16). Verboten ist damit sowohl jede Schlechterstellung gegenüber dem Status Quo als auch das Vorenthalten von Vorteilen (17). In Betracht kommen vor allem alle einseitigen Maßnahmen der ArbeitgeberInnen, wie Abmahnung, Kündigung oder das Vorenthalten einer tariflichen Höhergruppierung. Im Hinblick auf die oben genannte Rechtsprechung des California Supreme Court kommen nicht nur punktuelle Maßnahmen in Betracht. Auch die Schaffung eines feindlichen Arbeitsumfelds durch systematisches Mobbing von Personen wegen Inanspruchnahme ihrer Rechte wäre verboten.
Englische Gerichte haben sich wiederholt mit Klagen wegen Viktimisierung aufgrund eines verweigerten Zeugnisses beschäftigt. In dem Rechtsstreit Chief Constable of West Yorkshire v. Khan, verweigerte der Arbeitgeber, der Chief Constable of West Yorkshire, Herrn Khan ein Zeugnis für eine Bewerbung bei einem anderen Arbeitgeber. Herr Khan hatte seinen derzeitigen Arbeitgeber wegen rassistischer Benachteiligung verklagt. Trotz des fehlenden Zeugnisses erhielt Herr Khan eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Er erhielt die neue Stelle aber nicht. In der darauf angestrengten Klage wegen Viktimisierung gegen seinen Arbeitgeber, argumentierte dieser, dass Herr Khan nicht nachteilig, sondern bevorzugt behandelt worden sei, weil man in einem Zeugnis seine Führungsqualitäten gering eingeschätzt hätte und sich somit seine Chancen auf Einladung zu einem Vorstellungsgespräch verschlechtert hätten.
Dieses Argument ließ das Gericht aber nicht gelten, sondern stellte darauf ab, dass Herr Khan anders behandelt wurde als ein Arbeitnehmer, der nicht geklagt hat. Letztlich scheiterte die Klage aber daran, dass das Gericht feststellte, Herr Khan sei das Zeugnis nicht wegen seiner Klage verweigert worden. Die Verweigerung des Zeugnisses erfolgte im Zusammenhang mit der notwendigen Rechtsverteidigung seines Arbeitgebers gegen diese Klage und führte für ihn auch zu keinem Nachteil, da er trotz des fehlenden Zeugnisses zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde (18).
Geschützt vor Benachteiligung wegen einer zulässigen Rechtsausübung sind auch BewerberInnen. Hat beispielsweise eine abgelehnte Stellenbewerberin gegen den/die ArbeitgeberIn auf Schadensersatz- und Entschädigung wegen Geschlechterdiskriminierung geklagt, könnte die Weiterleitung ihrer Daten an eine sog. Warndatei, in der Namen von AGG- KlägerInnen gespeichert werden, ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot darstellen.
Rechtsdurchsetzung und Rechtsfolgen
Wenn ArbeitnehmerInnen von ihren ArbeitgeberInnen wegen der Inanspruchnahme ihrer Rechte aus dem AGG gemaßregelt werden, müssen sie letztlich dagegen vor dem Arbeitsgericht klagen. In prozessualer Hinsicht gilt für solche Klagen nach § 16 Abs. 3 AGG ausdrücklich die Beweiserleichterung des § 22 AGG. Wenn sie gegen eine verbotene Maßregelung gerichtlich vorgehen wollen, müssen sie deshalb Indizien beibringen, die eine Maßregelung vermuten lassen. Sie müssen beweisen, dass sie ein Recht ausgeübt und sodann eine erneute Benachteiligung erfahren haben. Ferner müssen sie beweisen, dass die erneute Benachteiligung durch die vorangegangene Rechtsausübung („wegen“) motiviert war, was z. B. bei einem engen zeitlichen Zusammenhang anzunehmen ist (19). Gelingt den Betroffenen dieser Indizienbeweis, ist es Sache der ArbeitgeberInnen, den Beweis zu führen, dass ihre Maßnahme in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Rechtsausübung stand und auf anderen sachlichen Gründen beruhte.
Eine gegen das Maßregelungsverbot verstoßende Sanktion, wie z. B. eine Kündigung, Abmahnung oder Versetzung, ist unwirksam. Bei Geltendmachung der Unwirksamkeit einer maßregelnden Kündigung ist die dreiwöchige Klagefrist nach §§ 4, 7 KSchG zu beachten. Ist den ArbeitnehmerInnen ein Schaden entstanden, sind die ArbeitgeberInnen darüber hinaus zum Schadensersatz (aus § 280 Abs. 1 BGG oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m § 16 AGG) verpflichtet (20). Ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wird dagegen nicht in Betracht kommen, weil die Maßregelung keine Benachteiligung i. S. v. § 3 AGG darstellt (21).
Fazit
Wie schon bei der Geltendmachung von Ansprüchen wegen einer Benachteiligung, folgt das AGG auch beim Schutz vor erneuter Opferwerdung dem Konzept der individuellen Rechtsdurchsetzung. Für Betroffene bedeutet dies in letzter Konsequenz die Klage vor dem Arbeitsgericht, verbunden mit entsprechenden Risiken. Hierfür sind Beratung und Information unabdingbar. Neben Gewerkschaften, Verbänden, Nichtregierungsorganisationen u. a., kommt hier auch der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine wichtige Rolle zu, um Betroffene in die Lage zu versetzen, ihre Rechte informiert und eigenverantwortlich wahrzunehmen. Die Stelle hat auch die Möglichkeit, eine gütliche Beilegung von Fällen anzustreben. So konnte in dem eingangs vorgestellten Beispiel des Trainees unter Beteiligung der ADS eine einvernehmliche Lösung zwischen den Beteiligten erreicht werden, über die sie Stillschweigen vereinbart haben.
Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder.
Endnoten
(1) Vgl. Erwägungsgrund (20) der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG
(2) Schiek-Kocher, AGG, § 16 Rn. 1
(3) Däubler/Bertzbach-Deinert, HK-AGG, § 16, Rn. 14 m. w. N.
(4) Adomeit/Mohr, KommAGG, § 16 Rn. 9
(5) Schiek- Kocher, AGG, § 16 Rn. 7
(6) Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, § 16 Rn. 6
(7) Arbeitsgericht Kassel, Urteil v. 11. 02. 2009, 8 Ca 424/08
(8) Wendeling-Schröder/Stein, AGG, Rn. 4
(9) Nollert-Borasio/Perreng, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 16 Rn. 8
(10) Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, § 16 Rn. 12
(11) Wendeling-Schröder/Stein, AGG, § 16 Rn. 4
(12) Nollert-Borasio/Perreng, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 16 Rn. 9
(13) Yanowitz v. L´Oreal USA Inc. 2005, DJDAR 3797
(14) Bauer/Krieger/Göpfert, AGG, § 16 Rn. 14
(15) 555 U.S 2009
(16) Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, § 16 Rn. 4
(17) Meinl/Heyn/Herms, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 16 Rn. 19
(18) Umfassend dazu, Michael Connolly, Rethinking Victimisation, Industrial Law Journal, Vol. 38, Juni 2009, S. 149ff (152f)
(19) Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, § 16 Rn. 19 m. w. N.
(20) Schiek/Kocher, AGG, § 16 Rn. 17
(21) Meinel/Heyn/Herms, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 16, Rn. 24
Bernhard Franke ist seit 2008 Leiter des Referats "Beratung" in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. In dem AGG-Handkommentar von Däubler/Bertzbach hat er die zivilrechtlichen Vorschriften im AGG mitkommentiert.