von Andreas Merx
Bei der praktischen Umsetzung der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinien durch nationale Antidiskriminierungsgesetze kommt den einzurichtenden Antidiskriminierungsstellen eine bedeutsame Rolle zu.1 Die AD-Stellen bilden den institutionellen und organisatorischen Rahmen dafür, dass sich die bestehenden rechtlichen Regelungen in der Praxis zu einem umfassenden und nachhaltigen Diskriminierungsschutz mit wirkungsvollen Mitteln der Rechtsdurchsetzung entwickeln können.
Nach einem langwierigen und von heftigen Kontroversen begleiteten Umsetzungsverfahren über drei Legislaturperioden, zwei unterschiedliche Regierungszusammensetzungen und drei gescheiterten Gesetzesentwürfen kommt auch der im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz konzipierten Antidiskriminierungsstelle des Bundes diese wichtige Aufgabe beim Gelingen einer wirkungsvollen Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den verschiedenen Anwendungsbereichen des Gesetzes zu.
Die Konzeption der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: der horizontale Ansatz
Am 29. Juni 2006 hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz beschlossen. Dabei hat die große Koalition an dem Ansatz des rot-grünen Antidiskriminierungsgesetzes festgehalten, die vier Richtlinien in einem einheitlichen Gesetz, das alle Rechtsbereiche umfasst, umzusetzen. Der Abschnitt 6 des AGG enthält die entsprechenden Regelungen über die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle des Bundes (§ 25 AGG), die Rechtsstellung ihrer Leitung (§ 26 AGG), ihre Aufgaben (§ 27 AGG) und Befugnisse (§ 28 AGG), ihre Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und anderen Einrichtungen (§ 29 AGG) sowie die Beiordnung eines Beirats (§ 30 AGG).
Die AD-Stelle des Bundes wird über die Vorgaben der EU-Richtlinien hinaus, die eine Einrichtung von Stellen nur für die Merkmale Geschlecht und ethnische Herkunft verlangen, auch für die Diskriminierungsmerkmale Alter, Behinderung, Religion oder Weltanschauung und sexuelle Identität zuständig sein. Ebenso wie im jahrelangen Streit zwischen den Befürwortern und Gegnern einer „Großen Lösung“ im Zivilrecht hatte es um diesen horizontalen bzw. Diversity-Ansatz den heftigsten Streit bei der Diskussion um die AD-Stelle gegeben.
Dass sich der Gesetzgeber nun für einen solchen grundlegenden Diversity Ansatz - einer durch eine horizontale Herangehensweise alle diskriminierten Gruppen gleichermaßen schützenden ganzheitlichen Regelung zur Bekämpfung des Modus der Diskriminierung – ist außerordentlich zu begrüßen und darüber hinaus auch sachlich geboten. Ein Verzicht auf die Merkmale aus der Rahmenrichtlinie hätte zu der absurden Situation geführt, dass sich bei gleicher Sachlage Betroffene aufgrund von Benachteiligungen wegen des Geschlechts oder der ethnischen Herkunft an die Stelle hätten wenden können, behinderte oder ältere Menschen dagegen nicht.
Der Gesetzgeber hat hier eine dem Grundgedanken eines Antidiskriminierungsgesetzes widersprechende Hierarchisierung von Diskriminierungsmerkmalen vermieden. Der horizontale Ansatz ist insbesondere auch mit Hinblick auf die Bearbeitung von Mehrfachdiskriminierungen (insbesondere Frauen sind häufig Opfer von Mehrfachdiskriminierungen) bedeutsam und ermöglicht durch einen intensiven Erfahrungsaustausch aus den verschiedenen Bereichen, den gemeinsamen Modus der Diskriminierungen zu bekämpfen und Synergieeffekte herbeizuführen.
Die Regelungen im Einzelnen – Darstellung und zentrale Kritikpunkte
§ 25 AGG regelt die Einrichtung der AD-Stelle im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Sicherstellung der notwendigen Personal- und Sachausstattung zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Insbesondere im Zusammenhang mit den Debatten um „Deregulierung“ und „Bürokratieabbau“ gab es hier Kritik an der vorgesehenen Ausstattung der Stelle, die zum Teil das Bild eines „bürokratischen Monsters“ oder einer Wirtschaft, Arbeitgeber und Wohnungsbesitzer gängelnden „oberen Regulierungsbehörde“ gezeichnet hatte.
Indes fällt die vorgesehene personelle Ausstattung mit 17 MitarbeiterInnen als nationale Stelle für ein Land mit 82 Mio. EinwohnerInnen eher schlank aus. Ein Blick nach Europa zeigt, dass etwa Belgien (10,3 Mio) mit 65 MitarbeiterInnen, Frankreich (60,1 Mio) mit 50 MitarbeiterInnen, die Niederlande (16,0 Mio) 49 MitarbeiterInnen oder das Vereinigte Königreich (58 Mio) mit insgesamt mehr als 500 MitarbeiterInnen vergleichsweise bedeutend größere Stellen eingerichtet haben.
§ 26 AGG regelt die Rechtsstellung der Leitung der AD-Stelle des Bundes und ihre Ernennung durch die Bundesministerin oder den Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie ihre Unabhängigkeit (§ 26 Abs.1 AGG). Ihre Amtszeit ist dabei an das Ende einer Legislaturperiode gekoppelt (§ 26 Abs.3 Nr.1 AGG). Diese Regelung hatte bereits in der Debatte um das rot-grüne ADG zu starker Kritik aufgrund einer mangelnden Unabhängigkeit der Leitung geführt und nach der Anhörung im Bundestag am 7. März 2005 zunächst zu einer Entkopplung von der Legislaturperiode geführt. Eine Bindung sowohl der Amtszeit als auch der Berichtspflicht (§ 27 Abs.4 AGG) gewährleiste „keine ausreichende Distanz zu den jeweiligen Regierungsmehrheiten“ und mache die Leitung der Stelle „zu einem politischen Amt“ argumentierte etwa Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Die „glaubwürdige Unabhängigkeit ist aber auch Voraussetzung für Akzeptanz und Vertrauen bei den von Diskriminierung Betroffenen“, so Bielefeldt.2
Eine dem Bundesdatenschutzbeauftragten nachempfundene Amtszeit von fünf Jahren wurde als empfehlenswert betrachtet. Indes zeigt die Arbeit anderer Beauftragter des Bundes, dass sie trotz ihrer Bindung an die Legislaturperiode ihren unabhängigen Spielraum durchaus gut nutzen konnten. Hier wird es auch auf das Amtsverständnis des oder der AmtsinhaberIn, das Zusammenspiel mit den anderen Beauftragten sowie auf die Startphase der AD-Stelle ankommen.
§ 27 regelt eine Kernaufgabe der AD-Stelle des Bundes: die unabhängige Unterstützung von Personen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zum Schutz vor Diskriminierungen. Jede Person, die sich wegen eines der im § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmale benachteiligt fühlt, kann sich mündlich, telefonisch, schriftlich oder auf elektronischem Weg an die Stelle wenden. Die Stelle soll dabei über Rechtsansprüche und Möglichkeiten rechtlichen Vorgehens informieren, Beratung durch andere Stellen vermitteln oder auf Wunsch Unterstützung bei einer gütlichen Beilegung (z.B. durch Mediation) anbieten: Schlichtungsfunktion der Stelle.
Als weitere Aufgaben nennt § 27 Abs.3 und 4 AGG:
- Öffentlichkeitsarbeit
- Maßnahmen zur Prävention von Diskriminierungen
- Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen zu Diskriminierung
- Vierjährige Berichtspflichten gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung sowie
- Abgabe von Empfehlungen zur Beseitigung und Verhinderung von Benachteiligungen
Darüber hinaus regelt der §27 AGG die Zusammenarbeit der Stelle mit der im Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration, dem Beauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten sowie der Beauftragten für die Belange behinderter Menschen. Die Stelle ist dazu verpflichtet, Anliegen, die in deren Geschäftsbereich liegen, mit Einverständnis der Betroffenen unverzüglich weiterzuleiten.
Hier wurde insbesondere kritisiert, dass die unverzügliche Weiterleitung an die Beauftragten sowie die Notwendigkeit der gemeinsamen Berichtserstellung verhindere, dass die Stelle eine starke eigenständige Rolle entfalte und die Entwicklung einer insbesondere im Hinblick auf Mehrfachdiskriminierungen bedeutsame Diversity-Perspektive nur eingeschränkt entstehen könne. Andererseits wurde durch die Festlegung der Zusammenarbeit der Stelle mit den Beauftragten deren überwiegend bewährte und geschätzte Arbeit gesichert und gewürdigt. Die Entwicklung einer Kooperationsstruktur sowie das Geschick der Leitung der Stelle werden zeigen, ob sich die hier gemachten Befürchtungen bewahrheiten.
§ 28 AGG ermöglicht der AD-Stelle des Bundes zur Erfüllung ihrer Schlichtungsfunktion aus § 27 Abs.2 Satz 3 AGG Beteiligte um eine Stellungnahme zu ersuchen, sofern Betroffene hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 28 Abs.1 AGG). Alle Bundesbehörden und sonstige öffentlichen Stellen des Bundes sind dabei verpflichtet, die AD-Stelle bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, insbesondere die erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§ 28 Abs.2 AGG).
Die der Stelle zur Verfügung stehenden rechtlichen Befugnisse wurden vielfach als unzureichend bemängelt und bedeutend stärkere Befugnisse bei der rechtlichen Beratung und Begleitung der Betroffenen verlangt. Hier gab es im Gesetzgebungsverfahren Forderungen, der Stelle eigenständige Klagerechte einzuräumen sowie die Möglichkeit der Vertretung Betroffener vor Gericht und die Durchführung von Musterprozessen zu ermöglichen.
Der Schlichtungsfunktion der Stelle werden aber durchaus entscheidende Funktionen bei der Entwicklung einer Antidiskriminierungskultur zukommen. Neben der Durchsetzung von Rechtsansprüchen vor Gericht sind außergerichtliche Schlichtungen (z.B. Mediation) oft geeigneter, beim Diskriminierenden ein Unrechtsbewusstsein zu schärfen, einen Lernprozess in Gang zu setzen und eine langfristige Veränderung seiner Haltung und seines Handelns zu erwirken, als eine Verurteilung und Sanktionen vor Gericht. Auch für Diskriminierungsopfer kann eine gütliche Konfliktlösung Vorteile haben. Die AD-Stelle kann hier dazu beitragen, eine neue Streitkultur in Deutschland zu initiieren, die mehr auf Ausgleich und Mediation setzt und alternative Konfliktlösungsmöglichkeiten aufzeigt.
§ 29 AGG verpflichtet die AD-Stelle zur Zusammenarbeit und Vernetzung mit NROs und anderen Einrichtungen auf europäischer, Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene. Hauptziel ist dabei insbesondere ein Austausch von Erfahrungen und Kompetenzen. Die umfassende Entwicklung einer solchen Netzwerkstruktur ist einerseits angesichts der personalen Ausstattung der Stelle sicherlich geboten, andererseits ist es für Betroffene aber auch meist sinnvoller, wenn sie sich auf Vermittlung der AD-Stelle des Bundes an geeignete Einrichtungen „vor Ort“ wenden können. Es gilt hier auch die langjährigen Erfahrungen kommunaler AD-Stellen einzubeziehen. Langfristig kann die Netzwerkstruktur auch dazu beitragen, durch die vernetzte Betrachtungs- und Herangehensweise einen nachhaltigen Diversity-Ansatz als Grundlage in der praktischen Antidiskriminierungsarbeit zu entwickeln.
Die europäischen Richtlinien sehen neben einer Bundesstelle keine dezentralen Institutionen vor. Der Gesetzgeber ist daher nicht verpflichtet, eine solche dezentrale Struktur einzurichten und darüber hinaus sind ihm dazu durch die föderale Struktur Deutschlands mit weitgehenden Regelungszuständigkeiten der Länder auch keine rechtlichen Möglichkeiten gegeben. Hinsichtlich der Diskriminierungsmerkmale bestehen auf kommunaler oder Länderebene jedoch höchst unterschiedliche Niveaus der Verbreitung institutioneller Strukturen.
Am stärksten ausgebaut ist wohl das Netzwerk der Gleichstellungsbeauftragten hinsichtlich des Merkmals Geschlecht, nachgefolgt von Einrichtungen zur Verhinderung von Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft oder von Behinderungen. Die AD-Stelle des Bundes kann hier aber eine entscheidende Anregungs- und Vernetzungsfunktion zur Entwicklung lokaler Strukturen einnehmen.3
§ 30 AGG sieht zur Förderung des Dialogs mit gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen die Beiordnung eines Beirats vor. In ihm sollen entsprechend insgesamt 16 VertreterInnen aus den relevanten Organisationen sowie ExpertInnen in Antidiskriminierungsfragen berufen werden. Der Beirat hat die Aufgabe, die AD-Stelle des Bundes bei der Vorlage von Berichten und Empfehlungen an den Deutschen Bundestag sowie bei der Vergabe wissenschaftlicher Untersuchungen zu beraten, bzw. eigene Vorschläge zu unterbreiten. Der Beirat soll durch die Vertretung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen den horizontalen Ansatz der Stelle verdeutlichen. Er wird insbesondere im Bereich des Dialogs der Tarifpartner eine wichtige Rolle erhalten und kann zu einer gerade in diesem Bereich notwendigen konstruktiven Versachlichung der Debatte um die Wirkungsweise des AGG beitragen.
Das Konzept des Managing Diversity sowie die vielen erfolgreichen Beispiele betrieblicher Antidiskriminierungmaßnahmen bieten hier vielfältige Anregungen zur produktiven Gestaltung des Antidiskriminierungsauftrags.
Blick nach Europa. Trends und Vergleich
In der Debatte um ein deutsches Antidiskriminierungsgesetz spielte die Kritik an der Konzeption der AD-Stelle des Bundes insgesamt nur eine nachgeordnete Rolle. Die stark überzogene Darstellung eines „bürokratischen Monsters“ aufgrund der über eine bloße 1:1-Umsetzung hinausgehenden Lösung relativiert sich vor allem im Hinblick auf einen Vergleich mit europäischen AD-Stellen. So zeigte bereits der Vergleich mit der personalen Ausstattung europäischer Stellen, dass die deutsche Stelle eher schmal ausfällt. Auch im Blick auf den Ansatz, eine zentrale Anlaufstelle einzurichten („board of discrimination“) und eine prinzipiell gleichberechtigte Bearbeitung aller Diskriminierungsmerkmale zu ermöglichen, zeigt sich, dass der Gesetzgeber mit der vorgenommenen Konzeption vernünftigerweise Anschluss an die vorherrschenden europäischen Trends bei der institutionellen Ausgestaltung des Diskriminierungsschutzes genommen hat.
Insbesondere Länder mit einer längeren Erfahrung in der Antidiskriminierungspolitik wie Frankreich, Belgien, Niederlande oder das Vereinigte Königreich gehen bei der Umsetzung der EU-Richtlinien ebenfalls dazu über, ein voll integriertes Konzept zu wählen und ihre bestehenden Strukturen dementsprechend umzubauen bzw. zusammenzuführen. Länder wie Irland oder Ungarn, die erst jüngst neue Stellen eingerichtet haben, haben sich gleich für einen Diversity - Ansatz entschieden.
Die irische Equality Authority (EA) kann dabei als besonders erfolgreiches Modell für einen Diversity - Ansatz bezeichnet werden und bei der Entwicklung der Arbeitsfelder der AD-Stelle des Bundes gute Anregungen geben. In einigen Ländern können sich Betroffene sogar aufgrund weiterer Diskriminierungsgründe als in den Richtlinien aufgezählt an die nationalen Antidiskriminierungsstellen wenden.4
Auch der Vergleich mit den Befugnissen europäischer AD-Stellen zeigt, dass die AD-Stelle des Bundes weit davon entfernt ist, ein „Wahrheitstribunal“ oder bevormundende Regulierungsbehörde zu sein und die bestehenden Regelungen eher als maßvoll zu betrachten sind. So besitzen etwa die unabhängigen Stellen in Belgien, den Niederlanden, Irland und Nordirland eigene Klagebefugnisse, die ihnen eine sehr starke Position in den Gerichtsverfahren ermöglichen.
Auch die britische Commission For Racial Equality (CRE) besitzt sehr weit gehende Entscheidungsbefugnisse, Stellen wie der schwedische Ombudsmann zur Bekämpfung ethnischer Diskriminierungen, die französische HALDE, die britische CRE und die Equality Authority in Irland können auch beim Verdacht auf strukturelle Diskriminierungen ermitteln.
Länder wie Großbritannien, Frankreich, Belgien und die Niederlande verwenden zur Erhebung von Diskriminierungsbeweisen sowohl im Dienstleistungsbereich als auch bei Einstellungen oder Wohnungsvermietungen die sog. „Testing-Methode“. Dabei werden bezüglich ihrer relevanten Faktoren (Qualifikation, Bonität, Sprachvermögen, etc.) gleichgestellte Duos (etwa) von Belgiern und Türken gebildet, die testen, ob der/die türkische BewerberIn von ArbeitgeberInnen oder WohnungsvermieterInnen ungerechtfertigt abgewiesen wird.
Fazit und Ausblick
Die Kritik an einer überschießenden Umsetzung in der Konzeption der deutschen AD-Stelle erweist sich insbesondere im europäischen Vergleich als unbegründet. Die Entscheidung des Gesetzgebers in einem horizontalen Ansatz eine zentrale Anlaufstelle für alle im Gesetz aufgeführten Diskriminierungsmerkmale zu schaffen, ist gleichermaßen der wichtigste Pluspunkt der AD-Stelle des Bundes.
Nach jahrelangen heftigen Debatten und einem schwierigen Gesetzgebungsverfahren wird die AD-Stelle nun eine wichtige Rolle dabei haben, zu einer konstruktiven Versachlichung der Diskussion beizutragen und ein neues Politikfeld so mitzugestalten, dass in Deutschland entstehen kann, was bereits seit längerem in England, in den USA und in den skandinavischen Staaten Alltag ist: Eine Antidiskriminierungskultur, in der es selbstverständlich ist, dass sich Betroffene gegen Diskriminierungen zur Wehr setzen und in der sich Staat und Wirtschaft verantwortlich zeigen müssen, dass es nicht zu Diskriminierungen kommt. Ergebnisse aus dem Eurobarometer oder die Heitmeyer-Studien zeigen, dass es insbesondere im Bereich der Sensibilisierung und Bewusstmachung für Diskriminierung in Deutschland noch großen Nachholbedarf gibt.
Die AD-Stelle des Bundes hat hier – nicht zuletzt aufgrund ihrer begrenzten eigenen rechtlichen Befugnisse – den gesellschaftspolitischen Auftrag über eine gelungene Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sowie durch die Sammlung und Anregung von Daten, Analysen und Untersuchungen zu Diskriminierungen, Sensibilisierungsprozesse anzustoßen, einen Bewusstseinswandel anzuregen und ein Verständnis von Antidiskriminierungsarbeit als längerfristiger Querschnittsaufgabe zu transportieren.
Die Koordination der Vernetzung mit den bestehenden Strukturen, ein intensiver Erfahrungsaustausch sowie die Anregung zu einem Ausbau oft noch ungenügender lokaler Strukturen werden hierbei weitere wichtige Aufgaben sein. Es wird für den Start der Stelle von großer Bedeutung sein, ob es ihr nach einer konfrontativen Debatte gelingt, Vertrauen nach allen Seiten zu schaffen. Sie muss ein gleichberechtigter und unabhängiger Ansprechpartner sowohl für von Diskriminierungen Betroffene und deren Verbände, als auch für die Informationsbedürfnisse etwa von WohnungseigentümerInnen, ArbeitgeberInnen und Wirtschaftverbänden sein.
Ein Bewusstsein für Vorurteile und Diskriminierungen lässt sich nicht per Gesetz verordnen. Das AGG ist indes eine gute Grundlage dazu, eine Kultur des wechselseitigen Respekts und der Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt zu entwickeln. Es wird die besondere Aufgabe der AD-Stelle sein, diesen langfristigen Bewusstseinswandel derart mitzugestalten, dass es gelingt, die rechtlichen Rahmenbedingungen so umzusetzen, dass alle Menschen in unserer Gesellschaft ihre individuellen Talente und Potentiale frei von Vorurteilen, Diskriminierungen und Belästigungen entfalten und einbringen können. Dies wäre ein bedeutender Fortschritt in Richtung auf „das ferne Ziel einer gerechten Gesellschaft von freien und gleichen Individuen“ (Norbert Bobbio).
Endnoten
1 Die in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten gemachten langjährigen Erfahrungen im Kampf gegen Diskriminierungen haben gezeigt, so eine Studie der European Commission Against Racism And Intolerance (ECRI), "that specialised commissions, ombudsmen or other institutions, (...) play an extremely important role in combating racism and intolerance at national level“, in:ECRI (Hrsg.): Specialised bodies to combat racism, xenophobia, antisemitism and intolerance at national level, S. 5).
2 Heiner Bielefeldt: Diskriminierungsschutz als menschenrechtliche Verpflichtung, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, A.-Drs. 15(12)440-J, S. 7
3 „Um ein niedrigschwelliges und ortsnahes Beratungsangebot sowie die Rechtsumsetzung zu gewährleisten, ist es notwendig, eine möglichst flächendeckende Struktur von Beratungsstellen auf Landesebene sowie in den Kommunen einzurichten und durch Bundes-/Landesmittel finanziell abzusichern, sowie Rechtshilfefonds zu fördern. Daher fordern die unabhängigen Antidiskriminierungsstellen in Deutschland von der zukünftigen Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes einen deutlichen Appell an die Bundesländer und Kommunen.“ aus: Stellungnahme unabhängiger AD-Stellen in Deutschland:
4 So etwa in Irland (Staatsangehörigkeit und Zugehörigkeit zur Gesellschaft der Nichtsesshaften), den Niederlanden (Staatsangehörigkeit, Familienstand, Umfang der Beschäftigung) oder Nordirland (politische Meinung und Familienstand).
Literatur und Links
- Franke, Bernhard / Merx, Andreas: Die Umsetzung der Vorgaben der EG-Gleichbehandlungsrichtlinien in ausgewählten Mitgliedstaaten -Stellen zur Förderung der Gleichbehandlung in Europa, in ZESAR (Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht) 8/2005, S. 321-334. (mit umfassender europäischer Vergleichstabelle).
-
Europäische Kommission (Hg.): Vielfalt fördern - 21 Stellen zur Förderung der Vielfalt und zur Bekämpfung von Diskriminierungen in der Europäischen Union, Brüssel 2003
-
European Commission against Racism and Intolerance (ECRI): Specialised bodies to combat racism, xeophobia, antisemitism and intolerance at national level, Strassburg 2006
-
EU-website zu europäischen Antidiskriminierungsstellen
Andreas Merx ist Politologe und Geschäftsführer von Pro Diversity (www.pro-diversity.de).