Staat, Migration und Entwicklung in Mexiko: Vorbildhafter Umgang oder ein neues Kleid für alte Probleme?

Central American migrants find quarter in southern Mexico.

 

von Gilberto Rescher

Migrationspolitik in Mexiko

Seit mehr als einem Jahrzehnt hat die Migration in die USA eine herausragende wirtschaftliche Bedeutung für Mexiko. Dieser Bedeutung für die Ökonomie des Landes wird aber erst seit wenigen Jahren Rechnung getragen. Die anfängliche richtiggehende Ignorierung der Gruppe der Migrantinnen und Migranten erscheint zunächst überraschend und wurde später durch eine starke Konzentration auf diese Gruppe abgelöst. Dieser Wandel wird oft als vorbildhaft verstanden und dargestellt, es stellt sich aber die Frage, wie der neue Schwerpunkt von Politiken im Bereich der Migration praktisch auf lokaler Ebene umgesetzt wird und welche Hintergründe er in unterschiedlichen Kontexten hat. In diesem Artikel sollen diese Aspekte diskutiert werden, wobei der Schwerpunkt auf dem Zusammenhang von nationaler Entwicklungspolitik und Migration liegen soll.

In den letzten Jahren hat der sogenannte Migration-Entwicklung-Nexus in der Forschung, insbesondere im Bereich der Migrationsforschung, wieder an Prominenz gewonnen. Ein Hinweis darauf ist die Gründung solcher Netzwerke wie des International Network on Migration and Development, das von der Universität von Zacatecas in Mexiko koordiniert wird; und das WissenschaftlerInnen, Nichtregierungsorganisationen und Migrantenvereinigungen ein Forum zum Austausch bieten soll. Gleichzeitig hat sich Migration weltweit zu einem wichtigen Thema für Entwicklungsorganisationen entwickelt, wobei nationale Diskurse in einen globalen übergegangen sind.

Gerade aufgrund der Bedeutung die diesem Thema mittlerweile eingeräumt wird, ist es notwendig die gängigen Konzepte zu hinterfragen und praktisch zu betrachten, da es schließlich grundsätzlich fraglich ist, ob die Verantwortung für Entwicklung, und damit indirekt auch für ein Scheitern, alleine, und auf sehr simple Weise, den Migrantinnen und Migranten übertragen werden darf. In diesem Artikel werde ich anhand des Beispiels der mexikanischen Entwicklungspolitiken und der Aushandlung dieser mit MigrantInnen eine kritische Diskussion des aktuellen Diskurses vornehmen.

Meine Ausführungen beruhen vorwiegend auf eigenen ethnographischen Feldforschungen, die ich im Rahmen meiner Promotion zum Wandel von Politik in einer ländlichen Region Mexikos durchgeführt habe und in der Migration und Transnationalität von großer Bedeutung sind. Obwohl die Migrations- und Transnationalisierungsprozesse in Mexiko schon seit mehreren Jahren erforscht werden, gab es bisher doch einen sehr starken Fokus auf bestimmte Regionen und Phänomene. So finden die meisten Forschungen regional begrenzt im Westen Mexikos und bezogen auf indigene Migration im Bundesstaat Oaxaca statt, während es eine thematische Konzentration auf formale Migrantenorganisationen, wie die Home Town Associations gibt.

Daher ist es aktuell von Bedeutung Studien in neuen Regionen und mit einem veränderten Fokus durchzuführen, um gemeinsam mit den früheren Forschungen ein umfassenderes Bild zu erhalten. Dies bedeutet für das hier diskutierte Thema, dass die Erfahrungen in den klassischen Migrationsregionen mit ihren einflussreichen Migrantenorganisationen durchaus denen aus meiner Forschung widersprechen können. Denn diese Region, das Valle del Mezquital im Bundesstaat Hidalgo wird als relativ neu im Migrationsprozess in die USA angesehen und zeichnet sich durch die geringe Organisation von MigrantInnen in eigenen Vereinigungen aus.

Kontext und Historizität in der Betrachtung von Migration

Das vermeintliche "Fehlen" von Organisation erklärt sich durch eine Betrachtung des Kontextes, in dem die Migrationsprozesse im Valle del Mezquital ihren Ausgang genommen haben. Entgegen des Eindrucks, der bei der Sichtung der Literatur zu den sogenannten neuen Migrationsregionen entsteht, ist Migration auch in diesen Regionen nicht wirklich neu. So gab es bereits vor Jahrzehnten Migrationsbewegungen in die Städte, um als Bauarbeiter oder Hausmädchen zu arbeiten, und in andere ländliche Regionen, in denen beispielsweise Erntehelfer gesucht wurden. Aber es gab auch erste MigrantInnen, die zeitlich befristet in die USA migrierten, um dort im Rahmen des Bracero-Programms zu arbeiten.1 

Beide Prozesse werden oft außer Acht gelassen, da der Fokus auf der aktuellen massiven Migration in die USA liegt. Dies hängt auch mit einer Vorstellung von ländlichen Gebieten zusammen, in denen diese durch eine vorurteilsverhaftete Definition von indigenen Gemeinschaften, als abgelegen, isoliert, rückständig und traditionalistisch verstanden werden. Tatsächlich haben aber schon die historischen Migrationsprozesse zu einer gewissen Gewöhnung an ein Leben mit Migration und somit zu einer flexiblen Anpassung an die dadurch entstehenden Notwendigkeiten geführt. Dabei entstanden bereits translokale Verbindungen, die zu Transformationen des sozialen Gefüges in den Herkunftsgemeinschaften der Migrantinnen und Migranten geführt haben.

Diese Erfahrung bildet meines Erachtens eine wichtige Grundlage für die spätere Entstehung von transnationalen Vergesellschaftungszusammenhängen als transnationale soziale Räume und Gemeinschaften als Teil einer transnationalen Migration, für welche die MigrantInnen des Bracero-Programms als Wegbereiter gesehen werden können. Dies bedeutet, dass die Dorfgemeinschaften im Gegensatz zu den genannten Vorurteilen offen, flexibel und bis in die globale Ebene hinein vernetzt sind, was letztendlich erst ihr Fortbestehen und Überleben gesichert hat. Dieser Widerspruch zwischen der Realität der Dorfgemeinschaft und damit ihrer MigrantInnen und der Außensicht auf diese ist ein grundlegendes Problem in der Interaktion zwischen Repräsentanten staatlicher Institutionen und den Mitgliedern der Dorfgemeinschaften, worauf ich später zurückkommen werde.

Ein grundlegendes Element der sozialen Organisation ist im ländlichen Bereich des Valle del Mezquital, wie in vielen anderen Regionen Mexikos auch, die Comunidad genannte Dorfgemeinschaft. Die Bewohner einzelner Dörfer und umliegender Weiler bezeichnen sich selbst als Comunidad, in der es mehrere Institutionen der Selbstorganisation gibt. Diese Institutionen sind für die Regelung der internen Angelegenheiten des Dorfes und für die Repräsentation und formale Interaktion mit auswärtigen Akteuren zuständig.

Zentral ist dabei die Dorfversammlung, in der die Mitglieder per Wahl Dorfämter vergeben und aktuelle Belange diskutieren. Grundsätzlich hat jedes Mitglied bestimmte Rechte, insbesondere aktives und passives Wahlrecht und Pflichten, wie die Teilnahme an der Gemeinschaftsarbeit und die Zahlung von finanziellen Beiträgen zu den Projekten der Dorfgemeinschaft. Gleichzeitig ist die Gemeinschaft ein wichtiger Orientierungspunkt in den sozialen Beziehungen und in der alltäglichen Konstruktion von Zugehörigkeit. So ist diese sowohl eine Organisationsform, in der sich die Dorfbewohner selbst verwalten und sich als Gruppe nach außen vertreten, als auch der zentrale Bezugspunkt in den lokalen Identitätskonstruktionen.

Diese Art der dörflichen Organisation wird oft mit dem ethnischen Hintergrund der Einwohner in Verbindung gebracht und als authentisch indigen betrachtet. Dies ist jedoch nicht ganz korrekt, denn sie findet auch im urbanen Raum und vielen nicht-indigenen Regionen Mexikos eine Entsprechung. Viele der als aus vorkolonialen Zeiten stammend betrachteten Institutionen sind in dieser Form das Ergebnis jüngerer Prozesse wie der mexikanischen Revolution und rechtlicher Reglementierungsversuche der 1970er Jahre.

Ein großes Problem in den Bewertungen dieser Organisationsform besteht in den unterschiedlichen Sichten, die auf sie existieren. So begegnet man oft dem einen Extrem, in dem diese in stereotyper Manier als rigide, starr und traditionalistisch, also zusammengenommen modernisierungs- und fortschrittsfeindlich gesehen werden. Das andere Extrem hebt dagegen auf eine romantisierende und idealisierende Sichtweise von diesen Gemeinschaften als basisdemokratisch, egalitär und harmonisch ab, die ebenso irrig ist wie die erstgenannte. Die verschiedenen Sichtweisen beeinflussen in wechselndem Ausmaß die Entwicklungsinterventionen, die für die Gemeinschaften geplant werden.

Die politische Entdeckung der MigrantInnen

In den letzten Jahren gab es in Mexiko im rechtlichen und politischen Bereich Veränderungen, die einer Akzeptanz und Einstellung auf die Migrationsprozesse entsprachen. Dies war eine Kehrtwende in der mexikanischen Politik, die zuvor die Migration ignorierte, als etwas was "die Armen" betraf und nützlich war sich derer zu entledigen, oder sie sogar, wie einen gewissen Verrat am Vaterland wertete. Dennoch war diese Neuorientierung in Bezug auf die MigrantInnen nicht so überraschend, wie es zunächst erschienen haben mag. In den neunziger Jahren hat die Migration ein Ausmaß erreicht, welches nicht ignoriert werden konnte, und mittlerweile sind die Remittenden als drittgrößte Devisenquelle ein extrem bedeutender ökonomischer Faktor für Mexiko. Daher musste versucht werden, eine Entfremdung der Migranten zu verhindern. Ihre Verbindungen an die Herkunftsorte und ihr Heimatgefühl sollten gestärkt werden, damit diese Devisenquelle weiter sprudelte. Gleichzeitig wurden die Migranten und ihre Angehörigen von allen Parteien als "neues" Wählerpotenzial entdeckt. Dies hatte diverse Gründe. So wurde davon ausgegangen, dass die Männer migrierten und ihren daheimgebliebenen Frauen sagten, wen sie zu wählen haben.

Da an vielen Orten Frauen inzwischen die Mehrheit der aktiven WählerInnen stellen, wurde so mit entscheidenden Vorteilen bei den Wahlen gerechnet.2 Daneben wurde offensichtlich, dass der Großteil der BürgerInnen direkt oder indirekt mit Migration zu tun hatte, dies also ein für die Wählermehrheit bedeutendes Thema war, das nicht länger übergangen werden konnte.

Und schließlich gab es eine Tendenz der Oppositionsparteien sich besonders an die Migranten zu wenden. Es wurde angenommen, dass diese aufgrund ihrer Situation und der Erfahrungen im Ausland eher regierungskritisch eingestellt waren und als Agenten eines demokratischen Wandels dienen konnten. Gleichzeitig passte es gut in die Weltsicht linksliberaler Strömungen die Migranten als Gruppe anzusprechen, die aus Sicht der Parteistrategen, die benachteiligte, entrechtete und arme Mehrheit der Bevölkerung darstellte, die für einen politischen Wandel organisiert werden musste.

Darauf reagierten mit der Zeit andere Gruppierungen, die versuchen, die Migranten in politischen Netzwerken und Klientelnetzen zu halten bzw. neu einzubinden. Diese Entwicklung entspricht dem, was in der Wissenschaft ursprünglich mit Transnationalismus bezeichnet wurde (Basch et al. 1993) und zeigt die machtpolitische, instrumentalisierende und somit "unschöne" Seite von Transnationalität, die in manchen Studien dieser Forschungsströmung eher ausgeblendet wird.

Während es also vor einigen Jahren noch kaum praktische Unterstützung für Migranten, und noch weniger für Migrantinnen, oder einen Einbezug dieser in die Bereiche von Politik und Entwicklung gab, hat sich das Bild völlig gewandelt. Im Folgenden werde ich kurz beschreiben, welche Veränderungen sich ergeben haben. Im Bereich der Regierungsprogramme ist sicherlich das 3x1 (tres por uno) das bekannteste. In diesem wird Migranten angeboten, Entwicklungsprojekte unter ihrer Mitsprache zu kofinanzieren, wobei für jeden von der Migrantenseite eingesetzten Peso einer vom Zentralstaat und vom jeweiligen Bundesstaat hinzugegeben wird. Bei den Projekten handelt es sich meist um Infrastrukturprojekte und das Programm hat diverse Variationen erfahren, aber das Prinzip der Kofinanzierung steht immer im Zentrum.

Daneben existieren Programme, die zum Ziel haben den Migrationsprozess zu erleichtern. Ein Beispiel dafür ist "Bienvenido Paisano!". Dieses Programm soll den Migranten Besuche und eine Rückkehr erleichtern, insbesondere indem Übergriffe durch korrupte Polizisten aber auch normale Verbrecher verhindert werden sollen. Dazu gehört eine Kampagne zur Sensibilisierung von Staatsdienern, die Begleitung von Migrantenkonvois und Beobachtungs- bzw. Informationsstellen, an denen Hilfe bei Problemen erbeten werden kann. Es kann gesagt werden, dass es darum geht, den Migranten das Gefühl zu vermitteln, wieder zu Hause sein und sich dort wohl und willkommen zu fühlen, daher der Name "Bienvenido Paisano!", also "Willkommen Landsmann!".

Daneben wurden auf verschiedenen Ebenen neue Behörden geschaffen, die sich um die "Bürger im Ausland" kümmern, ihnen Hilfestellung und die Möglichkeit zur Organisation bieten sollen. Diese sind beispielsweise den Entwicklungsministerien untergeordnet, was die grundsätzliche Einordnung des Themas in den Komplex von Entwicklung verdeutlicht. Weitere "Neuerungen" sind rechtliche Reformen zur Ermöglichung einer doppelten Staatsbürgerschaft und Programme, die der Registrierung im Ausland geborener Kinder mexikanischer Eltern dienen sollen. Diese appellieren an deren Heimatgefühl und tragen Namen wie "Ya soy Mexicano" ("Ich bin schon Mexikaner"). Daneben haben die Besuche von Politikern, insbesondere der lokalen und regionalen Ebene, bei Migranten in den USA stark zugenommen.

Dies geht mit einer diskursiven Heroisierung der Migranten aus dem politischen Bereich einher, was Teil der oben angesprochenen Einbindungsversuche ist. So ist aus einer kompletten Ignorierung bis Ablehnung der Migranten mittlerweile ein regelrechtes Hofieren dieser Gruppe aufgrund deren ökonomischen und politischen Potenzials geworden (vgl.  Quezada/Rivera im Erscheinen).

Dorfgemeinschaften als kollektiver Entwicklungsakteur

Es lässt sich zunächst feststellen, dass ein großer Teil der entwicklungspolitischen Maßnahmen, die auf Migranten und deren Angehörige gemünzt sind, von inkorrekten Vorstellungen und Annahmen ausgehen. Daran hat sich auch im Zuge des Wandels der Haltung Migration gegenüber nichts verändert, denn diese basierte auf politischen und ökonomischen Erwägungen und schloss keine Beschäftigung mit der Situation der Migranten und erst recht keine Annäherung an deren Probleme und Bedürfnisse ein. Grundsätzlich gibt es oft inkorrekte Annahmen darüber, wer überhaupt migriert. Dabei werden überholte Vorstellungen aufrechterhalten, so z.B., dass besonders die Ärmsten der Armen migrieren oder dass in der Regel Männer migrieren und Frauen zurückbleiben. Auch wenn diese Vorstellungen nicht ganz so pauschal sein mögen, so existieren sie doch im Hintergrund als unreflektierte Annahmen, die Einfluss auf die Planung von Programmen und konkreten Projekten haben.

Daneben wird Migration oft negativ belegt, und mit Familienzerfall, Schulverweigerung usw. in Verbindung gebracht, paradoxerweise auch in einem Zug mit der angesprochenen Heroisierung der Migranten. In Folge davon werden kompensatorische Programme zur Abschwächung negativer Migrationsfolgen gefördert, während positive Folgen von Entwicklung kaum wahrgenommen werden. Dies scheint sich ausgehend von den Erfahrungen der ausführenden Mitarbeiter auf der lokalen Ebene langsam zu wandeln. Trotzdem gehen auf dieser Grundlage viele Angebote an den Problemen und Bedürfnissen der Landbevölkerung vorbei. Dazu tragen als weiteres Element undifferenzierte bis vorurteilsbehaftete Vorstellungen von den Dorfgemeinschaften bei, worauf ich im Weiteren eingehen werde.

Für die Umsetzung von Entwicklungsprojekten ist die Interaktion zwischen den Vertretern der Entwicklungsorganisation und den Teilnehmern entscheidend. In der Regel lässt sich das Scheitern von Projekten auf Probleme in deren Aushandlung zurückzuführen, die sehr oft mit einem mangelnden gegenseitigen Verständnis zusammenhängen (vgl. Long 1991). Dies trifft auch auf den Bereich von Entwicklungsprojekten für/mit Migranten zu. Dabei ist es bereits eine grundlegend falsche Annahme, dass es um eine unwissende hilfebedürftige Gruppe geht, die auf die Intervention von außen angewiesen ist, um sich entwickeln zu können. Gerade solche Vorstellungen und das damit verbundene Auftreten, als Experten die Unwissenden gegenüberstehen, führen zu Brüchen an den Schnittstellen zwischen Entwicklungsexperten und Projektteilnehmern (vgl. Lachenmann 1991). Denn die teilnehmenden Akteure sind keineswegs passiv sondern beteiligen sich mit ihren Vorstellungen und ihrem Wissen aktiv an der Aushandlung der Projekte.

Dieser Aushandlungsprozess führt immer zu einer Veränderung der Projekte, also zu einer anderen Umsetzung als der geplanten, was nicht negativ gesehen werden darf, sondern einfach Teil des Prozesses ist. Dies anzuerkennen erfordert aber von den Entwicklungsexperten eine größere Flexibilität, da sie ihre eingefahrenen Bahnen verlassen müssen. Insbesondere müssen sie anerkennen, dass die Dörfler über eigenes Wissen, Fertigkeiten und Ressourcen verfügen und zudem eigene Ansprüche, Wünsche und Ziele haben. Erst wenn diese, gemeinsam mit einer allgemeinen Anpassung an den lokalen Kontext, einbezogen werden, können Entwicklungsanstrengungen nachhaltige Wirkung entfalten.

Meines Erachtens bekommt dieses allgemeine Problem von Entwicklungsinterventionen im Fall der Migranten ein besonderes Gewicht. Denn diese haben oft sehr genaue Vorstellungen von dem, was entwickelt werden soll, und sie haben durch die während der Migration und der Arbeit in den USA gewonnenen Erfahrungen und Kenntnisse und der dadurch zur Verfügung stehenden materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen eine verändertes Selbstverständnis und somit eine andere Position und Haltung in den Aushandlungen mit Entwicklungsorganisationen. Dies kann die Interaktion zunächst erschweren, wenn sich die auswärtigen Akteure nicht auf diese Situation einstellen können, also die MigrantInnen beispielsweise das Gefühl bekommen, nicht ernst genommen zu werden oder über bessere Kenntnisse zu verfügen als die EntwicklungsexpertInnen.

Letztendlich scheinen Projekte aber gerade da langfristig erfolgreich zu sein, wo sich die Dorfbewohner ihrer Stärken bewusst sind und diese in den Entwicklungsprozess einbringen. Dabei kann durch eine gestärkte Aushandlungsposition eine bessere Anpassung der Projekte an lokale Gegebenheiten stattfinden, anstatt einfach die als richtig deklarierten Pläne der Entwicklungsinstitutionen zu übernehmen. Hier besteht also eine große Chance für eine stärker nachhaltige und angepasste Entwicklung in den entsprechenden Regionen.

Ein Beispiel hierfür ist das Dorf El Alberto, dass fast eigenständig ein Ökotourismus-Projekt entwickelte und international durch eine Touristen angebotene Simulation der irregulären Grenzüberquerung bekannt wurde (vgl. Rivera, m Erscheinen).

Allerdings muss als Teil der Aushandlung im Entwicklungsprozess, aber auch in der wissenschaftlichen Betrachtung akzeptiert werden, dass andere Vorstellungen von Entwicklung und eigene Projekte existieren. So scheint ein weitverbreitetes Problem im 3x1 zu sein, dass MigrantInnen Projekte umsetzen wollen, die nicht zu den Förderrichtlinien des Programms passen.

Dies ist besonders oft in Bezug auf den gewünschten Bau von Kirchen der Fall, Projekte, die aufgrund der laizistischen Ausrichtung des mexikanischen Staates nicht gefördert werden können und grundsätzlicher von den Entwicklungsexperten nicht als Entwicklung verstanden werden, sehr wohl aber von den Dorfgemeinschaften. Ähnlich verhält es sich mit vielen Projekten, welche die Gemeinschaften selbst umsetzen, mit relativ geringer materieller Unterstützung durch staatliche Stellen. Der Bau von (Schul-) Bibliotheken, einem zusätzlichen Basketballplatz oder einem Park im "Zentrum" eines Dorfes erscheinen von außen betrachtet nicht als prioritäre Entwicklungsprojekte.

Aus der Logik der DörflerInnen stellt sich die Situation aber anders dar, weil es um Bereiche geht, die mit der Bildung der Kinder oder mit Freizeitangeboten zusammenhängen und insbesondere weil die Errichtung von Bauwerken, die Fortschritt und Entwicklung sichtbar machen, als eine Steigerung der Lebensqualität begriffen wird. Daneben steigt das Ansehen des Dorfes, was wichtig ist für Aushandlungen im politischen Bereich. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das in ähnlicher Form weltweit beobachtet werden kann (vgl. Elwert 1991 zu einem Fall aus Benin).

Dabei fällt auf, dass viele dieser Projekte ohne große Unterstützung von außen realisiert werden. Dies zeigt, dass die DörflerInnen über das Potenzial verfügen eigene Projekte durchzuführen, wenn sie sich damit identifizieren und einen Vorteil in deren Realisierung sehen. Hier ist die zuvor beschriebene dörfliche Selbstorganisation und relative Autonomie ein entscheidendes Element. Auf diese muss eingegangen werden, um erfolgreiche Entwicklungsprojekte durchführen zu können. Denn einerseits kann die Aushandlung mit dieser schwierig sein, da das Selbstbewusstsein und die Verhandlungsposition ihrer Mitglieder gerade durch das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden. Aber andererseits kann durch ein Eingehen auf die dörfliche Organisation, auf die Gemeinschaft mit ihren Ressourcen und ihrem lokalen Wissen ein großes Entwicklungspotenzial genutzt werden, wie oben beschrieben.

Dahin gehend wandelt sich auch die Haltung der DorfbewohnerInnen. Diese warten nicht auf Unterstützung von außen, weil die historische Erfahrung ist, dass sie sich selbst um ihre Angelegenheiten kümmern müssen, da von Vertretern des Staates kaum Positives zu erwarten ist. Gleichzeitig wird durch eine Veränderung der politischen Logiken die gelegentliche materielle Unterstützung von Projekten durch staatliche Institutionen nicht mehr als die Gabe eines individuellen politischen Amtsträgers verstanden, sondern es wird mehr und mehr als ein Recht angesehen, unterstützt zu werden. Dieses Recht wird immer öfter auch eingefordert. Dafür sind Migrationsprozesse nicht der Auslöser, aber durch die Erfahrungen in der Migration und die gewonnenen Ressourcen wird dieser Wandel verstärkt. Wird all dies beachtet, kann ein Eingehen auf das Potenzial der Migranten, das sich letztendlich in ihren Dorfgemeinschaften begründet und kristallisiert, zu nachhaltigen Entwicklungsprozessen führen. Dabei muss aber ein realistisches Bild der Gemeinschaften zugrunde gelegt werden, denn eine Idealisierung, insbesondere eine Ausblendung interner Machtstrukturen, hätte ebenso negative Auswirkungen, wie sie negative Vorstellungen über die Gemeinschaften haben.

So könnte auch anderen positiven Entwicklungen durch die Migrationsprozesse Rechnung getragen und eine negative Sichtweise überwunden werden. Dazu gehört, dass sich die Ernährungssituation verbessert hat, Migranten viel in die Bildung ihrer Angehörigen investieren, insbesondere der weiblichen bis hin in den Bereich der Hochschulbildung, eine gesteigerte Lebensqualität durch die Möglichkeit größere Häuser zu errichten, technische Geräte anzuschaffen und sich besser kleiden zu können und genereller der Transfer von Ideen und ein gestärktes Selbstbewusstsein der Migranten, das auch zu einer Aufwertung der eigenen indigenen Identität führt.

Die Gefahr politischer Vereinnahmung

Ein kritischer Punkt sind mögliche Versuche einer Vereinnahmung der Migranten bzw. ihrer Arbeit. Dies kann in zwei Richtungen führen, einerseits in die einer politischen Kooptation der Migranten und andererseits die des Abwälzens von staatlichen Aufgaben auf Migranten.

Es ist auffallend, wie viele Institutionen sich mittlerweile um die Ansprache der Migranten kümmern. Dabei konnte ich in Hidalgo beobachten, dass offenbar ein wichtiges Ziel des Canhide, der entsprechenden Einrichtung des Bundesstaates, war, die Migranten in formalen Migrantenorganisationen zu organisieren. Dies lässt sich durch das Vorbild erfolgreicher Organisationen, wie in Oaxaca, erklären und entspricht dem Bedürfnis der staatlichen Institution einen festen und sicheren Ansprechpartner zu haben. Gleichzeitig ist es eine Antwort auf die große Schwierigkeit Canhides mit seiner Arbeit die in den USA weit verstreut lebenden Migranten zu erreichen, soll also für die Institution zu einer Arbeitserleichterung und erhöhten Effektivität führen. Allerdings treffen die Organisationsversuche in Hidalgo, wie vermutlich in anderen Bundesstaaten auch, auf wenig Resonanz. Es wird zwar auf bestimmte Organisationen in Mexiko und den USA hingewiesen, diese sind aber nicht mit denen der Migranten aus Oaxaca zu vergleichen (vgl. Quezada/Rivera im Erscheinen).

Meinen Daten zufolge trägt dazu ein gewisses Misstrauen gegenüber staatlichen Organisationen bei, da leicht der Verdacht von politischen Kooptationsversuchen entsteht. Viele Bürger lassen sich nicht gerne auf eine solche gelenkte Organisierung ein, wenn sie keinen konkreten Nutzen darin sehen.3  Erfolgreicher als Canhide sind Organisationen wie der Consejo Supremo Hñähñu, die parteinah sind und Dienstleistungen und Unterstützung bieten, ohne eine formale und aktive Mitgliedschaft zu fordern. Dies scheint den Bedürfnissen und der Logik der Migranten über ihre Interaktion mit staatlichen Akteuren, also ihrer politischen Kultur, besser zu entsprechen. Der grundlegende Unterschied zu Regionen mit erfolgreichen Migrantenorganisationen scheint denn auch darin zu liegen, dass diese dort auf Initiative der Migranten entstanden sind, denen es also selbst ein Anliegen war, sich zu organisieren, um staatlichen Stellen gegenüber geschlossen auftreten zu können. In Hidalgo wird, wie oben angesprochen, dagegen keine Notwendigkeit für die Gründung solcher Organisationen gesehen, weil die MigrantInnen als Teil ihrer transnationalisierten Dorfgemeinschaften bereits über Institutionen verfügen, über die sie zur Entwicklung ihrer Herkunftsorte beitragen und Einfluss auf Lokalpolitiker nehmen können.

Daneben bezieht sich wie bereits erwähnt ein großer Teil der Projekte in Programmen wie dem 3x1 auf Infrastrukturmaßnahmen oder Bauprojekte. So werden oft Straßen in die Dörfer der MigrantInnen asphaltiert, Schulgebäude oder Gesundheitsposten errichtet etc. Dabei wird argumentiert, dass durch die finanzielle Beteiligung der MigrantInnen deutlich mehr Projekte realisiert und gerade besonders marginalisierte Gebiete erreicht werden können, da die MigrantInnen aus diesen stammen. Tatsächlich scheint es so, als ob die Zahl der Projekte in einigen Regionen gestiegen ist, soweit nicht das oben diskutierte Problem der Prioritätensetzung auftritt. Trotzdem müssen bei der Bewertung einzelner Projekte und damit des Programms an sich bestimmte kritische Aspekte berücksichtigt werden. So könnte die hohe Zahl der Projekte darauf zurückzuführen sein, dass bisherige Vorhaben einfach ein anderes Label bekamen und damit zu kofinanzierten Projekten wurden.

Daher ist es wichtig zu beachten, ob insgesamt mehr Projekte stattfinden oder, so oft der Vorwurf, sich der Staat über die Kofinanzierung teilweise aus seiner Verantwortung zurückzieht. Dann würden durch die Nutzung der finanziellen Ressourcen der MigrantInnen Gelder eingespart, die aber eben nicht in andere Projekte fließen, sondern im schlechtesten Fall veruntreut werden. Ein weiteres Problem kann entstehen, wenn sich Amtsträger durch die Projekte profilieren wollen. In diesem Fall werden die kofinanzierten Projekte als Leistung und Erfolg einer Regierung dargestellt und der Anteil von MigrantInnen in der offiziellen Gesamtdarstellung dazu vereinnahmt und übergangen. Grundsätzlich muss auch die kritische Frage gestellt werden, ob die Prioritäten in bisherigen Entwicklungsprogrammen korrekt gesetzt waren.

Denn wenn erst durch das 3x1 und den Einsatz der MigrantInnen bestimmte Regionen an Entwicklungsprozessen teilhaben können, fragt sich, ob der Staat nicht bereits zuvor in der Pflicht gewesen wäre, den Bewohnern dieser vernachlässigten Regionen Entwicklungsperspektiven zu bieten. Nichtsdestotrotz ist es natürlich praktisch als positiv zu bewerten, wenn durch Programme dieser Art überhaupt Gelder in die entsprechenden Gebiete fließen.

Daneben gibt es ganz offensichtliche Kooptationsversuche, wenn beispielsweise für einen regionalen Abgeordneten ein Konvoi von rückkehrenden MigrantInnen organisiert wird, den dieser dann medienwirksam von der Grenze an begleitet und symbolisch "sicher nach Hause führt".

Gouvernamentalität als Dimension der Entwicklungsprogramme

Ein weiterer Aspekt, der in Betracht gezogen werden muss, geht in eine ähnliche Richtung, wie der gerade diskutierte Punkt. Dabei handelt es sich um die grundsätzliche Konzeptualisierung der MigrantInnen als zu entwickelnde Subjekte, aber auch als Akteure von Entwicklung. In Anlehnung an die auf Foucaults Ansätzen basierende Diskussion zu Gouvernamentalität und der staatlichen Subjektivierung sozialer Akteure kann im Hintergrund der Programme eine Vorgehensweise erkannt werden, die langfristig zu einer Rekonstruktion der sozialen Subjekte im Sinne der Sichtweise der staatlichen Institutionen führt. Dadurch wird eine neoliberale individualisierte Vorstellung von sozialen Akteuren verbreitet, in der jedes Individuum selbst für seinen (Miss-) Erfolg verantwortlich ist. Diese Vorstellungen sind unternehmerisch inspiriert, im Sinne einer neoliberalen Wirtschaftslogik, und werden von der globalen Ebene gefördert, z. B. in Vorgaben der internationalen Finanzinstitutionen (vgl. Schild 2004). 4 Dies dürfte, gemeinsam mit der Fixierung auf die Remittenden, einer der Gründe sein, warum sich den MigrantInnen angebotene Entwicklungsprojekte oft um die Schaffung von Unternehmen drehen, bzw. diese als Erfolgsprojekte herausgestellt werden.

So führen die Interaktion mit den Entwicklungsorganisationen und die Aushandlung von deren Ansprüchen und Vorstellungen zu einer Auseinandersetzung mit deren Sichtweise der "Gruppe der zu Entwickelnden". Im Sinne der Konstruktion von Identität als Ergebnis von Selbst- und Fremdzuschreibungen werden mit der Zeit ggf. Elemente dieser in das Selbstbild übernommen. Im Fall der Subjektivierung lässt sich erwarten, dass nach und nach individualisierte Elemente ein größeres Gewicht in den eigenen Identitätskonstruktionen erhalten und entsprechend die sozialen Handlungen und Referenzstrukturen stärker individualisiert werden. Diese Vorstellung steht im Kontext der Dorfgemeinschaften im Widerspruch zum Grundgedanken von gemeinsamer Arbeit und kann tendenziell zur Herauslösung bestimmter Gruppen führen.

Dadurch können dann ggf. die oben diskutierten auf der Gemeinschaft fußenden Potenziale aus dem Blick geraten. Dies lässt sich beispielsweise in vielen produktiven Frauenprojekten beobachten, in denen die Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg letztendlich den einzelnen Frauen zugeschrieben bzw. angelastet wird und nicht der gesamten Gruppe. Durch die Übernahme dieser Sichtweise wird eine eher solidarische Vorstellung und damit Hilfestellung im Fall des Scheiterns in den Hintergrund gedrängt bzw. zur nicht mehr mitgedachten Option. Ähnlich verhält es sich bei den meist an Frauen gerichteten Sozialprogrammen wie dem Oportunidades, die gerade auch Migrantenfamilien unterstützen sollen. Hier wird die Unterstützungsleistung vollkommen individualisiert, sodass Frauen aus dem gleichen Dorf durch ihre Meldungen dafür sorgen, dass anderen ihre Leistungen entzogen werden, wenn diese vorgeblich nicht mehr die Kriterien für die Unterstützungswürdigkeit erfüllen.

Kritik an ökonomistischer Kritik

Nachdem ich bisher einige Kritikpunkte an den staatlichen Entwicklungsprogrammen die sich auf Migration beziehen und generell an dem Umgang des mexikanischen Staates mit den Migrationsphänomenen aufgezeigt habe, werde ich abschließend noch einen verbreiteten Kritikpunkt an diesen Programmen diskutieren, den ich für nicht zutreffend erachte. Dabei geht es um die häufig geäußerte Bewertung, dass die Aktivitäten staatlicher Institutionen in Mexiko, um Entwicklungsprozesse anzustoßen und MigrantInnen bzw. deren Familien und Gemeinschaften in Projekte einzubinden, keine sichtbaren Erfolge zeitigen. Dies ist eine Kritik, die trotz aller oben genannten Probleme zu kurz greift.

Aus dieser Perspektive werden nämlich fast ausschließlich messbare und als ökonomisch produktiv definierte Ergebnisse als Erfolg anerkannt. Dies trifft zwar aus den oben genannten Gründen auf die meisten der Programme und Projekte zu, ist aber in diesem Sinne kein Einzelfall, sondern ein grundlegendes Problem bei einem Großteil der Entwicklungsprojekte weltweit. Gerade eine rein ökonomistische Kritik an den diskutierten Programmen übersieht andere Elemente, die trotz eines vordergründigen Scheiterns als positiv und als Teil von Entwicklung verstanden werden können. Zudem fällt bei einem Scheitern der Projekte aus dieser Perspektive die Schuldzuweisung meist auf die zu "Entwickelnden", also hier die MigrantInnen und ihre Angehörigen, zurück, mit dem Vorwurf diese seien nicht fähig oder nicht gewillt, die gut geplanten Projekte erfolgreich umzusetzen. Dies passt sich gut in die allgemeine vorurteilsbehaftete Sichtweise von der Landbevölkerung ein.

Diese Vorwürfe, die weltweit häufig von Mitgliedern der Entwicklungsorganisationen geäußert werden, und oft bis in den rassistischen Bereich gehen, sollten nicht noch durch eine wissenschaftlichen Analyse dieses Gegenstandes beflügelt bzw. unreflektiert aufgenommen werden (vgl. Long 1991). Stattdessen ist es wichtig zu sehen, dass andere Dimensionen der Aushandlung von Projekten existieren. So ist es als Erfolg und Teil von Entwicklung zu sehen, wenn erreicht wird, dass sich Menschen für Ihre Belange organisieren, Lernen in Gruppen zu arbeiten und mit Vertretern staatlicher Institutionen umzugehen oder wenn sie schlicht einen Raum schaffen, in dem sie sich Gedanken über ihre aktuelle Situation und ihre Zukunftsvorstellungen machen können. Denn so werden von den betroffenen Akteuren selbst das nötige Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl geschaffen, um transformativ tätig zu werden.

Diese Transformation findet dann oft in kleinen Schritten statt und kann sehr subtil sein, sodass sie nicht in einem kurzfristigen Projektzyklus erkannt wird, insbesondere dann, wenn sich der Fokus auf einen rein materiellen Erfolg richtet. Daneben darf auch nicht vergessen werden, dass die gescholtenen Projekte trotz ihres scheinbaren wirtschaftlichen Misserfolgs doch zumindest zu einer gewissen Diversifikation der Einkommensquellen führen. Dabei geht es nicht um einen Projekterfolg, in dem das entstandene Unternehmen die Bedürfnisse aller Teilnehmer vollkommen befriedigt, sondern auf einem niedrigeren Niveau, um größere Sicherheit, was meist eher der Logik der involvierten Landbewohner entspricht.

In diesem Sinne weist Velasco (2008) darauf hin, dass die konstante Teilnahme an Projekten und damit der Einbezug bisher wenig beachteter Orte und Gruppen durch nationale Entwicklungsorganisationen zu einer Atmosphäre der Hoffnung führen kann. Dies bedeutet, dass die TeilnehmerInnen Velasco zu Folge durch die Beteiligung an den Projekten eine hoffnungsvolle Zukunftsvision entwickeln, für die sie sich einsetzen. Dadurch gewinnen sie den Mut und die Erfahrung, ihrem Handeln einen größeren Wert zu geben. Dieses gesteigerte Selbstwertgefühl kann dann längerfristig zu einem verstärkten Einsatz für eine selbstbestimmte Entwicklung führen. So können ursprünglich nicht sonderlich erfolgreiche Projekte aus der Perspektive der TeilnehmerInnen einen großen Wert gewinnen und diese durch eine eigenständige Anpassung und zusätzlichen Einsatz zu erfolgreicheren Ergebnissen geführt werden.5 

Allerdings muss dabei die Gefahr beachtet werden, dass es durch die fortwährende Teilnahme an immer neuen Projekten, welche nie die proklamierten Ziele erreichen, zu Enttäuschung und Frustration bei den TeilnehmerInnen kommen kann, was problematisch für die Motivation zur Teilnahme an zukünftigen Aktivitäten ist. Diese Enttäuschung durch formale Projekte kann dann negative Auswirkungen auf die Bereitschaft haben, sich in selbst organisierten Entwicklungsanstrengungen einzubringen, was besonders kritisch ist, weil so der formale Entwicklungsbereich den eigenen, oft angepassteren behindert.

Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung

Diese kurzen Ausführungen zu dem Zusammenhang von nationaler Entwicklungspolitik und Migration und genereller des sich verändernden Verhältnisses von mexikanischen MigrantInnen und "dem Staat" zeigen, dass nicht einfach von vorbildhaften sogenannten Best Practices im Sinne einer Blaupause oder Gebrauchsanleitung ausgegangen werden kann. Wie Politik MigrantInnen einbindet und wie versucht werden soll, Entwicklung zu befördern, muss immer in ihrem gesamten Kontext, in ihrer Historizität und gerade auch in der spezifischen Aushandlung in den konkreten Fällen, in denen Projekte angestoßen werden sollen, betrachtet werden. In dem vorliegenden Fall gestaltet sich die Aushandlung schwierig, was insbesondere mit der Interaktion zwischen Vertretern des Staates bzw. der Entwicklungsorganisationen und den Menschen aus den Dorfgemeinschaften zusammenhängt.

Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass in anderen Regionen mit etablierten Migrantenorganisationen, wo eben schon länger der Versuch der Teilhabe an Entwicklungsprozessen gemacht wird, die Projekte besser funktionieren, bzw. besser angenommen werden und andere Auswirkungen haben, weil sich die Aushandlung schon seit längerer Zeit hinzieht und dadurch eine bessere Anpassung an die lokalen Gegebenheiten und insbesondere die Wünsche und Bedürfnisse der MigrantInnen, wenn auch nicht unbedingt der allgemeinen Bevölkerung, erreicht wurde.

Der Umgang mexikanischer Institutionen mit Migration darf also nicht leichtfertig zum Vorbild erklärt werden. Es ist wenig hilfreich Best Practices zu suchen, um diese unreflektiert auf andere Kontexte übertragen zu wollen, denn gerade der Fall Mexikos zeigt, dass auch hier trotz einer akzeptablen Wendung und positiver Ergebnisse in vielen Fällen auch weiterhin Probleme bestehen, die u.a. damit zusammenhängen, dass lokale Kontexte nicht beachtet werden. So ist also zur Beurteilung des (entwicklungs-) politischen Umgangs mit Migration und den daran beteiligten Akteuren eine offene und breite Analyse mit einem kritischen Blick von Nöten, um den widersprüchlichen Prozessen gerecht zu werden, denn in Anbetracht der Komplexität sozialer Beziehungen existieren keine einfachen Lösungen.
 

Literatur

  • Basch, Linda / Glick Schiller, Nina / Szanton-Blanc, Christina (1993) Transnational Projects: A New Perspective, Theoretical Premises, In: Linda Basch / Nina Glick.
  • Schiller / Christina Szanton-Blanc (Hg.): Nations Unbound: Transnational Projects, Postcolonial Predicaments and Deterritorialized Nation-States, Amsterdam: Gordon and Breach, S. 1–48.
  • Elwert, Georg (1991) Mit den Augen der Beniner, Berlin: Dt. Entwicklungsdienst (Dokumentation ’90 / Deutscher Entwicklungsdienst).
    Lachenmann, Gudrun (1991) "Systems of ignorance." Alltags-/Expertenwissen: wissenssoziologische Aspekte im Kulturvergleich, Berlin: Das Arabische Buch (Sozialanthropologische Arbeitspapiere, 38).
  • Long, Norman (1991) Auf der Suche nach einer Soziologie der ländlichen Entwicklung: Akteure, Strukturen und Intervention, Das Arabische Buch, Berlin.
  • Quezada, María Felix / Rivera Garay, María Gudalupe (erscheint 2009), El Valle del Mezquital: A más de dos décadas de migración internacional.
  • Rivera Garay, María Gudalupe (erscheint 2009), Migration indigener Gruppen: Der Ökopark El Gran Cañon als Ergebnis eines transnationalen sozialen Raums, In: Elisabeth Tuider, Hans Wienold, Torsten Bewernitz (Hg.): Migration - Geschlecht - Arbeit, Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot.
  • Schild, Veronica (2004) Die Freiheit der Frauen und gesellschaftlicher Fortschritt: Feministinnen, der Staat und die Armen bei der Schaffung neoliberaler Gouvernementalität, In: Olaf Kaltmeier / Jens Kastner / Elisabeth Tuider (Hg.): Neoliberalismus - Autonomie - Widerstand. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, S. 81–100.
  • Velasco Ortiz, Laura (2008) Identidades étnicas y agentes transnacionales en el contexto de la migración México - E.U., Vortrag im Rahmen des Seminars über Migration und Entwicklung am 23.06.2008 in Tijuana, Mexiko.

Endnoten

1  Dieses Programm wurde in den 1930er Jahren ins Leben gerufen, um einen Mangel an Arbeitskräften in bestimmten Bereichen in den USA auszugleichen. Durch den Zweiten Weltkrieg gewann es an Bedeutung und wurde verstärkt.
2 Diese pauschalisierende Annahme von der rein männlichen Migration und der Verfügung über die weiblichen Stimmen ist natürlich irrig und trägt dazu bei, dass Politiker bisher kaum das wahre Potenzial dieser Stimmen erkennen, nämlich die Möglichkeit der direkten Ansprache der Frauen und ihrer eigenen Interessen.
3 Daneben muss auch beachtet werden, dass die Migranten unter den prekären Arbeitsbedingungen in den USA meist überhaupt nicht über ausreichend Freizeit verfügen, um sich aktiv am Aufbau einer Organisation zu beteiligen, welche über den Rahmen der dörflichen Selbstorganisation hinausgeht.
4 Schild analysiert am Beispiel von Frauenprojekten in Chile die Auswirkungen solcher Subjektivierungspraktiken.
5  Dies konnte ich bei diversen kleine Einkommen generierenden Projekten, meist ursprünglich als Frauengruppen konzipiert, beobachten. Dazu gehören beispielsweise Projekte zur Schafszucht, die eine gewisse zusätzliche Einnahme, aber insbesondere eine Diversifikation der Einkommen und damit mehr Sicherheit bieten.

 

Gilberto Rescher (Dipl.-Soz.) ist Doktorand an der International Graduate School in Sociology der Universität of Bielefeld. Seine Forschungsinteressen sind unter Anderem (lokale) politische Prozesse, Entwicklung, Transnationalität, Gender und Ethnizität.