Ökonomische Ressourcen von Migration und Integration

von Hans Dietrich von Loeffelholz

Am 1. Januar 2005 ist das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 in Kraft getreten. Es ist auf die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland entsprechend seinen wirtschafts- und  arbeitsmarktpolitischen Interessen sowie auf die Integration der Neuzuwanderinnen und Neuzuwanderer gerichtet. Unter Aufrechterhaltung des grundsätzlichen Anwerbestopps zielt das Gesetz bei der Zulassung von Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten aus Drittstaaten verstärkt auf qualifizierte Zuwanderer, unabhängig davon, ob sie als Arbeitnehmer oder Selbständige kommen. Sie sollen den hiesigen Wirtschaftsstandort stärken; ihnen wird deshalb zusammen mit ihren Familienangehörigen eine längerfristige Perspektive in Deutschland eröffnet.

Deutschland ist seit jeher ein Land, das stark von Zuwanderung geprägt ist. Integration ist somit für uns heute und in Zukunft von zentraler Bedeutung. Zuwanderinnen und Zuwanderern soll eine stärkere Teilnahme am gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Deutschland ermöglicht werden. Im Mittelpunkt aller Bemühungen zur Integration steht der Gedanke der Chancengleichheit.

Die Menschen, die nach Deutschland zuwandern, kommen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen. Wichtig sind deshalb gemeinsame Orientierungspunkte, die den Prozess der Integration strukturieren und steuern. Die Angebote des Bundes setzen dabei den Rahmen für diese Integrationsprozesse, die sich vor Ort, im Zusammenleben der Menschen, realisieren. Ein zentrales Element gelingender Integration ist neben dem Erlernen der gemeinsamen Sprache Deutsch, die – als Schlüssel zur Integration – den Zu-gang zu allen gesellschaftlichen Bereichen erleichtert, eine Koordinierung und Vernetzung der unterschiedlichen Integrationsangebote.
 

Zum Konzept der ökonomischen Ressourcen von  Migration und Integration

Mit einem Ausländerbestand in Deutschland von 6,7 Millionen bzw. 8 % der Bevölkerung (Stand 31.12.2006) und weiteren über 8 Millionen Personen mit Migrationshintergrund lt. Statistischem Bundesamt in 2005 (zusammen 19 % der Bevölkerung) wird die quantitative Dimension der Aufgabe deutlich. Viele davon nutzen seit langem - auch etwa als ausländische Selbständige und Unternehmer – die wirtschaftlichen Chancen Deutschlands, und das Land selbst profitiert schon lange von den ökonomischen Möglichkeiten, die die Zuwanderung und die Integration in die gesellschaftlichen Strukturen eröffnen.

Gleichwohl deuten z.B. die überproportional hohe und gerade in den vergangenen Jahren noch spürbar gestiegene Arbeitslosenquote von Ausländern, aber auch die von sonstigen Personen mit Migrationshintergrund, so von (Spät-) Aussiedlern in Deutschland, darauf hin, dass hier erhebliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Ressourcen bestehen, deren Vernachlässigung spürbare Kosten und Nachteile für das Land implizieren. Die Ressourcen bestehen darin, die Lücke zu schließen zwischen

•    der jetzigen, wirtschaftlich noch defizitären Situation für schon länger ansässige Migranten auf dem Arbeitsmarkt und dem vorgelagerten Bildungs- und Ausbildungssystem auf der einen Seite (Ist-Situation) und 

  •  einer wünschenswerten Lage auf der anderen (Soll-Situation), in der diese Mängel weitgehend beseitigt wären und eine Gleichstellung mit der Mehrheitsgesellschaft der Deutschen erreicht ist.

Positiv ausgedrückt bedeutete dieses Szenario eine weitgehende Ausschöpfung bisher überhaupt nicht oder nicht ausreichend genutzter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ressourcen bzw. Chancen.

Gerade auch mit Blick darauf sprechen wir auch von einer Ressourcenorientierung der Integrationspolitik in Deutschland. Diese Orientierung hat nicht nur den einzelnen Zuwanderer im Auge, sondern auch die Vorteile für die Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes. Das betrifft auch die Entlastung der Steuer- und Beitragzahler und den Beitrag zur Entlastung und Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei Bund, Ländern und Gemeinden sowie bei den Sozialversicherungen.

Die ungenügende Ausschöpfung des vorhandenen Potenzials und der wirtschaftlichen Ressourcen sowie die fiskalischen Belastungen, die den öffentlichen Haushalten durch die mangelnde Beteiligung der Migranten an der Finanzierung des Gemeinwesens und durch deren übermäßige Beanspruchung der staatlichen Leistungen entstehen, bedeuten in volkswirtschaftlicher Hinsicht Kosten. Dabei handelt es sich um sog. Opportunitätskosten oder Kosten nicht genutzter Chancen.

Ausmaß der Ressourcen

Der Unterschied zwischen der tatsächlichen Ist- und der wünschbaren Soll-Situation spiegelt den aktuellen, individuellen Verlust an eigenem Lebensstandard bzw. dem der privaten Haushalte von Zuwanderern wider. In volkswirtschaftlicher Gesamtbetrachtung sind damit für alle spürbare Einbußen an wirtschaftlichen Beiträgen verbunden, die die Migranten in Deutschland zur jährlichen Wirtschaftsleistung beisteuern und damit auch in die öffentlichen Kassen in Form von Steuern und Beiträgen einzahlen könnten. Mit anderen Worten, es handelt sich bei den Kosten der Nicht-Integration von Zuwanderern um das wirtschaftliche Potenzial, das - aus welchen individuellen und gesamtwirtschaftlichen Gründen auch immer - von ihnen selbst oder von der Wirtschaft auf den Arbeits-, Kapital- und Gütermärkten nicht oder nicht voll ausgeschöpft wird.
Die Mängel werden konkret gemessen vor allem

•    an der überproportional hohen Arbeitslosigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund, die zwei- bis dreimal so stark von diesem Risiko betroffen sind wie Menschen ohne diesen Hintergrund, 

  •  an ihrer unterproportionalen Erwerbsbeteiligung, vor allem von Frauen und Älteren, in der formalen Wirtschaft bei den sozialversicherungs-pflichtigen Beschäftigungen und bei den Selbständigen,
  • an ihrer überproportionalen Teilnahme an den informellen Bereichen der Wirtschaft und an den Mini- und Midi-Jobs im Niedriglohnsektor.

Zusammen genommen führen diese Defizite dazu, dass der Beitrag der Zuwanderer in Deutschland zum Gesamtvolumen der jährlich in der deutschen Volkswirtschaft produzierten, verteilten oder verwendeten Waren, Güter und Dienstleistungen, dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), unter ihrem Anteil an der (Erwerbs-) Bevölkerung bleibt. Die Lücken sind potenzielle Ressourcen, die ausgeschöpft werden sollten.

Organisationsstrukturen

Mit dem Zuwanderungsgesetz werden für die Integrationsförderung in Deutschland erstmalig klare Organisationsstrukturen geschaffen. Wesentliche konzeptionelle und steuernde Aufgaben auf dem Gebiet der Integrationsförderung wurden gebündelt und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Kompetenzzentrum Integration übertragen, das zuständig ist für die
 

•    Konzeption und Durchführung der Integrationskurse sowie die Zulassung der Lehrkräfte und deren Qualifizierung, für die Zulassung der Kursträger, die Konzeption der Tests, für die Prüfungen und die Lehrwerke 

  •  Durchführung der konkreten Umsetzung der Integrationsarbeit vor Ort durch die 23 Regionalstellen des Bundesamtes
  •  Förderung und Neuausrichtung der Einrichtungen zur Migrationserstberatung
  • fachliche Zuarbeit für die Bundesregierung auf dem Gebiet der Integrationsförderung und der Erstellung von Informationsmaterial über Integrationsangebote von Bund, Ländern und Kommunen für Ausländer/innen und Spätaussiedler/innen 
  •  Entwicklung eines bundesweiten Integrationsprogramms
  • Förderung von gemeinwesenorientierten Projekten und Maßnahmen, die der gesellschaftlichen Integration von Ausländern und Spätaussiedlern dienen
  • Verteilverfahren für jüdische Zuwanderer/innen aus der ehemaligen Sowjetunion
  • Verteilung von Fördergeldern der Europäischen Union (Europäischer Flüchtlingsfonds) zur Aufnahme, Integration und freiwilligen Rückkehr von Flüchtlingen, Vertriebenen und Asylbewerbern.

Grundgedanke und Motivation bei diesem neuen Ansatz der Zuwanderung nach Deutschland ist die Zielsetzung, auch die wirtschaftlichen Chancen durch Migration und Integration von ausländischen Migranten zu steigern. Dies gilt auch in Bezug auf die deutschstämmigen Zuwanderer. Von diesem ressourcenorientierten Ansatz profitieren nicht nur die Adressaten des Zuwanderungsgesetzes, sondern auch die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes.

Bundesausgaben für Integrationskurse u.ä. und weitere Integrationsaufwendungen

 

Die Haushaltsaufwendungen für die Integration der Zuwanderer  stellen so gesehen eine lohnende Investition in die wirtschaftliche Zukunft und Prosperi-tät der Bundesrepublik dar. Vorgesehen waren in 2005 für die Integrationsaufgaben des BAMF Mittel zur Sprachförderung von Ausländern und Aussiedlern in Höhe von knapp 208 Mio. € (2006 und 2007 jeweils ca. 141 Mio. €), zur Förderung der sozialen Integration (Migrationserstberatung)  ca. 30 Mio. € (2006 und 2007 jeweils knapp 27 Mio. €) und als Zuwendungen für Maßnahmen zur Förderung der gesellschaftlichen Integration von Spätaussiedlern und Auslän-dern ca. 14 Mio. € (2006 und 2007 jeweils ca. 19 Mio. €).

Der Bund ist in Gestalt des BAMF zuständig für die Zulassung von durch Kursträger angebotenen Integrationskursen für verpflichtete, neu einreisende Drittstaatler sowie für berechtigte ansässige Ausländer. Als Instrumente zur Integrationspolitik wurden auf Bundesebene die entsprechenden Kurse (Sprach- und Orientierungskurs mit 600 bzw. 30 Stunden) geschaffen, die vor allem durch ansässige Nicht-EU-Ausländer sehr lebhaft in Anspruch genommen werden.

Im Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2006 haben 248.682 Personen an Integrationskursen teilgenommen. Die Kurse haben in dieser Zeit ca. 107.879 Personen bereits beendet, davon 76.401 Personen im Jahr 2006. Schwerpunkte lagen bei den Integrationskursen allgemein und den Eltern- und Frauenintegrationskursen.
Von den 31.478 Kursabsolventen des Jahres 2005  legten 17.482 die Prüfung für das Zertifikat Deutsch ab und 12.151 bestanden sie (Erfolgsquote somit 38,6 % der Absolventen und 69,5 % der Prüfungsteilnehmer). 2006 waren die Werte in jeder Beziehung höher. In diesem Jahr gab es 76.401 Kursabsolventen; 50.952 nahmen an der Prüfung teil, von denen 36.599 sie bestanden. Die Erfolgsquote stieg damit auf etwa 48 % der Absolventen und fast 73 % der Prüfungsteilnehmer.

Wenn es durch diese Aufwendungen gelänge, nur die Hälfte der erfolgreichen Absolventen über kurz oder lang in die Lage zu versetzen, auf Dauer eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt mit einer steuer- und sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit zu schaffen, wären Aufwendungen schon nach relativ kurzer erfolgreicher Erwerbstätigkeit der Integrationsteilnehmer wieder „refinanziert“. Abgesehen wird dabei noch von den Ersparnissen des Staates bei solchen Aufwendungen, die der sozialen und inneren Sicherheit sowie dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen.

Zu den o.a. Bundesausgaben für die Integration von Migranten hinzu kommen noch die Ausgaben der anderen Bundesressorts wie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)  sowie die spezifischen Ausgaben auf Länder- und Gemeindeebe-ne und die der EU.

Wenn durch diese Integrationsmaßnahmen insgesamt – analog zum obigen Beispiel - ca. 120.000 Zuwanderer auf Dauer in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden könnten, wären Aufwendungen durch Bund, Länder, Gemeinden und EU in Deutschland ebenfalls nach relativ kurzer Erwerbstätigkeit dieser Gruppe „refinanziert“.
 

Fazit

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Politik auf allen Ebenen die Notwendigkeit, aber auch die Chancen der Integration von Migrantinnen und Migranten erkannt hat und namhafte Mittel aus den Bundes-, Landes- und auch kommunalen Etats und der EU bereitstellt, um die ungenutzten Ressourcen der Zuwanderer besser auszuschöpfen. Dies gilt um so mehr als die Neuzuwanderung weiterhin rückläufig ist und so die Aufmerksamkeit stärker auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration der hier schon länger ansässigen Migrantinnen und Migranten gerichtet werden kann. Dies dient nicht nur den Zuwanderern selbst, sondern auch der Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland als Ganzes, die dadurch nicht nur Potenziale ausschöpft, sondern auch Kosten der Nichtintegration reduziert und vermeidet.

Zur besseren Integration wendet der Staat und damit wir alle als Steuerzahler namhafte Mittel auf, die sich lohnen und bei Integrationserfolgen schnell refinanzieren. Sie sind aber nicht nur aus fiskalischer Sicht eine lohnende Investition in die Zukunft, sondern auch gesellschaftlich. Sie tragen vor allem auch zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei, die ohnehin durch den demographischen Wandel, durch die damit einhergehende Individualisierung sowie durch die Globalisierung und Ökonomisierung aller Lebensbereiche vor großen Herausforderungen steht.
 

Ausgewählte Literatur

Bundesministerium des Innern und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2006), Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung. Migrationsbericht 2005. Nürnberg. 

Loeffelholz, H.D. von, et al. (2006), Wirtschaftsfaktor ältere Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Stand und Perspektiven. In: Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hg.), Lebenssituation und Gesundheit älterer Migranten in Deutschland. Berlin. 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hg.) (2005), Einfluss von Zuwanderung auf die deutsche Gesellschaft. Forschungsbericht 1. Nürnberg. 

Loeffelholz, H.D. von, et al. (2004), Fiskalische Kosten der Zuwanderung. Gutachten für den Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration. RWI, Essen. 

Loeffelholz, H.D. von, et al. (2002), Arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderung – Szenarien der Zuwanderung und rechtliche und institutionelle Aspekte ihrer Steuerung. RWI-Schriftenreihe 68. Berlin: Duncker & Humblot. 

Hernold, P. und Loeffelholz, H.D. von (2002), Berufliche Integration ausländi-scher Zuwanderer. RWI-Papiere 81, RWI, Essen. 

Loeffelholz, H.D. von (2002), Beschäftigung von Ausländern – Chance zur Er-schließung von Personal- und Qualifikationsreserven. IAB-Mitteilungen zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Heft 4/2002. Nürnberg.

Loeffelholz, H.D. von, et al. (2002), Managing Migration for Economic Growth. Germany and the United States in Comparative Perspective. AIGCS Pol-icy Report #1. Washington, D.C: AICGS.

Loeffelholz, H.D. von, und G. Köpp (1998), Ökonomische Auswirkungen von Zuwanderungen nach Deutschland. Berlin: Dunker & Humblot.

 

 

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Dr. Hans Dietrich von Loeffelholz ist seit 2005 Leiter des neu geschaffenen Referates „Grundsatzfragen und ökonomische Aspekte der Migration“ im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg.