von Ilka Desgranges
Was ist und tut der Deutsche Presserat?
Der Deutsche Presserat, die freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien, setzt sich für einen fairen und sauberen Journalismus ein und somit für die Wahrung des Ansehens der Presse in Deutschland. Er hat es sich seit 50 Jahren zur Aufgabe gemacht, Missstände im Pressewesen festzustellen und auf ihre Beseitigung hinzuwirken.
Wie kann der Deutsche Presserat auf diskriminierende mediale Inhalte reagieren?
Der Pressekodex, den der Deutsche Journalistenverband herausgibt, enthält Empfehlungen und Richtlinien für die publizistische Arbeit. Eine der Ziffern (Ziffer 12) befasst sich mit Diskriminierung. Sie heißt: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer rassischen, ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“
Richtlinie 12.1 besagt: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründeter Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber schutzbedürftigen Gruppen schüren könnte.“
Wie sehen die Beschwerden zu diskriminierenden medialen Inhalten aus?
Von den rund 700 Beschwerden, die den Presserat pro Jahr erreichen, richtet sich nur ein Bruchteil gegen Texte, durch die Minderheiten diskriminiert werden. Die jährlich erstellte Statistik des Deutschen Presserates belegt, dass sich die meisten Beschwerden wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder Vergehen gegen die Sorgfaltspflicht ausmachen lassen. Es lässt sich insofern über die Jahre hinweg keine qualitative Veränderung feststellen. Ohnehin ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der Deutsche Presserat auf einzelne Beschwerden reagiert. Ein vollständiger Überblick über alle Verstöße in deutschen Printprodukten gegen den Pressekodex ist nicht leistbar.
Die Zahl der Beschwerden wegen Diskriminierung von MigrantInnen ist nach wie vor vergleichsweise gering. Das hängt sicherlich zusammen mit der Berichterstattung über MigrantInnen beziehungsweise mit deren Wahrnehmung zusammen. MigrantInnen kommen in den deutschen Print-Medien noch immer nicht sehr häufig vor, wenngleich sich in den letzten Jahren eine Veränderung feststellen lässt. Wenn über Menschen mit Migrationshintergrund berichtet wird, dann meist in zwei „Sparten“: dem Polizeibericht oder aber in der „Folklore-Ecke“. Wenn der Kroate eine Handtasche gestohlen hat oder aber wenn die Griechen mal wieder im Volkshochschulzentrum Sirtaki tanzen, dann reagieren die Zeitungen und berichten darüber.
Die Medien vermitteln leider noch immer ein verzerrtes MigrantInnenbild. Wenngleich man feststellen darf, dass MigrantInnen inzwischen zum Thema geworden sind. Auch zum Thema von konzeptionellen Überlegungen in Zeitungen. Mehr MigrantInnen in die Zeitungen und vor allen Dingen MigrantInnen anders in die Zeitungen – lautet inzwischen bei vielen Tageszeitungen die Devise. Dennoch: Das Bild, das von Menschen mit Migrationshintergrund gezeichnet wird, ist nicht eindeutig, und es ist nicht vollständig. Die Berichterstattung über den Alltag der Menschen mit Migrationshintergrund ist in den meisten Zeitungen noch immer keine selbstverständlicher Teil des täglichen Themenangebotes.
In Polizeiberichten werden oft die Nationalitäten ohne Grund genannt. Es ist überflüssig, in einer Meldung über einen Taschendieb zu erfahren, dass er beispielsweise aus Kroatien stammt. Dennoch wird gerade in Polizeiberichten die Nationalität häufig genannt. Eine solche Nennung der Nationalität führte zu folgender Beschwerde beim Deutschen Presserat. (Anm. 3, BK1-325/06, Beschluss vom 13. März 2007)
Der Sachverhalt: Eine deutsche Tageszeitung berichtet unter der Überschrift „Dumm gelaufen: Taschendieb mit Bänderriss“ über einen Taschendieb, der auf seiner Flucht vor der Polizei stürzte und sich einen Bänderriss zuzog. Sie erwähnt ausdrücklich die kroatische Herkunft des Täters: „Auf der Polizei hat sich ein 43-jähriger Taschendieb verletzt. Er zog sich einen doppelten Knöchelbruch und einen Bänderriss zu. Der aus Kroatien stammende Mann hatte gestern gegen 11.20 Uhr in einem Zug von Köln nach Düsseldorf Reisenden eine Laptoptasche gestohlen. (...) Auf seiner Flucht übersah er eine Bordsteinkante und fiel. Selbst beim Eingipsen des verletzten Beines mussten ihm Handfesseln angelegt werden.“
Der Beschwerdeführer kann für die Nennung der Nationalität des Diebes keinen begründbaren Sachbezug zum Vorgang erkennen. Die Rechtsabteilung der betroffenen Zeitung hingegen vertritt die Auffassung, die Unterdrückung einer Information (in diesem Fall die Nennung der Nationalität) dürfe nicht dazu führen, dass z.B. möglichen Opfern von Straftaten Erkenntnisse vorenthalten würden, die beispielsweise der Verhinderung künftiger Taten dienen können. Die Berichterstattung berge nicht die Gefahr, dass Vorurteile gegenüber schutzbedürftigen Gruppen geschürt werden könnten. Vermutlich sei aus den Mitteilungen der Bundespolizei zitiert worden, die in der Regel die Nationalität von Tätern nenne.
Erwägungen der Beschwerdekammer 1 des Deutschen Presserates: Er ist der Meinung, dass das in Ziffer 12 des Pressekodex definierte Diskriminierungsverbot verletzt wurde. Das Gremium konnte keinen begründbaren Sachzusammenhang zwischen dem Vorfall und der Nationalität des Diebes erkenne. Dass der Mann aus Kroatien stammt, trägt zum Verständnis des Falles nicht bei. Die Berichterstattung wäre hier ebenso gut ohne die Preisgabe der Nationalität des Diebes ausgekommen. Die Nationalität wurde in diesem Fall nicht als Information von Bedeutung angesehen. Und eine allgemeine Warnung vor Kroaten im Zusammenhang mit Diebstahlsrisiken hätte eine eher diskriminierende Wirkung. Der Beschwerdeausschuss hielt den Verstoß für so schwerwiegend, dass er als Maßnahme eine Missbilligung wählte. Dies insbesondere, wie es in der Begründung heißt „weil die Begründung des Beschwerdegegners keinerlei Sensibilität für die Problematik der Diskriminierung zeige. In diesem Kontext von Diskriminierung zu sprechen und daraus den Schluss zu ziehen, dass ansonsten möglichen Opfern von Straftaten Erkenntnisse vorenthalten würden, die der Verhinderung künftiger Taten dienen könnten, hält der Ausschuss für abwegig. Er entscheidet: Die Beschwerde ist begründet. Als Maßnahme verhängt er eine Missbilligung.
Ziffer 12 ist gerade, wenn es um die Nennung von Nationalitäten geht, eine viel diskutierte Ziffer. In Redaktionen herrscht nicht selten Uneinigkeit über die Auslegung oder auch Unsicherheit. In der Forderung des Deutschen Presserates nach Zurückhaltung bei der Erwähnung von Zugehörigkeiten zu bestimmten Volksgruppen sowie religiösen und anderen Minderheiten sehen viele JournalistInnen auch eine Bevormundung. Allerdings ist fein zu unterscheiden, wann eine Nennung der Nationalität den Sachverhalt erhellt beziehungsweise für die Fahndung nach einem Straftäter erforderlich ist. In vielen Fällen führt die Nennung – ob mit oder ohne Bedacht geschehen – zur Diskriminierung bestimmter Gruppen.
Noch ein Fall: Auch dieses Beispiel für diskriminierende Berichterstattung entstammt dem Umfeld Polizei-/Gerichtsberichterstattung: Eine Lokalzeitung berichtet unter dem Titel „Betrug im VW-Werk: Italiener ergaunert 54 000 Euro am Getränke-Automaten!“ über die Verurteilung eines 38-Jährigen, der Guthabenkarten für Automaten manipuliert hat. In dem Betrag wird siebenmal erwähnt, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Italiener handelt. Ein Leser der Zeitung beschwert sich darüber beim Deutschen Presserat. Er meint, ein Bezug zwischen der Straftat und der Nationalität sei nicht zu erkennen. Die Zeitung vertritt in ihrer Stellungnahme die Auffassung, die Bezeichnung Italiener sei in der Stadt eher positiv als negativ besetzt. Seit Jahren lebten hier viele Italiener. Italien sei allgegenwärtig: in Straßennamen, vor allem aber auch im VW-Werk. Sie verweist auch darauf, dass es außer der Beschwerde beim Presserat keine weitere Beschwerde gegeben habe. Der Deutsche Presserat hält die Beschwerde für begründet ( BK1-211/06) und spricht eine Missbilligung aus. Die Erwähnung der Nationalität hält er nicht für gerechtfertigt, weil sie für das Verständnis des berichteten Vorgangs in keinem begründeten Sachbezug steht. Insofern hätte auf die Nennung der Staatsangehörigkeit verzichtet werden müssen.
Wenngleich die Zahl der Beschwerden beim Deutschen Presserat wegen der ungerechtfertigten Nennung von Nationalitäten vergleichsweise gering ist, lässt sich feststellen, dass die Staatsangehörigkeit meist im Zusammenhang mit einer kriminellen Handlung genannt wird. Das mag daran liegen, dass in Polizeiberichten Vollständigkeit angestrebt wird. (Ein Beleg dafür ist auch die sehr genaue Angabe von Uhrzeiten). Es ist jedoch Aufgabe der Redaktionen abzuwägen, ob die Nennung zur Beschreibung oder Erhellung des Sachverhaltes nötig ist, also eine erforderliche Information ist, oder ob sie nicht benötigt wird. Die ungerechtfertigte Nennung von Nationalitäten ist dann vielfach als Diskriminierung anzusehen. Sie trägt dazu bei, dass bei den LeserInnen der Eindruck entstehen kann, Menschen mit Mirgationshintergrund seien häufiger kriminell als Einheimische. Ein Eindruck, den die Statistiken aber in den meisten Fällen nicht bestätigen.
Der Deutsche Presserat kann dieses Phänomen nur in Ausschnitten behandeln und ihm auch nur in Ansätzen begegnen. Über die Beschwerdearbeit des Gremiums der Freiwilligen Selbstkontrolle hinaus ist es wichtig, dass sich die Berichterstattung über MigrantInnen generell verändert. Wenn sie „thematisch dazugehören“, das heißt über alle Facetten ihres Lebens berichtet wird, dann wird irgendwann auch in den Polizeiberichten die Nationalität nur noch in begründeten Fällen genannt.
Literatur
Jahrbuch 2006 des Deutschen Presserates. Mit der Spruchpraxis des Jahres 2005; inklusive CD-Rom mit der Spruchpraxis 1985-2005. UKV Verlagsgesellschaft, Konstanz 2006.
Dr. Ilka Desgranges ist Mitglied des Deutschen Presserats und Leiterin der Regionalredaktion Mitte der Saarbrücker Zeitung.