Sprecher mit Migrationshintergrund im deutschen Rundfunk - Wo bleiben die Akzente?

von Jan Opielka

Die ehemalige taz-Redaktionschefin Bascha Mika wanderte im Alter von fünf Jahren samt Familie aus Polen in die BRD aus. Im Rahmen ihres Studiums bewarb sie sich in den 1980ern als Sprecherin bei einem Casting des Hessischen Rundfunks. „Die Rückmeldung war, dass ich mein lispelndes „s“ abtrainieren sollte – und auch mein rollendes „r“, das ich aus meiner kalten Heimat mitgebracht habe“, berichtet sie. Ersteres hat sie denn auch mithilfe einer Logopädin gemacht. Doch ihr „r“ zu eliminieren und ein hinten geriebenes, norddeutsches „rrr“ zu entwickeln, das als Standard gewertet wird, kam für Mika nicht infrage. „Das r gehört zu mir, daran will ich gar nichts ändern.“

Migranten ja – Akzente nein

Bei wie vielen anderen Ibramanovics, Özgürs oder Dostonowskis der ausländische Akzent einen Werdegang als Sprecher oder Moderator im deutschen Rundfunk und Fernsehen verhindert, ist unklar. Fakt ist, dass es in den publizistisch-nachrichtlichen Sendungen, die nicht explizit Migrant_innen als Zielgruppe haben, weder im Rundfunk noch im Fernsehen Personen gibt, die einen wahrnehmbaren fremdsprachigen Akzent haben. Ganz leichte regionale deutsche Akzente sind hin und wieder zu hören, etwa beim ZDF. Ausländische nicht. „Wir haben auch Kolleginnen und Kollegen mit arabischem, iranischem oder asiatischem Hintergrund, die aber allesamt – eher zufällig – keinen Akzent haben“, so ZDF-Sprecherin Regina Henrich-Dieler. Ähnliches gilt für die ARD-Sendeanstalten. Der Westdeutsche Rundfunk verweist zwar gerne auf die türkischstämmige Moderatorin Asli Sevindim, die in den Hauptnachrichten des WDR, der „Aktuellen Stunde“, vor der Kamera steht. Sie hat aber keinen hörbaren Akzent. Dürfte sie ihre Aufgabe auch dann erfüllen, wenn sie auch nur einen kleinen türkischen Spracheinschlag hätte? Tibet Sinha, stellvertretender Leiter der Programmgruppe Europa und Ausland beim WDR, lässt zumindest einen kleinen Blick hinter die Kulissen zu: „Ich weiß es nicht, ich hoffe ja. Aber diese Frage kann und würde wohl auch keiner der Programmmacher offen und ehrlich beantworten.“

Sinhas Antwort ist symptomatisch. Man kann dies mit dem Wunsch der Verantwortlichen nach Sprachtreue und Stilwahrung begründen – oder ihnen Selektion und Status-Quo-Beharren vorhalten. Bei ganz kritischem Hinsehen riecht es aber nach Diskriminierung. Die Journalistin Ferda Ataman vom Mediendienst Migration und bei der Journalistenvereinigung Neue Deutsche Medienmacher aktiv, sieht das ähnlich: „Menschen eine Arbeit wegen ihres Akzents vorzuenthalten, ist vom Gesetzgeber schlichtweg verboten“, sagt Ataman.  

Grenze zur Diskriminierung

Tatsächlich verbietet das Grundgesetz im Art. 3 eine Benachteiligung oder Bevorzugung wegen Sprache. Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) sind gerichtliche Fälle zum Thema Ausschluss durch Akzent aber nicht bekannt. Dennoch teilt die ADS mit Einschränkung Atamans Sicht und nimmt auf Anfrage wie folgt Stellung: „Grundsätzlich ist festzustellen, dass Anforderungen an akzentfreie deutsche Sprachkenntnisse eine mittelbare Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft darstellen können.“ Diese könne aber gerechtfertigt sein, wenn akzentfreie Sprachkenntnisse eine „wesentliche und entscheidende Anforderung für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit sind. Der Arbeitgeber hat dann das Recht, akzentfreie Deutschkenntnisse zu verlangen“, heißt es bei der ads weiter. Dies werde in der Kommentarliteratur zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) etwa bei Nachrichtensprechern und Schauspielern angenommen. „Nachrichten müssen von einem breiten Publikum verstanden werden – auch etwa von Hörgeschädigten“, so die ADS.

„Persönlichkeit wird nicht anerkannt“

Dieses Kriterium erfüllt Natascha Borisowa* ganz sicher. Die Journalistin spricht einwandfreies Deutsch, mit einem leichten Beiklang, dem klassischen, vorn gerolltem „r“, charakteristisch für viele slawische Sprachen. In der ehemaligen UdSSR geboren, wanderte Borisowa im Alter von 16 Jahren nach Deutschland ein. Nach ihrem Studium absolvierte sie ihr Volontariat bei einem Sender der ARD und arbeitet dort als Festangestellte. „Ich habe Beiträge etwa im Hauptstadtstudio produziert, durfte sie dort aber nie selber sprechen“, sagt sie. Die Begründung sei gewesen, dass es um komplexe Zusammenhänge gehe, die man dem Zuschauer nicht durch eine Sprachstörung oder einen Akzent zusätzlich erschweren dürfe, berichtet Borisowa. Ob sie sich akzentfreies Deutsch antrainieren würde, wenn sie die Perspektive für Sprecherin-Tätigkeiten hätte? „Ich glaube nicht, denn ich möchte nicht dort arbeiten, wo mein Akzent nicht gefragt ist. Jemand, der von mir verlangen würde, meinen Akzent abzutrainieren, der erkennt auch meine Persönlichkeit nicht an.“

Dem WDR-Verantwortlichen Tibet Sinha fällt es schwer, solche Fälle zu bewerten. „Ich würde nicht von Diskriminierung sprechen. Bei einem Moderatoren geht es um ein Gesamtpaket, und wenn er wegen Akzent nicht genommen wird“, Sinha zögert ein wenig, „weiß ich nicht, ob das Diskriminierung ist“. Der Akzent gehöre in ein Gesamterscheinungsbild der Person. „Wenn man natürlich sagen würde: Du bist der oder die beste, wir würden dich gerne nehmen, aber du hast einen Akzent – unter diesen Bedingungen ist das natürlich eine Form von Diskriminierung.“

Akzente gelten als nicht glaubwürdig 

Dabei ist es nicht so, dass etwa das deutsche Fernsehen keinen vor die Kamera lässt, der mit Akzent spricht. Chris Howland, Bruce Darnell, Rudi Carrell, türkischstämmige Comedians oder bayrische Satiriker – sie alle erzielten oder erzielen Quoten-Erfolge, und das inklusive eines starken und markanten Akzents. Doch diese Beispiele trügen. Denn bei Carrell & Co ist der Akzent kein tolerierbares Übel, sondern quotensteigernde Besonderheit. Zudem sind diese Beispiele im Unterhaltungsbereich verortet. Bei den informierenden Medien hingegen, in denen nicht Lacher und Späßchen, sondern Seriosität und Glaubwürdigkeit das Grundgerüst bilden, sind Migrantinnen und Migranten, die Deutsch mit Akzent sprechen, nicht zu finden.

Eine mögliche Erklärung dafür liefert eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2010. Boaz Keysar und Shiri Lev-Ari von der University of Chicago fanden dabei heraus, dass Hörer-Probanden Sprecherinnen und Sprechern, die mit leichtem oder starkem Akzent Nachrichten lesen, weniger Glauben schenken, als Sprechern ohne Akzent. WDR-Mann Sinha sieht hingegen nicht die Frage der Glaubwürdigkeit als entscheidend, „sondern die sehr homogene Sicht auf das Deutschland, in dem wir leben.“ Für Ferda Ataman hängt die geringe Glaubwürdigkeit gegenüber Akzent-Sprechern auf Deutschland bezogen damit zusammen, dass „viele ihr Land nach wie vor nicht als Einwanderungsland sehen, obwohl es das ist“. Es gäbe eine ganz klare Vorstellung, wie die deutsche Gesellschaft präsentiert werden müsse. „Und dazu gehört offenbar auch, dass man nicht nur fehlerfrei, sondern auch akzentfrei Deutsch spricht. Das ist schade“, sagt die Journalistin.

Dies sieht der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant etwas differenzierter. „Bei Sprecherinnen oder Sprechern gehört die perfekte Sprachbeherrschung zur Berufsausstattung, man hat die Norm zu sprechen, denn die Funktion hat Vorbildcharakter und die Sprache erscheint hier in ihrer höchsten Form. Solange das besteht, werden die Verantwortlichen auch darauf beharren.“ Generell müsse die Fragestellung des Akzents von dem Migrant-Sein gelöst werden, so der Sprachwissenschaftler. Es sei der Akzent als solcher, der ausgeschlossen werde, also auch regionale Akzente wie der bayrische. Es sei aber zu prüfen, räumt Trabant ein, ob diese Norm des Hochdeutschen ohne regionale und ausländische Akzente unverändert bleiben müsse. „Ich glaube nicht, dass es die Vorbildfunktion erschüttern würde, wenn man leichte Akzente zulassen würde. Das müssen wir aushalten.“

Die Akzent-Hierarchie

Die Mehrheit hält eine Öffnung momentan wohl nicht aus. Die Annonce eines Sprachtraining-Anbieters spiegelt dies anschaulich wider. Darin heißt es: „Ob sie aus einem Bundesland kommen, in dem gesächselt, bayerisch oder rheinländisch gesprochen wird oder ob sie mit Migrationshintergrund in Deutschland arbeiten und noch einen türkischen oder polnischen Beiklang in der Stimme haben – das dialekt- und akzentfreie Hochdeutsch-Sprechen erleichtert Ihnen den vorurteilsfreien Umgang mit den Mitmenschen.“ Eine durchaus fragwürdige Position: Diejenigen, die aufgrund ihres Akzents mit Vorurteilen zu kämpfen haben, sollen einen natürlichen Teil ihrer Identität aufgeben – und nicht etwa jene, die Vorurteile hegen, diese ihrerseits überdenken.

Ein Mechanismus, der auch Werner König auf die Palme bringt. „Die Gesellschaft ist in dieser Hinsicht nicht toleranter, sondern autoritärer geworden“, sagt der renommierte Sprachwissenschaftler und Autor des „Atlas der Deutschen Sprache“. In Deutschland gebe es fünf Aussprachenormen – „und welche soll nun die richtige sein?“ fragt König rhetorisch. Und stellt klar: „Die Verbannung von Akzenten sollte unter den Begriff von Diskriminierung fallen.“ Bis in die 1970er Jahre, erläutert König in seinem Standarddeutsch aus Bayerisch-Schwaben, habe es in deutschen Medien Moderatoren etwa mit starkem Südtiroler Akzent gegeben – und die Leute hätten es problemlos verstanden. „Man muss generell toleranter gegenüber Akzenten werden, denn warum soll man einem Sachsen, dem man seine Heimat anhört, im Rundfunk nicht hören können?“

Dabei ist Akzent nicht gleich Akzent. Laut einer repräsentativen Umfrage über die deutsche Sprache, durchgeführt vom Mannheimer Institut für Deutsche Sprache (IDS), findet rund ein Drittel der Befragten – Deutsche ohne und mit Migrationsbezug – den französischen Akzent bei Deutschsprechenden sympathisch, den italienischen Beiklang aber nur jeder Fünfte. Zu den unsympathischsten zählen der russische, türkische und polnische Akzent. Die Ergebnisse überraschen kaum. Wie die Schweizer Linguistin Marie José-Kolly schreibt, schließen Muttersprachler „aufgrund eines fremden Akzents unbewusst auch auf Bildungsgrad, sozialen Status, Intelligenz und sogar Persönlichkeitszüge“. Dies sowie die Aktivierung von Gruppenstereotypen könne negative Beurteilungen zur Folge haben.

Umdenken (nicht) in Sicht

Sprechen Moderatorinnen und Moderatoren mit Migrationshintergrund vor dem Mikro oder der Kamera akzentfrei, gelten sie als Vorbilder. Das dabei den Millionen von Zuschauern und Hörern indirekt vermittelte Bild ist: Die akzentfrei sprechenden sind voll in der Gesellschaft angekommen – die mit Akzent nicht so ganz. Eine zweifelhafte Norm, wie auch auch WDR-Programmleiter Sinha einräumt. Es sei, sagt er, einst mutig gewesen, Personen mit Migrationshintergrund vor Kameras und Mikros zu lassen. „Vielleicht sind wir jetzt wieder an so einem Punkt und müssen wieder neu mutig sein und uns zutrauen, Personen zuzulassen, die leichten Akzent haben.“

 

*Name geändert