Interview mit Banu Bambal
Am 18. August jährt sich das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Haben sich die mit dem Gesetz verbundenen Hoffnungen der Antidiskriminierungsverbände und –stellen erfüllt?
Das AntiDiskriminierungsBüro Köln/Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. (ADB) hat den gesamten Prozess der Gesetzgebung begleitet und gemeinsam mit weiteren unabhängig tätigen Antidiskriminierungsbüros und –stellen beharrlich dafür gekämpft, dass zumindest die Standards der Richtlinien eingehalten werden. Wenngleich sich unsere anfänglichen Hoffnungen, es könne in Deutschland ein fortschrittliches Gesetz gegen Diskriminierung geben, leider nicht erfüllt haben, begrüßen wir natürlich, dass es nach langer Verzögerung eine gesetzliche Regelung existiert, nach der sich Betroffene gegen die erlebte Diskriminierung rechtlich zur Wehr setzen und Ansprüche geltend machen können. Obwohl die Liste der Kritik am AGG lang ist, ist es richtig, dass der Gesetzgeber eine Hierarchisierung von Diskriminierungsmerkmalen vermieden und den Diskriminierungsschutz auf alle in Artikel 13 EU-Vertrag genannten Gruppen ausgeweitet hat.
Hat das Gesetz die Arbeit der Antidiskriminierungsverbände und –stellen nachhaltig verändert und wenn ja, wie?
Zu einer nachhaltigen Veränderung oder gar Stärkung der Arbeit der unabhängigen Antidiskriminierungsbüros und –stellen hätte es gewisser Voraussetzungen bedurft. Die Stellung der Antidiskriminierungsverbände wurde in letzter Minute durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages verwässert. Und obwohl von den Betroffenenverbänden eindringlich darauf hingewiesen wurde, dass deren Klientel am häufigsten Diskriminierungen in öffentlich-rechtlichen Bereichen wie Verwaltung, Schule sowie privaten Vertragsverhältnissen erfährt, finden genau in diesen Bereichen die Regelungen des AGGs keine Anwendung. In diesem Sinne bleibt die (Beratungs-)Arbeit der unabhängigen Antidiskriminierungsbüros und –stellen auch, oder gerade, nach Inkrafttreten des AGGs immens wichtig.
In der Debatte um das AGG war oft von befürchteten „Klagefluten“, „Sammelklagen mit Rekordsummen“ und einem „Ende der Vertragsfreiheit“ die Rede. Gibt die Umsetzungspraxis diesen Szenarien nun Recht?
Nein, in keiner Weise. Die von Arbeitgeber- , Wirtschaftsverbänden sowie Anwaltsvereinigungen vor und nach Inkrafttreten des AGG befürchteten „Prozesslawinen“ oder ähnlich gearteten Szenarien haben sich nicht bewahrheitet. Die Urteile, die nach dem Erlass der Antidiskriminierungsrichtlinien ergingen, zeigen, dass sich vor allem Betroffene mit einer großen Beschwerdemacht auf das AGG berufen. Zu einem Großteil waren es Ärzte, Piloten oder Beamte, die die Gerichte wegen Diskriminierung in Anspruch nahmen. Von diesem „bürokratischen Ungetüm“ – wie das AGG nach wie vor bezeichnet wird – und der damit verbundenen Verunsicherung von Arbeitgebern profitieren vor allem gut aufgestellte Schulungsunternehmen, die Firmen, Institutionen und sogar einzelne Kommunen bzgl. der „Stolpersteine“, die sich im Zusammenhang mit dem AGG ergeben, beraten.
Warum war die Debatte aus Ihrer Sicht denn in Deutschland so heftig? In anderen europäischen Ländern war das nicht so.
Die bis heute anhaltende Kritik vieler Unions- und FDP-Politiker sowie die starke Tendenz vieler – meist konservativ orientierter – Medien zu negativer und polarisierender Berichterstattung haben eine sachliche Auseinandersetzung vor und nach Umsetzung der vier EG-Richtlinien in nationales Gesetz sehr erschwert, zeitweilig sogar unmöglich gemacht. Die Kritiker und Gegner des AGGs belächelten die auf kommunaler, regionaler und Bundesebene tätigen unabhängigen Antidiskriminierungsbüros und –stellen als „Empörungsbeauftragte“ und verwiesen auf die in Deutschland bereits existierenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften gegen Diskriminierung (z.B. Art. 3 des Grundgesetzes, Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts). An vielen Stellen dienten solche Diskussionen sogar als Vehikel für bereits vorurteilsbehaftete Einstellungen.
Im Gegensatz zu anderen EU-Staaten ist Deutschland noch weit davon entfernt, seine ethnisch-kulturelle Vielfalt wertzuschätzen und zu würdigen, geschweige denn, diskriminierendes Verhalten und/oder diskriminierende Bestimmungen wirklich zu ächten und zu ahnden. Diskriminierungen werden am ehesten in Form gewaltsamer körperlicher und verbaler Übergriffe auf ethnische Minderheiten, meist verursacht von rechtsextremistisch orientierten Gruppierungen wahrgenommen. Hierbei wird völlig ignoriert, dass Rassismus und Diskriminierung schon längst keine Randerscheinungen mehr sind, sondern zunehmend aus der sog. „Mitte der Gesellschaft“ kommen. Die Bekämpfung von Rassismus in jedweder Form, so auch in Form von institutioneller und struktureller Benachteiligung, ist und bleibt eine dauerhafte gesellschaftliche Herausforderung, die stärker als bisher zu einer gesamtgesellschaftlichen Querschnittsaufgabe gemacht und als wichtiges politisches Handlungsfeld erkannt werden muss. Denn nicht zuletzt wird eine umfassende bundesdeutsche Antidiskriminierungspolitik durch die Behandlung des Themas im politischen Kontext und in der Öffentlichkeit bestimmt.
Man gewinnt oft den Eindruck, dass das Thema Antidiskriminierung und AGG in der Öffentlichkeit nach einer heftigen Debatte keine große Rolle mehr spielt. Kennen Betroffene das Gesetz überhaupt?
Das ist ganz unterschiedlich. Das AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. suchen von Diskriminierung betroffene Personen auf, die über das AGG gut informiert sind und von uns eine Unterstützung, etwa im Sinne eines Coachings, erhalten. Andere wiederum bedürfen einer verstärkten Aufklärung über Unterstützungs- und Handlungsmöglichkeiten, die ihnen zu verfügen stehen, um gegen die erlebte Diskriminierung anzugehen.
Mit welchen Maßnahmen kann es Ihres Erachtens gelingen, die Öffentlichkeit weiter zu sensibilisieren und Betroffene auf die durch das Gesetz – trotz aller Kritik – verbesserten rechtlichen Möglichkeiten aufmerksam zu machen?
In erster Linie muss die Existenz eines solchen Gesetzes, auch wenn es in der Praxis noch keinen uneingeschränkten Rechtschutz gegen Diskriminierung bietet, sichtbar gemacht werden. Hier muss vor allem die neu gegründete Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Rahmen von umfassenden Sensibilisierungs- und Öffentlichkeitsmaßnahmen entsprechende Schritte einleiten. Jedoch nicht nur in Form von Aufklärungs- und Informationsbroschüren, sondern auch durch gezielte Bildungsarbeit. Die um das AGG herum geführten kontroversen Diskussionen machen zudem eine breit angelegte „Imagekampagne“ zwingend erforderlich.
Welche Fälle nach AGG landen bei Ihnen? Hat sich die Fallstruktur bzw. die Betroffenenstruktur seit Inkrafttreten des Gesetzes geändert?
Seit Inkrafttreten des AGG verzeichnen wir zwar einen steigenden Beratungsbedarf, die Fallstruktur bzw. die Betroffenenstruktur hat sich allerdings nur unwesentlich geändert. Nach wie vor ereignet sich der prozentual größte Anteil der uns gemeldeten Diskriminierungen auf Ämtern und/oder Behörden, gefolgt von Beschwerden aus dem öffentlich-rechtlichen Bildungsbereich. Beides sind Bereiche, die aus dem Anwendungsbereich des AGG herausgehalten worden sind. Hier wird durch die fehlende Regelung bewusst und deutlich gegen europäisches Recht verstoßen.
Welche Rolle nimmt das Thema „Mehrfachdiskriminierungen“ in Ihrer Arbeit ein?
Der Aspekt der mehrfachen Diskriminierung hat in der Arbeit des AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. schon immer eine zentrale Rolle gespielt, obgleich wir eine Anlaufstelle für von rassistischer Diskriminierung Betroffene sind. Unsere Erfahrungen aus der Beratungspraxis verdeutlichen, dass die erlebte Diskriminierung selten an ein Merkmal anzuknüpfen ist. Es sind auch nicht immer die realen, vermeintlichen oder konstruierten Merkmale selbst, die eine Person aufgrund verschiedener zusammenwirkender Merkmale zum Opfer von Diskriminierung machen, sondern die Zuschreibungen, die mit diesen Merkmalen in Verbindung gebracht werden. Ebenso komplex und vielschichtig sind auch die möglichen Folgen von Diskriminierungserfahrungen. Eine nachhaltige Unterstützung erfahren die Betroffen dann, wenn Ratgebende im Beratungsprozess angemessen auf die mehrdimensionalen Folgen von Diskriminierung reagieren.
In Bezug auf die arbeitsrechtlichen Regelungen des AGG war in der Diskussion oft davon die Rede, dass man hier keine weiteren Gesetze brauche und die Betriebe sowieso schon genügend unternehmen würden. Wie sieht es Ihres Erachtens in den Unternehmen und Betrieben mit der Umsetzung aus?
In der Beratungspraxis konnten wir wiederholt feststellen, dass Unternehmen und Betriebe ihren Arbeitgeberpflichten nach dem AGG bisher nur unzureichend nachgekommen sind. In vielen der von uns seit Geltung des AGG bearbeiteten Diskriminierungsbeschwerden aus dem Arbeitsbereich mussten wir die jeweiligen Unternehmen und Firmen erst darauf aufmerksam machen, dass sie Maßnahmen zum Schutz und zur Beendigung der Diskriminierungshandlungen zu ergreifen haben. In einigen Fallen kam es sogar vor, dass Maßnahmen gegen die Personen ergriffen wurden, die sich gegen diskriminierende Verhaltensweisen oder Äußerungen der Kollegen wiederholt beschwert haben.
Es gibt die Überlegung, ob das AGG dazu führen könnte, dass etwa MigrantInnen erst gar nicht mehr zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, da sie wegen dem AGG „potentiell“ durch die Klagemöglichkeiten „Ärger machen“ könnten. Können Sie das so beobachten?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass viele Unternehmen wegen dem „AGG-Potential“ einiger BewerberInnen derartige „betriebliche Auswahlverfahren“ praktizieren. Hier müsste man sicherlich in Form von sog. testings nachweisen, dass etwa der Zugang von Menschen mit Migrationshintergrund zum Ausbildungs- und/oder Arbeitsmarkt bei gleicher Qualifizierung durch unmittelbare Diskriminierung behindert wird.
Die kurze Frist von zwei Monaten zur Geltendmachung von Ansprüchen aufgrund des AGG wurde stark kritisiert. Wie wirkt sich die Regelung nun in der Praxis aus?
Nach dem AGG gilt, dass Benachteiligte Ansprüche, ganz gleich ob arbeitsrechtlich oder allgemein zivilrechtlich, binnen zwei Monaten geltend machen müssen. Arbeitsrechtliche Klagen müssen zudem in einem Zeitraum von drei Monaten eingereicht werden.
Diese Zwei-Monats-Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen verstößt nicht nur gegen die EU-Richtlinien, wonach Klagefristen oder sonstige Fristen die Rechtsdurchsetzung nicht erschweren oder unmöglich machen dürfen, sondern widerspricht zudem gänzlich der Lebensrealität der von Diskriminierung betroffenen Menschen. Oftmals suchen von Diskriminierung Betroffene die Beratungsstellen auf, bei denen die Diskriminierung durchaus bis zu acht Monaten oder länger zurückliegt. Die Beratungspraxis zeigt, dass es auf Seiten der Betroffenen viele Barrieren gegen eine sofortige Rechtsanmeldung gibt – wie etwa noch fehlende Kenntnisse über rechtliche und prozessuale Möglichkeiten nach dem AGG, unzureichende Infrastruktur von Angeboten, die Betroffenen in Fällen von Diskriminierung beratend oder unterstützend zur Seite stehen sowie Scham und Angst vor Repressalien und/oder weiterer Stigmatisierung – oder aber, weil Betroffene das Geschehene nicht als eine Form von Diskriminierung wahrnehmen oder sich selbst für den Vorfall beschuldigen.
Bei so kurzen Fristen können natürlich auch Schlichtungsverfahren bzw. Mediation, die in einigen Fällen sicherlich eine gute Alternative zur gerichtlichen Auseinandersetzung bieten, nicht genutzt werden.
Ebenso stark in der Kritik der Betroffenenverbände stand die in letzter Minute nochmals veränderte Regelung zur Beweislasterleichterung. Es wurde bezweifelt, dass die Regelung die ohnehin schwierige Beweisführung für Betroffene verbessern könnte. Die FAZ schrieb damals diesbezüglich: „Das wird sich totlaufen“. Wie sieht es in der Praxis damit aus?
In der Beratungspraxis hat sich die Regelung zur Beweislasterleichterung als nicht ausreichend erwiesen. Die von Diskriminierung betroffene Person muss, um ihre Ansprüche durchzusetzen, Indizien vortragen, aus denen das Gericht dann erkennen kann, dass das beanstandete Verhalten auf einem nach § 1 AGG unzulässigen Grund beruht. Im konkreten Diskriminierungsfall bleibt der Betroffene oftmals in vollem Umfang beweisbelastet, da viele Diskriminierungssituationen durch ein starkes Machtungleichgewicht zwischen Diskriminierenden und Diskriminierten geprägt sind, die sich wiederum auf die Beweisführung auswirken.
Das AGG verlangt „merkmalsneutrale“ Stellenausschreibungen. Können Sie hier bereits Sensibilisierungen auf der Arbeitgeberseite feststellen?
Ja, schon, wobei es sich hierbei weniger um eine Sensibilisierung hinsichtlich diskriminierender Strukturen und Mechanismen beim Zugang zum Arbeitsmarkt handelt, sondern vielmehr um die Angst vor sog. AGG-Hoppern. Diese bewerben sich auf Stellenausschreibungen, die nach dem AGG unzulässig sind, weil sie etwa nicht geschlechtsneutral formuliert sind, um dann bei einer Absage Schadensersatzforderungen zu erheben. Die Praxis zeigt allerdings, dass das AGG-Hopping bei weitem nicht so ausgeprägt ist wie befürchtet.
Es wurde bezweifelt, ob die Regelungen des AGG hinsichtlich des Wohnungsmarkts in Bezug auf die Antirassismusrichtlinie überhaupt richtlinienkonform ist? Wie sieht hier die Praxis aus? Wollen die Antidiskriminierungsverbände in diem Punkt aktiv werden, um ggf. Nachbesserungen zu erwirken?
Das AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. erreichten seit Inkrafttreten des AGG vermehrt Beschwerden von Mitinteressierten deutscher Staatsangehörigkeit mit einem „ausländischen“ Namen über diskriminierende Auswahlpraktiken vieler privater Vermieter in Köln und Umgebung. Die Ausnahmeklausel § 19 Absatz 3 AGG für die Vermietung von Wohnraum regelt, dass „eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozialer stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig“ sein kann. Für die Ratsuchenden, die sich an unsere Beratungsstelle gewandt haben, bedeutet diese im AGG verankerte zulässige Ungleichbehandlung eine herbe Enttäuschung, weil das vermeintliche Recht auf Gleichbehandlung sich als gegenteilig erweist. Diese Regelung verstößt somit selbst gegen die Antirassismus-Richtlinie.
Das AGG ist in seiner jetzigen Form nicht nur in diesem Punkt mit den Vorgaben der Richtlinien nicht vereinbar, sondern in vielen weiteren Regelungen auch. Es fällt an einigen, vor allem für von Diskriminierung Betroffene entscheidenden Stellen weit hinter die Vorgaben der Richtlinien zurück, die das Schutzniveau der Betroffenen senken und die Durchsetzbarkeit ihrer Ansprüche deutlich verschlechtern. Die Gründungsmitglieder des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (advd) haben diese Kritik an der unzureichenden Umsetzung der EG-Antidiskriminierungsrichtlinien in Deutschland bereits an die EU-Kommission herangetragen. Unlängst hat die Kommission schon förmliche Aufforderungen an 14 Mitgliedsstaaten gerichtet, die EU-Regelungen zum Verbot von Diskriminierungen aufgrund der „Rasse“ und der ethnischen Herkunft in vollem Umfang umzusetzen. Von der EU-Kommission erwarten wir, dass sie auch mit Deutschland in Verhandlungen tritt und Nachbesserungen erwirkt.
Die öffentlichen Verwaltungen sind ja weitestgehend aus dem AGG ausgeklammert, obwohl bekannt ist, dass gerade in diesem Bereich ein hohes Maß an Diskriminierungen beklagt wird. Findet aus Ihrer Wahrnehmung hier nun trotzdem eine Sensibilisierung statt?
Die meisten öffentlichen Verwaltungen haben es sicherlich nicht versäumt ihren Beschäftigten Auskunft über ihre Rechte nach dem AGG zu geben. Eine Sensibilisierung für diskriminierende Zusammenhänge lässt sich per Gesetz oder der bloßen Aushändigung des Gesetzestextes natürlich nicht verordnen. Hier sind gezielte Schulungen/Qualifizierungen erforderlich, die nicht nur die reine Rechtslage nach dem AGG darstellen, sondern auch über Erscheinungsformen und Wirkungsweisen von Diskriminierung in öffentlichen Verwaltungen aufklären.
Die Stellung der Antidiskriminierungsverbände in der rechtlichen Unterstützung der Betroffenen wurde in letzter Minute nochmals abgeschwächt. Sie haben nun kein echtes Verbandsklagerecht sondern können nur als Beistände vor Gericht dabei sein. Haben Sie schon Erfahrungen mit dieser Konstruktion gemacht?
Bislang noch nicht. Antidiskriminierungsverbände können nach dem AGG nur in solchen Verfahren als Beistände Betroffener auftreten, in denen eine Vertretung durch AnwältInnen nicht vorgeschrieben ist. Sie können jedoch weder im Namen der Betroffenen, die sie unterstützen und begleiten, auftreten noch Fälle auf eigene Initiative hin vor Gericht bringen. Durch diese Regelung ist leider eines der wichtigsten Forderungen der unabhängigen Antidiskriminierungsbüros und –stellen im AGG nicht mehr vorhanden. Dabei ist ein echtes Verbandsklagerecht gerade bei strukturellen Diskriminierungen unabdingbar, um über den Einzelfall hinaus diskriminierende Regelungen zu beseitigen. Um dennoch dem Gesetz in der Praxis Geltung zu verschaffen und dessen Rahmen mit positiven Gerichtsurteilen zu erweitern, werden sich Betroffene und ihre Unterstützer zukünftig direkt auf die Richtlinien berufen müssen.
Die strategische Prozessführung und sog. Musterprozesse werden in der Antidiskriminierungsarbeit als wirksames Mittel zur Entwicklung adäquater Rechtsstandards und zur Bewusstseinsbildung gesehen. Gibt es hier Bestrebungen der Antidiskriminierungsverbände aktiv zu werden?
Ja, auf jeden Fall. Gerade nach der unzureichenden Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien in Deutschland nimmt die Bedeutung dieser Instrumentarien enorm zu, um das bestehende Recht (AGG) durch Urteile zu klären und dessen Anwendung zugänglicher und effektiver zu machen sowie neue Rechtsinstrumente bzw. Auslegungsweisen hervorzubringen, um Betroffene besser gegen Diskriminierung zu schützen. Oftmals scheitert dies an den nicht ausreichenden finanziellen Mitteln der Betroffenen und den fehlenden Möglichkeiten einer kompetenten Rechtsberatung. Aus diesem Grund hat das Netzwerk der Antidiskriminierungsbüros in NRW , die seit über 9 Jahren Beratung in Fällen von rassistischer Diskriminierung durchführen, die Stiftung „Leben ohne Rassismus – Rechtshilfe für Betroffene und Gegner von Rassismus“ ins Leben gerufen. Der vorrangige Stiftungszweck besteht in der finanziellen Unterstützung sowie Beratung und Begleitung von Betroffenen bei Klagen gegen Diskriminierung.
Es gibt seit Mai 2007 den Antidiskriminierungsverband Deutschland, ein Zusammenschluss unabhängiger Antidiskriminierungsbüros/-stellen, Selbstorganisationen und wissenschaftlichen Einrichtungen vornehmlich aus der Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit. Was macht der Antidiskriminierungsverband und was sind seine Ziele?
Der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) bündelt das fachliche Wissen, die Ressourcen und das Engagement seiner Mitgliedsorganisationen in einem Dachverband und trägt damit zur Stärkung sowie nachhaltigen Etablierung einer bundesweiten Antidiskriminierungskultur bei. Der advd tritt entschieden für die Interessen von Diskriminierung Betroffener ein, betreibt eine aktive Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit und strebt dabei eine konstruktive Zusammenarbeit mit Politik, Behörden, der Wirtschaft, der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren an, um individuelle und institutionelle Benachteiligungen aufzudecken und zu überwinden.
Die Erfahrungen aus der täglichen Beratungspraxis der Mitglieder zeigen, dass u.a. das AGG in seiner bisherigen Form die europäischen Richtlinien gegen Diskriminierung nur unzureichend umsetzt. Zu den Forderungen des advd zählen deshalb eine rasche und EU-richtlinienkonforme Änderung des AGGs, die Anwendbarkeit eines Antidiskriminierungsrechtes ebenso in öffentlich-rechtlichen Bereichen wie Verwaltung, Schulen, Sicherheit wie auf private und arbeitsrechtliche Vertragsverhältnisse sowie ein echtes Verbandsklagerecht. Seine Aufgaben sieht der Verband vornehmlich in der Entwicklung von Mindeststandards in der Antidiskriminierungsarbeit, Erarbeitung gemeinsamer Handlungs- und Interventionsstrategien, systematischen Dokumentation der von Diskriminierung(serfahrungen), Veranlassung und Herausgabe empirischer Studien, die das tatsächliche Ausmaß und die Wirkungsweisen von Diskriminierung in Deutschland öffentlich machen, kritische Begleitung der Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der Herausgabe entsprechender Schattenberichte. Einen besonderen Schwerpunkt legt der advd auf die Stärkung (Empowerment) von Betroffenen.
Im Gesetzgebungsverfahren wurde oft darüber nachgedacht, ob die Umsetzung des AGG zu einer stärker merkmalsübergreifenden horizontalen Zusammenarbeit der oft an Merkmalen orientierten Betroffenenverbände führen würde. Können Sie einen solchen Prozess beobachten?
Bereits vor dem Gesetzgebungsverfahren gab es eine merkmalsübergreifende horizontale Zusammenarbeit unter den Betroffenenverbänden. In einzelnen Fällen sogar eine gemeinschaftliche horizontale Bearbeitung von Diskriminierungsbeschwerden. Eine der zentralen Forderungen dieser Betroffenenverbände war es ja auch, den Schutz vor Diskriminierung nicht nur auf die in den vier EU-Richtlinien enthaltenen Diskriminierungsgründe zu beschränken, sondern auf alle in Artikel 13 EU-Vertrag genannten Gruppen auszuweiten.
Haben Sie bereits eine Kooperationsstruktur mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)? Hilft die ADS bei der Rechtsdurchsetzung? Was wünschen Sie sich von der Arbeit der ADS?
Sowohl auf Landes- (Netzwerk der Antidiskriminierungsprojekte in NRW) als auch auf Bundesebene (Antidiskriminierungsverband Deutschland) gibt es erste Ansätze einer Kooperationsstruktur zur ADS, die zukünftig weiter auf- und ausgebaut werden soll.
In ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung ist die ADS nur sehr bedingt dazu geschaffen, eine wirkliche Hilfe für von Diskriminierung Betroffene anzubieten. Wendet sich z.B. eine von Diskriminierung betroffene Person an die ADS, dann kann diese darüber informieren, welche rechtlichen Ansprüche Betroffene haben und wie sie diese Ansprüche durchsetzen können. Eine Rechtsberatung erfolgt jedoch nicht! Eine eigene Einmischung in den Diskriminierungsfall ist der ADS insoweit möglich, als sie eine gütliche Einigung zwischen Betroffenen und Diskriminierenden anstreben kann. Ferner kann die ADS die Betroffenen an eine geeignete Beratungsstelle weiterleiten. Diese Aufgaben stehen jedoch unter dem Vorbehalt, dass kein/e andere/r Beauftragte/r der Bundesregierung für den Fall zuständig ist. Gibt es eine solche Zuständigkeit anderer Beauftragter, dann ist die Antidiskriminierungsstelle zur sofortigen Weiterleitung des Falles verpflichtet. Zu einer fundierten Erforschung und Offenlegung von Diskriminierungen und diskriminierenden Strukturen gehört jedoch unabdingbar die Möglichkeit zur eigenständigen Ermittlung und Intervention in Diskriminierungsfällen. Die ADS wird eine klassische Antidiskriminierungsberatung nicht leisten können, denn erst durch die persönliche Beratung und Begleitung von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen werden wichtige Informationen über Erscheinungsformen und Wirkungsweisen von Diskriminierung gewonnen. Dieses Wissen wiederum bildet eine entscheidende Grundlage zur Identifizierung des tatsächlichen Ausmaßes und der konkreten Formen von Diskriminierung sowie für die Entwicklung wirksamer Präventionsmaßnahmen und Interventionsstrategien gegen Diskriminierung. Die ADS kann all dieses nicht in dem Umfang leisten wie dies etwa die Mitgliedsorganisationen des advd schon seit Jahren tun.
Die Mitgliedsorganisationen des advd hingegen positionieren sich ganz klar für den Betroffenen. Eine besonders wichtige Leitlinie hierbei ist daher das Empowerment der ratsuchenden Personen. Dies beinhaltet vordringlich die Aufklärung der Betroffenen über ihre Rechte, die gemeinsame Entwicklung von Bewältigungs- und Interventionsstrategien sowie die Aktivierung und Stärkung der Eigeninitiative und des Selbsthilfepotential der Ratsuchenden gegen die erlebte Diskriminierung. Zudem verfügen die Mitgliedsorganisationen über langjährige Erfahrungen bei der Aufnahme und Bearbeitung von Diskriminierungsfällen. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) leitet zuweilen Diskriminierungsbeschwerden an die Mitgliedsorganisationen des advd als kompetente Anlaufstellen für von Diskriminierung Betroffene weiter. Die Interventionsmöglichkeiten der Mitgliedsorganisationen reichen dabei von der Anforderung von Stellungnahmen, Begleitung zu und Unterstützung der Betroffenen in Gesprächen über die Anstrengung eines Rechtsstreits bei einem Präzedenzfall (sog. „strategische Prozessführung“) bis hin zu Einleitung öffentlichkeitswirksamer Strategien (z.B. Pressemitteilungen über den konkreten Diskriminierungsfall/Skandalisierung).
Von der Arbeit der ADS erhoffen wir uns u.a., dass sie einen nachhaltigen Beitrag zur Förderung von Gleichbehandlung und zur zielgerichteten Umsetzung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen gegen Diskriminierung leistet.
Das Interview mit Banu Bambal führte Andreas Merx am 9.8.2007
Links und Materialien zur AGG-Umsetzung
AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.
http://www.diskriminierung-melden.de/
Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd)
Netzwerk der Antidiskriminierungsbüros in NRW (Aachen, Duisburg, Dortmund, Köln und Siegen)
Informationen zur Rechtshilfestiftung der Antidiskriminierungsbüros NRW
Online Reader "Antidiskriminierungsarbeit in NRW seit 2000 - Beispiel guter Praxis"
Bildungs-/Fortbildungsangebote der Antidiskriminierungsbüros NRW
Dissen mit mir nicht! Ein Ratgeber für Jugendliche, die diskriminiert werden
Banu Bambal ist Projektleiterin im AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. und Vorstands- mitglied des Antidiskrimi- nierungsverbandes Deutschland (advd)