von Paul Skidmore
Das Europarecht schreibt zwingend vor, die Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG in das nationale Arbeitsrecht umzusetzen. Inhalt der Richtlinien ist unter anderem der arbeitsrechtliche Schutz vor Diskriminierung wegen Rasse, Ethnie, Behinderung, sexueller Orientierung, politischer bzw. religiöser Weltanschauung und Alters . Hinsichtlich der Mehrheit dieser Merkmale ist die Umsetzungsfrist längst verstrichen, ohne dass es zur Verkündung eines entsprechenden deutschen Gesetzes gekommen ist. Der EuGH hat dies in Bezug auf die Richtlinie 2000/43/EG bereits gerügt . Die Politik ist nach wie vor zerstritten, wie der Umsetzungspflicht am sinnvollsten nachzukommen ist.
Am 08. Juli 2005 hat der Bundesrat die Anrufung des Vermittlungsauschusses beschlossen, um das am 17. Juni 2005 vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien überprüfen zu lassen . Angesichts dieser Ratlosigkeit liegt es nahe, den Blick auf andere europäische Rechtsordnungen zu richten, deren Arbeitsrecht schon im Umgang mit Antidiskriminierungsvorschriften vertraut ist, um möglicherweise neue Perspektive für das deutsche Arbeitsrecht zu eröffnen.
Das englische Arbeitsrecht bietet ein interessantes Beispiel, da es einerseits gleichfalls der Pflicht dem Europarecht nachkommen zu müssen unterliegt, andererseits aber durch den Einfluss der starken US-amerikanischen Gesetzgebung geprägt ist, die bekanntlich als Muster für die ersten britischen Antidiskriminierungsvorschriften diente. Zwar herrschen in Deutschland und dem Vereinigten Königreich unterschiedliche kulturelle und arbeitsrechtliche Traditionen, so dass das englische System nicht in allen Bereichen als Vorbild gelten kann. Jedoch ist im Rahmen der Europäisierung des Arbeitsrechts der rechtsvergleichende Blick wichtiger als je zuvor.
Der erste Abschnitt soll einen Überblick über die Gesetzgebung sowie den Stellenwert des Antidiskriminierungsrechts im englischen Arbeitsrecht geben. Im zweiten Abschnitt werden einzelne Prinzipien und Besonderheiten des englischen Systems hervorgehoben.
Grundlagen des englischen Antidiskriminierungsrechts
Gesetzgebung
England hat inzwischen 30 Jahre Erfahrung mit Antidiskriminierungsgesetzen. Der Sex Discrimination Act 1975 zu Diskriminierungen hinsichtlich des Geschlechts und der Race Relations Act 1976 zu Diskriminierungen hinsichtlich der Rasse und Ethnie bilden das Fundament dieser Gesetzgebung. Hinzu kam 1995 der Disability Discrimination Act 1975, der einen etwas schwächeren Schutz in Fällen der Diskriminierung wegen einer Behinderung gewährleistet. Neben der Gewährleistung individuellen Schutzes des Arbeitssuchenden und des Arbeitnehmers sehen diese Gesetze hinsichtlich der Merkmale Geschlecht, Rasse und Behinderung jeweils eine Gleichbehandlungskommission vor. Die Kommissionen übernehmen anders als die Gleichbehandlungskommission in den Niederlanden oder der Ombudsman in Schweden keine Schlichtungs- bzw. Entscheidungsfunktion in Einzelfällen. Vielmehr liegen ihre Aufgaben im Bereich der Beratung, der Forschung, der Öffentlichkeitsarbeit und der Unterstützung ausgewählter Klägerinnen und Kläger in ihren Rechtsstreiten vor Gericht. Aus innenpolitischen Gründen wurde das Antidiskriminierungsrecht in Bezug auf das Merkmal Rasse im Jahr 2000 mit dem Race Relations (Amendment) Act 2000 gestärkt. Der öffentlichen Hand wurden neue Aufgaben auferlegt, um Rassendiskriminierungen vorzubeugen. Das Arbeitsrecht blieb aber im Wesentlichen davon unberührt.
Gemessen an dem von Bob Hepple entworfenen Stufenmodell über die Antidiskriminierungsgesetzgebung weist das englische System bereits einen hohen Entwicklungsgrad auf. Diesem Schema zufolge sind die ersten beiden Stufen erreicht, wenn die Diskriminierung sowohl strafrechtlich verfolgt als auch zivilrechtlich untersagt wird. Das Erreichen der dritten Stufe setzt voraus, dass ein subjektiver Rechtsschutz mit der Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen sowie die dazu gehörige Unterstützung durch öffentliche Institutionen gewährleistet wird. In Bezug auf Geschlecht und Behinderung ist das englische Recht bereits auf diesem Niveau angekommen. Die vierte Stufe umfasst ein positives Recht gegenüber der öffentlichen Hand, Diskriminierungen durch geeignete Maßnahmen vorzubeugen sowie darüber zu berichten. In Bezug auf den Schutz vor Diskriminierungen wegen der Rasse ist auch diese Stufe erreicht.
Andererseits muss betont werden, dass England bis zum Zeitpunkt des Erlasses der neuesten Generation von Antidiskriminierungsrichtlinien im Jahr 2000 nur punktuellen Diskriminierungsschutz in Bezug auf Geschlecht, Rasse und Behinderung kannte. Weil das englische Zivilrecht aber nach wie vor kein allgemeines Diskriminierungsverbot vorsieht, durfte weiterhin auch im Arbeitsalltag z. B. auf Grund des Alters und der sexuellen Orientierung diskriminiert werden . Schutz gegen Diskriminierung aufgrund der Religion wurde in England nur teilweise durch die Rechtsprechung entwickelt. Zwar genießen bestimmte Religionsgemeinschaften – zum Beispiel Juden und Sikhs – weil sie auch als Ethnie gelten, Schutz nach dem Gesetz über Rassendiskriminierung; aber für die großen Gemeinschaften von Moslems, Christen und Hindus bestand jahrelang gar kein Schutz . Durch die neuen Richtlinien wird England also besonders dazu aufgefordert, den Diskriminierungsschutz auf andere Merkmale auszuweiten, nicht aber die Qualität oder Intensität des Schutzes zu vertiefen.
Stellenwert der Antidiskriminierungsgesetzgebung im Arbeitsrecht
Die Rolle des Antidiskriminierungsschutzes muss im Gesamtkontext des englischen Arbeitsrechts betrachtet werden. Während das kollektive Arbeitsrecht in den letzten dreißig Jahren immer mehr an Bedeutung verloren hat, kommt dem individuellen Arbeitsrecht eine immer wichtigere Rolle zu. Beispielhaft für diese Entwicklung sei der Kündigungsschutz genannt: früher konnte dieser konkret nur kollektivrechtlich ausgeübt werden, seit dem Industrial Relations Act 1971 besteht ein subjektiver gesetzlicher Anspruch . Heutzutage bildet der Kündigungsschutz das Kernstück des Individualarbeitsrechts. Hingegen verblasst die normative Wirkung des kollektiven Arbeitsrechts zunehmend.
Das Antidiskriminierungsrecht folgt diesem Schema. Es ist auf der Basis individueller subjektiver Rechte aufgebaut. Das englische Recht sowie die europarechtlichen Richtlinien verstehen die Diskriminierung bzw. die willkürliche Benachteiligung in erster Linie als ein Unrecht gegenüber Einzelpersonen. Erst mit dem Ausbau der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung wurde die wegen der Gruppenzugehörigkeit entstandene Benachteiligung besser erfasst. Nach wie vor arbeitet das Antidiskriminierungsrecht primär jedoch mit einem Modell der reaktiven Einzelfallgerechtigkeit. Das Opfer muss zunächst einen Schaden erlitten haben, bevor es vor Gericht ziehen darf. Der Fall wird dann individuell gelöst. Mit Erreichen der vierten Stufe des Antidiskriminierungsrechts ändert sich dieses Bild aber allmählich, indem eine proaktive Alternative dargestellt wird, die auch von einem Konzept der Gruppengerechtigkeit geprägt ist.
Im Rahmen einer individualisierten Konzipierung des Arbeitsrechts lässt sich die relative Bedeutung des Antidiskriminierungsrechts anhand der jährlichen Statistik der Arbeitsgerichtsbarkeit messen . Während des Berichtszeitraums 2003/4 wurde vor den Arbeitsgerichten ca. 23.000 mal Klage vorrangig aus Gründen der Diskriminierung erhoben. Hinzu kommen ca. 9.000 Fälle, in denen ein Verstoß gegen eine Antidiskriminierungsvorschrift als zusätzlicher Klagegrund genannt wurde. Betrachtet man alle diese Klagen zusammen genommen, kommt man zu dem Ergebnis, dass sich ca. 20 % der Klagegründe auf einen Verstoß gegen eine Antidiskriminierungsvorschrift beziehen. Hingegen besteht die Hauptlast für die Arbeitsgerichte in Kündigungsschutzverfahren. Hauptziel der verfahrenstechnischen Modernisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen im Arbeitsrecht der letzten Jahren war es, die Anzahl der Kündigungsschutzklagen zu vermindern, nicht aber die Anzahl der Antidiskriminierungsklagen.
Zum Ausmaß der Antidiskriminierungsklagen ist anzumerken, dass die gesetzlichen Regelungen nach ihrer Einführung nie zum Gegenstand einer ernsthaften Diskussion wurden, die das Ziel gehabt hätte, deren Schutzwirkung einzudämmen. Selbst zum Höhepunkt des wirtschaftlichen Neoliberalismus in den 80er Jahren – Stichwort Thatcherismus – wurde das Antidiskriminierungsrecht nicht als behauptetes Arbeitsmarkthindernis angeführt. Die Sündenböcke wurden damals vor allem im kollektiven Arbeitsrecht ausfindig gemacht: im Streik- bzw. Tarifrecht, das als Fundament der Gewerkschaften galt . Eingriffe in das individuelle Arbeitsrecht erfolgten in erster Linie beim Zugang zum Kündigungsschutz, nicht aber beim Antidiskriminierungsrecht . Jenes wurde andererseits im Hinblick auf die formale Gleichheit der Geschlechter instrumentalisiert, um Schutzrechte der Arbeitnehmerinnen, z. B. Nachtarbeitsverbote, zu beseitigen .
Als das Arbeitsrecht Anfang der 90er Jahre auf ein Minimum heruntergefahren wurde – zu diesem Zeitpunkt bestanden keine gesetzlichen Regelungen zur Arbeitszeit, zum Jahresurlaub, zu befristeten Arbeitsverträgen, zum Mindestlohn oder sonstigen Lohnbedingungen, usw.; zeitgleich wurde der konkrete Geltungsbereich der Tarifverträge immer schmaler – blieb vielen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nichts anderes übrig, als die Hoffnung auf den Antidiskriminierungsschutz. Diese Hoffnung war allerdings nicht immer berechtigt, denn im Einzelfall blieb die Klage trotz sinnvoller Auslegung der Gesetze häufig erfolglos.
Aus der Statistik des Berichtsjahres 2003/4 lässt sich ermitteln , dass unter allen mit einem Urteil im Sinne der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beendeten Klagen nur ca. 4 % den Verstoß gegen eine Antidiskriminierungsvorschrift als Hauptklagegrund haben. Betrachtet man die jeweiligen Klagegründe einzeln, ist das Ergebnis genau so ernüchternd. Bei allen eingereichten Klagen, in denen ein Verstoß gegen eine Vorschrift der Geschlechterdiskriminierung als Hauptklagegrund genannt wird, also fast 9.000 Klagen insgesamt, werden weniger als 300 mit einem Urteil zu Gunsten der Kläger und Klägerinnen beendet. Dies entspricht einer gerichtlichen Erfolgsquote von ca. 4 %. Dabei ist aber sogleich anzumerken, dass die Statistik keine Auskunft über die Bedingungen jener 25 % der eingereichten Klagen gibt, die mit einem Vergleich beendet werden. Ferner schweigt die Statistik über den tatsächlichen Ausgang der in ihrem Ausmaß nicht unerheblichen Verfahren, die mit einer Zurückziehung der Klage enden. Trotz dieser Einschränkungen lässt sich aber eindeutig zusammenfassen, dass kein objektiver Grund vorliegt, wonach die englischen Arbeitgeber besondere oder erhöhte Angst vor Klagen im Antidiskriminierungsbereich haben müssten.
Grundprinzipien des englischen Antidiskriminierungsrechts
Dieser Abschnitt stellt vier von der Rechtsprechung entwickelte Besonderheiten des englischen Antidiskriminierungsrechts dar, die aus der rechtsvergleichenden Perspektive besonders instruktiv erscheinen.
Diskriminierungsbegriff
Wie das Europarecht kennt auch das englische Recht eine Grundtypisierung, wonach Diskriminierungen in unmittelbare und mittelbare aufgeteilt werden. Zwar treten mittelbare Diskriminierungen in der Praxis durchaus häufig auf. Das englische Recht weist hierzu aber kaum Besonderheiten auf, so dass sich diese Darstellung auf den Begriff der unmittelbaren Diskriminierung beschränkt.
Eine erste wichtige Erkenntnis besteht darin, dass unmittelbare Diskriminierungen auch – sogar regelmäßig – ohne Verschulden geschehen . Daher ist es zur Erfüllung des Tatbestands der unmittelbaren Diskriminierung vollkommen irrelevant, ob der Diskriminierende das Ergebnis gewollt hat oder nicht. Dies führt allerdings nicht dazu, dass das Verhalten des Diskriminierenden außer Acht gelassen wird. Um einen Diskrimierungsverstoß zu begründen, reicht es etwa nicht aus, dass ein nicht erfolgreicher Bewerber nach einem abgeschlossenen Einstellungsverfahren behauptet, er sei Inder und habe die Stelle nicht bekommen. Ohne die zusätzliche Darlegung der Kausalität ist die bloße Nichteinstellung rechtlich gar nicht zu beanstanden. Nur in dem Fall, in dem der Bewerber wegen seiner Ethnie die Stelle nicht bekommen hat, liegt die unmittelbare (Rassen-)Diskriminierung vor. Es sind daher immer die Beweggründe des Arbeitgebers zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist die Frage der Beweislast von besonderer Bedeutung, wie unten bei 2. noch erläutert wird.
Zweitens ist im Hinblick auf den Diskriminierungsbegriff anzumerken, dass er nach dem Race Relations Act besonders weit zu verstehen ist, was dem Gesetz wiederum einen breiten Schutzbereich verleiht. Das Gesetz verbietet seinem genauen Wortlaut nach die Benachteiligung "aufgrund der Rasse" , also irgendeiner Rasse und nicht nur der eigenen. Dadurch wird zu Recht erkannt, dass eine Person auch aufgrund der Rasse anderer Personen, mit denen sie verkehrt oder liiert ist, eine Stigmatisierung erfahren kann. Diese Vorschrift wurde im konkreten Fall angewendet, um einer Arbeitnehmerin bei einer Autovermietungsfirma Rechtschutz zu gewähren . Nachdem sie die Anweisung bekam, keine Autos an Personen mit indisch klingenden Namen zu vermieten, hatte sie gekündigt und berief sich auf die Bestimmungen des Race Relations Act. Dieses Gesetz verbietet zwar ausdrücklich die diskriminierende Anweisung aber es fehlte der entsprechende subjektive Rechtschutz. Nach Auslegung des Diskriminierungsbegriffs durch den Court of Appeal wurde aber deutlich, dass die Arbeitnehmerin aufgrund der Rasse diskriminiert worden sei. In den neuen Umsetzungsvorschriften in Bezug auf sexuelle Orientierung und Religion setzt sich dieses breite Verständnis des Schutzbereichs fort . Leider ist dies beim Schutz vor Diskriminierungen aufgrund der Behinderung nicht der Fall. Hier greift der Schutz nur im Falle der eigenen Behinderung, jedoch zum Beispiel nicht im Falle einer Benachteiligung aufgrund der Behinderung des eigenen Kindes .
Drittens ist zu erwähnen, dass der Diskriminierungsbegriff durch Einbeziehung von Belästigung bzw. Mobbing erweitert wurde. Seit fast 20 Jahren wird erkannt, dass die Erniedrigung einer Person aufgrund der Rasse oder wegen des Geschlechts auch eine Diskriminierung darstellen kann . Jedoch stellt nicht jede Erniedrigung zugleich eine Diskriminierung dar. Um eine Handlung als Diskriminierung einzustufen, verlangt das Gesetz einen Vergleich zwischen zwei Personen. Nur bei der „weniger günstigen Behandlung“ einer Person aufgrund ihres Geschlechts oder aufgrund der Rasse im Vergleich zu einer – ggfs. auch hypothetischen – anderen Person kann die Behandlung als eine Diskriminierung eingestuft werden. Folglich diskriminiert nicht, wer seine Mitarbeiter alle gleich schlecht behandelt. Diese, Belästigungen einbeziehende, Auslegung erntete zum Teil Kritik als eine unzulässige Verbiegung des Gesetzes. Mit der aktuellen Umsetzung der Richtlinien erübrigt sich jedoch die Kritik. Die Antidiskriminierungsgesetze werden angepasst und die Belästigung wird als eigenständiger Tatbestand der Diskriminierung eingeführt . Daraufhin wird es nicht mehr notwendig sein, einen Vergleich anzuführen, um die schlechtere Behandlung zu beweisen. Die langjährige Rechtsprechung zu Belästigungen hat die Akteure am Arbeitsmarkt allerdings für diese Problematik auch in der Zukunft besonders sensibilisiert.
Beweislast
Die europarechtlich geforderte Beweislasterleichterung hat die englische Praxis wenig geändert. Nachdem zu Recht erkannt wurde, dass Diskriminierungen auch ohne Verschulden vorliegen können, hat die Rechtsprechung Hinweise dafür gegeben, wie eine Diskriminierung tatsächlich festzustellen sei . Ob eine Diskriminierung vorliege, müsse aus einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles geschlossen werden. Dabei sei es aber unwahrscheinlich, einen unmittelbaren Beweis für eine Diskriminierung zu finden. Selten sei der Arbeitgeber bereit, auch sich selbst gegenüber eine Diskriminierung einzugestehen. Daher dürfe ein Gericht kaum erwarten, dass es belastende Schriftstücke gebe, in denen diskriminierende Absichte protokolliert würden. Vielmehr müsse es sich fragen, ob die Diskriminierung nicht immanent in dem Verhalten liege.
Wenn dem Gericht zum Beispiel eine Klage über eine behauptete Diskriminierung bei der Einstellung vorliegt, darf es prüfen, inwiefern der Arbeitgeber sich schon im Vorfeld Gedanken über eine diskriminierungsfreie Gestaltung des Vorstellungsgesprächs gemacht hatte oder inwiefern die Auswahlkriterien sachlich waren. Je weniger ein Arbeitgeber solche Überlegungen berücksichtigte, desto wahrscheinlicher wird es, dass das Gericht eine Diskriminierung aus den Tatsachen herleitet. In der Regel hat der Kläger jedoch große Schwierigkeiten, eine überzeugende Beweisführung zu liefern. Daher sieht das englische Gesetz vor, dass der Kläger in einer vorgeschriebenen Form bestimmte Fragen an den Arbeitgeber stellen darf, um an Beweise zu kommen . Beantwortet der Arbeitgeber diese nicht oder weicht er den Fragen aus, darf das Gericht hieraus für ihn nachteilige Schlüsse ziehen .
Von großer praktischer Bedeutung kann für die Arbeitgeber die Aufstellung einer freiwilligen anonymisierten Statistik über Bewerber und Bewerberinnen sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sein. Im öffentlichen Dienst und bei Großunternehmen ist diese Maßnahme schon gängig und mit Bezug auf Rasse für öffentliche Arbeitgeber inzwischen sogar Pflicht . Die statistischen Daten haben eine Doppelfunktion: einerseits erlauben sie die selbstkritische Überprüfung, ob die unternehmerische Gleichberechtigungspolitik zu Erfolgen führt, andererseits können sie gegebenenfalls als Beweis angeführt werden, um einen Vorwurf der Diskriminierung zu widerlegen. Eine solche Statistik ist je nachdem sowohl bei der unmittelbaren als auch mittelbaren Diskriminierung von Bedeutung.
Für die Arbeitgeber sind auch die Verhaltenskodices von Interesse, die von der jeweiligen Antidiskriminierungskommission ausgearbeitet wurden . Diese Dokumente beinhalten eine Vielzahl nützlicher Empfehlungen, die zur praktischen Umsetzung der Gesetze geeignet sind. Das Gericht darf sich auf diese Dokumente beziehen. Sie stellen jedoch nur „Soll-Vorschriften“ und keine „Muss-Vorschriften“ dar . Neben den Kommissionen existiert eine weitere öffentlich-rechtliche Organisation, die Advisory, Conciliation und Arbitration Service (ACAS), die eine Beratungs- und Schlichtungsfunktion bei Fragen der innerbetrieblichen Beziehungen ausübt . Insbesondere bei der nationalen Umsetzung hinsichtlich der Merkmale, hinsichtlich derer keine Kommission vorgesehen ist, also der sexuellen Orientierung und der politischen und religiösen Weltanschauung, hat sie konkrete Empfehlungen für die Praxis ausgearbeitet, damit sich vor allem kleine und mittelständische Unternehmen über die neue Rechtslage informieren können . Um dem Vorwurf der Diskriminierung vorzubeugen, empfiehlt sie beispielsweise Stellen nicht nur in den üblichen Medien, sondern auch in den von unterrepräsentierten Zielgruppen gelesenen Medien, auszuschreiben.
Belästigung oder Mobbing
Zu dieser großen Thematik ist eine Besonderheit der englischen Gesetzgebung hervorzuheben, durch welche die Wirksamkeit des Schutzgesetzes erheblich erhöht wird. Eine gesetzliche Vermutung rechnet zunächst dem Arbeitgeber alle im Zusammenhang mit der Arbeit stehenden Handlungen seiner Mitarbeiter zu . Dies gilt auch für Handlungen, von denen er keine Kenntnis hatte. Im Kern bedeutet diese Regelung, dass der Arbeitgeber grundsätzlich für Belästigungen der Mitarbeiter untereinander haftet. Daher ist es nicht entscheidend, ob der belästigende Mitarbeiter als Vorgesetzter, also im Auftrag des Arbeitgebers, handelt oder nicht. Es wäre jedoch wenig sinnvoll, wenn der Arbeitgeber keine Möglichkeit der Exkulpation hätte. Die vom Gesetzgeber gewählte Lösung sieht vor, dass der Arbeitgeber sich entlasten kann, indem er beweist, dass er durchführbare vorbeugende Maßnahmen eingeleitet hatte .
Diese Gesetzeslage fördert das präventive Eingreifen des Arbeitgebers. Denn es kann je nach den Umständen für ihn zu spät sein, wenn er erst nach einem konkreten Vorfall der sexuellen Belästigung einschreitet, um sie zu unterbinden. Allein seine Unterlassung kann bei einer Einzelfallprüfung schon den Anspruch des Opfers auf Schadenersatz begründen. Daher muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass es allen Beteiligten schon im Vorfeld klar ist, dass sexuelle sowie andere diskriminierende Arten der Belästigung nichts am Arbeitsplatz zu suchen haben .
Rechtsfolgen
Um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, müssen nach europarechtlichen Vorgaben die Rechtsfolgen im Falle einer Diskriminierung wirksam sein und eine abschreckende Wirkung haben . Nach dem englischen Gesetz ist Schadensersatz vorgesehen, wenn die Billigkeit es fordert . Weiterhin wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch Ersatz für immaterielle Schäden verlangt werden kann . Die genaueren Maßstäbe wurden jedoch von der Rechtsprechung entwickelt. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist hier anzumerken, dass die Höhe des Schadensersatzes in England vom Richter und nicht von Geschworenen festgelegt wird. Daraus folgt, dass in England die Schadensersatzsummen eher moderat ausfallen. Laut der Statistik für die Arbeitsgerichtsbarkeit liegt der Mittelwert des gerichtlich angeordneten Schadensersatzes bei erfolgreichen Klagen im Bereich der Diskriminierung wegen des Geschlechtes und der Behinderung bei etwa 8.000 Euro. Bei Rassendiskriminierung liegt der Mittelwert etwas höher bei 11.000 Euro. Dabei ist daran festzuhalten, dass es äußerst selten zu einem Urteil über die Rechtsfolgen kommt. Viel üblicher ist der Vergleich oder die Rücknahme der Klage. In solchen Fällen ist es eher wahrscheinlich, dass niedrigere Summen erzielt werden. Bei Betrachtung der erzielten Summen ist daran zu erinnern, dass bei der Ermittlung des Mittelwerts auch Mobbing-Fälle mitberücksichtigt werden. In Extremfällen leiden die Opfer solcher Diskriminierungen auch an Gesundheitschäden, die neben der Persönlichkeitsverletzung und dem Lohnausfall ersetzt werden müssen. Als konkretes Beispiel ist das Schicksal einer jungen Polizeibeamtin zu erwähnen . Sie wurde während ihrer ersten zwei Jahre im Polizeidienst durch sexuelle Belästigung herausgemobbt. Danach erlitt sie eine Depression und es wurde festgestellt, dass sie künftig wahrscheinlich höchstens noch als Schreibkraft arbeiten konnte. Nach der erfolgreichen Revision des Arbeitgebers wurde die von der Erstinstanz festgelegte Summe für den Lohnausfall von ca. 220.000 Euro bestätigt und der Ausgleich für die immateriellen Schäden auf ca. 45.000 Euro herabgesetzt. Freilich ist dies nicht der Normalfall, es soll aber dazu dienen, die Bereitschaft des englischen Systems zu zeigen, Diskriminierungen bewusst entgegen zu treten.
Fazit
Das englische Arbeitsrecht wird durch Antidiskriminierungsvorschriften sinnvoll ergänzt. Dieses Regelwerk, das einerseits den Beschäftigten einen wichtigen Schutz anbietet und andererseits Organisationen dazu zwingt, sich in ihrer Personalpolitik von Willkür und Vorurteilen zu befreien, verkraftet die englische Volkswirtschaft offensichtlich seit längerer Zeit. Falls das deutsche Gesetz zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien vom 17. Juni 2005 doch nicht in seiner jetzigen Fassung verkündet wird, wäre es durchaus sinnvoll, bei der Debatte zur Überarbeitung des Gesetzes die Erfahrungen auch aus dem europäischen Ausland, zum Beispiel England, zu berücksichtigen.
Überarbeitete Fassung eines am 14. April 2005 im Rahmen des Hans-Böckler-Forums zum Arbeits- und Sozialrecht in Berlin gehaltenen Vortrags. Mit Dank an "Arbeit und Recht" für die Genehmigung des Abrucks.
Paul Skidmore ist freier Autor und Arbeitsrechtsexperte. Er war langjähriger Dozent an der Universität Bristol sowie Marie-Curie Forschungs-Fellow an der Humboldt Universität Berlin.