Dossier Crossing Germany - Bewegungen und Räume der Migration

Aus der Reihe

Migration ist Bewegung, über Grenzen hinweg, von einem Raum in den anderen, von einem Kontext in den nächsten. Sie sieht immer anders aus, ist selten abgeschlossen. Oft hat Migration mit Flucht zu tun, aber nicht ausschließlich. Menschen sind in Bewegung. Sie bewegen sich von einem Ort zum anderen, sie bewegen etwas - und sie bewegen sich möglicherweise auch von etwas weg. Doch es gibt Grenzen: politische, rechtliche und kommunikative.

Die Beiträge in diesem Dossier drehen sich um die Idee von Migration als Bewegung. Es werden mehrere Ebenen und vielschichtige Migrationsmodelle aufgezeigt, die die transnationalen und interdisziplinären Dynamiken von Migrationsprozessen reflektieren. Mit der Sichtbarmachung der Vielschichtigkeit von Migrationen wird ein kulturalistischer oder paternalisierender Blick vermieden und Migration aus kritischer Perspektive heraus als nicht-linearer Prozess dargestellt, als ein Spektrum an Prozessen mit einer Vielzahl von Akteur_innen und Wegen.

Betroffene erzählen von ihren Erfahrungen, Menschen erzählen von den Räumen, die sie verlieren und die sie sich neu erschaffen. Es sind Beiträge entstanden, die aus vielfältigen Perspektiven den Akteurinnen und Akteuren von Migrationsbewegungen Raum geben. Raum um ihre oft marginalisierte und ausgeblendete Geschichte zu erzählen, aber auch Raum, um auf Missstände im deutschen und europäischen Migrationsdiskurs hinzuweisen. Es geht nicht nur um Bewegung, sondern auch um Veränderungen innerhalb Deutschlands, Wege nach Deutschland, aber auch um Wege aus Deutschland heraus.

Entstanden ist dieses Dossier im Rahmen einer „Schreibwerkstatt“ veranstaltet vom Studienwerk der Heinrich Böll Stiftung im Studienstipendienprogramm "Medienvielfalt, anders". Geleitet wurde die Schreibwerkstatt von der Journalistin Steffi Dobmeier. Sämtliche Texte in diesem Dossier wurden von Stipendiatinnen der Heinrich Böll Stiftung verfasst.  

Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
Mai 2012
Herausgegeben von
Heinrich Böll Stiftung
Seitenzahl
58
Inhaltsverzeichnis

Vietnamesinnen und Vietnamesen in Ostdeutschland
Frei, aber arbeitslos: Dreiviertel der Vietnames_innen in der DDR gingen nach der Wende zurück. Bui Quang Huy blieb. Kaum jemand kennt die Community so gut wie der Vorsitzende des Vietnamesischen Vereins in Leipzig. Britta Veltzke besuchte für ihre Recherche das Dong-Xuan-Zentrum.

Jugendliche Flüchtlinge in Niedersachsen
Federica Guccini sprach im südniedersächsischen Grenzdurchgangslager in Friedland mit vier afghanischen Flüchtlingen, die laut eigener Aussage minderjährig sind. Die Behörden sind anderer Meinung. Die Untersuchungsergebnisse einer Altersfestsetzung haben zur Folge, dass den Jungen der Schulbesuch und ein Platz im Wohnheim des Jugendamtes oder in Pflegefamilien verwehrt werden. Die Enttäuschung Deutschland aus Sicht einer jungen Flüchtlingsgeneration.

Kunst für Menschenrechte
Wirya Budaghi ist Künstler und Menschenrechtsaktivist aus der kurdischen Provinz im Iran. Wie ein Scheinwerfer leuchtete er gemeinsam mit seiner Frau und Muse Kurdistan Zrar auf die Probleme seines Volkes, schaffte Dialoge und verlieh den Stimmlosen eine Stimme – bis die iranischen Behörden ihn im letzten Jahr zunehmend unter Druck setzten. Er verließ sein Land und seine Frau. Heute ist er Asylbewerber in Bayern, zerfressen von Angst um seine Zukunft und gefangen in den Mühlen der Behörden. Vanessa Vu hat ihn besucht. Das Portrait eines vertriebenen Künstlers.

Europäische Asylpolitik
Die sogenannte Dublin-II-Verordnung schreibt Flüchtlingen vor, in dem Land Asyl zu beantragen, in dem sie europäischen Boden betreten. Was aber passiert, wenn Asylsuchende in ihren Ankunftsländern lebensbedrohliche Bedingungen vorfinden? Für den Text „Jahre des Umherirrens“ ging Lena Müller den Auswirkungen europäischer Asylpolitik auf das Leben Betroffener nach. Sie sprach mit Herrn D. aus Côte d'Ivoire, der in Italien um sein Überleben kämpfen musste und dennoch wieder dorthin abgeschoben wurde, als er in Deutschland Zuflucht suchte.

Als Asylsuchende in Deutschland
Städte gelten als Knotenpunkte von Mobilität und Migration. In „Un samedi en begué – samstags in Europa“ unternahm Lena Müller einen Ausflug in die Provinz und traf dort Diane, eine von vielen, die in Deutschland Asyl beantragte und von der zuständigen Ausländerbehörde eine Wohnung in einer Gemeinde unter 10000 Einwohner_innen zugeteilt bekam. Sie sprachen über das spezielle Fremd-Sein auf dem Land und das Leben fernab der Anlaufstellen und Freundeskreise in den Städten.

Institutioneller Rassismus in Deutschland
Rassismus steht im Alltag von Migrantinnen und Migranten auf der Tagesordnung – wenn er meist auch sehr subtil verläuft und nicht immer offen ist. Dass Rassismus nicht einzig das Thema von Stammtisch-Gesprächen ist, wird dann schmerzhaft deutlich, wenn sich auch Staatsorgane diesem Vorwurf stellen müssen. So häufen sich die Fälle, in denen sich auch Polizei und Justiz dem Vorwurf rassistischer Gewalt stellen müssen. Ein solcher Vorwurf wird derzeit im Amtsgericht Hannover diskutiert. Er steht exemplarisch für weitere Fälle, in denen deutschlandweit die Frage aufkommt: Werden Menschen in Deutschland wegen ihrer Herkunft kriminalisiert? Shida Bazyar hat den Prozess begleitet.

Politische Flüchtlinge und ihr Leben im Lager
Die Reportage „Ich will nicht integriert werden“ handelt von Turgay Ulu, kommunistischer, politischer Flüchtling aus der Türkei. Trotz seiner Umstände – 15 Jahre Leben im Gefängnis und nun in einem niedersächsischen Flüchtlingslager –, arbeitet er weiter für eine andere Gesellschaft. Der Text von Lisa Doppler macht deutlich, dass Lebensgeschichten von Flüchtlingen, so unterschiedlich sie sind, nicht nur persönliche Geschichten sind sondern auch immer etwas über die Gesellschaft erzählen.

Kunst als öffentlicher Raum
Das Versprechen an Migrant_innen auf gesellschaftliche Teilhabe nach dem Erlernen der deutschen Sprache bleibt oft uneingelöst. Die spezifischen Belange migrantischer Themen sind im politischen Diskurs marginal vertreten. Schon immer war es Teil einer künstlerischen Praxis durch alternative Strategien die Belange von Randgruppen sichtbar zu machen. Su-Ran Sichling hat sich auf die Suche nach einigen Beispielen gemacht.

Moscheedebatte in Frankfurt
Eine Moschee soll gebaut werden, eine Bürgerinitiative formiert sich dagegen. Die Integrationsdebatte steht und fällt mit der Akzeptanz der Muslime. Dazu gehört, ihnen Raum zu geben, ihren Glauben zu leben. Mit dem Bau einer neuen Moschee wird dieser Raum in Anspruch genommen und die Möglichkeit ergriffen, sich in Deutschland zu beheimaten. Die Moscheedebatte in Frankfurt hat gezeigt, wie sensibel einige Gemüter auf diese Forderung reagieren. Pia Rauschenberger beschreibt die jahrelange Auseinandersetzung.

Flüchtlingshilfe in Hamburg
Nicht jedem Menschen ist die Freiheit gewährt, selbst über seinen Aufenthaltsort zu entscheiden. Der Antrag auf Asyl wird in nur wenigen Fällen zugelassen. In dem Text „Jeden Tag neue Gesichter“ beschreibt Leyla Yenirce die Arbeit von Menschen, die trotz systemkritischer Einstellung versuchen, professionelle Hilfe für Flüchtlinge zu leisten, obwohl sie gegen die Asylpolitik Deutschlands und Europas sind. Leylas Motivation: Sie wollte - als Neuhamburgerin und Deutsche mit Migrationsgeschichte – mehr darüber erfahren, wie sich Menschen vor Ort für Migrant_innen einsetzen.

Multilingualität einer Flüchtlingsfrau
Shanthi blickt heute auf ein Vierteljahrhundert in Deutschland zurück. Geflohen ist sie aus Sri Lanka, mittlerweile arbeitet sie ehrenamtlich als Dolmetscherin und neuerdings als Integrationslotsin. Dass jede "Asylantin" einen einzigartigen, inneren schmerzlichen Weg zurücklegen muss, liegt auf der Hand. In dem Text von Radhika Natarajan deckt durch einen Blick durch die Sprachbrille die Vielschichtigkeit der sri-lankischen Gesellschaft auf und stellt die selbstgefällige Einsprachigkeit der deutschen Gesellschaft in Frage.

Deutsch-türkisches Ensemble
Wie kann man Fremdes verstehen? Wie kann Bekanntes und Unbekanntes harmonieren? Im deutsch-türkischen Musikensemble LebiDerya verschwimmen Grenzen und Zugehörigkeiten. Alexandra Duong berichtet über vier junge Musiker in einem Mannheimer Multikulti-Viertel, die traditionelle türkische Melodien mit westlicher Harmonik vermischen und daraus etwas Neues erschaffen. Sie wollen miteinander musizieren und kommunizieren, denn: „Wie man Musik macht, sagt viel über einen Menschen aus.“

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