„Unterdrückend“ – das ist das erste Resultat in der Google-Suche für “das muslimische Kopftuch ist...”. Unterdrückung, Rückständigkeit, Frauenfeindlichkeit sind nur einige der gängigsten Assoziationen, die über das muslimische Kopftuch aufgeworfen werden. Ob nun ein Foto der jüngsten Aufstände im Nahen Osten, eine Anzeige einer Kleidungsfirma oder ein historisches Gemälde des orientalischen Reiches, Abbildungen des Kopftuchs werden selten mit Stärke, Führungsqualität oder Gleichberechtigung assoziiert.
Die Online-Ausstellung Muslima: Muslim Women’s Art & Voices versucht, diese negativen Konnotationen zu zerrütten.
Weniger verschieden
“Für die Frau war ich eine Außerirdische” - das ist der Eindruck, an den sich Soufeina Hamed, Erstellerin der Illustrationen, in einer Begegnung mit einer älteren Dame in der U-Bahn erinnert. Mit ihrer Kunst rekonstruiert Hamed alltägliche Begegnungen zwischen Musliminnen und Andersgläubigen in Deutschland in einer humorvollen, aber dennoch aufschlussreichen Art und Weise. Hamed’s Botschaft scheint klar zu sein: Vorurteile sind schnell verfestigt, aber letzten Endes sind wir doch weniger verschieden als gedacht.
Die Darstellung einer „erzwungenen“ Befreiung durch das Herunterziehen des Kopftuchs (Bild 1), der zynische Vergleich einer verschleierten und einer unverschleierten Frau, die der Regen erwischt hat (Bild 2) und die Nachstellung „westlicher“ Kunst mit einer verschleierten Frau als Motiv (Bild 3), sind Beispiele für die visuelle Politik des Kopftuchs.
Unter der visuellen Politik des Kopftuchs können die politischen Auffassungen des Koptuchs verstanden werden, die durch bildliche/optische Betrachtungen des Kleidungsstücks entstehen. Die visuelle Politik des Kopftuchs bezeichnet somit den symbolischen und/oder sinnbildlichen Aspekt des Kleidungsstücks.
Der Kontext um Hameds Kunst betont die Kontroversität der visuellen Politik des Kopftuchs. Der Anteil der muslimischen Bevölkerung in Deutschland ist seit 1990 von 3,5 Prozent (2,5 Millionen) auf 4,8 Prozent (4,1 Millionen) in 2010 gestiegen und eine weitere Zunahme auf annähernd 5,5 Millionen Muslim_innen ist bis 2030 zu erwarten. Diese beachtliche Bevölkerungsgröße hat die visuelle Politik des Kopftuchs in den sozio-politischen Raum gedrängt, in dem Auffassungen des Kopftuchs konstruiert und gefestigt wurden.
Seit 2003 haben die Kopftuchgesetze für staatlich angestellte Lehrerinnen an öffentlichen Schulen muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen möchten, auf acht von sechzehn Bundesländern beschränkt. Diese Regelungen haben die betroffenen Musliminnen vor ein schwieriges Ultimatum - arbeitslos oder entschleiert- gestellt. In dem bekannten Fall der Lehrerin Fereshta Ludin zeigte sich, wie sehr das Symbol „Kopftuch“ mit, wie es in der Urteilsbegründung heißt, “mangelnder persönlicher Eignung“ verknüpft wurde.
Diskussionen über Kopftuchverbote für Schülerinnen sind seit dem berüchtigten „Burka Fall“ in Nordrhein Westfalen symptomatisch. Schulverwaltungen und -leitungen im Land haben temporäre Maßnahmen in Schulregelungen für Kopftuchverbote – oder jegliche Art der Kopfbedeckung – eingeleitet. Die Politik des Kopftuchs zeigt sich auch hier in der Begründung der Verbotsentscheidung, die der Auffassung folgt, das Kopftuch sei eine „kulturelle Provokation“, furchteinflößend und demonstrative Entfernung gemeinschaftlicher Kommunikation.
Erst kürzlich hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass muslimische Schülerinnen am schulischen Schwimmunterricht teilnehmen müssen und nicht aufgrund religiöser Kleidungsvorschriften befreit werden können. Obwohl das „Burkini-Urteil“ Schülerinnen nicht direkt davon abhält, eine bestimmte Schule zu besuchen, hat das Urteil dennoch schwerwiegende Folgen, da die Nichtteilnahme am Sportunterricht zu schlechten Noten oder Wiederholen einer Klasse führen kann. Im „Burkini-Fall“ zeigt sich der Diskurs um das Kopftuch in der Interpretation der muslimischen Kleidungsvorschrift und des Erziehungsauftrags des Staates von Seiten der Justiz.
(Fehl)-Interpretationen
Die schwarze Abaya, das Kopftuch und „westliche“ Kunst – das ist die kreative Mischung und Raffinesse, die Helen Zughaibs Werke in „Changing Perceptions“ ausmachen. Zughaibs Arbeit behandelt die (Fehl)–Interpretationen von verschleierten muslimischen Frauen in den USA nach dem 11. September.
Die verschleierte Wonder Woman (Bild 4), das berühmte Picasso Gemälde mit schwarzer Abaya (Bild 5) und die verhüllte Frau mit amerikanischem Anstecker (Bild 6) offenbaren den symbolischen Aspekt des Kopftuchs durch die Portraits des „Verschleierns“ von erkennbaren „Westlichen“ Motiven. Zughaib’s Gemälde scheinen die oft mehrdeutigen Auffassungen der „verschleierten – amerikanisch-muslimischen – Frau“ in Frage zu stellen.
Die muslimische Bevölkerung in den USA ist seit 1990 von 1,5 Millionen bis 2010 auf 2,6 Millionen gestiegen und mit einer Verdoppelung auf 6,2 Millionen ist bis 2030 zu rechnen. Diese beachtliche Zunahme der muslimischen Bevölkerung hat die USA facettenreicher gemacht und das Kopftuch als Symbol in den sozio-politischen Raum, besonders in die Justiz, gerückt.
Ähnlich wie in Deutschland gab es auch im US-amerikanischen Arbeitsbereich Fälle, in denen Musliminnen vor das Ultimatum „arbeitslos oder entschleiert“ gestellt wurden. Alima Delores Reardon, eine muslimische Aushilfslehrerin, wurde 1984 in Philadelphia von drei Stellen abgelehnt. In all diesen Fällen konfrontierten die Schulleitungen Reardon bezüglich ihres Kopftuches und verweigerten ihr die Stellen vor allem auf Grund der Pennsylvania Garb Statute, welche Lehrer_innen an öffentlichen Schulen das Unterrichten in religiöser Kleidung untersagt. Darüber hinaus wurde im Urteil argumentiert, dass eine Duldung des Kopftuchs als symbolische Befürwortung des Islams und ein bewusstes und unbewusstes Aufzwingen dieses Glaubens an öffentlichen Schulen darstellt. In einem jüngeren Fall in 2008 wurde Samantha Elauf, eine praktizierende Muslima, eine Stelle bei Abercrombie und Fitch in Oklahoma auf Grund Ihrer religiösen Praktiken verweigert: Elaufs Schleier entsprach nicht Abercrombie und Fitch’s Kleidungsvorschriften.
Auch im amerikanischen Schulsektor wurde von Fällen über Kopftuch-Konflikte berichtet. Im Jahr 2013 musste Melone Clark, Studentin an der Hampton University (Virgina), “Beweise“ vorlegen, dass sie ein Kopftuch tragen darf. Diese Genehmigungspflicht spiegelt einen interessanten Aspekt der Politik des Kopftuchs wider, in dem die Aufrichtigkeit des Tragens eines Kopftuchs als religiöse Handlung in Frage gestellt wird – ähnlich wie auch im Fall Fershta Ludin.
Unterdrückend – das ist nicht der erste Begriff, der einem_r einfällt, wenn man sich die Kunst in der Muslima-Ausstellung ansieht. Im Gegenteil: Stärke, Führungsqualität oder Gleichberechtigung entfalten sich als Eindruck der verschleierten muslimischen Frau. Die visuelle Politik des Kopftuchs ist real und kontrovers. Ob das Kopftuch nun den Arbeits-, Schul - oder jeglichen anderen Bereich betritt, das Stück Stoff ist stark umstritten und bringt die Trägerinnen immer wieder in schwierige Situationen. Kunst ist ein mächtiges Mittel, um die Kontroverse des Kopftuchs zu entwirren und ein Bewusstsein für das Tragen des Kopftuchs, das für manch einen „nur ein Stück Stoff“ ist, zu schärfen.
Quellen:
Bundesverfassungsgericht. “Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats vom 24. September 2003
2 BvR 1436/02 –,” Bundesverfassungsgericht, Stand: 10. März 2014. http://www.bundesverfassungsgericht.net/entscheidungen/rs20030924_2bvr143602en.html
“Bundesverwaltungsgericht im Namen des Volkes-BVerwG 6 C 25.12 VGH 7 A 1590/12,” 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, Stand: 10. März 2014. http://www.bverwg.de/entscheidungen/pdf/110913U6C25.12.0.pdf
DW .‘Series: Young, Muslim, German (Part 1)’. Germany Today. http://www.dw.de/series-young-muslim-german-part-1/av-17357350 (Stand: 1. Mai 2014).
Google Search. “The Muslim veil is __.” Google America. https://www.google.com/?gws_rd=ssl#q=the+muslim+veil+is+ (Stand: 10. Juni 2014).
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Huffington Post. Court Sides With Abercrombie In Oklahoma Hijab Lawsuit. Business, October 2nd, 2013. http://www.huffingtonpost.com/2013/10/02/abercrombie-lawsuit-hijab-win_n_4031730.html (Stand: 1. Dezember 2013).
Pew Research Center. (2011). “The Future of the Global Muslim Population.” Religion and Public Life Project. http://www.pewforum.org/2011/01/27/the-future-of-the-global-muslim-population/ (Stand: 1. Dezember 2013).
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