Islamophobie, antimuslimischer Rassismus oder Muslimfeindlichkeit? Kommentar zu der Begriffsdebatte der Deutschen Islam Konferenz

von Yasemin Shooman

In ihrer zweiten Phase hat die Deutsche Islam Konferenz eine Arbeitsgruppe „Präventionsarbeit mit Jugendlichen“ eingerichtet, die im März 2011 einen Zwischenbericht vorgelegt hat. Wie es einleitend heißt, wurde von der AG u.a. „ein gemeinsames Verständnis“ des Phänomens „Fremdenfeindlichkeit gegenüber Muslimen/ ‚Islamfeindlichkeit‘ […] gesucht.“ (Zwischenbericht, S. 2) In der Wissenschaft werden seit einigen Jahren verschiedene Begriffe und theoretische Konzepte diskutiert, mit denen eine negative Haltung gegenüber MuslimInnen sowie die Stereotypisierungen, denen sie diskursiv unterworfen sind, ihre gesellschaftliche Ausgrenzung und strukturelle Diskriminierung in europäischen Migrationsgesellschaften erfasst werden sollen.

In der Begriffsdebatte, die der Zwischenbericht der Deutschen Islam Konferenz wiedergibt, werden diese wissenschaftlichen Überlegungen jedoch nur ansatzweise rezipiert. Aus Punkt zwei des Berichts geht hervor, dass die AG-TeilnehmerInnen sich auf den Terminus „Muslimfeindlichkeit“ geeinigt haben, während andere Begriffe, die in der Forschung Verwendung finden – wie Islamophobie, Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus – verworfen wurden. Im Folgenden soll die Begründung für diese Begriffsentscheidung aus der Perspektive der Vorurteils- und Rassismusforschung kommentiert werden.

Antimuslimische Einstellungen – ein empirisch belegtes Phänomen
Gleich der erste Satz der Begriffsdiskussion wirft Fragen auf:
Menschen in Deutschland fühlen sich [Hervorhebung der Autorin] bisweilen aufgrund ihrer (tatsächlichen oder manchmal auch bloß zugeschriebenen) Religionszugehörigkeit zum Islam von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt“ (Zwischenbericht, S. 2).

Die Formulierung „fühlen sich“ verweist das Phänomen in den Bereich subjektiver Empfindungen der Betroffenen und lässt offen, ob das Problem auch faktisch existiert. Nicht nur vor dem Hintergrund der Sarrazin-Debatte und der Zustimmung, die die dezidiert antimuslimischen Thesen des ehemaligen Berliner Finanzsenators in der breiten Bevölkerung gefunden haben oder auch der häufigen Proteste gegen Moscheebauvorhaben, erscheint eine solche Formulierung zu kurz gegriffen. Es liegen längst empirische Belege für eine teils massive Ablehnungshaltung der deutschen Mehrheitsgesellschaft gegenüber MuslimInnen vor.

Bei einer jüngst publizierten repräsentativen Umfrage der SozialforscherInnen Andreas Zick und Beate Küpper, die in acht EU-Mitgliedsstaaten durchgeführt wurde, stimmten in Deutschland insgesamt 46,1 % der Befragten – und damit fast jede/r zweite – der Aussage zu „Es gibt zu viele Muslime in Deutschland“ (Zick/ Küpper, 2011, S. 70). Darüber hinaus werden im Rahmen der Langzeitstudie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer seit Jahren hohe Werte für eine negative Einstellung der Mehrheitsbevölkerung gegenüber dem Islam und MuslimInnen gemessen (vgl. Heitmeyer 2003-2010). Auch andere Studien, wie beispielsweise von Oliver Decker et al., haben eine starke Zustimmung (58,4 % der Befragten) zu diskriminierenden Ansichten ermittelt, wie der, dass „für Muslime in Deutschland […] die Religionsausübung erheblich eingeschränkt werden“ sollte (Decker et al. 2010, S. 134). Der DIK-Bericht lässt diese empirischen Daten, die auf ein Problem innerhalb der Mehrheitsgesellschaft hinweisen, unerwähnt und hebt nur auf die Wahrnehmung der Betroffenen ab.

Die strukturelle Dimension von Rassismus
Die eben zitierten quantitativen Erhebungen messen individuelle Einstellungen und bilden damit lediglich einen Aspekt des Phänomens ab. Diese Beschränkung findet sich auch in dem Zwischenbericht der DIK, wenn es heißt, man wolle ein entsprechendes Vokabular entwickeln, um „Haltungen und ggf. damit verbundene […] Handlungen“ zu benennen (Zwischenbericht, S. 2). Eine solche Perspektive nimmt das Individuum als Träger von Vorurteilen und als diskriminierendes Subjekt in den Blick und lässt die strukturelle Dimension gesellschaftlicher Stigmatisierung und Ausgrenzung von Minorisierten außer Acht.

Die Einstellungen von Menschen gegenüber Gruppen basieren nicht auf individuellen Vorlieben und Abneigungen, vielmehr handelt es sich bei der Frage, welche Gruppen als „fremd“ wahrgenommen werden, um einen aktiven Konstruktionsprozess, in dessen Rahmen bestimmte Bilder und Stereotype produziert werden und als soziales Wissen kursieren. Wie solche Diskurse entstehen und gesellschaftlich wirksam werden, hat viel mit Macht- und Dominanzverhältnissen in einer Gesellschaft zu tun.

Dieser Aspekt der Machtasymmetrie zwischen Mehrheitsgesellschaft und marginalisierten Minderheiten fehlt in dem Zwischenbericht und auch in dem Begriff „Muslimfeindlichkeit“, auf den sich die TeilnehmerInnen der Arbeitsgruppe geeinigt haben. Denn das Konzept der Feindschaft sagt noch nichts über die gesellschaftliche Position aus, von der aus kollektive Zuschreibungen gegenüber einer Gruppe vorgenommen werden. Dies ist der Vorteil des Begriffs „antimuslimischer Rassismus“, da der Machtaspekt einen wesentlichen Bestandteil der Definition von Rassismus bildet, weshalb Rassismus mehr umfasst als ein Konglomerat von Vorurteilen.

Dass es neben dem biologistisch argumentierenden Rassismus eine verbreitete Form des Rassismus gibt, die auf das Merkmal der „Kultur“ (und ihr inhärent auch der „Religion“) zurückgreift, wird im DIK-Zwischenbericht berücksichtigt. Der Begriff „antimuslimischer Rassismus“ wird dennoch abgelehnt, da er sich „nur für die ‚harten Varianten‘ entsprechender Negativ-Einstellungen verwenden“ ließe (Zwischenbericht, S. 3). Hier kommt ein Rassismusverständnis zum Ausdruck, wonach Rassismus ein gesellschaftliches Randphänomen sei, das sich in extremen und damit von der Norm abweichenden Haltungen manifestiere.

Eine solche, von der Rassismusforschung wiederholt problematisierte und als verkürzt kritisierte Sichtweise (vgl. u.a. Terkessidis 2004 oder Melter/Mecheril 2009) verkennt, dass rassistische Praktiken sich unter anderem auch in der Regelung von Ein- und Ausschluss, von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit niederschlagen. Beispielsweise machen einige Mitglieder dieser Gesellschaft die Erfahrung, ständig gefragt zu werden, wo sie eigentlich herkommen oder mit Komplimenten für ihre guten Deutschkenntnisse bedacht zu werden. Damit werden Menschen, die aufgrund bestimmter Merkmale (Name, dunkle Haare etc.) markiert sind, von Angehörigen der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft permanent zu Fremden gemacht – und zwar unabhängig davon, ob sie in Deutschland geboren und sozialisiert wurden.

Diese Alltagsdimension von Rassismus wird bei einer Reduzierung auf extreme Positionen ausgeblendet. Genauso wie die Tatsache, dass man keine schlechte Intention haben muss, um Rassismus zu reproduzieren (wie die Beispiele der Frage nach der Herkunft oder des vermeintlichen Kompliments für das gute Deutsch belegen, die ja keineswegs „böse“ gemeint sein müssen und dennoch eine Ausgrenzungspraxis darstellen).

Deshalb ist auch die Begründung des DIK-Zwischenberichts wenig überzeugend, wonach der Begriff des antimuslimischen Rassismus nicht verwendet werden solle, da „viele Menschen, die vielleicht ein diffuses Unbehagen gegenüber Muslimen verspüren, […] es sicherlich als ungerecht empfinden [würden], wenn man sie von vorneherein in die Nähe des Rassismus stellt.“ (Zwischenbericht, S. 4) Nun wird jemand, der diffuse Vorurteile gegenüber Minorisierten artikuliert, in der Rassismusforschung nicht gleich als Rassist bezeichnet, es wird eher davon ausgegangen, dass wir alle in rassistische Diskurse verstrickt sind. Dennoch ist diese Argumentation des Zwischenberichts aufschlussreich, offenbart sie doch, dass er aus der Perspektive der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft formuliert wurde, auch wenn muslimische TeilnehmerInnen beteiligt waren.

Dass jemand, der sich einer rassistischen Argumentationsweise bedient, es als Zumutung empfinden könnte, wenn man dies als rassistisch bezeichnet, taugt kaum als Kriterium für oder gegen die Verwendung des Begriffs. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, auf die Erfahrungen im Umgang mit Antisemitismus zurückzugreifen. Ein Plädoyer gegen den Begriff des Antisemitismus vonseiten politisch Verantwortlicher erschiene sicherlich abwegig, ganz gleich ob Personen, die vielleicht „ein diffuses Unbehagen“ gegenüber Jüdinnen und Juden verspüren und sich einer antisemitischen Argumentation bedienen, dies „als ungerecht empfinden“.

Die Frage nach dem richtigen Umgang mit Vorurteilen und Stereotypen
Im Resümee der Begriffsdiskussion wird noch einmal deutlich, weshalb in dem Zwischenbericht auf ein sehr enges Rassismusverständnis zurückgegriffen wird: Während Rassismus als illegitim klassifiziert wird, werden „ein eher diffuses Unbehagen gegenüber Muslimen“ und „die dahinter stehenden, von zahlreichen Menschen geteilten Befürchtungen“ als Phänomene begriffen, die durch Aufklärungsarbeit „gezielt zerstreut werden können“ (Zwischenbericht, S. 5) und daher nicht tabuisiert werden sollten. Aufklärungsarbeit verfehlt jedoch ihre Wirkung, wenn Vorurteile nur auf mangelndes Wissen zurückgeführt werden und die Funktionen, die sie erfüllen, nicht hinreichend berücksichtigt werden. Die positiv identitätsstiftende Wirkung, die die Abwertung des Anderen bei gleichzeitiger Aufwertung des Eigenen hat, ist dabei nur eine Facette.

Zudem ist fraglich, ob die Strategie, die in dem Zwischenbericht vorgeschlagen wird, nämlich „Menschen, die von diffusen Ressentiments erfüllt sind, [zu ermutigen], ihre Bedenken offen auszusprechen“ (Zwischenbericht, S. 5), wirklich eine kathartische Wirkung hat (für die Stigmatisierten dürfte dies ohnehin nicht der Fall sein). Oder ob eine solche „Ermutigung“ – zumal wenn sie von Opinionleaders aus der Politik erfolgt – nicht auch dazu beiträgt, die Sagbarkeitsgrenzen zu verschieben und den öffentlichen Diskursraum dahingehend zu öffnen, dass Dinge, die zuvor nur hinter vorgehaltener Hand oder am Stammtisch artikuliert werden konnten, nun als eine tolerable oder gar respektable Meinung erscheinen.

Dieses Dilemma ist aus der Antisemitismusforschung bekannt: Aufgrund der Sanktionierung von öffentlichen antisemitischen Äußerungen hat sich eine Kommunikationslatenz ausgebildet, d.h. antisemitische Vorurteile werden nicht mehr so offen artikuliert, sind aber deshalb nicht verschwunden. Die Nichtkommunikation führt also nicht unbedingt zu einer Veränderung der Einstellung an sich (vgl. Bergmann/Erb 1986).

Gleichwohl konstatieren die Vorurteilsforscher Werner Bergmann und Wilhelm Heitmeyer, dass „solange Konsens in den politischen und kulturellen Eliten besteht, auch gegen ‚die Stammtische‘ den Meinungsdruck aufrechtzuerhalten und sich antisemitischer Ressentiments politisch nicht zu bedienen, […] dies den Antisemitismus aus der öffentlichen Kommunikation weitgehend heraushalten und langfristig die Tradierung antijüdischer Stereotype abschwächen“ kann. (Bergmann/Heitmeyer 2005, S. 225f.). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Theorie der Schweigespirale, die besagt, „daß Personen, die den Eindruck haben, sie gehören mit ihrer Meinung zur Mehrheit, ihre Positionen umso vehementer vertreten als wenn sie sich subjektiv in der Minderheit fühlen“ (ebenda, S. 234). Diese Überlegungen sollten auch in die Diskussion um den richtigen Umgang mit antimuslimischen Äußerungen und Haltungen einbezogen werden.

Eine weitere Stärke des Begriffs „antimuslimischer Rassismus“, die in dem Zwischenbericht nicht genügend Beachtung findet, ist der Konstruktionsprozess, den er impliziert. Von antimuslimischen Zuschreibungen sind ja – und das benennt auch der Zwischenbericht – nicht nur praktizierende MuslimInnen betroffenen. Mittlerweile hat eine Ethnisierung der Kategorie „MuslimIn“ stattgefunden: Die Bezeichnungen TürkIn oder AraberIn und MuslimIn werden nahezu synonym gebraucht. Es handelt sich also nicht um eine „freiwillige Identität“, die man wählen oder auch ablegen kann, vielmehr lässt sich inzwischen ein Rassifizierungsprozess (1) beobachten, dem als MuslimInnen markierte Menschen nicht entrinnen können.

Der Begriff „antimuslimischer Rassismus“ setzt das Phänomen zudem in Beziehung zu anderen Phänomenen, wie z.B. dem Antiziganismus oder dem Rassismus gegen Schwarze. Der Begriff verdeutlicht damit, dass es weniger um Fragen der Religion geht als um einen Ausgrenzungsprozess gegenüber Minorisierten, für den die Religion oftmals nur die Folie bietet, auf deren Hintergrund Kollektivzuschreibungen vorgenommen werden. Dies heißt nicht, dass antimuslimischer Rassismus als eine Chiffre für eine generelle Ablehnung von MigrantInnen verstanden werden kann. Denn zum einen sind davon auch Nicht-MigrantInnen betroffen, sofern sie als MuslimInnen markiert sind, und zum anderen betonen diejenigen, die in solche rassistischen Diskurse verstrickt sind, dass sie MuslimInnen eben als MuslimInnen ablehnen.

Kann man „dem Islam“ feindlich gesonnen und zugleich MuslimInnen gegenüber neutral sein?
Der Fokus auf die Betroffenen wird in der terminologischen Diskussion des Zwischenberichts hervorgehoben, weshalb die Begriffe „Islamfeindlichkeit“ und „Islamophobie“ zugunsten des Begriffs „Muslimfeindlichkeit“ zurückgewiesen werden, da

„nicht ganz klar [sei], ob sich die damit bezeichnete negative Haltung auf den Islam als Religion oder auf die Muslime als betroffene Menschen bezieht. […] Denn der säkulare Rechtsstaat kann sich zu theologischen Fragen generell nicht äußern; er hat keine Kompetenz zur Entscheidung darüber, welches Bild vom Islam als Religion ‚wahr‘, ‚weniger wahr‘ oder gar ein Zerrbild ist.“ (Zwischenbericht, S. 3)

So richtig es ist, als MuslimInnen markierte Menschen als Objekte rassistischer Zuschreibungen in den Blick zu nehmen, so verkürzt wäre es wiederum, im Umkehrschluss davon auszugehen, dass überall da, wo „nur“ der Islam angegriffen wird, eine legitime religionskritische Argumentation vorläge. Denn zum einen ist „der Islam“ kein sozialer Akteur, dies sind immer nur Menschen, die diese Religion in der einen oder anderen Weise praktizieren und zur sozialen Wirklichkeit werden lassen.

Die Trennung von (legitimem) Ressentiment gegen eine Religion und (illegitimem) Ressentiment gegen die AnhängerInnen dieser Religion erscheint daher künstlich, sofern es sich nicht tatsächlich um theologische Auseinandersetzungen handelt. Bei den meisten Beiträgen, die zurzeit in öffentlichen Debatten unter dem Stichwort „Islamkritik“ artikuliert werden (eine Begriffskonstruktion, die eine eigene Analyse wert wäre – hingewiesen sei an dieser Stelle auf den Umstand, dass analoge Begriffe wie „Christentumskritik“ oder „Judentumskritik“ nicht in Gebrauch sind), dürfte dies jedoch bezweifelt werden.

Theologische Abwägungen bilden ebenfalls wohl kaum den Hintergrund für solche Aussagen wie die des Ex-CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der „Allah“ nicht mit „Gott“ übersetzt wissen wollte, da dadurch das Christentum diskreditiert würde. Und der zur traurigen Berühmtheit gelangte evangelikale US-Pastor Terry Jones ließ verlautbaren, MuslimInnen seien ihm willkommen, aber der Islam sei „of the devil“, weshalb er den Koran öffentlich verbrennen müsse. Solche Positionierungen sind, obwohl sie vorgeblich den Islam attackieren, als Abgrenzungsgeste gegen MuslimInnen gerichtet. „Dem Islam“ werden dabei unverrückbare Wesenseigenschaften zugeschrieben, die eigentlich „die MuslimInnen“ meinen. Auch der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders hat sich jüngst erfolgreich dieser rhetorischen Strategie bedient. Seine antimuslimische Hetze wurde in einem Gerichtsverfahren nicht als solche eingestuft, da er lediglich den Islam kritisiert habe, so die Argumentation des Gerichts.

Der Rückgriff auf die Religion als „Umwegkommunikation“ ist auch aus dem Antisemitismus hinreichend bekannt. Dort ist der Verweis auf den rachsüchtigen alttestamentarischen Gott ebenfalls mitnichten als theologische Äußerung gemeint, sondern zielt darauf ab, diese vermeintliche Charaktereigenschaft ihres Gottes auch auf Jüdinnen und Juden als AnhängerInnen dieser Religion zu übertragen. Es besteht also ein nicht zu vernachlässigender Zusammenhang zwischen dem Bild, das Außenstehende sich von einer Religion machen und dem Bild, das sie von deren AnhängerInnen haben.

Für die Analyse einer Argumentation ist zudem entscheidend, ob der Begriff der Religion darin deterministisch verwendet wird. Dies ist dann der Fall, wenn jedes (negative) Verhalten von Menschen, die als MuslimInnen markiert sind, auf „den Islam“ zurückgeführt wird. Ebenso problematisch ist es, wenn aus einer selektiven und wortwörtlichen Lektüre des Korans pauschale Rückschlüsse auf das soziale Verhalten der MuslimInnen gezogen werden. Damit wird implizit unterstellt, diese seien in ihrem Handeln vorrangig und eindeutig von ihrer Religion bestimmt (was man getauften Menschen wahrscheinlich nicht per se unterstellen würde), und zwar ohne dass eine von Raum und Zeit abhängige Aneignung und damit Interpretation der religiösen Quellen stattfände. Solche Argumentationsweisen verfolgen nicht den Ansatz einer ernstgemeinten Religionskritik, sondern benutzen das Merkmal der Religion zur Stigmatisierung gesellschaftlicher Minderheiten und Rechtfertigung von Exklusion.

Die Schwierigkeit einer emanzipativen Religionskritik
Während der Zwischenbericht die Legitimität von Religionskritik betont, wird die Problematik der Abgrenzung zwischen seriöser und instrumentalisierter Religionskritik nicht thematisiert: „[Es] besteht in der AG Einigkeit dahingehend, dass eine Kritik des Islam wie jeder Religion, d.h. eine Kritik der Religion selbst, in einer freiheitlichen Gesellschaft zu akzeptieren ist und gegebenenfalls als Aufruf zum Diskurs verstanden werden sollte.“ (Zwischenbericht, S. 5)

Die Rassismusforscherin Iman Attia hebt hervor, dass Religionskritik historisch gesehen vor allem Kritik an der eigenen Religion war. Sie bemängelt zudem, dass „hegemoniale Islamkritik in ‚westlicher‘ Perspektive […] ‚die eigene‘ Religion von der Kritik aus[nimmt] und […] sie als gelungenes Vorbild für Modernisierung und Säkularisierung“ präsentiert. In einer essentialisierenden und dichotomisierenden Sichtweise würden sowohl Differenzierungen innerhalb der Religionen als auch Gemeinsamkeiten zwischen ihnen unterschlagen, weshalb eine solche, hegemoniale Diskurse stärkende „Islamkritik“ weder religions- noch gesellschaftskritisch orientiert sei  (vgl. Attia 2010, S. 113).

Für die Rassismusforscherinnen Annita Kalpaka und Nora Räthzel ist „Kritik […] eine Kommunikationsform, die nur unter Gleichberechtigten möglich ist, wenn sie nicht bloße Machtausübung sein soll.“ (Kalpaka/Räthzel 2000, S. 190) Die Frage der Machtasymmetrie gilt es auch in Hinblick auf den Umgang mit Religionskritik, die aus einer dominanten gesellschaftlichen Position heraus gegenüber Minorisierten geübt wird, im Hinterkopf zu behalten. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass es nicht auch aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft legitime Kritik an der religiösen Praxis von Minderheitenangehörigen, der Verbandspolitik muslimischer Organisationen oder an politischen Gruppierungen, die sich einer religiösen Rhetorik bedienen, geben kann. Eine solche Kritik richtet sich jedoch – will sie nicht ins Leere laufen – nicht an „den Islam“ oder „die Muslime“, sondern an konkrete AkteurInnen.

Fazit
Es ist begrüßenswert, dass im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz das Problem der „Muslimfeindlichkeit“ (oder wie auch immer man es bezeichnen mag) aufgegriffen wurde. Die Diskussion um den dafür zu verwendenden Begriff wurde von den wissenschaftlich geführten Debatten und ihren Erkenntnissen jedoch weitgehend abgekoppelt. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Begründung für die Favorisierung des Terminus „Muslimfeindlichkeit“: „Dass dieser Begriff in der öffentlichen Debatte noch nicht etabliert ist, wird eher als Vorteil denn als Nachteil angesehen. Der Begriff ist nicht vorbelastet und könnte Neugierde wecken.“ (Zwischenbericht, S. 4) Auf die Anschlussfähigkeit der gewählten Terminologie wurde also kein Wert gelegt.

Im internationalen wissenschaftlichen Austausch, der größtenteils auf Englisch geführt wird,  lässt sich die deutsche Begriffskonstruktion mit „-feindlichkeit“ nicht so einfach übertragen. Dort dominiert der Begriff „Islamophobia“, der zu Recht wegen seiner pathologisierenden Implikation wiederholt kritisiert wurde. Letztendlich kommt es nicht nur darauf an, einen griffigen Begriff  zu finden, sondern ihn auch inhaltlich und konzeptionell zu definieren. Und hier zeigt sich, dass „Islamophobia“ auch in den USA und in Großbritannien zunehmend als eine Form des Rassismus eingeordnet wird und teilweise synonym mit dem Begriff „anti-Muslim racism“ Verwendung findet (vgl. z.B. Grosfoguel/Mielants 2006 und Meer/Modood 2010).

Da Rassismus ein weitverbreitetes Phänomen ist, ist ihm nicht dadurch beizukommen, dass man den „Begriff des Rassismus […] keinesfalls inflationär verwendet“, wie es im Zwischenbericht heißt (S. 5). Auch wenn es stimmt, dass eine Beliebigkeit im Umgang mit dem Terminus dessen analytische Schärfe schwächt, darf die Schlussfolgerung nicht darin liegen, ihn zu vermeiden. Stattdessen sollte man an wissenschaftlichen Kriterien entwickelte Definitionen nutzen und das Phänomen benennen, um ein entsprechendes Problembewusstsein zu schaffen – das ist der erste Schritt zu seiner Bekämpfung.

Endnote
(1) Ausgehend von der Erkenntnis, dass es zwar keine biologischen menschlichen "Rassen" gibt, diese jedoch wirkmächtige soziale und politische Konstrukte darstellen, wird in der Rassismusforschung unter dem Begriff "racialisation" (dt. Rassifizierung) der Prozess verstanden, im Zuge dessen aus einer dominanten gesellschaftlichen Position heraus bestimmte Gruppen als natürliche Gruppen konstruiert, mit kollektiven Zuschreibungen versehen und in binärer Anordnung zur Eigengruppe positioniert werden.

 

Literatur

  • Attia, Iman 2010: Islamkritik zwischen Orientalismus, Postkolonialismus und Postnationalsozialismus, in: Bülent Ucar (Hg.), Die Rolle der Religion im Integrationsprozess. Die deutsche Islamdebatte, Frankfurt am Main, S. 113- 126.
  • Bergmann, Werner/Erb, Rainer 1986: Werner Bergmann/Rainer Erb: Kommunikationslatenz, Moral und öffentliche Meinung. Theoretische Überlegungen zum Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 38, S. 223-246.
  • Bergmann, Werner/Heitmeyer, Wilhelm 2005: Antisemitismus: Verliert die Vorurteilsrepression ihre Wirkung? Deutsche Zustände, Bd. 3, Frankfurt a. M., S. 224-238.
  • Decker Oliver et al. 2010: Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010, Berlin.
  • Grosfoguel, Ramon/Mielants, Eric 2006: The Long-Durée Entanglement Between Islamophobia and Racism in the Modern/Colonial Capitalist/Patriarchal World-System, in: Human Architecture. Journal of the Sociology of Self-Knowledge 5, H.1, S. 1-12.
  • Heitmeyer, Wilhelm 2003-2010: Deutsche Zustände, Bd. 2ff., Frankfurt a. M.
  • Kalpaka, Annita/Räthzel, Nora: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, in: Räthzel, Nora (Hg.) 2000: Theorien über Rassismus, Hamburg/Berlin, S. 177-190.
  • Melter, Claus/Mecheril, Paul (Hg.) 2009: Rassismuskritik. Rassismustheorie und -forschung, Schwalbach.
  • Meer, Nasar/Modood, Tariq 2010: The Racialisation of Muslims, in: Sayyid, S./Vakil, AbdoolKarim (Hg.): Thinking through Islamophobia. Global Perspectives, London, S. 69-83.
  • Terkessidis, Mark 2004: Die Banalität des Rassismus. Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive, Bielefeld.
  • Zick, Andreas/Küpper, Beate/Hövermann, Andreas 2011: Die Abwertung der Anderen. Eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung, Berlin
  • Zwischenbericht über die Arbeit der Arbeitsgruppe „Präventionsarbeit mit Jugendlichen“ der Deutschen Islam Konferenz.

 

Yasemin Shooman ist Historikerin und Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Antimuslimischer Rassismus/Islamfeindlichkeit, Migration und Medienanalyse.

(Juli 2011)