Über das Dossier

Der Gesetzgeber hat an dem Ansatz des rot-grünen Antidiskriminierungsgesetzes festgehalten, die vier EU-Richtlinien in einem einheitlichen Gesetz umzusetzen, das alle Rechtsbereiche umfasst. Das ist insgesamt anwenderfreundlich und erleichtert den Rechtsschutz für Betroffene. Dennoch ist das AGG ein zum Teil komplexes und schwieriges Gesetz. Gerade für Laien wird sich seine Wirkungsweise erst erschließen müssen. Die hier versammelten Beiträge bieten eine Einführung in das AGG. Sie stellen die gesetzlichen Regelungen dar und erläutern anhand vieler praktischer Beispiele seine Wirkungsweise.

Das AGG in der Praxis

In Vergleich zu anderen Ländern ist die Antidiskriminierungskulturin Deutschland eher unterentwickelt. Dies drückt sich auchin der insgesamt schwachen institutionellen Verankerung des Diskriminierungsschutzes in kommunalen Antidiskriminierungsstellen aus.

Gerade diese unabhängigen AD-Stellen, Betroffenenverbände und viele Nichtregierungsorganisationen fordern seit langen Jahren ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz als rechtliche Grundlage für ihre Arbeit. Und nicht zuletzt ihrem beharrlichen Druck ist nun die Aufnahme aller Diskriminierungsmerkmale – ausgenommen des Merkmals „Weltanschauung“ - auch in den zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz in das AGG zu verdanken.

Es wird nun für eine gelungene praktische Umsetzung des Gesetzes sehr wichtig sein, die vielfältigen Erfahrungen und bewährten Praktiken der oft sehr engagierten Antidiskriminierungsarbeit vor Ort mit den Herausforderungen durch das neue AGG sinnvoll zu verbinden. Nur so kann die Entwicklung einer nachhaltigen Antidiskriminierungskultur in ganz Deutschland ermöglicht werden.

Wie sehen die seit langen Jahren in der konkreten Antidiskriminierungsarbeit tätigen Praktiker das neue AGG? Was sind ihre zentralen Kritikpunkte? Wo sehen sie Fortschritte und was sind ihre Handlungsempfehlungen für die Fallpraxis?

AGG & Diversity

Das europäische Antidiskriminierungsrecht hat einen langen Weg durchlaufen: vom Verbot der Geschlechterdiskriminierung bis hin zu einem Diversity-Ansatz, der alle relevanten Merkmalgruppen umfasst. Eine „non-hierarchical diversity in general“ ist dabei das erklärte gesellschaftspolitische Ziel der europäischen Antidiskriminierungspolitik.

Mit der Ausweitung des Merkmalkatalogs im Amsterdamer Vertrag wurden die Kerndimensionen von Managing Diversity-Konzepten zum zentralen rechtlichen Schutzbereich der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien erklärt. Das AGG hat diesen europäischen Diversity-Ansatz grundsätzlich übernommen und auf eine Hierarchisierung der Diskriminierungsmerkmale verzichtet. Die arbeitsrechtlichen Anforderungen des AGG werden dabei vielen Unternehmen Anlass dazu geben, den gesetzlichen Antidiskriminierungsauftrag durch ein proaktives Managing Diversity positiv zu wenden.

Das AGG in der Diskussion

Die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien in ein deutsches Antidiskriminierungsgesetz war begleitet von einer äußerst heftigen und kontroversen Debatte. Der Ton warhäufig polemisch,oft hatte die Debatteden Charakter eines inszenierten Kulturkampfs, wenn beipielsweise eineunversöhnliche Polarität zwischen „(Vertrags-)Freiheit“ und „Gleichheit“ konstruiert wurde.

Das Gesetz wurde zum Teil gar als eigentlich verzichtbarer bloßer Minderheitenschutz abgetan. Das gesellschaftspolitische Hauptanliegen des Gesetzes, eine verbesserte Zugangsgerechtigkeit für alle BürgerInnen  zu erreichen, wurde dabei gar als "Tugendterror" und "Kulturrevolution“ bezeichnet. Ein mäßigender Ton wurde oft ebenso vermisst, wie ein Blick über den eigenen Tellerrand nach Europa. Eine Betrachtung der langjährigen gutenErfahrungen mit Antidiskriminierungspolitiken hätte sicherlich zu einer Relativierung der aufgeregten Diskussionen in Deutschland beitragen können.

Die Beiträge dieser Rubrik leisten diese konstruktive Versachlichung und stellen die zentralen gesellschaftspolitischen Beweggründe für eine umfassende und nachhaltige Antidiskriminierungspolitik vor.