Integration stiften!

Vorwort zur Studie von Cem Özdemir

Die Studie Integration Stiften!  wurde unter der Leitung von Cem Özdemir im Auftrag der Körber-Stiftung an der Humboldt-Viadrina School of Governance erstellt. Sie erschien im Dezember 2004. 

In den letzten Jahren ist die Integration von Migranten verstärkt ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt. Mittlerweile gilt sie als eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben. Sowohl Politik als auch Gesellschaft haben endlich anerkannt, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist. Migranten haben dieses Land in der Vergangenheit geprägt und werden es auch in der Zukunft tun.

Die größere Aufmerksamkeit, die dem Thema geschenkt wird, hat gleichzeitig zu Tage gefördert, dass es einem Teil der - mitunter schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebenden - Migranten an grundlegenden Ressourcen mangelt. Gerade jene aus den ehemaligen Anwerbestaaten sind besonders stark vom anhaltenden Strukturwandel und Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrie betroffen. Bei den angesprochenen Ressourcen handelt es sich aber nicht nur um Bildung, Beschäftigung und Einkommen, allesamt zwingende Voraussetzung für eine erfolgreich verlaufende Integration und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind, sondern sie beinhalten auch die Einbindung in soziale Netzwerke, die über die eigene ethnische Gruppe hinausreichen. Die Probleme beschränken sich zudem nicht nur auf die direkt Betroffenen, sondern übertragen sich auf die nachfolgende Generation.

Die Situation der „zweite Generation“ weist, trotz durchaus vorhandener positiver Zeichen, mitunter dramatische Züge auf. Das zeigt nicht zuletzt der hohe Anteil von jugendlichen Migranten ohne Schulabschluss. Vergleichbares kann aus dem besorgniserregenden Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit dieser Gruppe in Großstädten wie etwa Berlin geschlossen werden. Staat, Gesellschaft als auch die Migranten selbst haben es zu gleichen Teilen versäumt, durch entsprechende Anstrengungen dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund (wozu auch deutschstämmige Aussiedler zählen) günstige Bedingungen vorfinden, um sich in Schule und Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Staat und die Länder hätten schon viel früher erkennen müssen, dass diese Familien nicht in der Lage sein werden, die an sie gestellte Aufgabe – etwa die Vermittlung der deutschen Sprache – alleine zu bewältigen. Zu dieser Einsicht hätte auch die Erkenntnis gehört, dass die Bildungseinrichtungen ebenfalls nicht vorbereitet waren. Die Migranten selbst, ihre Organisationen und ihre jeweiligen Vertreter hätten schon viel früher und noch nachdrücklicher ihre Interessen (und die ihrer Kinder) artikulieren müssen. Hier ist allerdings nicht der Ort, einer Partei in diesem Prozess den „schwarzen Peter“ zuzuschieben: Integration ist ein beid- und wechselseitiger Prozess, bei dem sowohl Gesellschaft als auch Migranten gleichermaßen gefordert sind; im Grunde eine banale Erkenntnis, die allerdings noch nicht bei jedem und überall angekommen ist.

Am 1. Januar 2005 sind die wichtigsten Neuerungen des Zuwanderungsgesetzes in Kraft getreten. Dort ist erstmals festgelegt, dass Neu-Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten einen Integrationskurs besuchen müssen. Der darin enthaltene Sprachkurs ist Ausdruck der Wichtigkeit von Sprachkenntnissen für eine erfolgreiche Integration. Die PISAStudie hat gezeigt, dass Migrantenkinder gerade beim Lesen und Textverständnis Schwierigkeiten haben, die sich dann kumulativ auf weitere Schulfächer auswirken. Gleichzeitig hat diese Studie ermittelt, dass in keinem anderen Industrieland der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft (Bildung und Einkommen der Eltern) und dem Schulerfolg der Kinder so stark ist wie in Deutschland. Das betrifft auch deutsche Arbeiterkinder, gilt aber in verstärktem Maße für Migranten.

Was sind die Schlussfolgerungen aus PISA? Kinder, deren Umgangssprache nicht Deutsch ist, müssen so früh wie möglich eine sprachliche Förderung erfahren. Was in jungen Jahren versäumt wird, kann später, wenn überhaupt, nur unter größten  Anstrengungen wieder ausgeglichen werden. Dabei müssen wir endlich auch erkennen und die Schlussfolgerungen daraus ziehen, dass ein Teil der Migrantenfamilien die sprachliche Erziehung nicht in selbem Maße leisten kann wie deutsche Eltern. Deshalb ist es notwendig, dass Migrantenkinder bereits im Kindergarten spielerisch die deutsche Sprache erlernen. Letzteres gilt auch für deutsche Kinder aus sozial schwachen Familien. Denn wie wir aus der Berliner Sprachstandsmessung mittlerweile wissen, bringt eine deutsche Herkunft nicht automatisch ausreichende Deutschkenntnisse für eine erfolgreiche Schullaufbahn mit sich. Entscheidend ist, wie PISA ermittelt hat, nicht die ethnische, sondern soziale Herkunft!

Ferner brauchen wir mehr Migranten in Führungspositionen, sei es in Politik, Wirtschaft oder Kultur. Die vorhandene Vielfalt der Gesellschaft sollte sich in den verschiedenen Bereichen auch widerspiegeln. Politiker mit Migrationshintergrund sollten eines Tages ebenso wenig ein exotischer Ausnahmefall sein wie ein kurdischstämmiger Arzt oder deutsch-türkischer Filmemacher. Gerade bei der sprachlichen Förderung von Migrantenkindern wie auch bei der Förderung einer „Bildungselite“ – die dann als wichtiges Vorbild für andere Migranten dienen und zudem so manches „Bild vom Migranten“ gerade rücken kann – können insbesondere Stiftungen in Deutschland wichtiges leisten. Und sie tun es bereits.

Die langfristigen und dauerhaften Folgen der Migration haben die Stiftungen nicht nur erreicht, sie nehmen diese Herausforderung offen an, wie die im vorliegenden Bericht beschriebenen Projekte verdeutlichen. Diese Untersuchung stellt erstmals dar, in welcher Form Stiftungen in Deutschland sich engagieren, um Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund besser in das Bildungssystem zu integrieren. Die gegenwärtigen Vorzeichen sind ermutigend, wie die dargestellten Fördermaßnahmen demonstrieren. Gleichzeitig sollte aber auch klar werden, welches Potenzial nach wie vor für Stiftungen in Deutschland im Bereich der Bildungsintegration von Migranten besteht. Diese Studie erreicht ihren Zweck, wenn Stiftungen hierzulande animiert werden, bereits vorhandene Bemühungen stärker publik zu machen, um dadurch noch mehr Migrantenkinder und – jugendliche zu erreichen. Weiteres Anliegen dieser Untersuchung ist, potenzielle Förderer zu ermutigen, sich an vorhandenen Projekten zu beteiligen oder selbst innovative Programme aufzulegen.

Ich danke allen voran den Autorinnen und Autoren dieses Berichts, Sükrü Uslucan, Silke Heuser und Todd Ettelson, für ihren Einsatz und die aufschlussreichen Beiträge. Mein Dank gilt außerdem meinem Referenten Veysel Özcan, der mich bei der Projektleitung unterstützt hat. Auch danke ich Stephan Gutzeit, Mitglied des Gründungskomitees der Humboldt-Viadrina School of Governance, der das Projekt mit Interesse begleitet hat. Meine besondere Anerkennung gilt der Körber-Stiftung, die das Projekt durch ihre Finanzierung erst möglich machte.

Die Studie "Integration stiften!" untersucht, was Stiftungen in Deutschland leisten, um Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in das Bildungssystem zu integrieren.