Fabian Junge, Referent im Multiplikatorenprojekt Transfer des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ bei der ebb GmbH, über die Möglichkeiten und Grenzen der beruflichen Anerkennung für Flüchtlinge.
Wer als Geflüchteter über eine abgeschlossene Berufsqualifikation verfügt, für den oder die ist deren formale Anerkennung ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Arbeitsintegration. Denn in vielen Berufen ist ohne Anerkennung eine Zulassung in Deutschland gar nicht möglich. Und auch in Branchen, in denen eine Anerkennung nicht zwingend vorgesehen ist, erhöht sie die beruflichen Chancen. Eine kürzlich vorgestellte Evaluation im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) untersuchte die Wirkung der Anerkennungsgesetze. Über 80 Prozent der rund 800 befragten Personen gaben hier an, dass sie mit der beruflichen Anerkennung einen beruflichen Ein- bzw. Aufstieg erreicht haben. Der Anteil der Personen, die berufsadäquat beschäftigt sind, steigt signifikant mit der beruflichen Anerkennung, ebenso wie das durchschnittliche Bruttoeinkommen, das um 26 Prozent zunimmt.
Das Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen wurde auf Bundesebene mit dem Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG) von 2012 und auf Landesebene mit den zwischen 2012 und 2014 verabschiedeten sogenannten Landesanerkennungsgesetzen neu geregelt. Da das Verfahren unabhängig von Herkunft oder Aufenthaltsstatus ist, steht es auch Geflüchteten offen – und das prinzipiell ab dem ersten Tag ihrer Ankunft in Deutschland. Auch die Antragstellung aus dem Ausland ist möglich. Das BQFG schreibt zudem einen Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren fest und sieht vor, dass das Verfahren innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein muss.
Kern des Anerkennungsverfahrens ist die Prüfung, ob eine ausländische Berufsqualifikation einem deutschen Referenzberuf gegenüber als gleichwertig anzusehen ist. Zuständig sind die jeweiligen Kammern oder Berufsvereinigungen. Die passende Stelle kann, sofern der deutsche Referenzberuf bekannt ist, über das Internet-Portal „Anerkennung in Deutschland" gefunden werden.
Wenn der ausländische Abschluss gleichwertig zum deutschen Referenzberuf ist, erhalten die Antragstellenden eine sogenannte Gleichwertigkeitsbescheinigung, durch die sie Personen mit einem deutschen Berufsabschluss rechtlich gleichgestellt sind. Häufig ergibt die Prüfung aber, dass wesentliche Unterschiede zwischen dem aus- und inländischen Berufsabschluss bestehen. Können die Unterschiede nicht durch Berufserfahrung oder andere Nachweise ausgeglichen werden, müssen die Antragstellenden in reglementierten Berufen eine Ausgleichsmaßnahme absolvieren. In nicht-reglementierten Berufen erhalten Antragstellende einen Bescheid über die "teilweise Gleichwertigkeit", mit der sie sich direkt auf dem Arbeitsmarkt bewerben können. Wer möchte, kann eine Anpassungsqualifizierung absolvieren und danach die volle Gleichwertigkeit beantragen.
Um die Umsetzung des BQFG zu begleiten und Eingewanderte bei der Anerkennung ihrer Berufsqualifikationen zu unterstützen, wurde eine umfassende Beratungsstruktur aufgebaut. Das aus ESF- und Bundesmitteln finanzierte Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ bietet an über 100 Orten im Bundesgebiet eine spezielle Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung sowie zusätzliche mobile Beratungen an, in denen seit 2012 insgesamt über 81.000 Menschen beraten wurden (IQ Fachstelle Beratung und Qualifizierung 2015). Zudem hält das Förderprogram spezielle Qualifizierungsangebote bereit, die den Ausgleich „wesentlicher Unterschiede“ zum deutschen Referenzberuf, die Verbesserung der Arbeitsmarktchancen oder die berufsbezogene Sprachförderung zum Ziel haben. Die durch den Europäischen Sozialfonds und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Angebote des Förderprogramms IQ sind kostenfrei und stehen Flüchtlingen unabhängig vom Aufenthaltsstatus offen.
Qualifikationsanalysen – Berufliche Anerkennung ohne Dokumente
Viele Flüchtlinge, die von einer beruflichen Anerkennung profitieren könnten, kommen verständlicherweise ohne ausreichende Nachweise über ihre Qualifikationen nach Deutschland – dies berichten auch die Beraterinnen und Berater des Förderprogramms IQ. Eine nachträgliche Beschaffung der Dokumente im Herkunftsland wäre nicht zumutbar oder ist schlicht nicht möglich. Ein Anerkennungsverfahren auf Grundlage von Zeugnissen und anderen Unterlagen ist deshalb oft nicht denkbar. Das BQFG sieht laut §14 für solche Fälle die Möglichkeit der Gleichwertigkeitsprüfung über sogenannte „Sonstige Verfahren“ vor, in erster Linie mittels Qualifikationsanalysen.
Eine Qualifikationsanalyse wird von Expert/innen, zum Beispiel einer Handwerksmeisterin, im Auftrag der zuständigen Stelle durchgeführt. Sie dient dazu, berufliche Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten zu dokumentieren, die nicht schriftlich nachgewiesen sind. Als Methoden kommen etwa Arbeitsproben, Fachgespräche oder -präsentationen sowie Probearbeit im Betrieb in Frage. Die zuständige Stelle verwertet die Dokumentation der Ergebnisse dann im Anerkennungsverfahren und ersetzt damit den schriftlichen Qualifikationsnachweis.
Prinzipiell bedeutet dies für Flüchtlinge, die ohne vollständige Dokumente nach Deutschland kommen, eine große Chance auf eine berufliche Anerkennung. Doch in der Praxis werden Qualifikationsanalysen bisher selten angewandt. Mögliche Gründe hierfür sind der relativ hohe Aufwand, der mit einem für jeden Einzelfall neu zu entwickelnden Verfahren verbunden ist, sowie die teils hohen Kosten. Das Projekt „Prototyping Transfer“ des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) arbeitet seit Anfang 2015 daran, die Anzahl von Qualifikationsanalysen deutlich zu steigern. Mit Leitfäden und Beratungsangeboten zur Durchführung der Verfahren soll der Aufwand verringert werden. Ein Sonderfonds innerhalb des Projekts ermöglicht die Finanzierung individueller Qualifikationsanalysen, denn Arbeitsagenturen oder Jobcenter können die Kosten nur für ihre Klientinnen und Klienten übernehmen.
Kompetenzfeststellung – Aufwertung und Berücksichtigung non-formeller Kompetenzen
Die meisten Menschen erwerben einen Großteil ihrer Kompetenzen außerhalb ihrer Berufsausbildung. Das bedeutet, dass auch Geflüchtete, die keinen formalen Abschluss mitbringen, über viele berufliche Kompetenzen verfügen können. Während Qualifikationsanalysen ausschließlich der Anerkennung formaler Qualifikationen dienen, ermöglichen Kompetenzfeststellungen die Validierung non-formeller Kompetenzen. Sie bieten deshalb auch eine Chance für Flüchtlinge ohne formale Abschlüsse, gegenüber Arbeitgebern ihre Erfahrungen und Fertigkeiten darzustellen.
Michael van der Cammen, damals Leiter der Koordinierungsstelle Migration und heute Bereichsleiter Migration und Geflüchtete bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), benannte in seiner Stellungnahme im Bildungsausschuss des Bundestages die frühe Feststellung vorhandener Kompetenzen als einen wichtigen Schritt für die Arbeitsintegration von Flüchtlingen. Er beklagte jedoch, dass in Deutschland der formale Abschluss fast mehr wiege als die real vorhandene Kompetenz.
Weiterführende Informationen:
- Informationen zur beruflichen Anerkennung für Flüchtlinge: https://www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/1843.php
- Informationen den Angeboten des Förderprogramms IQ: www.netzwerk-iq.de
- Informationen zum Projekt Prototyping Transfer: http://www.bibb.de/de/26147.php
Dieser Artikel erschien in unserem Dossier „Arbeitsmarktintegration“ aus der Reihe „Welcome to Germany“.