Traditionen des ‚neuen’ Diskursfeldes "Kritische Weißseinsforschung" in Deutschland

 

von Peggy Piesche

Der Originalartikel von 2006 wurde im Juli 2013 durch eine aktualisierte Version ersetzt

Die zentralen Strategien in der Konstruktion von Weißsein sind bekannt und vor allem für marginalisierte und ethnisierte Menschen in ihrem Alltagsleben immer wieder zu dekodieren. Denn, die „Prozesse der Dekonstruktion weißer Normalitäten sind integrierte und essentielle Bestandteile der vielschichtigen Schwarzen Befreiungs- und Widerstandskämpfe“ (1) in weißen hegemonialen Machtzusammenhängen. Wenn sich die Kritische Weißseinsforschung nunmehr auch in den deutschsprachigen akademischen Diskurs einzuschreiben scheint, drängen sich Fragen nach der Originalität, der Adressiertheit und dem Nutzen dieser sich nunmehr etablierenden Disziplin auf.

Im Vorfeld und während der Entstehung des gerade Ende 2005 erschienenen Buches Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland (hg. von Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche und Susan Arndt) wurde das Konzept einer historischen Integrativität Schwarzer Perspektiven in der Kritischen Weißseinsforschung immer wieder mit Originalitäts- und Tradierungsansprüchen einer weißen hegemonialen Forschungsperspektive konfrontiert und herausgefordert. Die Kritische Weißseinsforschung als Analysekategorie, die in der bisherigen dominanten Rezeption durchgängig in ihrer englischsprachigen Entsprechung als Critical Whiteness bereits auf ihre angloamerikanische Herkunft verweist, sollte demnach als Teil eines akademischen Diskurses aus dem US-amerikanischen Kontext auch im deutschsprachigen Diskurs fruchtbar gemacht werden. 

Dieser Argumentation folgend wäre die Kritische Weißseinsforschung nunmehr endlich auch im deutschen Kontext angekommen. Diese Leseart vernachlässigt jedoch nicht nur bereits früher zu datierende akademische Arbeiten, sie negiert auch vollständig „die tief greifenden und fortlaufenden Auseinandersetzungen mit den jeweils auch kontextspezifischen Bedingungen von Weißsein in den politischen und emanzipatorischen Kämpfen“ (2) von Schwarzen Menschen und People of Color in Deutschland. Deren permanente Dekonstruktion und Dekodierung der Mythen im Alltag stellen eine reichhaltige Quelle für die Kritische Weißseinsforschung dar. Erste Arbeiten dazu sind in der Tat bereits in den späten 90er und frühen 2000er Jahren erschienen.

So konfrontiert wohl die erste Arbeit zum Thema Weißsein in Deutschland bereits 1983 die normative Rezeption des Eigenen, mit einer üblichen Rassifizierung des Anderen, mit eben diesen Gewohnheiten und markiert Weißsein in seinen kontextspezifischen Bedingungen in einer Spannbreite vom bundesdeutschen kirchlichen Alltag hin zum universitären Wissenschaftsdiskurs. Diana Bonnelamé wendet in ihrer Dissertation zu den Initiationsverfahren weißer deutscher Jugendlicher evangelischen Glaubens Methoden der Völkerkunde an und fordert so mit ihrer Arbeit die völkerkundliche Betrachtung auch der weißen Deutschen ein. Die Schwierigkeiten, denen sie im universitären Diskurs mit einem solchen Ansatz begegnet, stellt sie schließlich in der Dokumentation »Wie andere Neger auch« dar. In dieser bemerkenswerten Arbeit, die Einblicke in die Hierarchien, Diskussionen und Machtdynamiken sowohl im Wissenschaftskontext als auch in den alltäglichen, konfessionsbestimmten Bedingungen gibt, arbeitet Bonnelamé deutlich die Unterschiede und Grenzen einer Verfahrensübernahme auf das Thema Weißsein heraus. In der Einstiegssequenz analysiert sie ein Wandgemälde, welches eine klassische Kolonialszene darstellt: Umringt von spärlich bekleideten Schwarzen Menschen sitzt ein weißer Mann mit Notizbuch. Bonnelamé verweist auf die Selbstverständlichkeit des weißen Ethnologen, der sich der ihm eigenen Definitionsmacht, der Macht mit seinen Beobachtungen Wissen zu schaffen, vollständig bewusst ist. Im Unterschied zu ihm muss Bonnelamé durchaus auf ihre >Neger hier< Rücksicht nehmen, haben diese schließlich Einfluss darauf, was an die Öffentlichkeit gelangt und was nicht.

Bonnelamé entlarvt bereits in einem prä-postmodernen Wissenschaftsdiskurs Nicht-Problematisierung eigenen Weißseins und die Schwarze Statthalterschaft des Abgespaltenen, welches aus weißer Sicht das verkörpert, was faszinierend und begehrenswert ist, was Lust macht, aber auch Angst. Mit Schlüsselbegriffen des ethnologischen Diskurses provoziert Bonnelamé im weißen hegemonialen Blick dieses Unbehagen der eigenen Differenzmarkierung, die, dem System folgend, ja unweigerlich mit einer Abwertung verbunden sein müsste. Die von Bonnelamé angewandten Techniken der Mimikry zeigen Schwarze Überlebensstrategien im weißen Mainstream auf.

Nicht zuletzt auch deshalb steht der bereits zitierte Band nicht nur für eine, erstmals auch in Deutschland vorgelegte, Problematisierung der Normativität von Weißsein als Rassekonstrukt und gewaltvoller gesellschaftlicher Realität, sondern vielmehr auch für eine explizite Schwarze Kritik an diesen exklusiven, mächtigen weißen >kritischen< Diskursen für die Selbstrepräsentation eines (antirassistischen) Weißseins. Die Analysekategorie Weißsein wurde nicht zuletzt auch im Kontext Schwarzer Hegemonialkritik gebildet und ist ebenso Teil einer tradierten Schwarzen Überlebensstrategie wie auch Schwarzer politischer Bewegungen. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland ist damit keineswegs ein rein akademisches Feld, sondern auch die alltägliche Reflexion Schwarzen Lebens in einem hegemonialen weißen Setting.

Diese Schwarzen Perspektiven dechiffrieren Weißsein als Bedeutung produzierende Wirklichkeitskonstruktion mit realen, nicht selten gewaltvollen Realitäten. Die Repräsentationskritik in so unterschiedlichen Bereichen wie z.B. kanonisierter Kultur (Schwarze SchauspielerInnen im weißen Theater) oder historisch uneingebettetes Gesundheitssystem (Schwarze Menschen in der Pflege) richtet die Analyse auf die soziale Praxis von Weißsein. Gerade solche Perspektiven tragen dazu bei, die Normalität/Normativität des hegemonialen Diskurses zu durchbrechen, indem Weißsein ins Zentrum des Blickfeldes gerückt, explizit benannt und in sozialen Interaktionen subversiv umgedeutet wird.

Kontextualisierung von Weißsein in historischen Zusammenhängen
Die Dekonstruktion der hegemonialen weißen Positionalitäten benötigt eine Kontextualisierung von Weißsein in historisch verankerten und reflektierten Zusammenhängen. Die Arbeiten zu einer Schwarzen Historisierung im weißen Setting, die eine von einer weißen Definitionsmacht unabhängigen Subjektivität situieren wollen, tragen dazu bei, die Dialogizität, die der Analysekategorie Weißsein schließlich auch eingeschrieben ist, aufzuzeigen und eröffnen Wege, Weißsein theoretisch bzw. methodisch erfassen zu können, ohne dessen Hegemonie zu stützen.

Kritische Weißseinsforschung ist in Deutschland daher nicht ohne Schwarze Forschungsperspektiven zu denken. Der Band stellt dazu eine Standortbestimmung dar, sondiert sozusagen den Diskurs im deutschen (akademischen) Kontext und möchte schließlich zu einer Begriffsmakrotesierung der Kritischen Weißseinsforschung führen.

 

Fußnoten
(1) So Araba Evelyn Johnston-Arthur in ihrem Aufsatz „Weiß-heit“, mit dem sie den Blick auf eine Kritische Weißseinsforschung in Österreich maßgeblich anstieß und vorantrieb. In: Historisierung als Strategie. Positionen-Macht-Kritik. Eine Publikation im Rahmen des antirassistischen Archivs, BUM - Büro für ungewöhnliche Maßnahmen, hg. von Araba Evelyn Johnston-Arthur, Ljubomir Bratic und Andreas Görg, Wien 2004, S. 10-11. 
(2) Ebn., S. 11.

Literatur

  • Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche und Susan Arndt (Hg), Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Unrast Verlag, Münster 2005.

 

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Peggy Piesche, geboren 1968 in Arnstadt/Thüringen, ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Sie hat an verschiedenen Universitäten gelehrt. Z.Z. arbeitet sie als wiss. Mitarbeiterin im Projekt „BEST" an der Uni Mainz. Sie engagiert sich bei ADEFRA.