von Alexander Klose
Antidiskriminierungsrecht hat in der Europäischen Gemeinschaft nicht nur eine lange Tradition sondern gehört auch zu den Grundpfeilern des Gemeinschaftsrechts. Triebfeder der Rechtsentwicklung war zunächst das Verbot von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit. Stand dabei die Marktintegration im Vordergrund, bildet das Antidiskriminierungsrecht heute einen wesentlichen Bestandteil der Menschenrechtspolitik der Gemeinschaft.(1)
Gleichwohl gehören Diskriminierungen in Europa nach wie vor zur Realität: In einer Anfang 2008 durchgeführten repräsentativen Befragung in allen 27 EU-Mitgliedstaaten erklärten 15 % der Befragten, in den letzten 12 Monaten diskriminiert worden zu sein; 29 % gaben an, Zeuge oder Zeugin einer Diskriminierung geworden zu sein.(2)
Als Reaktion auf diese und andere empirische Befunde hat die Europäische Kommission im Sommer 2008 den Vorschlag für eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie vorgelegt.(3) Deren Zweck ist die Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung außerhalb des Arbeitslebens, das bisher den Schwerpunkt der europäischen Bemühungen um Gleichbehandlung bildete. Das Europäische Parlament hat am 2. April 2009 zu dem Vorschlag Stellung genommen. Eine Verabschiedung im Rat, der sich bereits im Oktober 2008 im Rahmen einer öffentlichen Orientierungsaussprache mit der Richtlinie befasst hat, droht insbesondere an Deutschland zu scheitern.
Eine Auswertung der Europa-Wahlprogramme der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zeigt hinsichtlich des Entwurfs eine Frontenstellung, die bereits aus der Diskussion um das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bekannt ist. Während die CDU vor einer „Aushöhlung der Vertragsfreiheit“ und mehr Bürokratie warnt, die CSU weiteren Antidiskriminierungsvorgaben eine „klare Absage“ erteilt und die FDP auf Projekte aus der Zivilgesellschaft und eine aktive Bekämpfung staatlicher Diskriminierung setzt, wollen sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linkspartei für eine Weiterentwicklung des Antidiskriminierungsrechts einsetzen.
Um die in der geplanten Richtlinie vorgesehenen Neuerungen zutreffend einordnen und bewerten zu können, soll im Folgenden ein Überblick über den aktuellen Stand des europäischen Antidiskriminierungsrechts gegeben werden, wobei Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit aus systematischen Gründen unberücksichtigt bleiben.
Entwicklung des europäischen Antidiskriminierungsrechts
Ausgangspunkt des europäischen Antidiskriminierungsrechts ist seit 1957 Art. 141 EG, der die Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Entgelts vorschreibt. Auf der Grundlage dieser Norm des Primärrechts, d.h. des Rechts der zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Verträge, wurden seit den 70er Jahren eine ganze Reihe von Richtlinien (sog. Sekundärrecht) zur Gleichstellung der Geschlechter erlassen. Vor dem Hintergrund rassistischer Gewalttaten und dem Erfolg rechtspopulistischer Parteien in verschiedenen europäischen Ländern erhielt die Gemeinschaft 1998 mit Art. 13 EG die Kompetenz, Diskriminierungen nicht nur aus Gründen des Geschlechts sondern auch aus Gründen der „Rasse“(4), der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.
Bereits im Jahr 2000 machten die VertreterInnen der Mitgliedstaaten im Rat von dieser Möglichkeit Gebrauch und beschlossen einstimmig die Antirassismus-Richtlinie (RL 2000/43/EG) und die Rahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG). Gemeinsam mit drei weiteren Richtlinien zur Bekämpfung der Geschlechterdiskriminierung (RL 2002/73/EG, RL 2004/113/EG und RL 2006/54/EG) bilden sie den Kern des positivierten, d.h. in Gesetzesform gegossenen europäischen Antidiskriminierungsrechts.
Formen der Diskriminierung
Das geltende Antidiskriminierungsrecht unterscheidet bisher fünf unterschiedliche Formen der Diskriminierung. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person aufgrund bzw. wegen einer bestimmten Merkmalsausprägung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Im vergangenen Jahr hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) dies dahingehend konkretisiert, dass nicht nur keine echte Vergleichsperson („erfahren würde“) sondern auch keine Person identifizierbar sein muss, die behauptet, Opfer einer Diskriminierung geworden zu sein. So begründet bereits die öffentliche Äußerung eines Arbeitgebers, er werde keine ArbeitnehmerIn einer bestimmten ethnischen Herkunft einstellen, eine unmittelbare Diskriminierung.(5)
Darüber hinaus erfasst die mittelbare Diskriminierung auch dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die Personen mit einer bestimmten Merkmalsausprägung in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Ein inzwischen klassisches Beispiel bildet die Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten. Auch wenn die Voll- bzw. Teilzeitbeschäftigung nicht zu den vom Antidiskriminierungsrecht geschützten Merkmalen gehört, erkannte der EuGH bereits in den 80er Jahren, dass die (vermeintlich neutrale) Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten (im konkreten Fall der Ausschluss von der betrieblichen Altersversorgung) zu einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts führen kann, wenn diese Maßnahme wesentlich mehr Frauen als Männer trifft und nicht durch andere Gründe gerechtfertigt ist.(6)
Auch wenn es bei der Belästigung in erster Linie um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten geht, müssen doch die hierfür ursächlichen unerwünschten Verhaltensweisen mit einem der Gründe nach Art. 13 EG in Zusammenhang stehen und stellen sich insofern als Diskriminierung dar. Weitere Voraussetzungen sind die Würdeverletzung und die Schaffung eines feindlichen Umfeldes. Ein Fall sexueller Belästigung liegt vor, wenn das unerwünschte Verhalten, das sich in verbaler, nicht verbaler oder physischer Form äußern kann, sexueller Natur ist. Schließlich gilt als Diskriminierung auch die Anweisung zur Diskriminierung einer Person. Diese erstmals in der Antirassismus-Richtlinie genannte Form der Diskriminierung soll nach der Vorstellung des Europäischen Parlaments, das die Ergänzung der Richtlinie beantragte, Situationen erfassen, in denen z.B. ein Hausbesitzer einen Makler anweist, sein Haus nicht an Menschen einer bestimmten Hautfarbe zu vermieten.
Im vergangenen Jahr hat der Europäische Gerichtshof darüber hinaus entschieden, dass das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung nicht nur gegenüber Personen gilt, die selbst behindert sind, sondern auch den Fall erfasst, dass eine Arbeitnehmerin wegen der Behinderung ihres Kindes, für das sie im Wesentlichen die erforderlichen Pflegeleistungen erbringt, benachteiligt wird.(7) Daraus lässt sich der allgemeine Schluss ableiten, dass eine Diskriminierung auch dann vorliegen kann, wenn eine Person benachteiligt wird, weil sie mit einer bestimmten anderen Person in Verbindung steht oder gebracht wird.(8)
Werden im konkreten Fall angemessene Vorkehrungen (zum Begriff siehe unten) für Menschen mit Behinderungen verweigert, soll auch dies nach Art. 2 Abs. 5 des Richtlinienentwurfs in Zukunft als Diskriminierung gelten.
Anwendungsbereich der Diskriminierungsverbote
Auch wenn inzwischen zu allen in Art. 13 EG genannten Merkmalen Richtlinien erlassen wurden, bedeutet dies nicht, dass diese einen einheitlichen Schutz vor Diskriminierungen gewährleisten. Der Grund liegt im unterschiedlichen Anwendungsbereich der Richtlinien. Während die Rahmenrichtlinie für die Merkmale Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung lediglich das Arbeitsleben (Beschäftigung und Berufsausbildung) erfasst, ist die Antirassismus-Richtlinie darüber hinaus auch auf die Bereiche Sozialschutz (z.B. Gesundheitsdienste), soziale Vergünstigungen (z.B. Sozialhilfe), Bildung, Güter und Dienstleistungen anwendbar.
Die zum Schutz vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts erlassenen Richtlinien erfassen zwar neben dem Arbeitsleben auch die soziale Sicherheit, es fehlen jedoch spezielle Regelungen in den Bereichen Medien, Werbung und vor allem Bildung. Das europäische Antidiskriminierungsrecht weist somit Lücken auf, die nur aus seiner rechtspolitischen Entwicklung heraus erklärbar sind und die – insbesondere bei der Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung – zu sachlich nicht begründbaren Rechtsschutzlücken führen.
Der Überwindung dieser Hierarchisierung der Diskriminierungsmerkmale dient der Richtlinienentwurf der Kommission. Er würde im Ergebnis den Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie an den der Antirassismus-Richtlinie angleichen mit der Folge, dass – mit Ausnahme des Merkmals Geschlechts – ein weitgehend einheitliches Mindestschutzniveau entstünde.(9)
Der Lebensbereich Güter und Dienstleistungen bedarf dabei einer differenzierenden Betrachtung: Während die Antirassismus-Richtlinie alle Güter und Dienstleistungen erfasst, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, beschränkt die Unisex-Richtlinie (2004/113/EG) den Schutz vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts auf Güter und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit ohne Ansehen der Person zur Verfügung stehen und außerhalb des Bereichs des Privat- und Familienlebens angeboten werden. Der Anwendungsbereich des Richtlinienentwurfs ist demgegenüber teils weiter, teils enger:
Das Diskriminierungsverbot soll für Einzelne hier nur insoweit gelten, als sie ihre berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausüben. Rechtsgeschäfte zwischen Privatpersonen, die als solche handeln, sollen damit selbst dann nicht unter die Richtlinie fallen, wenn die Güter oder Dienstleistungen ohne Ansehen der Person angeboten werden. So wäre z.B. das von einem Privaten im Internet (z.B. in einem Versteigerungsportal) veröffentlichte Verkaufsangebot für ein Kfz (etwa mit dem Zusatz „nicht an Muslime“) nicht vom Schutzbereich der Richtlinie erfasst. Die gewerbliche Vermietung einer Wohnung fiele dagegen auch dann in den Anwendungsbereich, wenn es dem/der Vermieter/Vermieterin auf die Person des Mieters oder der Mieterin entscheidend ankäme.
Tatbestandsausschluss und Rechtfertigung
Nicht jede Ungleichbehandlung aufgrund eines der in Art. 13 EG genannten Merkmale, die in den Anwendungsbereich der Richtlinien fällt, muss von den Mitgliedstaaten verboten werden. Das europäische Antidiskriminierungsrecht sieht vielmehr ein nach Merkmalen und Lebensbereichen differenziertes System von Rechtfertigungsmöglichkeiten und Tatbestandsausschlüssen vor. Nur wenn eine Ungleichbehandlung nicht unter eine dieser Regelungen fällt, handelt es sich um eine verbotene Diskriminierung. Generell zulässig sind sog. positive Maßnahmen, d.h. Maßnahmen zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung in der Praxis, mit denen Benachteiligungen verhindert oder ausgeglichen werden sollen.(10)
1. Geschlecht
Im Bereich des Arbeitslebens können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sind, wenn das Geschlecht aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt (Art. 2 Abs. 6 RL 76/207/EWG).
Ungleichbehandlungen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen sind darüber hinaus nach Art. 4 Abs. 5 RL 2004/113/EG nicht ausgeschlossen, wenn es durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist, diese ausschließlich oder vorwiegend für die Angehörigen eines Geschlechts bereitzustellen, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (z.B. Einrichtungen zum Schutz von Opfern sexueller Gewalt).
Bei Versicherungen wurde es den Mitgliedstaaten schließlich ermöglicht, proportionale Unterschiede bei den Prämien und Leistungen zuzulassen, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist (Art. 5 RL 2004/113/EG).
2. „Rasse“ und ethnische Herkunft
Auch Ungleichbehandlungen aufgrund der „Rasse“ und ethnischen Herkunft können – wie beim Merkmal Geschlecht – gerechtfertigt sein, wenn das betreffende Merkmal eine wesentliche und entscheidende Berufsvoraussetzung darstellt (Art. 4 RL 2000/78/EG). Weitere Rechtfertigungsgründe für die Bereiche Sozialschutz, soziale Vergünstigungen, Bildung, Güter und Dienstleistungen sind dagegen nicht vorgesehen.(11)
3. Sexuelle Ausrichtung
Entsprechendes würde für Ungleichbehandlungen aus Gründen der sexuellen Ausrichtung, gelten, wenn der vorgelegte Richtlinienentwurf in Kraft treten würde. Während die Rahmenrichtlinie auch hier wesentliche und entscheidende Berufsvoraussetzungen als Rechtfertigungsmöglichkeit nennt, enthält der Entwurf für Ungleichbehandlungen außerhalb der Arbeitswelt keine Ausnahmen. Damit entstünde insofern ein mit den Merkmalen „Rasse“ und ethnische Herkunft vergleichbarer Schutz.
Bereits im vergangenen Jahr hat sich der EuGH mit dem Verhältnis von Ehe und gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaft befasst und entschieden, dass Ungleichbehandlungen zwischen LebenspartnerInnen und Eheleuten jedenfalls insoweit verboten sind, als im nationalen Recht derartige Partnerschaften als der Ehe vergleichbar anerkannt werden.(12) Indem nach Art. 3 Abs. 2 des Richtlinienentwurfs nationale Gesetze über den Ehe- und Familienstand einschließlich der Adoption und reproduktiver Rechte vom Diskriminierungsverbot unberührt bleiben, könnten die Mitgliedstaaten aber auch in Zukunft entscheiden, ob sie gesetzlich eingetragene Partnerschaften einführen wollen.
4. Religion und Weltanschauung
Wie oben erwähnt besteht auch Schutz vor Benachteiligungen aus Gründen der Religion und Weltanschauung bisher nur im Bereich des Arbeitslebens. Den auch hier geltenden Rechtfertigungsgrund wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen konkretisiert Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG in zweifacher Hinsicht: Zum einen können die Mitgliedstaaten in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen und Weltanschauungen beruht, Regelungen vorsehen, wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion und Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt.
Voraussetzung ist, dass die Religion oder Weltanschauung dieser Person nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Das Ethos der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft wird also (nur) insoweit als Maßstab für die beruflichen Anforderungen anerkannt. Zum anderen können diese Organisationen von den für sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten.
Auch der Richtlinienentwurf sieht Ausnahmen für Kirchen und andere religiös und weltanschaulich begründete Organisationen vor. So können die Mitgliedstaaten Ungleichbehandlungen beim Zugang zu kirchlichen Bildungseinrichtungen vorsehen (Art. 3 Abs. 3 S. 2).(13) Zulässig bleiben darüber hinaus sowohl einzelstaatliche Regelungen zum Status und zu den Aktivitäten der Kirchen und vergleichbarer Organisationen als auch zur Gewährleistung des säkularen Charakters des Staates und seiner Einrichtungen sowie der Bildung (Art. 3 Abs. 4). Auf diese Weise sollen nicht nur die nationalen Regelungen zur Autonomie von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewahrt sondern es soll den Mitgliedstaaten auch ermöglicht werden, das Tragen religiöser Symbole in Schulen zu erlauben oder zu verbieten.
5. Alter
Über den strengen Rechtfertigungsgrund der wesentlichen und entscheidenden Anforderungen hinaus können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass berufliche Ungleichbehandlungen wegen des Alters auch dann keine Diskriminierungen darstellen, sofern sie objektiv und angemessen, durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG). Auch wenn damit grundsätzlich jedes sozialpolitische Ziel, wie z.B. Integrationsmaßnahmen für ältere ArbeitnehmerInnen, Mindestanforderungen an die Berufserfahrung oder Höchstaltersgrenzen für die Einstellung zur Gewährleistung einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand, als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommt, hat der EuGH hohe Anforderungen an die Angemessenheit und Erforderlichkeit solcher Maßnahmen gestellt.(14) Nach Art. 6 Abs. 2 können die Mitgliedstaaten darüber hinaus Ungleichbehandlungen wegen des Alters bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit vorsehen.
Einen entsprechenden allgemeinen Rechtfertigungsgrund enthält der Richtlinienentwurf nun auch für die von ihm erfassten Lebensbereiche. Zulässig soll nach Art. 2 Abs. 6 S. 2 des Entwurfs „insbesondere“ die Festsetzung bestimmter Altersgrenzen für den Zugang zu sozialen Vergünstigungen, zur Bildung und zu bestimmten Gütern und Dienstleistungen sein. Darüber hinaus wird für Finanzdienstleistungen (Versicherungs- und Bankdienstleistungen) eine weitere Rechtfertigungsmöglichkeit eröffnet: Hier können die Mitgliedstaaten verhältnismäßige Ungleichbehandlungen zulassen, wenn für ein Produkt die Berücksichtigung des Alters (oder einer Behinderung) ein zentraler Faktor bei der Risikobewertung ist, vorausgesetzt diese beruht auf exakten versicherungsmathematischen oder statistischen Daten.
6. Behinderung
Wie bei allen anderen Merkmalen können die Mitgliedstaaten auch hier vorsehen, dass keine Diskriminierung vorliegt, wenn die (Nicht)Behinderung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bereits nach bestehender Rechtslage (Art. 5 RL 2000/78/EG) die Pflicht besteht, angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen zu treffen. Das bedeutet, dass ArbeitgeberInnen die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen haben, um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Diese Pflicht entfällt nur dann, wenn die Maßnahmen die ArbeitgeberInnen unverhältnismäßig belasten würden, was jedenfalls dann nicht der Fall ist, wenn die Belastung durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik ausreichend kompensiert wird.
Hieran knüpft der Richtlinienentwurf an und enthält in Art. 4 zunächst die allgemeine Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, die im Anwendungsbereich der Richtlinie einen effektiven diskriminierungsfreien Zugang für Menschen mit Behinderung gewährleisten. Dies hat im Voraus zu geschehen, verlangt jedoch keine grundlegende Veränderung der Leistung oder die Bereitstellung von Alternativen. Darüber hinaus ist für individuell angemessene Vorkehrungen zu sorgen, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist. Die Verweigerung solcher Vorkehrungen gilt nach Art. 2 Abs. 5 als Diskriminierung. Beide Pflichten stehen auch hier unter dem Vorbehalt, dass die zur ihrer Einhaltung erforderlichen Maßnahmen keine unverhältnismäßige Belastung für die AnbieterInnen bedeuten.15 Die Vorschrift dient der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die daher bei der Interpretation der Vorschrift zu berücksichtigen ist.16
Für die vom Richtlinienentwurf ebenfalls erfassten Finanzdienstleistungen gilt schließlich bei Ungleichbehandlungen aufgrund einer Behinderung ein spezieller Rechtfertigungsgrund, der bereits beim Merkmal Alter erläutert wurde.
Rechtsbehelfe und Durchsetzung
Zur praktischen Durchsetzung der Diskriminierungsverbote schreiben die Richtlinien weitgehend übereinstimmend Vertretungs-, Beteiligungs- und Unterstützungsrechte von Antidiskriminierungsverbänden, die Erleichterung der Beweislast und Maßregelungsverbote vor. Differenzierte Regelungen finden sich zur Frage von Rechtsfolgen und Sanktionen. Allgemein gilt hier, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Entscheidet sich der nationale Gesetzgeber (wie z.B. in Deutschland) für eine zivilrechtliche Haftung, muss diese verschuldensunabhängig sein, d.h. der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen muss ausreichen, um den Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung zu begründen.(17)
Nur für die Merkmale Geschlecht, „Rasse“ und ethnische Herkunft haben die Mitgliedstaaten bisher unabhängige Stellen einzurichten, die Betroffene bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen, wissenschaftliche Untersuchungen durchführen sowie Berichte und Empfehlungen vorlegen sollen. Der Richtlinienentwurf würde die Aufgaben dieser Stelle (bzw. Stellen) um die Gleichbehandlung im Hinblick auf Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung erweitern.
Bewertung und Ausblick
Der Richtlinienentwurf ist als ein weiterer großer Schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen und umfassenden europäischen Antidiskriminierungsrecht zu begrüßen. Das Ziel, bestehende Schutzlücken zu schließen, wird weitgehend erreicht. Kritisch hervorzuheben ist die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, die in Ausübung beruflicher oder gewerblicher Tätigkeit angeboten werden(18), und die zu weitgehende Rechtfertigungsmöglichkeit beim Zugang zu kirchlichen Bildungseinrichtungen.(19) Anzumahnen bleibt darüber hinaus die Ergänzung des Verbots der Diskriminierung wegen des Geschlechts um die Bereiche Bildung, Medien und Werbung sowie ein klares Verbot der Mehrfachdiskriminierung.
Da sich der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der geltenden Antidiskriminierungsrichtlinien für eine (weitgehend) einheitliche Umsetzung auch außerhalb des Arbeitslebens entschieden hat, wäre der Umsetzungsbedarf überschaubar. Er beträfe in erster Linie die (Nicht-)Einbeziehung des Merkmals „Weltanschauung“, die Beschränkung des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots auf Massengeschäfte und die über den Richtlinienentwurf hinausgehenden Rechtfertigungsmöglichkeiten in § 20 AGG. Unabhängig vom Erfolg des Richtlinienentwurfs besteht jedoch dringender Reformbedarf bei der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderungen durch Gewährleistung angemessener Vorkehrungen, der sich sowohl aus der Rahmenrichtlinie als auch aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergibt.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Richtlinienentwurf gerade in Deutschland auf massive Kritik gestoßen ist.(20) In Frage gestellt wird zunächst die Notwendigkeit neuer (rechtlicher) Vorgaben. Wurde im Vorfeld des AGG vor einer Klagewelle gewarnt, wird die (angeblich) geringe Zahl von Beschwerden und Klagen nach dem AGG nun als Beleg dafür genommen, dass es in Deutschland kein „Diskriminierungsproblem“ gebe. Unabhängig von der Frage, wie man die mehr als 3.500 Anfragen allein bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die ca. 350 veröffentlichten Urteile (der Großteil der Rechtsprechung der erstinstanzlichen Gericht wird nicht veröffentlicht) seit Inkrafttreten des AGG bewertet, spricht vieles dafür, dass es sich dabei nur um die „Spitze des Eisbergs“ handelt. Darauf deuten nicht nur die bereits genannten Untersuchungen hin, die nach (eigenen) Diskriminierungserfahrungen fragen.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat im April dieses Jahres darüber hinaus eine Studie veröffentlicht, die Vorurteilsstrukturen gegenüber Menschen anderer ethnischer Herkunft oder Hautfarbe, muslimischer Religionszugehörigkeit und homosexueller Ausrichtung in fast allen gesellschaftlichen Milieus nachweist.(21) Es liegt zumindest nahe – und belegt die Notwendigkeit eines wirksamen gerade auch rechtlichen Schutzes –, dass sich diese Vorurteile im Alltag in Diskriminierungen niederschlagen. Dem entspricht es, dass Ergebnis der öffentlichen Anhörungen und Konsultationen nichtstaatlicher Organisationen im Vorfeld des Richtlinienentwurfs die eindeutige Forderung nach mehr Rechtsvorschriften auf EU-Ebene war. Abgelehnt wurden diese lediglich von ArbeitgeberInnenseite, da auf diese Weise Bürokratie und Kosten steigen würden. Dieses – gerade auch von deutschen PolitikerInnen und VerbandesvertreterInnen gebrauchte – Argument, ist inzwischen weitgehend überholt.
Es kann als wissenschaftlich gesichert gelten, dass die Folgekosten des Antidiskriminierungsrechts für die Wirtschaft (in Deutschland) deutlich geringer sind, als zunächst vermutet wurde.(22) Schließlich hat eine zur Vorbereitung des Richtlinienentwurfs in Auftrag gegebene Untersuchung des European Policy Evaluation Consortium (EPEC) noch einmal nachdrücklich auf die direkten und indirekten „Kosten“, die durch Diskriminierungen verursacht werden, aufmerksam gemacht. Angesichts dieser unnötigen Belastungen für Wirtschaft und Gesellschaft, vor allem aber mit Blick auf das Leid der von Diskriminierung Betroffenen ist zu hoffen, dass Deutschland seinen Widerstand gegen die notwendige Ergänzung des europäischen Antidiskriminierungsrechts bald aufgeben wird.(23)
Endnoten
1 Mahlmann in: Rudolf/Mahlmann (Hrsg.), Gleichbehandlungsrecht, § 3 Rz. 19, 21. Wrase: Gleichbehandlungsrecht und Chancengleichheit – das AGG in der rechtspolitischen Diskussion.
3 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, KOM (2008) 426.
Der Entwurf ist Teil einer neuen Sozialagenda (KOM (2008) 412 und Ergebnis umfangreicher Vorarbeiten, zu denen sowohl wissenschaftliche Studien als auch öffentliche Anhörungen und Konsultationen gehörten.
4 Auch auf europäischer Ebene war man sich der Problematik des Begriffs der „Rasse“ durchaus bewusst. Nach Erwägungsgrund 6 der Antirassismus-Richtlinie impliziert die Verwendung des Terminus nicht die Akzeptanz von Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen. Für die deutsche Begriffsgeschichte ausführlich: Cremer, „und welcher Rasse gehören Sie an?“.
5 EuGH v. 10.7.2008, Rs. C-54/07, Feryn.
6 EuGH v. 13.5.1986, Rs. C-170/84, Bilka, Slg. 1986, S. I-1607.
7 EuGH v. 17.7.2008, Rs. C-303/06, Coleman.
8 Eine entsprechende Ergänzung der Definition der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung fordert das Europäische Parlament in seiner Stellungnahme zum Richtlinienentwurf: P6_TA(2009)0211, Abänderung 38.
9 Dass die Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts nicht zu den Zielen der geplanten Richtlinie gehört, wird von der Kommission damit begründet, dass die Frist zur Umsetzung der RL 2004/113/EG gerade erst abgelaufen sei (Ende 2007) und man den für das Jahr 2010 erwarteten Bericht über ihre Durchführung abwarten wolle.
10 Für Quotenregelungen hat der EuGH dazu entschieden, dass diese zulässig sind, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen und insbesondere eine Prüfung des Einzelfalls ermöglichen (Härtefallklausel): EuGH v. 11.11.1997, Rs. C-409/95, Marschall, Slg. 1997, S. I-6363. Die Rahmenrichtlinie (Art. 2 Abs. 5) und der vorliegende Richtlinienentwurf (Art. 2 Abs. 8) enthalten darüber hinaus einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund, wonach Maßnahmen nicht berührt werden, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.
11 Lediglich in Erwägungsgrund 4 der Antirassismus-Richtlinie wird darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, „dass im Zusammenhang mit dem Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen der Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens sowie der in diesem Kontext getätigten Geschäfte gewahrt bleibt.“
12 EuGH, Rs. C-267/06, Tadao Maruko, Slg. 2008, S. I-01757.
13 Die Einschränkung auf den Zugang zu kirchlichen Bildungseinrichtungen ergibt sich erst aus der Begründung des Richtlinienentwurfs. In Art. 3 Abs. 3 S. 2 ist lediglich davon die Rede, dass die Mitgliedstaaten „eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung beim Zugang zu Bildungseinrichtungen vorsehen“ können. Offenbar handelt es sich hier jedoch „nur“ um einen Übersetzungsfehler. In der englischen Fassung des Satzes („Member States may provide for differences in treatment in access to educational institutions based on religion or belief.”) wird aus der Stellung des Zusatzes („based on religion or belief“) deutlich, dass er sich auf „educational institutions“ und nicht auf „differences in treatment“ bezieht. In der deutschen Fassung wird jedoch genau dieser Bezug hergestellt. Nach der englischen Fassung wären indes auch Ungleichbehandlungen aufgrund anderer Merkmale (z.B. der sexuellen Ausrichtung) zulässig.
14 So erklärte er eine deutsche Regelung, die die Eingliederung älterer ArbeitnehmerInnen in den Arbeitsmarkt dadurch fördern wollte, dass diesen befristete, unbegrenzt häufig verlängerbare Arbeitsverträge angeboten werden durften, für unverhältnismäßig, weil die Regelung dazu führen könne, dass diese ArbeitnehmerInnen während eines erheblichen Teils ihres Berufslebens von festen Beschäftigungsverhältnissen ausgeschlossen würden (EuGH v. 22.11.2005, Rs. C-144/04, Mangold, Slg. 2005, S. I-09981). Dagegen hat der Gerichtshof die Angemessenheit und Erforderlichkeit einer tarifvertraglichen Regelung bejaht, mit der eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen gefördert werden sollte, indem ArbeitnehmerInnen mit dem Erreichen einer festgelegten Altersgrenze zwangsweise in den Ruhestand versetzt werden, da den Betroffenen ein finanzieller Ausgleich in Gestalt einer Altersrente zugute komme (EuGH v. 16.10.2007, Rs. C-411/05, Palacios de la Villa, Slg. 2007, S. I-08531). Schließlich hat der EuGH in seiner jüngsten Entscheidung zur Altersdiskriminierung daran erinnert, dass nationale Bestimmungen zwar keine genaue Aufzählung der Ziele enthalten müssen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen, dass die allgemeine Behauptung, eine bestimmte Maßnahme sei geeignet, den sozialpolitischen Zielen zu dienen, jedoch nicht ausreichend sei, um eine Rechtfertigung zu tragen. (EuGH v. 5.3.2009, Rs. C-388/07, Age Concern England).
15 Zu berücksichtigen sind insbesondere: Art der Organisation, Kosten der Maßnahme, Lebenszyklus der Güter und Dienstleistungen sowie mögliche Vorteile eines verbesserten Zugangs für Menschen mit Behinderung. Nach der Begründung darüber hinaus die Größe des Unternehmens. Auch hier gilt, dass die Belastung jedenfalls dann nicht unverhältnismäßig ist, wenn sie durch Maßnahmen im Rahmen der Gleichbehandlungspolitik der Mitgliedstaaten „in ausreichendem Maße“ ausgeglichen wird.
16 Das am 3.5.2008 in Kraft getretene Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-Behindertenrechtskonvention) wurde von der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten unterzeichnet. Es ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels im internationalen Behindertenrecht. An die Stelle des traditionellen Fürsorgegedankens tritt das Recht auf umfassende Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft. So heißt es in Art. 1: „Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.“
17 EuGH v. 22.4.1997, C-180/95, Draehmpaehl, Slg. 1997, S. I-2195.
18 Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, z.B. zwischen der Vermietung eines Zimmers in einem Privathaus und der Vermietung eines Hotelzimmers differenzieren zu können. Soweit damit der in Erwägungsgrund 17 angesprochene Schutz des Privat- und Familienlebens gewährleistet werden soll, schießt die vorgeschlagene Regelung jedoch weit über das Ziel hinaus. Der (einseitige) Verweis auf die Privatautonomie übersieht, dass die Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes die von Diskriminierung Betroffenen davor schützt, in der Ausübung ihrer Vertragsfreiheit aus ethisch verwerflichen und ihren Achtungsanspruch verletzenden Gründen eingeschränkt zu werden. Dafür macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob die diskriminierende Person im Rahmen ihrer Berufsausübung handelt oder nicht. Berechtigten Interessen an einer Ungleichbehandlung sollte durch bereichsspezifische Ausnahmen (z.B. für das Privat- und Familienleben) und nicht durch eine so weitgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs Rechnung getragen werden.
19 Zusammen mit dem Europäischen Parlament ist die Beschränkung auf unterschiedliche Behandlungen aufgrund der Religion oder Weltanschauung zu fordern (P6_TA(2009)0211, Abänderungen 89 und 51).
20 Vgl. etwa die Stellungnahmen der Sachverständigen bei der Anhörung zum Thema „Gleichbehandlung“ im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 15.10.2008 oder die Stellungnahme des Bundesrates vom 19.9.2008 (BR-Drs. 499/08).
21 Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.): Forschungsprojekt: Diskriminierung im Alltag. Wahrnehmungen von Diskriminierung und Antidiskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft.
22 Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.): Studie: Nutzen und Kosten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), Teil I: Analyse und Bewertung der Studie „Gesetzesfolgekosten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes“.
23 Über den weiteren Werdegang des Richtlinienentwurfs informiert PreLex.
Alexander Klose ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des Law & Society Institute der HU Berlin sowie Lehrbeauftragter für Gender- und Diversity-Kompetenz an der FU Berlin. Seine Schwerpunkte sind u.a. Antidiskriminierungsrecht.