Positive Eigenbilder, die Diaspora als zentrale Referenz, Identitätsspektren und Zusammenschlüsse

 

von Maureen Maisha Eggers

Die „Schwarze Community“ in Deutschland lässt sich am treffendsten als artikulatorischer Verdichtungspunkt thematischer Auseinandersetzungen Schwarzer AktivistInnen erfassen. Ihre Identitätskonstruktionen schlagen sich in genderspezifischen, bildungspolitischen, künstlerisch-literarischen sowie akademischen Arbeiten nieder. Eine Vielfalt von Themen zu Schwarzsein und zur afrikanischen Diaspora ist kennzeichnend für diese Auseinandersetzungen. Um diese Vielstimmigkeit herum hat sich eine „Community“ gebildet. Spezifische Fragestellungen und Interessen führten zu unterschiedlich geprägten bundesweiten sowie regionalen und lokalen Zusammenschlüssen.

Die Großstädte als Orientierungspunkte

Maßgebliche Orientierungspunkte der Schwarzen Community bilden die deutschen Großstädte. Berlin kommt nicht nur als Hauptstadt eine zentrale Rolle zu. Die historische Entwicklung der Stadt hat zu facettenreichen Interpretationen und vielschichtigen Selbstverständnissen der Berliner Schwarzen Community geführt. Geprägt wurde die Community durch die lange Präsenz afro-amerikanischer Soldaten und ihrer Angehörigen in West-Berlin sowie durch den politischen und kulturellen Einfluss Schwarzer Studierender und VertragsarbeiterInnen in Ost-Berlin. Zudem weist die Stadt auch eine große Vielzahl afro-brasilianischer und junger afro-deutscher Communities auf. Berlin gilt als Verdichtungsort migrations- und rassismustheoretischer Diskurse, die zu den Kernthemen der Schwarzen Community gehören.

In Hamburg ist die Schwarze Community durch die große Anzahl kontinental-afrikanischer MigrantInnen politisch und kulturell maßgeblich geprägt worden. In München und Frankfurt sind die Communities, ähnlich wie in Berlin, durch die lange Präsenz afro-amerikanischer Soldaten und ihrer Angehöriger beeinflusst, jedoch sind sie im Kontext einer westdeutschen Identität geprägt worden. Die Schwarzen Communities in Bonn und Köln stehen (standen) wiederum unter dem  Einfluss afrikanischer DiplomatInnen und ihrer Angehörigen sowie afrikanischer Professionellen, die in Stiftungen oder NROs im ehemaligen Regierungszentrum tätig sind.

Positive Eigenbilder

Die Communitybildung in Deutschland erhielt ihre Initialzündung in den 80er Jahren  durch den Begriff „afro-deutsch“ (später Schwarze Deutsche). Der Begriff „afro-deutsch“ geht auf einen Impuls der Schwarzen Feministin und Lyrikerin Audre Lorde zurück, die zusammen mit der Schwarzen deutschen Lyrikerin und Pädagogin May (Opitz) Ayim und den Mitarbeiterinnen des Berliner Orlanda Frauenverlags zentrale Figuren der Schwarzen (Frauen-) Bewegung darstellen. May Ayim’s Diplomarbeit wurde auf Initiative des Orlanda Verlags zur Grundlage für das Buch „Farbe Bekennen: Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“, das bislang meist rezipierte Zeugnis Schwarzen deutschen Lebens ist.

Im Laufe der Entstehung von Farbe Bekennen formierte sich die Schwarze Bewegung mit dem Ziel, Schwarzes Leben in Deutschland sichtbar zu machen und Schwarzsein als Bewusstsein in konkreter Identitätsarbeit positiv zu besetzen. Bis dahin vereinzelt und bundesweit verstreute Schwarze AktivistInnen trafen sich erstmalig, um diesen Bestrebungen einen Rahmen zu geben. Praktisches Ergebnis ihrer Diskussionen ist die Gründung der Vereine „ADEFRA - Schwarze Frauen in Deutschland“ und „ISD - Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland“, die in den Jahren 2005/2006 ihr zwanzig-jähriges Bestehen feiern.

Der Kern der Arbeit dieser Vereine besteht in der Verortung von Schwarzen Themen in deutschen Diskursen, vor allem durch das Einschreiben Schwarzer Perspektiven in akademischen Forschungsarbeiten, literarischen Texten und künstlerischen Werken. Diese Gegendiskurse thematisieren und kommentieren beispielsweise geteilte historische Ereignisse, wie den Fall der Berliner Mauer, aus der Perspektive Schwarzer Deutscher sowohl aus Ost- als auch aus West-Deutschland. Dazu gehören auch Biographieprojekte und Ausstellungen, die Erinnerungsarbeit leisten, indem sie die Lebensgeschichten Schwarzer (Deutscher), die das Dritte Reich überlebten, zusammentragen und narrativ oder visuell rekonstruieren. Als Orientierung gilt die positive Umsetzung der Macht der eigenen Selbst-Repräsentation.

Die Diaspora als zentrale Referenz

entfernte verbindungen
verbundene entfernungen
zwischen kontinenten
daheim unterwegs

(may ayim, blues in schwarz weiss)

Die Verortung in der Diaspora bildet einen zentralen Inhalt der Schwarzen Community in Deutschland. Dabei spielen Thematisierungen der Geschichte des afrikanischen Kontinents sowie der postkolonialen Vergangenheit Deutschlands eine große Rolle. Mehrere Tagungen und Veröffentlichungen wurden in den letzten Jahren diesen Auseinandersetzungen gewidmet. Das transnationale Projekt BEST (Black European Studies) trägt einen großen Teil dieser Ergebnisse und Analysen zusammen.

Die Auseinandersetzung mit der Diaspora hat allerdings über die Theoretisierung hinaus einen ganz konkreten Bezug zu Identitätskonstruktionsprozessen Schwarzer Deutscher. Die Suche nach den Eltern (vorwiegend als Vatersuche oder bei Adoptivkindern die Suche nach der Mutter oder nach beiden Eltern) ist seit 20 Jahren ein fester Bestandteil des Programms des jährlichen ISD-Bundestreffens. Dort werden Workshops von AktivistInnen angeboten, die über vielfältige Erfahrungen auf dem Gebiet verfügen und auch schon den Verbleib zahlreicher Eltern ermitteln konnten. Beispiele hierfür sind Kenntnisse der formellen Strukturen der amerikanischen Armee hinsichtlich des Umgangs mit Kindern, die aus Verbindungen zwischen ihren Angehörigen und lokalen Bevölkerungen hervorgehen. Als unerlässlich haben sich aber auch Kontakte zu Netzwerken und Vereinen afrikanischer Studierender erwiesen, die über den Verbleib ihrer Mitglieder Auskunft geben oder weiterhelfen können. 2003 fanden ein Vater und sein Sohn mehr oder weniger durch Zufall zusammen, als sie das ISD-Bundestreffen in Olpe am Biggesee gleichzeitig besuchten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Communitybildung Schwarzer Menschen in Deutschland Ausdruck ihres kulturellen, sozialen und politischen Widerstands ist. Sie entwerfen ihr Leben als Leben in der Diaspora und setzen sich mit den Lebensumständen in Deutschland – früher wie heute – „als Fremde im eigenen Land“ auseinander. Die Gedichte von May Ayim und die Arbeiten anderer Schwarzer KünstlerInnen in diesem Dossier sind Zeugnisse dieses Selbstverständnisses.

Identitätsspektren und Zusammenschlüsse


möchte mit geschlossenen augen
meinem bruder grüsse senden
zuversichtlich traurig sein

(ana herrero villamor)

Die Schwarze Community vereint ein sehr breites und vielfältiges Spektrum von gesellschaftlichen Gruppen, thematischen Interessen und Positionen. Es ist weder möglich noch wünschenswert, von einer einheitlichen gesellschaftlichen Formation zu sprechen. Es kann demzufolge auch nicht erwartet werden, dass die Community sich (immer) einig ist hinsichtlich ihrer Haltung zu aktuellen Ereignissen. Es handelt sich insofern nicht um eine statische Entität, sondern um eine Struktur von spezifischen Zusammenschlüssen, Überschneidungen und Berührungen, die auch in sich offen bleiben müssen. Vereint sind diese Zusammenschlüsse über das politische Selbstverständnis als Schwarze und durch ihren Bezug auf geteilte Erfahrungen in der Diaspora.

grenzenlos und unverschämt
ein gedicht gegen die deutsche sch-einheit

ich werde trotzdem
afrikanisch
sein
auch wenn ihr
mich gerne
deutsch
haben wollt
und werde trotzdem
deutsch sein
auch wenn euch
meine schwärze
nicht paßt
ich werde
noch einen schritt weitergehen
bis an den äußersten rand
wo meine schwestern sind
wo meine brüder stehen
wo
unsere
FREIHEIT
beginnt
ich werde
noch einen schritt weitergehen und
noch einen schritt
weiter
und wiederkehren
wann
ich will
grenzenlos und unverschämt
bleiben

(may ayim, blues in schwarz weiss, orlanda verlag)

 

Bild entfernt.

Maureen Maisha Eggers, geboren 1973 in Kisumu/Kenya, ist wiss. Mitarbeiterin am Inst. für Erziehungswissenschaften/Gender Studies an der HU Berlin. Sie wurde 2005 als Stipendiatin der hbs zum Thema „Rassifizierung und kindliches Machtempfinden" promoviert