von Gari Pavković
Die Ausgangssituation: Wirtschaftsstandort Stuttgart als internationale Stadt
Stuttgart hat mit den höchsten Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung unter den deutschen Großstädten: 38 Prozent aller Einwohner haben einen Zuwanderungshintergrund – in absoluten Zahlen über 220.000 Personen. Diese umfassen Pass-Ausländer aus knapp 180 Herkunftsstaaten (21,7 Prozent), eingebürgerte Ausländer (10 Prozent) und Aussiedler (6,3 Prozent – Zahlen vom 31.12.2006). Über die Hälfte aller Stuttgarter Kinder und Jugendlichen stammen aus Einwandererfamilien.
Stuttgart gehört zugleich zu den bedeutendsten Wirtschaftsmetropolen in Europa. Innovative Branchen wie der Fahrzeug- und Maschinenbau oder die elektrotechnische und elektronische Industrie haben die Stadt als Produktionsstandort weltbekannt gemacht. Auch im Dienstleistungssektor präsentiert sich Stuttgart wachstumsstark: seit 1991 hat die im „Tertiären Sektor“ erwirtschaftete Bruttowertschöpfung um fast 50 Prozent auf 20 Mrd. Euro zugelegt.
Der Erfolg der „Exportstadt“ Stuttgart in der Welt hängt eng zusammen, wie Stadtverwaltung und Bürgergesellschaft mit der Welt in Stuttgart umgehen, d.h. wie die Kommune das Zusammenleben der einheimischen und der zugewanderten Bevölkerung integrationspolitisch gestaltet.
Integrationspolitik als gesamtstädtische Strategie – das Stuttgarter Bündnis für Integration
Im Jahr 2001 übernahm der Oberbürgermeister Wolfgang Schuster den Stab des Integrationsbeauftragten in seinen Geschäftsbereich. Migration und Integration wurden „Chefsache“ im Rathaus und Querschnittsaufgabe in der Verwaltung. Zugleich wurde mit dem Bündnis für Integration ein Konzept zur kommunalen Integrationspolitik im Sinne einer Gesamtstrategie entwickelt und politisch verabschiedet, das seitdem fortlaufend weiterentwickelt wird (aktualisiert: Landeshauptstadt Stuttgart 2006: Stuttgarter Bündnis für Integration, www.stuttgart.de/ Suchbegriff Integrationspolitik, die Fortschreibung erscheint im Juni 2007).
Der Stuttgarter Ansatz: Migration und kulturelle Vielfalt als Mehrwert für alle
Die Grundüberlegung bei der Neuausrichtung der Integrationspolitik war: Stuttgart ist eine Einwanderungsstadt und jeder, der hier lebt, ist Stuttgarter Bürger. Die Lebenswelten von unseren zugewanderten Bevölkerungsgruppen – den „neuen Stuttgarterinnen und Stuttgartern“ mit Migrationshintergrund – sind nicht nur von Merkmalen wie Staatsangehörigkeit und kultureller Orientierung geprägt, sondern auch und vor allem von der unterschiedlichen Teilhabe der Menschen an Bildung, Arbeit, Wohlstand und sozialer Absicherung sowie von politischen Mitwirkungsmöglichkeiten am kommunalen Geschehen.
Daraus wurden Leitziele für die kommunale Integrationspolitik abgeleitet und für die einzelnen Handlungsfelder konkretisiert:
1. Förderung der Partizipation und der Chancengleichheit von Migrantinnen und Migranten, insbesondere in den Bereichen vorschulische, schulische und berufliche Bildung, Arbeitsmarkt und Wirtschaft, Wohnen, Zugang zu kommunalen Dienstleistungen, gesellschaftliche und politische Partizipation. Mittel- und langfristig soll möglichst eine Angleichung der sozialen Lebenslagen und der Teilhabechancen von Migranten an die alteingesessene Bevölkerung sichergestellt werden (Leitidee einer sozial gerechten Stadt).
2. Förderung des friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Bevölkerungsgruppen durch weitere Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Kohäsion: sozialräumliche Verankerung der verschiedenen Integrationsprogramme, Maßnahmen gegen die Verfestigung sozialer und ethnischer Segregation in benachteiligten Stadtteilen, Kriminalprävention, Stärkung der nationalitäten- und generationenübergreifenden Begegnungen in den Stadtteilen, aber auch Anerkennung und Förderung der kulturellen und religiösen Vielfalt, verbunden mit einer eine offensiven Öffentlichkeitsarbeit , die insbesondere die Potenziale und Chancen der Migration für die Zukunftsfähigkeit der Stadt angesichts der Herausforderungen durch Globalisierung und demografische Entwicklung herausstellt. Unter der Prämisse „Eine Stadtgemeinschaft – viele Lebenswelten“ soll Stuttgart eine lebenswerte Heimat für alteingesessene Bürger bleiben und es für Migranten als Neubürger werden.
3. Nutzung der kulturellen Vielfalt für die Erweiterung der persönlichen und beruflichen Kompetenzen aller in der internationalen Stadtgesellschaft: dies beinhaltet mehr als Anerkennung der kulturellen Diversität als eine Realität. Die Talente und Potenziale der Migranten in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport sollen gezielt gefördert werden (OB Schuster: „die besten Köpfe nach Stuttgart holen, in Stuttgart halten und fördern“). Die Sprachenvielfalt der jungen Migranten soll als eine erweiterte Qualifikation ebenfalls gefördert und somit für die exportorientierte Wirtschaft und den Dienstleistungssektor vor Ort nutzbar gemacht werden. Durch verstärkte Einstellung von Migranten im öffentlichen Dienst und durch interkulturelle Fortbildungen aller Beschäftigten soll die Qualität der kommunalen Dienstleistungen und somit auch die Integration der Zugewanderten verbessert werden (Leitidee einer kulturell kreativen Stadt).
Standortfaktoren innovative Technologien, Toleranz und Talentförderung
In Anlehnung an den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida geht die Verwaltungsspitze in Stuttgart davon aus, dass drei große „T“ unseren Standortvorteil im globalen Wettbewerb der Städte ausmachen: moderne Technologien, die Talente unserer Bürgerinnen und Bürger mit und ohne deutschen Pass und eine ausgeprägte Toleranz in Bezug auf das Zusammenleben in kultureller Vielfalt. Nur die Städte und Regionen, bei denen all diese Faktoren in einem günstigen Verhältnis zusammenfallen, können auch langfristig mit wirtschaftlichem Wachstum rechnen.
Als schwäbische Tüftler sind wir für Entwicklung innovativer Technologien bekannt. Ein entscheidender Standortfaktor im globalen Wettbewerb der Städte ist jedoch das Vorhandensein eines weltoffenen Klimas als Anreiz für leistungsstarke Neuzuwanderer – insbesondere in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und im Kulturbereich.
Ein tolerantes, vielfältiges Klima, in dem sich unterschiedlichste kulturelle Impulse gegenseitig bereichern, macht die Stadt für die „kreative Klasse“ attraktiv. Dabei gilt es vor allem, die Lern- und Leistungspotenziale der nachwachsenden Generation gezielt zu fördern. Die Vielzahl kreativer Talente mit und ohne Migrationshintergrund schafft eine innovationsfreudige Stimmung und zieht Unternehmen aus den wissensintensiven Dienstleistungsbereichen und den Zukunftstechnologien an. Dies führt zu einer höheren Attraktivität der Stadt auch für Hochqualifizierte aus anderen Regionen.
Talentförderung durch Erhöhung der Bildungschancen von jungen Stuttgartern aus Einwandererfamilien
Gute Bildungsabschlüsse der jungen Menschen mit Migrationshintergrund sind eine zentrale Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit Stuttgarts als Wirtschaftsstandort im internationalen Wettbewerb der Städte und Regionen. Das Bildungsniveau der jungen Migranten stagniert jedoch auch in Stuttgart seit Jahrzehnten, obwohl die Anforderungen der vom Strukturwandel geprägten Wirtschaft an die Berufseinsteiger rasant steigen. In Anbetracht dessen, dass junge Migrantinnen und Migranten inzwischen mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen in Stuttgart ausmachen, wurde die vorschulische, schulische und berufliche Bildung in den letzten Jahren zum Schwerpunkt der kommunalen Integrationspolitik. Wir können es uns einfach nicht leisten, diese Talente zu verschwenden, weil unser Bildungssystem davon ausgeht, dass Diversität das Lernen hemmt und deswegen junge Menschen früh durch Verteilung auf verschiedene Schularten selektiert.
Gegenwärtig erarbeitet die Stadtverwaltung ressortübergreifend und in Abstimmung mit dem Kultusministerium ein gesamtstädtisches Bildungskonzept für 3- bis 16jährige, um die individuelle Förderung und somit den Schulerfolg aller Schülergruppen – unabhängig von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft – zu verbessern.
Vom Konzept zur Umsetzung: Bürgerengagement und interkulturelle Öffnung der Strukturen als Pfeiler
Die Ziele und Maßnahmen des Stuttgarter Bündnisses für Integration konzentrieren sich auf zwei Felder: die identifikatorische und die strukturelle Integration.
Integration von Zugewanderten ist zuerst ein persönlicher, d.h. individueller Prozess, der von verschiedenen Faktoren abhängt: der Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft und ihrer Institutionen für Menschen aus anderen Kulturen, den Möglichkeiten und dem Erfolg der Teilhabe (insbesondere auf dem Arbeitsmarkt), und von „Brückenbauern“, die Zugewanderte bei der Überwindung der Eingliederungsschwierigkeiten konkret unterstützen und dabei selbst eine Vorbildfunktion übernehmen. Integrationsarbeit ist Beziehungsarbeit. Die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft müssen Selbstvertrauen im Umgang mit den „Fremden“ entwickeln und einen „Mehrwert“ für sich aus der Internationalisierung der Stadtgesellschaft erkennen.
Mit der Ausrichtung der Integrationspolitik als Gemeinschaftsaufgabe (Kommune im wörtlichen Sinne als die Gemeinschaft ihrer Bürger) wurden von Anfang an gezielt zahlreiche ehrenamtlich tätige Einzelpersonen und Vereine in die verschiedenen Maßnahmen und Projekte eingebunden, darunter auch gezielt Migrantenselbstorganisationen. Das freiwillige Bürgerengagement ist ein Pfeiler der Stuttgarter Integrationspolitik. Dafür wurden zum Teil neue Kooperationsstrukturen und Räume geschaffen, zum Teil bestehende interkulturell ausgerichtet. Mit dem Forum der Kulturen wurde ein Dachverband von inzwischen 200 Migrantenkulturvereinen gegründet, der im Rahmen zahlreicher Veranstaltungen und über seine Monatszeitschrift „Begegnung der Kulturen“ traditionelle Migrantenkulturen mit international renommierten Künstlern zusammenbringt und somit auch einen wichtigen Beitrag zur Bildungsarbeit im Kontext kultureller Pluralisierung leistet. Migrantenorganisationen engagieren sich neben den klassischen Handlungsfeldern (Kultur und Sport) auch zunehmend in der Jugendsozialarbeit, in der schulischen und beruflichen Bildungsarbeit und in der Elternbildung.
Eine zentrale Rolle bei der politischen Partizipation spielt der neu ausgerichtetete Internationale Ausschuss des Gemeinderats, dessen sachkundige Mitglieder (mit und ohne deutschen Pass) als Experten für Sachthemen berufen worden sind (Sprachförderung, Schule, Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Soziales, Kultur usw.) und nicht auf Grund ihrer ethnischer Herkunft.
Entscheidend für die Verstetigung des Bürgerengagements sind vor allem: die Gewinnung und Schulung der Ehrenamtlichen sowie die Koordination derer Projekte durch interkulturell erfahrene Hauptamtliche, ideelle Anerkennung des Geleisteten durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit der Stadt und der lokalen Medien, Auszeichnungen (z.B. durch die Bürgerstiftung Stuttgart), Bereitstellung von Räumen und Zuschüssen sowie Hilfestellung bei der Akquise von Drittmitteln und/oder bei der Professionalisierung der Vereinsarbeit.
Der zweite Fokus der Stuttgarter Integrationspolitik liegt auf der strukturellen Integration. Eine erfolgreiche Teilhabe an Bildung, Beschäftigung, kommunalen Dienstleistungen und bürgerschaftlichem Engagement hängt nicht nur von der Integrationsbereitschaft der Zugewanderten ab, sondern von der Qualität und somit dem Erfolg der durchgeführten Integrationsprogramme – von der vorschulischen Sprach- und Bildungsförderung über die schulische und berufliche Bildung bis hin zur Altenhilfe. Die interkulturelle Ausrichtung der Institutionen (d.h. der Strukturen) und die Optimierung der jeweiligen Programme für Menschen verschiedener sozialer und kultureller Herkunft ist deshalb eine Querschnittsaufgabe im Sinne des Diversitätsmanagements. Die Verantwortung für die interkulturelle Qualitätsentwicklung der Integrationsmaßnahmen liegt bei den jeweiligen Ressorts. Der Stab des Integrationsbeauftragten hat dabei eine Monitoring- und Unterstützungsfunktion.
Die interkulturelle Orientierung der Stadtverwaltung und der freien Träger (bezogen auf Migranten als Zielgruppe) bzw. Diversitätsmanagement (bezogen auf die Heterogenität der Zielgruppen insgesamt) wird durch drei parallele Prozesse vorangebracht:
1. Erweiterung der interkulturellen Kompetenz der Beschäftigten durch Fortbildungen zu Migrationsthemen, eine verstärkte Zusammenarbeit mit Migrantenselbstorganisationen, Einstellung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund und damit verbunden dem Aufbau von interkulturellen Teamstrukturen. Da eine zunehmende Heterogenität von Arbeitsteams nicht nur zusätzliche Kreativität, sondern auch Konfliktpotenziale beinhaltet, neigen Beschäftigte eher dazu, Diversität zu vermeiden. Personalentwicklung im Sinne des Diversitätsmanagements ist somit eine wichtige Aufgabe der jeweiligen Führungsebenen.
2. Parallel zu Fortbildungen und einer veränderten Einstellungspolitik entwickeln die Ämter und die freien Träger interkulturelle Leitlinien (so z.B. die Leitlinien zur Integration und interkulturellen Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe in Stuttgart, 2005) sowie Handlungsrichtlinien für interkulturelle Teamarbeit. Die Leitlinien und Handlungsempfehlungen sollen die interkulturelle Kompetenz institutionell verankern.
3. Schließlich muss dazu auch eine Erfolgskontrolle der eigenen Maßnahmen in Bezug auf Migranten als Zielgruppe dazukommen – durch indikatorengestützte Monitoringverfahren (um die Ausgangssituation zu erfassen), messbare Zielvorgaben (um die Ausgangssituation zu verbessern – z.B. Deutschkenntnisse vor der Einschulung, Schulabschlüsse, berufliche Integration usw.) sowie Evaluation der Programme (Wirkungsanalysen: inwieweit wurden die Zielvorgaben auch tatsächlich erreicht).
Die erfolgreiche Anwendung dieser Steuerungsinstrumente hängt in Stuttgart wie auch anderswo sehr stark von engagierten Personen in Führungspositionen ab. Die Aufgabe des Integrationsbeauftragten ist es, die genannten Prozesse der interkulturellen Ausrichtung der Institutionen bzw. der interkulturellen Qualitätsentwicklung ihrer Dienstleistungen zu initiieren, zu begleiten oder zu unterstützen. Die erreichten Ergebnisse werden von der Verwaltungsspitze (Bürgermeisterebene) angemessen gewürdigt. Eine Kultur der Anerkennung ist auch für Hauptamtliche wichtig.
Die Rolle der Wirtschaft im Integrationsprozess
Erwerbstätigkeit ist ein zentraler Integrationsfaktor, und Dank einer guten wirtschaftlichen Situation hat die Stadt und Region Stuttgart hier günstigere Rahmenbedingungen als viele andere deutschen Städte und Regionen. Seit einigen Jahren binden wir neben den Kammern auch verstärkt die von Migranten geführten Unternehmen und Verbände in unsere beruflichen Integrationsprogramme ein, so z.B. im Rahmen des Jobstarter-Programms „Aktiv für Ausbildungsplätze“ im Projekt „Ausländische Betriebe bilden aus“ oder bei beruflichen Qualifizierungsprojekten für benachteiligte Jugendliche im Verbund mit dem Deutsch-Türkischen Business-Center Stuttgart oder mit dem Verein türkischstämmiger Selbständiger „self e.V.“ Stuttgarter Konzerne wie DaimlerChrysler gehören zu den Erstunterzeichnern der „Charta der Vielfalt“, einer Initiative der Bundesintegrationsbeauftragten, für die wir weitere Stuttgarter Unternehmen gewinnen wollen. Dabei wirken wir darauf hin, dass Diversitätspolitik und soziale Verantwortung vor Ort (Bündnis für Integration) und in der Welt (Stuttgarter Partnerschaft Eine Welt) Hand in Hand gehen.
Gari Pavković ist Integrationsbeauftragter der Stadt Stuttgart.