Antidiskriminierungsrecht und Antidiskriminierungspolitik in Frankreich

von Sylvia Cleff Le Divellec und Andreas Merx

Herbst 2005, Herbst 2006 und nun der November 2007. Wieder einmal sind französische Vorstädte Schauplatz gewaltsamer Jugendkrawalle geworden. Brennende Autos, marodierende maskierte junge Männer, zum Teil schwer verletzte Polizisten und zerstörte öffentliche Einrichtungen bestimmten das Bild. Das Ausmaß und die Brutalität der nächtlichen Ausschreitungen waren dieses Mal noch erschreckender als schon die Jahre zuvor. Der Hass und die Wut der jungen Franzosen aus den Vorstädten - viele der Jugendlichen stammen aus Einwandererfamilien aus dem Maghreb oder Westafrika, die oft bereits in der dritten, vierten oder fünften Generation in Frankreich leben – kennt keine Grenzen und macht selbst vor dem Gebrauch von Schusswaffen, Übergriffen auf unbeteiligte Passanten und der sinnentleerten Zerstörung von Kindertagesstätten, in denen zum Teil die eigenen Geschwister untergebracht sind keinen Halt.

Aus der Sicht vieler Beobachter und Kommentatoren ist der durch einen Polizeieinsatz verursachte Unfalltod zweier Vorstadtjugendlicher ausgelöste neuerliche Eruption der Gewalt auch eine Reaktion auf das Versagen der französischen Integrationspolitik sowie einer massiven sozialräumlichen, sozialen und ethnischen Diskriminierungserfahrung. Deren historischen, sozialen und politischen Hintergründe wurden in zahlreichen Beiträgen auf dieser Website bereits vielseitig analysiert.

Die dramatischen Ereignisse spielten sich vor dem Hintergrund heftiger Debatten um die Verschärfung des Zuwanderungsrechts im Präsidentschaftswahlkampf sowie in der ersten Regierungsphase des neuen Präsidenten Nicolas Sarkozy ab.

Die aktuelle Integrationsdebatte in Frankreich und der Eindruck staatlicher Diskriminierung
Nicolas Sarkozy hatte den Präsidentschaftswahlkampf unter anderem mit der Ankündigung gewonnen, die Probleme in den Banlieues zu lösen und die „erlittene Einwanderung“ in eine „erwünschte“, staatsgesteuerte und selektive Einwanderung zu verwandeln. Nachdem er im Herbst 2005 die Riots in den Banlieues mit der Provokation, man müsse „das Gesindel aus den Vorstädten mit den Hochdruckreiniger beseitigen“ mit ausgelöst hatte, war es nun einer seiner ersten Maßnahmen als Präsident, die Polizeipräsenz in den Banlieues massiv zu verstärken. Allerdings kommen das Auftreten und einige Maßnahmen der Polizei oft einer faktischen allgemeinen Kriminalisierung der Vorstädter gleich. Den Ankündigungen Sarkozys im Wahlkampf folgte eine erbitterte Diskussion um die Reform des Zuwanderungsrechts.
Die emotionalsten Debatten wurden dabei im Bereich der Asylpolitik, der Familienzusammenführung und der Grenzpolitik geführt.

Während die Grenzen künftig für qualifizierte und hochqualifizierte MigrantInnen punktuell stärker geöffnet werden sollen (nach Bedarf auf dem Arbeitsmarkt, eben „erwünscht“) sind jüngst im Bereich der Familienzusammenführung optionale „Gen-Tests“ eingeführt werden, die die ethnische Zugehörigkeit eindeutig nachweisen und den Missbrauch des Systems verhindern sollen. Eine Praxis, die im Übrigen im Zuge der Reform des deutschen Zuwanderungsgesetzes, zum Teil auch von deutschen Botschaften BewerberInnen um einen Familiennachzug nahe gelegt wird und die auch in anderen europäischen Ländern wie Belgien und Spanien seit Jahren praktiziert wird.

Ein weiter heftig diskutiertes Instrument war die geplante Einführung sog. „ethnischer Statistiken“, mit denen eine bessere Dokumentation und Analyse der Entwicklung der ethnisch-kulturellen Zusammensetzung der französischen Gesellschaft erzielt werden sollte. Nach einer sehr kontroversen Debatte wurde das Vorhaben, das in starkem Widerspruch zum republikanischen Selbstverständnis Frankreichs, welches salopp gesagt keine Minderheiten sondern nur Franzosen kennt, steht, vom obersten Verfassungsrat als unvereinbar mit dem Gleichheitsprinzip gekippt. Im Bereich der Asylpolitik gibt Sarkozy den Kommunen regelrechte Abschiebekontigente vor, deren Quoten zum Teil rigoros erfüllt werden.

Diese politischen Kontroversen um die Reform der Zuwanderungs- und Integrationspolitik hinterließen insbesondere bei den ethnischen Minderheiten wiederum das Gefühl nicht anerkannt zu sein und darüber hinaus einer offiziellen staatlichen Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Sie bildeten zusammen mit den seit langen Jahren schwelenden massiven sozialen Problemen in den Vorstädten den Zündstoff, der die Lage wieder einmal zum Explodieren brachte. Trotz vielfältiger Bemühungen und zum Teil enormer finanzieller Anstrengungen ist bisher noch jede französische Regierung an der Lösung der Probleme der Banlieues gescheitert.

Kann Antidiskriminierungspolitik die Probleme in den Banlieues zu lösen helfen?
Die tatsächlichen und strukturell ständig spürbaren Diskriminierungen insbesondere der postkolonialen Vorstädter als Rohstoff für die erschreckenden Gewaltexzesse sind ein massives gesellschaftliches Problem, das auch Fragen hinsichtlich der Wirksamkeit der Bemühungen Frankreichs im Bereich der Antidiskriminierungspolitik und des Antidiskriminierungsrechts aufwirft. Frankreich hat eine lange Tradition in der Antidiskriminierungspolitik. Anders als etwa Großbritannien verfolgte Frankreich dabei keine gezielte Minderheitenpolitik, sondern setze stark auf eine Politik der Gleichstellung von Individuen.

Es gab zwar lange Zeit systematische Gleichstellungsmaßnahmen, eine gezielte institutionelle Anerkennung der Minderheitenproblematik hat jedoch erst sehr spät stattgefunden. Im Zuge der notwendigen Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien wurden um die Jahrtausendwende die bisherigen Antidiskriminierungsbemühungen insbesondere im Bereich der ethnischen Diskriminierung als eher enttäuschend beschrieben.

Als Hauptprobleme wurden die zergliederte Organisationsstruktur, die faktische Ineffektivität des rechtlichen Instrumentariums aufgrund zu schwacher Sanktionsmechanismen und die schwierige Beweislastführung für Diskriminierungsopfer genannt. Als Reaktion auf die konsternierte faktische Ineffektivität sollte unter dem Leitziel der „Stärkung des sozialen Zusammenhalts“ (Ex-Präsident Chirac) insbesondere einer neuen zentralen Behörde im Kampf gegen Diskriminierungen eine bedeutsame Rolle zukommen. Diese staatliche Antidiskriminierungsstelle soll nun im Folgenden näher vorgestellt werden.

Der Blick ins Nachbarland Frankreich: drei Jahre „HALDE“

Von „GELD“ zu „HALDE“
Die französische Antidiskriminierungsstelle („AD-Stelle“) „HALDE“ (Haute autorité de lutte contre les discriminations) wurde formal durch das Gesetz vom 30.12. 2004 unter der Präsidentschaft von Jaques Chirac und der konservativen Regierung als „unabhängige Verwaltungsbehörde“ in Paris geschaffen. Sie löste ihre wesentlich schwächere Vorläuferin, die im Jahr 2000 als Verwaltungsbehörde gegründete sog. „GELD“ (groupe d’étude de lutte contre les discrimination) ab und erweiterte, aufbauend auf den Vorgaben der Europäischen Richtlinien (EuriLis) und der Empfehlungen des damaligen Obhutsmanns der Republik Bernard Stasi1; ihre Kompetenzen und ihre politische Unabhängigkeit.

Die Kompetenzen der HALDE
Die HALDE verfügt über ein Jahresbudget von 11 Mio. € und erweitert im Jahr 2008 ihren Arbeitsstab auf 80 Personen, davon ca. 30 Juristen. Damit entspricht sie in Größe und Budget etwa der belgischen AD-Stelle, hingegen aber nur zu 10% dem britischen Vorbild. Wie alle europäischen AD-Stellen besteht ihre Hauptaufgabe darin, Betroffene bei der Bekämpfung der durch die frz. Gesetze verbotenen Diskriminierungen zu unterstützen. Sie kann dies in vierfacher Hinsicht tun: Sie kann selbständig vor Gericht zur Klärung von Tatsachen wie Rechtsfragen auftreten, sich als Mediator zwischen die streitenden Parteien einschalten, durch ihr wichtigstes Organ, den „Conseil“ („Rat“) politische Empfehlungen abgeben und zusammen mit der Staatsanwaltschaft verfahrensbeendende Vergleiche zwischen Täter und Opfer aushandeln. Zudem bietet sie auf ihrer Internetseite ein breites Informationsangebot für Diskriminierungsopfer, Arbeitgeber und Interessierte an. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2006 hat die HALDE zudem selbständige Ermittlungsbefugnisse gewonnen, um vor allem die schwierige Beweisführung für die Opfer vor den Strafgerichten effizienter erbringen zu können.

Die HALDE ist, anders als die deutsche AD-Stelle, nicht angehalten, unparteilich bzw. in unabhängiger Weise zu agieren. Sie hat im Gegenteil die Aufgabe, für und mit den Opfern gegen Diskriminierung vorzugehen, im Extremfall an der Seite der Opfer bis vor Gericht.
Der strukturelle Unterschied liegt darin, dass die HALDE auch die Aufgabe hat, ausgewählte Einzelfälle zu behandeln. Jeder Mensch, der sich in Frankreich als diskriminiert erachtet, kann sich kostenlos durch eine schriftliche, begründete Eingabe an die HALDE wenden; die HALDE kann auch selbständig, von Amts wegen tätig werden und ggf. von jeder Person Auskünfte verlangen sowie die Übermittlung von Dokumenten einfordern. Weigert sich eine Person, mit der HALDE zu kooperieren, so kann diese eine gerichtliche Anordnung beantragen. Bezeichnend für den frz. Zentralismus hat die HALDE ihren Hauptsitz in Paris, verfügt aber seit diesem Jahr über regionale, kleine „Ableger“ in vier Departements.

Das Gesicht der HALDE: Der  Präsident und sein„Collège“
Die Leitung der HALDE wurde Louis Schweitzer übertragen. Dem klassischen frz. Elitewerdegang entsprechend, hat Schweitzer die elitäre nationale Verwaltungshochschule (ENA) absolviert2 und übte vor seiner Ernennung diverse hohe Funktionen in Politik, Wirtschaft und Kultur aus. Wegen seiner Tätigkeit als ehemaliger Generaldirektor des Automobilkonzerns Renault. (1992-2005) war seine Ernennung nicht unumstritten. Unter anderem durch seine wöchentliche Radiochronik „droit de l’individu“ sensibilisiert er durch die Schilderung von Einzelfällen ein breites Publikum für den Kampf gegen Diskriminierungen und die Arbeit der HALDE.

Das Entscheidungsorgan der HALDE ist das 11-köpfige „collège“. Wirtschaft, Justiz, NGO’s und Politik sind darin vertreten. Eine Rotation ist zwingend, da die Mitglieder nur für eine Amtszeit gewählt sind. Neben der Entscheidung über die Grundlinien der Arbeit der HALDE trifft das Collège die Entscheidung über die Einleitung von Gerichtsverfahren und andere Maßnahmen zur effektiven Unterstützung von Diskriminierungsopfern. Präzedenzfällen oder Fällen mit besonderer Brisanz wird der Vorzug gegeben; andere Fälle werden ggf. weitergegeben an Antidiskriminierungsvereine3 („AD-Vereine“). Das „Collège“ ist mit dem deutschen Beirat nach § 30 AGG nur entfernt vergleichbar, da es neben seinen beratenden Aufgaben klare Entscheidungskompetenzen innehat. So traf das Collège im Jahr 2006 insgesamt 344 Beschlüsse und Empfehlungen. Es „verurteilte“ z. Bsp. die bis dato gängige Praxis, derzufolge staatliche Ermäßigungen für kinderreiche Familien an die frz. Staatsbürgerschaft gekoppelt waren, was direkte Auswirkungen in Form einer Gesetzesänderung hatte. Aufbauend auf den Beschlüssen des Collège, gibt die HALDE politische Empfehlungen und Forderungen an das Parlament, die politischen Parteien, Regierung und andere politische Institutionen ab. Zum zweiten Mal wurde 2007 dem Präsidenten der Republik, dem Premierminister sowie dem Parlament (Assemblée und Senat) ein sehr umfangreicher Jahresbericht übergeben.

Durch eine in vier frz. Grosstädten breit gestreute Informationskampagne hat die HALDE ihren Bekanntheitsgrad 2007 weiter vergrößert4. Dies spiegelt sich auch in den Zahlen der Anfragen wieder: waren es im Jahr 2005 nur 1410, so erhöhte sich diese Zahl auf über 4000 im Jahr 2006, Ende 2007 wird die 10 000. Eingabe erwartet. Mit einem fast 50%-igen Anteil bezogen sie sich auf arbeitsrechtliche Diskriminierungen. Mit mehr als 35% war das Merkmal der „ethnischen Zugehörigkeit“ das am Häufigsten beklagte Diskriminierungsmerkmal.

Die französischen Rechtsvorschriften zum Schutz gegen Diskriminierungen
Per Gesetz wurden die EuRiLis (2000/43/EG und 2000/78/EG) im Jahr 20015  für arbeitsrechtliche Beziehungen im privaten und öffentlichen Bereich sowie im Jahr 20026 hinsichtlich des Verbots der Belästigung und den Zugang zu Wohnraum umgesetzt. Schließlich wurde im Jahr 20047 die Richtlinienumsetzung vervollständigt, indem die HALDE geschaffen wurde. (s.o.). Anders als in Deutschland finden sich die gesetzlichen Regelungen nicht in einem Spezialgesetz, sondern sind verstreut in das Strafrecht (code pénal), das Zivilgesetzbuch (code civil) und das Arbeitsrecht (code du travail) integriert.

Bemerkenswert ist, dass Frankreich in seiner Umsetzung weit über das Minimum der Richtlinien hinausgegangen ist: so werden Menschen mit Behinderungen auch in Bezug auf den Zugang zu Bildung und zu Gebäuden geschützt; ferner schützt das Gesetz generell vor Diskriminierung beim Zugang zur Gesundheitsversorgung.8 Neben den vorgegebenen Diskriminierungsmerkmalen der EU-Richtlinien schützen alle frz. Diskriminierungsverbote9 zusätzlich vor Diskriminierungen wegen des Gesundheitszustandes, wegen genetischer Merkmale, Gewerkschaftsaktivitäten, politischen Überzeugungen, dem „physischen Erscheinungsbild“ und dem Familienstand.

In der Öffentlichkeit wurde diese „Übererfüllung“ weder wahrgenommen noch kritisiert. Eine politische Debatte, wie sie in Deutschland während des viele Monate dauernden Gesetzgebungsverfahrens in den Medien und der Öffentlichkeit geführt wurde, fand in Frankreich nicht in vergleichbarem Umfang statt.

Der Rechtsweg gegen Diskriminierung in Frankreich
Zunächst strebt die HALDE die Möglichkeit einer außergerichtlichen Streitschlichtung in Form von Mediation zwischen den Parteien an. Führt diese nicht zum gewünschten Ziel, oder widersetzen sich die Parteien, so stehen ein strafrechtlicher und/oder ein zivil/bzw. arbeitsrechtlicher Weg offen.
 
In arbeitsrechtlichen Verfahren richtet sich die Klage vor dem Arbeitsgericht am Wohnsitz des beklagten Arbeitgebers auf Schadensersatz oder, falls dies interessengerecht ist, auf (Wieder)Eingliederung.; die Klage kann vom Kläger selbst oder in seiner Vertretung von anerkannten und mind. 5 Jahre bestehenden AD-Vereinen geführt werden. Die Verjährungsfrist beträgt bisher 30 Jahre10. Anders als im strafrechtlichen Verfahren, profitiert der Kläger nur vor den Arbeitsgerichten von der Beweiserleichterung, welche die EuRiLis vorgaben.

Alle anderen, nicht arbeitsrechtlichen Verfahren, führen vor die Strafgerichte, da sie sich primär auf die strafrechtlichen Diskriminierungsverbote stützen. Die Verjährung beträgt drei Jahre. Das Opfer kann sich von einem AD Verein vertreten lassen. In der Regel erklärt sich der Kläger/ AD Verein als „Nebenkläger“, was den Vorteil hat, dass in demselben Verfahren mögliche Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können. Wegen des Prinzips der Unschuldsvermutung profitiert der Kläger jedoch von keiner Beweiserleichterung. Es können allerdings neben den bekannten Beweismitteln, Zeugenaussagen, Briefen, E-mails etc. seit der letzten Gesetzesänderung aus dem Jahre 2006 auch (unter bestimmten Bedingungen11) Ergebnisse der „Test Methode“ in die Beweisführung miteingebracht werden. Das Strafmass richtet sich nach der Schwere der Tat und kann von Geld bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe oder max. 75 000 €12 reichen.

Eindeutiger Nachteil des strafrechtlichen Verfahrens ist die schwierige Beweisführung, die sich auch erschwerend auf die Erfolgsaussichten eines Schadensersatzanspruchs auswirkt. Um den Schwierigkeiten und Schwächen des strafrechtlichen Verfahrens entgegenzuwirken, hat die Justizministerin, Madame Rachida Dati in diesem Sommer als eine ihrer ersten Reformen die Einrichtung sog. Anti-Diskriminierungs-Anlaufstellen („pôle anti-discrimination“) in der Staatsanwaltschaft aller 181 oberinstanzlichen Strafgerichte geschaffen.

Diese „Pole“ verfolgen den Zweck, die Staatsanwaltschaft13 mit regionalen AD-Vereinen, der Anwaltschaft und der HALDE zu vernetzen, den Wissensaustausch zu fördern und die Sensibilisierung des Themas in der Justiz zu erhöhen. Ebenfalls motiviert durch die Schwierigkeiten der Beweisführung vor den Strafgerichten, verfolgt die HALDE das nicht unumstrittene Ziel14, den Abschluss „strafrechtlicher Vergleiche“ vor Gericht (s.o.) zu fördern.

Die Rechtsprechungsentwicklung
Sehr zäh und langsam läuft in Frankreich die Entwicklung der Rechtsprechung zum Diskriminierungsrecht an. So existiert bisher noch keine Rechtsprechung zu den Begriffen und Unterscheidungen zwischen der „mittelbaren“ und „unmittelbaren“ Diskriminierung“ oder der Definition einiger Diskriminierungsmerkmale. Dies liegt unter anderem daran, dass das juristische Instrumentarium in der frz. Anwaltschaft und den AD Vereinen bisher wenig bekannt ist und die Erfolgsaussichten in strafrechtlichen Verfahren gering sind.15

Da in Frankreich traditionell strafrechtlich gegen Diskriminierungen vorgegangen wird und diese Verfahren wegen der schwierig zu erbringenden Beweislast häufig im Freispruch endeten, ist die Prozessbereitschaft bisher  niedrig. Dem wirkt die HALDE seit 2007 entgegen, indem sie vermehrt prozessorientierte Anwaltsschulungen, Seminare für AD Vereine und, ab Ende 2007 mehrtägige Fortbildungen zur Mediation in Diskriminierungsstreitigkeiten durchführt
Ferner nimmt sie ihr Recht in Anspruch, auf Einladung der Gerichte oder aus eigener Initiative, ihre „Beobachtungen“ zu den Tatsachen während des Gerichtsverfahrens abzugeben.16

Ausblick
Es wäre verfrüht zu sagen, dass die HALDE nach knapp drei Jahren zu einer Senkung von Diskriminierungen im Alltag beigetragen hat; sie selbst kritisiert sehr deutlich in ihrem 2. Jahresbericht die mangelnde Bereitschaft der frz. Unternehmen, die offizielle Ächtung von Diskriminierungen durch konkrete, effiziente Maßnahmen umzusetzen.17 

Sicherlich stärkt die HALDE die Bewusstseinsbildung und trägt zur Sensibilisierung von Akteuren in Justiz, Anwaltschaft, Wirtschaft und Medien bei. Diskriminierung wird in Frankreich wahr und ernst genommen und allgemein als zu bekämpfende Realität angesehen. Diskriminierung wird in unmittelbarem Zusammenhang zu den Ausschreitungen in den Vorstädten gestellt. Vorbildlich ist ihre Sensibilisierungsarbeit, die sie durch Informationen, Schulungen und Kampagnen seit drei Jahren betreibt.

Als beeindruckend gelten auch die Bemühungen und Ergebnisse von HALDE im Bereich der Präventionsarbeit zum Abbau von Diskriminierungen in der Arbeitswelt, wo insbesondere das Instrument Diversity Management als Möglichkeit der positiven  Wendung des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsauftrags gesehen wird. Erforderlich sind aber in rechtlicher Hinsicht Verbesserungen der strafrechtlichen Beweislast, eine noch weiter spezialisierte, „gewappnete“, engagiertere Anwaltschaft, und sensibilisierte Staatsanwälte; sie alle können in kleinen Schritten das fehlende Vertrauen in das juristische Instrumentarium zu beheben verhelfen.

Ob diese Anstrengungen mittelfristig ausreichen werden, die zum Teil massiven strukturellen ethnischen Diskriminierungen innerhalb der französischen Gesellschaft abzubauen, muss bezweifelt werden. Die Ankündigung von Präsident Sarkozy, die Probleme in den Vorstädten mit einer Mischung aus Repression (weitere Erhöhung der Polizeipräsenz und -kontrollen) und verbesserter Integration durch Bildung und Ausbildung (Schaffung von 100.000 Ausbildungsplätzen für Vorstadtjugendliche) ist für viele Beobachter ein Zeichen der Verzweiflung und enttäusche, da in seinem Programm kaum neue Ideen und Ansätze zu entdecken sind. Die jüngsten Ausschreitungen in den Vorstädten zeigen indes auf erschreckende Weise wie tief die Probleme verwurzelt sind. Antidiskriminierungspolitik und Antidiskriminierungsrecht können angesichts komplexer Problemlagen etwa im Bereich der Arbeitsmarkt- und Städtebaupolitik nur ein – wenn auch wichtiger - Baustein sein.

Endnoten
1) Vers la haute autorité de lutte contre les discriminations et pour l’égalité, rapport au Premier Ministre, La documentation française, Februar 2004.
2) Abgänger der Eliteverwaltungshochschule ENA (Ecole Nationale d’administration)
3) z.B. Ni putes ni soumises (NPNS); SOS Rascisme, Ligue international contre le racisme et l’antisémitisme (LICRA)
4) 30% der Französischen Bevölkerungen „kennen“ die HALDE und ihre Funktion.
5) Gesetz 1006-2001 v. 16.11.2001, wodurch das Arbeitsgesetzbuch und das Strafgesetzbuch ergänzt   wurden; eine Darstellung in deutscher Sprache siehe: Le Friant, AuR 2003,51ff.
6) Gesetz über soziale Modernisierung 2002-73 v. 17.1.2002
7) Gesetz 2004-1486 v. 30.12.2004.
8) Art. L1110-3 Code de la santé publique
9) s. z. Bsp. 225-1 Strafgesetzbuch ; L-122-45 Arbeitsgesetzbuch
10) Artikel 2262 Code Civil; die Frist könnte 2008 durch eine geplante Verjährungsreform erheblich verkürzt werden.
11) Siehe dazu RdNr. 50 Antidiskriminierungsrecht in Frankreich, S.Latraverse in : Rudolf/Mahlmann Gleichbehandlungsrecht, Nomos
12) Art. 225-1, 225-2 Code Pénal
13) Teile der Anwaltschaft organisieren sich seit November 2006 in einem Wissens und Erfahrungsnetzwerk zu Diskriminierungsfällen, siehe „vers la constitution d’un reseau d’avocats structuré? “La Lettre, SAF, oct.2007, S.12
14) Kritiker wenden ein, dass dies nicht im Einklang mit den Anforderungen an ein « faires Gerichtsverfahrens » im Sinne von Art. 6 EMRK steht.
15) Etwa 50 Entscheidungen wurden 2006 vor den Strafgerichten gefällt.
16) Loi 2004-1486 2004-12-30 art. 13. ; siehe z.Bsp. Urteil des Kassationsgerichts N°06-88080, 24/01/2007
17) S. Artikel in Les Ecos 3/10/2007, p.3 « La HALDE demande aux entreprises d’accentuer les efforts

 

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Sylvia Cleff Le Divellec ist Juristin und lehrt deutsches Recht und internationales Wirtschaftsrecht. Bis 2005 hat sie den Gesetzgebungsprozess des AGG begleitet. Andreas Merx ist Politologe und Antidiskriminierungs- und Diversityexperte.