Antidiskriminierungsgesetzgebung: Eine menschenrechtliche Verpflichtung

Dr. Petra Follmar-Otto, Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa

 

von Petra Follmar-Otto

 

Die Große Koalition hat im Mai 2006 den Entwurf eines ‚Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes’ vorgelegt, der zeitnah verabschiedet werden soll. Es besteht nun Hoffnung, dass die jahrelange Diskussion um eine deutsche Antidiskriminierungsgesetzgebung, die vor allem um die Frage der ‚1 zu 1-Umsetzung’ der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien kreiste, abgelöst wird durch eine Beschäftigung mit der gesellschaftlichen Realität alltäglicher Diskriminierungen durch direkte Benachteiligungen und strukturelle Ausgrenzungen. Verpflichtungen zum Schutz vor Diskriminierung ergeben sich nicht erst aus den EU-Richtlinien, sondern bereits aus den menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands. Die menschenrechtlichen Anforderungen an Gesetzgebung gegen Diskriminierung sollen im Folgenden umrissen werden.

Das Diskriminierungsverbot ist ein Strukturprinzip der Menschenrechte im Ganzen und gehört mit dem Freiheitsanspruch der Menschenrechte eng zusammen: Ohne den Gleichheitsanspruch wären Freiheitsrechte lediglich Privilegien einer bevorzugten Gruppe, aber eben keine allgemeinen Menschenrechte; und ohne die freiheitliche Ausrichtung könnte von Gleichberechtigung von vornherein keine Rede sein. In der Diskussion um Antidiskriminierungsgesetzgebung wird häufig der Einwand vorgebracht, ein solches Gesetz schränke Freiheitsrechte unzulässigerweise ein, insbesondere die in der allgemeinen Handlungsfreiheit begründete Privatautonomie und Vertragsfreiheit. Grundsätzlich ist klarzustellen, dass die Zielsetzung einer Antidiskriminierungsgesetzgebung nicht in der Einschränkung der Freiheit, sondern im Gegenteil in ihrer Universalisierung besteht. Diskriminierungsverbote sollen Optionen gesellschaftlichen Freiheitsgebrauchs auf alle Menschen erweitern. Sie wirken darauf hin, dass die Möglichkeiten, Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden, Mietverhältnisse einzugehen, elementare Lebensrisiken abzusichern, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzunehmen, real für jeden Menschen gegeben sind.

Entwicklungen des menschenrechtlichen Diskriminierungsverbots

Ausweitung der Diskriminierungsmerkmale

Das Diskriminierungsverbot erhält seine konkreten Konturen anhand bestimmter Merkmale, an die keine Benachteiligungen oder Bevorzugungen angeknüpft werden dürfen. Es handelt sich dabei entweder um unabänderliche persönliche Merkmale oder um eng mit der persönlichen Identität eines Menschen verbundene Merkmale, die deshalb auch durch besondere Freiheitsrechte geschützt werden. Beispiele dafür sind Hautfarbe, ethnische Herkunft, Geschlecht, eine Behinderung, Religion und Weltanschauung, Sprache, politische Anschauung, sexuelle Orientierung und sexuelle Identität. Solche - zumeist offenen - Merkmalskataloge sind in Menschenrechtsdokumenten im Laufe der Zeit immer wieder ausgeweitet worden. Dies ist Ausdruck gesellschaftlicher Lernprozesse, die wesentlich auch durch soziale Bewegungen vorangetrieben worden sind und durch die sich neue Sensibilitäten für bestehende Diskriminierungen herausgebildet haben.

De-facto-Gleichberechtigung als Ziel

Diskriminierungsschutz geht über die Herstellung formaler Gleichberechtigung hinaus. Es geht also um die Gewährleistung gleicher Möglichkeiten zur tatsächlichen Ausübung von Menschenrechten. Daraus ergibt sich, dass auch indirekte Formen von Benachteiligung und strukturelle Diskriminierungen vom menschenrechtlichen Diskriminierungsschutz umfasst sind. Vor allem die Überwindung struktureller Diskriminierung kann unter Umständen auch so genannte zeitweilige Sondermaßnahmen – zum Beispiel in Form gezielter Förderung von Menschen aus bisher benachteiligten Gruppen – erforderlich machen. Im Kontext der Menschenrechte sind solche Positivmaßnahmen nicht nur zulässig, sondern zur Überwindung struktureller Diskriminierung notwendig.

Diskriminierungsschutz gegenüber privaten Akteuren

Diskriminierungen geschehen in allen Bereichen der Gesellschaft: in staatlichen Behörden, in Schule und Universität, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, im Versicherungswesen oder beim Zugang zu Gaststätten und Diskotheken. Dass sich daraus die Aufgabe ergibt, das Diskriminierungsverbot nicht nur im öffentlich-rechtlichen Bereich zu beachten, sondern auch gegenüber privaten Akteuren in Wirtschaft und Gesellschaft zur Geltung zu bringen, ist keine neue Einsicht; sie ist in der jüngeren Menschenrechtsdiskussion allerdings deutlicher als zuvor artikuliert worden.

Adressat menschenrechtlicher Verpflichtungen ist zunächst der Staat, im Weiteren aber auch die Gesellschaft im Ganzen. Gegenüber dem Staat entfalten Menschenrechte verschiedene Verpflichtungsdimensionen, die kurz als Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflichten zusammengefasst werden können. Das bedeutet auf das Diskriminierungsverbot bezogen: Der Staat ist nicht nur gehalten, selbst keine diskriminierenden Maßnahmen zu ergreifen; er muss im Rahmen seiner Schutzpflicht auch vor Diskriminierungen durch Private schützen und im Rahmen seiner Gewährleistungspflichten einen adäquaten Rahmen an Gesetzgebung und Institutionen zur Verfügung stellen, damit Betroffene sich gegen Diskriminierungen durch staatliche wie nichtstaatliche Akteure effektiv wehren können. Diese Verpflichtungen sind in mehreren UN-Übereinkommen zum Diskriminierungsschutz explizit niedergelegt.  Die zuständigen Menschenrechtsorgane und -institutionen haben aus diesem Grund in den letzten Jahren Deutschland wiederholt aufgefordert, den Schutz vor Diskriminierung durch eine umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung zu verstärken. 

Diskriminierungsschutz auch im Bereich des Migrations- und Staatsangehörigkeitsrechts

Die Antidiskriminierungsrichtlinien schließen Ungleichbehandlungen auf Grundlage der Staatsangehörigkeit zumindest hinsichtlich der Regelungen des Einreise-, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisrechts explizit aus ihrem Anwendungsbereich aus (Art. 3 Abs. 2 Antirassismus-Richtlinie).  Auch im Menschenrechtsschutz wird die Regelung des Zugangs zum Staatsgebiet herkömmlich als Primat der Nationalstaaten betrachtet, so dass den Staaten in Fragen der Einwanderungsregelungen ein weites Ermessen zugesprochen wird. Dennoch gibt es auch Durchbrechungen dieses Prinzips, etwa in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art. 3 und 8 der EMRK , oder durch die Genfer Flüchtlingskonvention, die zwar kein Recht auf Asyl, aber doch ein Recht auf Zugang zum Asylverfahren gewährt. Durchbrechungen zeichnen sich in den letzten Jahren auch im Bereich des Diskriminierungsschutzes ab, indem die pauschalen Ausnahmeklauseln für Unterscheidungen auf Grundlage der Staatsangehörigkeit in Frage gestellt werden und auch Regelungen des Ausländer- und Staatsbürgerschaftsrechts darauf überprüft werden, ob die Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgt und verhältnismäßig ist. 

Die institutionelle Komponente des Diskriminierungsschutzes

Menschenrechte setzen nicht nur materielle Rechtsstandards, sie gestalten auch einen institutionellen Rahmen zur Förderung und zum Schutz der individuellen Rechte. Das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot verpflichtet die Staaten, einen adäquaten Rahmen zur Verfügung zu stellen, damit Betroffene sich gegen Diskriminierungen effektiv wehren können und das Ziel eines diskriminierungsfreien Zusammenlebens gefördert wird. Internationale Menschenrechtsorgane fordern die Staaten seit einigen Jahren daher zunehmend auf, spezialisierte, unabhängig arbeitende Antidiskriminierungsstellen zur Förderung der Vielfalt und zur Bekämpfung von Diskriminierungen einzurichten.   Erfahrungen anderer Staaten haben gezeigt, dass solchen Stellen eine wesentliche Rolle dabei spielen, diskriminierungsschützende Regelungen zu wirkungsvollen Instrumenten zu machen. 

Menschenrechtliche Anforderungen an eine Antidiskriminierungsgesetzgebung

Die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien sind nicht willkürliche bürokratische Vorgaben, wie gelegentlich behauptet wurde, sondern, das wollte der Beitrag zeigen, Ausdruck eines normativen Standards, der sich in der Interpretation völkerrechtlich verbindlicher Menschenrechtskonventionen in den letzten Jahrzehnten auf breiter Basis herausgebildet hat. Die Menschenrechte verpflichten den Staat, wirksamen Schutz gegen Diskriminierungen auch von Seiten privater Akteure zu gewährleisten. Dies erkennt auch der Europäische Gerichtshof an, indem er in seinem neuen Urteil zur Altersdiskriminierung durch die deutschen Hartz-Gesetze  das Verbot der Altersdiskriminierung als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechtes bezeichnet, der aus den menschenrechtlichen Übereinkommen und den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten herzuleiten ist. Die EU-Richtlinien geben den menschenrechtlichen Standard jedoch nicht in vollem Umfang wieder. Sie sind zum einen durch die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft, auf die sich die Kompetenznorm des Art. 13 EGV bezieht, sektoral begrenzt. Zugleich stellen sie Ergebnis politischer Kompromisse dar, wie die in der Entstehungsgeschichte der Richtlinien begründete unterschiedliche Regelungstiefe hinsichtlich der verschiedenen Diskriminierungsmerkmale zeigt.

Das Diskriminierungsverbot steht keineswegs in einem grundsätzlichen Gegensatz zu Freiheitsrechten. Im Gegenteil: Die Zielsetzung des Diskriminierungsschutzes ist nicht die Einschränkung, sondern die effektive Universalisierung von Freiheitsrechten. Gleichwohl muss ein Antidiskriminierungsgesetz im Privatrecht auftretende konkrete Kollisionen menschenrechtlicher Positionen angemessen lösen. Das betrifft insbesondere Konflikte zwischen dem Diskriminierungsschutz und der Religionsfreiheit, dem Schutz des Privat- und Familienlebens sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit und des Eigentumsrechts.

Ein Antidiskriminierungsgesetz sollte eine breite Zahl von Diskriminierungsmerkmalen aufnehmen und dabei eine Hierarchisierung von Merkmalen vermeiden. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist nicht entscheidend, an welches Merkmal die Diskriminierung anknüpft, sondern die Tatsache der Diskriminierung an sich. Die spezifischen Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang der jeweiligen einzelnen Diskriminierungsmerkmale stellen, mögen unterschiedliche Ausnahme- und Rechtfertigungsregelungen erforderlich machen. Eine Unterteilung in schützenswerte und weniger schützenswerte Gruppen von Diskriminierungsbetroffenen, wie sie in der politischen Debatte derzeit gelegentlich anzutreffen ist, läuft dem menschenrechtlichen Diskriminierungsverbot als Förderung der gleichberechtigten Freiheit aller Menschen jedoch zuwider.

Ein wirksamer Individualrechtsschutz setzt prozessual Beweiserleichterungen zugunsten der von Diskriminierung Betroffenen voraus, da ihnen der Zugang zu bestimmten für die Beweisführung notwendigen Daten und Dokumenten in der Regel versperrt ist. Erforderlich ist auch die flankierende Unterstützung der Betroffenen durch Beratung und Begleitung durch Antidiskriminierungsstellen und -verbände, um ihren Zugang zum Recht zu verbessern. Wirksamer Schutz muss gegen Formen direkter wie indirekter Diskriminierung gewährleistet werden. Erfahrungen sprechen dafür, dass indirekte und strukturelle Diskriminierung mit den Mitteln des Individualrechtschutzes nur unzureichend angegriffen werden kann. Verbandsklagerechte können für derartige Fälle eine sinnvolle Ergänzung sein.

Neben der Gewährleistung eines rechtlichen Rahmens durch ein Antidiskriminierungsgesetz erfordert die Umsetzung von Diskriminierungschutz auch eine institutionelle Komponente durch die Einrichtung eines spezialisierten, unabhängig arbeitenden Fachorgans: einer Antidiskriminierungsstelle. Die vitale Bedeutung der Arbeit solcher Stellen für die staatlichgesellschaftliche Umsetzung einer Antidiskriminierungspolitik zeigen die Erfahrungen in anderen Staaten. Internationale Menschenrechtsinstitutionen fordern die Staaten daher auf, derartige Stellen einzurichten. Besondere Bedeutung wird dabei der Garantie ihrer Unabhängigkeit (im Sinne von Bestandfestigkeit, aber auch Distanz zu politischen Mehrheiten) und ihrer Ausstattung mit effektiven Befugnissen bei der Unterstützung von Betroffenen, der Durchführung von Untersuchungen und der Politikberatung zugemessen. Antidiskriminierungsstellen haben nicht nur eine wichtige Funktion in der Beratung und Begleitung Betroffener in Einzelfällen. Indem sie Untersuchungen zu Diskriminierung durchführen und Daten zur Verfügung stellen, können sie die Grundlagen bereitstellen, um diskriminierende Strukturen zu adressieren - sowohl für die gerichtliche Durchsetzung von Einzelfällen in Fällen indirekter Diskriminierung als auch für die politische Bearbeitung gesellschaftlicher Ungleichheiten. Durch Öffentlichkeitsarbeit, Kampagnen und Trainings zielen sie auf einen Wandel in den Einstellungen zu Diskriminierung.

Bei aller Bedeutung, die dem Recht als Instrument zur Durchsetzung gleichberechtigter Freiheit zukommt, gilt es, zugleich die Grenzen rechtlicher Regelungen im Blick zu behalten. Das politisch-gesellschaftliche Ziel einer diskriminierungsfreien Gestaltung des Zusammenlebens setzt entsprechende Überzeugungen und Haltungen der Menschen voraus, die sich mit rechtlichen Mitteln gerade nicht durchsetzen lassen. Ohne solche Überzeugungen und Grundhaltungen würden die Menschenrechte jedoch letztlich wirkungslos bleiben.

 

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Petra Follmar-Otto ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin.