Eine Auswertung von Susanna Kahlefeld
In seiner Gliederung ist der Koalitionsvertrag ein enormer integrationspolitischer Rückschritt gegenüber dem, was die rot/grüne Koalition in Gang gebracht und umgesetzt hat, ein Rückschritt gegenüber dem, was in den letzten Jahren gesellschaftliche Realität geworden ist: dass sich die Bundesrepublik als Einwanderungsland begreift.
Der migrationspolitische Teil der Koalitionsvereinbarung „Migration steuern – Integration fördern“, ist nur ein Unterpunkt im Kapitel VIII. „Sicherheit für die Bürger“ (ab Zeile 5643).
Damit wird Migration im Koalitionsvertrag als ein Politikfeld behandelt, dass in erster Linie Sicherheitsrelevanz hat. Explizit werden Integrationshilfen als Maßnahmen zur Befriedung dargestellt, wenn es u.a. heißt, dass die Koalition zur „Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Extremismus“ auf eine Intensivierung des interreligiösen Dialogs, insbesondere mit dem Islam setzt. „Dieser Dialog kann nur gelingen, wenn wir insbesondere junge Muslime sozial und beruflich besser integrieren“. Im Umkehrschluss hieße das: Wer aus Sicht der politisch Verantwortlichen zum Sicherheitsrisiko werden könnte, darf in der Bundesrepublik künftig auf Förderung und interkulturelle Dialogbereitschaft hoffen. Alle anderen Immigranten können darauf lange warten.
Integrationspolitische Vorhaben an anderen Stellen des 191 Seiten starken Papiers fehlen fast völlig, entgegen der programmatischen Aussage, Integrationspolitik sei eine Aufgabe aller Ressorts. Was die einzelnen Vorhaben angeht, ist der Vertrag nur auf einer Skala von unkonkret aber akzeptabel bis mangelhaft zu bewerten.
Unter der Großüberschrift „Sicherheit“ werden außerdem folgende Vorhaben angekündigt:
1. Die Bekämpfung von Fluchtursachen soll durch eine „Zusammenarbeit mit Herkunft- und Transitstaaten“ erreicht werden. Das klingt weder nach ökonomischer noch politischer Entwicklungszusammenarbeit.
2. Es soll künftig „das Bekenntnis des Einzubürgernden zur freiheitlichen demokratischem Grundordnung in den Verleihungsakt einbezogen werden.“
3. Gefordert wird eine „Warndatei“ aller Auslandsvertretungen und es soll im Rahmen der Visa-Erteilung eine Möglichkeit entwickelt werden, Ausländer auch dann noch identifizieren zu können, wenn sie ihre Ausweispapiere vernichtet haben.
4. Die „Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländern“ soll „verbessert“ und „praktische Hindernisse der Abschiebung insbesondere von Straftätern soweit möglich“ beseitigt werden.
5. Genannt wird im Weiteren noch der „Missbrauch von Vaterschaftsanerkennungen zur Erlangung von Vorteilen im Ausländer- und Staatangehörigkeitsrecht“, gegen den vorzugehen sei.
Ein paar Lichtblicke könnte man, liest man den Text entsprechend optimistisch, an folgenden Stellen erkennen:
1. Bei einer Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes soll geprüft werden, „ob eine befriedigende Lösung des Problems der so genannten Kettenduldungen erreicht worden ist. Im Rahmen der Evaluierung ist auch zu prüfen, ob alle Sicherheitsfragen und humanitären Probleme, etwa im Blick auf in Deutschland aufgewachsene Kinder, wie beabsichtigt befriedigend gelöst sind. Ein Prüfauftrag gilt auch für den Bereich Illegalität und die Frage des kommunalen Wahlrechts für Ausländer, die keine EU-Bürger sind.“
2. In der Jungendhilfe ist eine bessere Kooperation mit den Migrantenorganisationen und die Weiterentwicklung der Jugendmigrationsdienste anvisiert.
3. Es wird eine Gesetzesinitiative gegen Zwangsheirat geben.
4. „Die EU-Gleichbehandlungsrichtlinien werden in deutsches Recht umgesetzt.“
5. Zum EU-Beitritt der Türkei heißt es, dass die Beitrittsverhandlungen ergebnisoffen geführt werden. Der Beitritt wird von der Erfüllung aller Verpflichtungen eines EU-Mitglieds durch die Türkei und von der Aufnahmefähigkeit der EU abhängig gemacht.
Hier noch einige Punkte, die ebenfalls völlig unkonkret sind, und nicht im Kapitel VIII. Sicherheit für die Bürger genannt werden:
1. „Jugendliche und Unternehmer mit Migrationshintergrund sollen gezielt für die Beteiligung an der beruflichen Bildung gewonnen werden.“ (Zeile 1692)
2. „Die Besten aus aller Welt müssen in Deutschland attraktive Studien- und Arbeitsbedingungen vorfinden ... Damit wollen wir ... erfolgreich um ausländische Wissenschaftler werben.“ (Zeile 1802 ff)
3. Es sollen weitere Ganztagsschulen eingerichtet werden (Zeile 1627) und Deutschunterricht in der Grundschule hält die Koalition für „notwendig“ (Zeile 1624). Über die Finanzierung ist nichts gesagt.
4. „Wir wollen den Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, für Demokratie und Toleranz fortführen und auf Dauer verstetigen.“ (Zeile 5192) Eine Aussage zur Finanzierung der Projekte, wie sie im Wahlprogramm der SPD zu finden war, fehlt aber.