Von: Memet Kilic, Vorsitzender des Bundesausländerbeirates
Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren einen Wandel in der Wahrnehmung und im Umgang mit Zuwanderung und Integration vollzogen. Die neue Bundesregierung hat die Aufgabe, die Chancen der Pluralität produktiv zu kanalisieren.
I. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpfen
1. Rassistisch motivierte Handlungen sind in Deutschland nicht ausreichend strafbewehrt.
Einerseits ist die Qualifizierung rassistisch motivierter Taten als Beleidigung (§ 185 StGB) zu harmlos; andererseits ist die Schwelle zum Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) zu Recht hoch angesetzt. Um die tiefe Kluft zwischen der Schwere dieser Taten und ihrer derzeitigen strafrechtlichen Sanktion zu überwinden, ist eine Ergänzung des Strafgesetzbuches hin zu einer höheren Bestrafung fremdenfeindlich und rassistisch motivierter Handlungen unerlässlich.
2. Der EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit muss unterstützt werden.
Die geplante Harmonisierung der Definition von rassistischen Straftaten innerhalb der EU sowie die europaweite Geltung ähnlich konsequenter Strafgesetze zur Verfolgung rechtsextremer Straf- und Gewalttaten muss umgesetzt werden.
Das seit dem 01.01.2001 eingeführte Meldesystem für einheitliche Bewertungskriterien bei der Erfassung rassistischer, antisemitischer oder fremdenfeindlicher Straftaten funktioniert nicht „einheitlich“.
3. Selbstorganisationen der Migranten unterstützen.
Während die Bundesrepublik Deutschland auf der europäischen und Weltplattform „den Aufstand der Anständigen“ demonstriert, kämpfen die Selbstorganisationen der Migranten täglich um ihr finanzielles Überleben. Dachorganisationen der Migranten müssen Regelförderungen erhalten, damit der Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Gesichter bekommt.
4. Ein Nationaler Aktionsplan gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ist zu entwickeln.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich auf der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus und Diskriminierung (2001) verpflichtet, einen „Nationalen Aktionsplan gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ zu entwickeln.
5. Die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU sind vorbildlich umzusetzen.
Die Europäische Union hat mehrere wichtige Richtlinien zur Antidiskriminierung verabschiedet, die die Bundesrepublik zum Handeln zwingen. Die Bundesrepublik Deutschland ist ihrer völkerrechtlichen Pflicht bis heute nicht nachgekommen. Aus diesem Grund hat der Europäische Gerichtshof am 28. April 2005 die Bundesrepublik wegen Vertragsverletzung verurteilt.
Die Antidiskriminierungsrichtlinien sind in das deutsche Rechtssystem großzügig und vorbildlich umzusetzen. Die von den Unionspartien favorisierte “eins zu eins – Umsetzung” verkennt den Sinn und Zweck von EU-Richtlinien. Diese Richtlinien setzen für alle Mitgliedstaaten verbindliche Mindeststandards fest und begrüßen es, wenn die Mitgliedstaaten einen höheren Standard erreichen. Deutschland muss bei der Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien seinem Führungsanspruch in der EU gerecht werden.
II. Integration ist Teilhabe
“Integration ist keine Einbahnstrasse”, sondern Teilhabe.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die interkulturelle Öffnung der Verwaltungen auch personell sichtbar zu machen. Die Migranten und ihre Nachkommen müssen so gefördert werden, dass sie in den unterschiedlichen Berufen und anspruchsvolleren Positionen arbeiten können.
III. Staatsangehörigkeitsrecht verbessern.
Die Staatsangehörigkeitsreform von 2000 hat neben ihren positiven Wirkungen wie Kinderstaatsangehörigkeit, auch negative Wirkungen auf das Leben der Migranten gehabt. So haben die Migranten, die nach 2000 ihre ehemalige Staatsangehörigkeit wiedererlangt haben, ihre deutsche Staatsangehörigkeit automatisch verloren.
Die Verteufelung der Mehrstaatigkeit ist nicht mehr zeitgemäß.
Der Umgang mit diesen ehemaligen Deutschen ist ein integrationspolitischer Skandal: Menschen, die mit ihrer Einbürgerung gezeigt haben, dass sie in der deutschen Gesellschaft angekommen sind, sind jetzt nicht nur wieder rechtlich Ausländer, sondern bekommen vielfach einen schlechteren Aufenthaltsstatus als vor ihrer Einbürgerung.
Der Bundesausländerbeirat verlangt deshalb eine sofortige Übergangsregelung für alle, die bei Ihrer Einbürgerung in Deutschland nicht von Amts wegen über die Folgen des neuen Staatsangehörigkeitsrechts informiert wurden. Allen anderen muss zumindest eine Niederlassungsgenehmigung zuerkannt werden. Daher muss § 38 AufenthG dahingehend geändert werden, dass die ehemaligen Deutschen allgemein eine Niederlassungsgenehmigung erhalten.
IV. Kommunalwahlrecht für alle Einwohner der Bundesrepublik
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat am 24. Juni 2005 den Mitgliedstaaten des Europarates empfohlen, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen allen Einwohnern zu gewähren, ungeachtet ihrer Nationalität oder Volkszugehörigkeit.
Eine Grundgesetzänderung, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Beteiligung an den Kommunalwahlen prinzipiell allen Einwohnern einer Kommune ermöglicht, unverzüglich vorzunehmen.
Wenn Sie uns Ihre Meinung zu den Positionen der Parteien mitteilen wollen, schreiben Sie uns an meinung@boell.de
Memet Kilic, Vorsitzender des Bundesausländerbeirates