von Bärbel Röben
„Frauen und Personen mit Migrationshintergrund werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt“, heißt es in einer Stellenauschreibung für ein neues entwicklungspolitisches Magazin im Juli dieses Jahres. Im Mai verstärkte Dunja Hayali das Team der „heute“-Nachrichtenredaktion. „Mir war beim Casting klar, dass das ZDF irgendjemanden mit Migrationshintergrund sucht“, erklärte die Fernsehmoderatorin irakischer Abstammung in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. Dass im Journalismus bewusst MigrantInnen gesucht werden, ist eine relativ neue Entwicklung.
Deutschland hat inzwischen zwar ein Zuwanderungs- und allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, ist aber noch weit davon entfernt, eine politische Perspektive für alle Mitglieder der multikulturellen Gesellschaft zu entwickeln. Die politischen und medialen Teilhabechancen sind weiterhin ungleich verteilt - entlang kultureller, ethnischer, sozialer, religiöser, geschlechtsspezifischer Grenzziehungen. Im Vergleich zu ihrem wachsenden Anteil an der deutschen Wohnbevölkerung sind MigrantInnen mit ihren spezifischen Lebenserfahrungen und Perspektiven in den Redaktionen immer noch deutlich unterrepräsentiert. Inzwischen gibt es in der Bundesrepublik mehr als 15 Millionen Menschen mit Zuwanderungshintergrund - über 19 Prozent der Bevölkerung. JournalistInnen mit Migrationshintergrund stellen nach Einzelstudien aber nur etwa drei Prozent des Medienpersonals - größtenteils Männer. Die deutschen Journalistinnen kommen nach den jüngsten Berufsforschungsdaten immerhin auf etwa 37 Prozent.
Das, was die Frauengleichstellung voranbrachte - der Beleg von Diskriminierungen durch Daten und Zahlen - steht für Migrantinnen noch aus. Unter den Forschungsarbeiten zur Medienproduktion bzw. ihren Akteuren und Akteurinnen sind die Studien, die sowohl Ethnie als auch Geschlecht, also Journalistinnen mit Migrationshintergrund, thematisieren, verschwindend gering. Das belegt der 2005 veröffentlichte Forschungsüberblick Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland, der eine „auf Vollständigkeit angelegte Bibliographie“ zu diesem Thema enthält: Von 1048 aufgeführten Titeln thematisieren 99 die „Produktionsbeteiligung von Minderheitenangehörigen“ - sieben von diesen 99 beziehen sich gleichzeitig auf „Frauen/Mädchen“. Drei davon beschäftigen sich mit dem europäischen Modellprojekt zur interkulturellen Öffnung von Rundfunkanstalten „Mehr Farbe in die Medien“, das in Deutschland 20 Migrantinnen ermöglichte, 1998 ein Volontariat in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu absolvieren.
Empirisch gesicherte repräsentative Daten zur Präsenz von MigrantInnen in den Redaktionen gibt es nicht, weil es schwierig ist, zu definieren, wer Migrant/in ist und seitens der Medienunternehmen anscheinend kein großes Interesse an exakten Zahlen besteht. Da wird auf den Datenschutz verwiesen oder die Gefahr einer Stigmatisierung dieser Personengruppe, auf den zu hohen Arbeitsaufwand für ihre statistische Erfassung. Man mache keine Unterschiede nach Herkunft oder anderen sozialen Kriterien, letztendlich komme es nur auf Qualifikation und Professionalität an.
Diese Argumente erinnern an diejenigen, mit denen gegen Frauenförderung und Quotierung zu Felde gezogen wurde. Mittlerweile konnte die Benachteiligung von Frauen anhand von Zahlen und Daten nachgewiesen und durch Gleichstellungsmaßnahmen verringert werden. Das bisher umfangreichste Datenmaterial liefert das Global Media Monitoring Projekt, das seit der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 alle fünf Jahre weltweit die Präsenz von Frauen in den Nachrichten von Print- und AV-Medien analysiert. Als Nachrichtensubjekte sind Frauen immer noch marginalisiert, auch wenn sich ihr Anteil von 17 Prozent 1995 auf 21 Prozent 2005 erhöht hat. Als Medienmacherinnen konnten Frauen ihre Position etwas verbessern: bei den NachrichtenpräsentatorInnen von 51 Prozent (1995) auf 53 Prozent (2005) und bei den ReporterInnen stieg ihr Anteil von 28 auf 37 Prozent. In Deutschland berichten Journalistinnen mit 28 Prozent häufiger als ihre männlichen Kollegen (22%) über Frauen.
Dass die zunehmende Präsenz von Journalistinnen gut für alle ist, hätten inzwischen auch Männer erkannt, erklärte Pari Niemann, aus dem Iran stammende Gleichstellungsbeauftragte beim NDR Hannover, 1999 auf einem Workshop der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie zitierte eine ARD-Führungskraft: „Wenn die Quotierung nicht wäre, bin ich mir sicher, hätte ich für manche Stellen nur Männer genommen, weil ich gar nicht wusste, dass es so viele gute Frauen gibt.“
Heute ergeht es JournalistInnen mit Migrationshintergrund ähnlich – das belegt meine empirische Studie „Migrantinnen in den Medien“, die im Herbst in dem Sammelband „Medien - Diversität - Ungleichheit“ veröffentlicht wird. Ende 2005 befragte ich zehn Personalverantwortliche unterschiedlichster Medienunternehmen in Frankfurt/Main, der multikulturellsten Stadt in Deutschland mit einem MigrantInnenanteil von über 40 Prozent.
Während in den alternativen Bürgermedien etwa ein Drittel der ProgrammmacherInnen einen Migrationshintergrund haben, beschäftigen drei der Mainstreammedien keine Zugewanderten und in den anderen kommen sie immerhin auf drei bis 16 Prozent. Hinter diesem Topanteil in einer Zeitungsredaktion stecken acht Personen, von denen vier als freie Fotografen arbeiten. Der Frauenanteil liegt insgesamt höher als der von JournalistInnen mit Migrationshintergrund: Zwischen 22 und 35 Prozent bei den Mainstreammedien und 30 bis 40 Prozent bei den Alternativmedien. Die leitenden Funktionen in der Redaktionshierarchie bekleiden überwiegend deutsche Männer, gefolgt von deutschen Frauen. Bei den Volontariaten sind Migranten und Migrantinnen dagegen genauso stark vertreten. Die geringe Anzahl von Migrantinnen in den Medien und ihr niedriger Status innerhalb der Hierarchien vermindert ihre Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten auf Themenauswahl und -präsentation, auf Programm- und Personalmanagement.
Ihr Berufszugang wird durch die gängigen Qualifikationsprofile erschwert: Journalistische Erfahrungen sind wichtigste Voraussetzung, gefolgt von Hochschulabschluss, fachlicher und sprachlicher Kompetenz, wobei einmal explizit „gutes Deutsch“ genannt wird, Volonariat sowie Kontakt- und Teamfähigkeit („Muss zu uns passen“). Voraussetzung zur Erfüllung dieses von Deutschen geprägten Kompetenzkanons sind gute Kontakte in die deutsche Mehrheitsgesellschaft, die notwendige Praktika, Hospitanzen, freie Mitarbeit ermöglichen. Ein weiteres Nadelöhr beim Berufszugang ist das deutsche Bildungssystem, das herkunftsbedingte Ungleichheitslagen eher verfestigt. Tendenzschutzkriterien wie Religionszugehörigkeit können auch eine Hürde sein. Migrationsspezifische Kenntnisse wie Mehrsprachigkeit, interkulturelle Kompetenz oder der Bezug zu einem bestimmten RezipientInnenpotential sind nicht gefragt. Nur eine Tageszeitung suchte bewusst nach einer Redakteurin, die Zugang zur türkischen Community hat.
Bei der Tageszeitung handelt es sich um die „Frankfurter Rundschau“. Canan Topcu, dort einzige Redakteurin mit türkischem Migrationshintergrund, erklärt, MigrantInnen könnten „Türöffner“ sein für die Communities, die bisher aus der Berichterstattung herausfallen. Sie habe als Lokalredakteurin nicht nur Zugang zu den etwa 20 Prozent Frankfurtern türkischer Herkunft, sondern als „Fremde“ könne sie sich auch besser in die Situation anderer Migrantengruppen hineinversetzen als deutsche KollegInnen.
Die Unterrepräsentation von Migrantinnen in den Medien ist auf verschiedene Mechanismen der Exklusion zurückzuführen, die es aufzubrechen gilt. Auf individueller Ebene ist die Vernetzung mit anderen JournalistInnen mit Migrationshintergrund und die Suche nach Verbündeten wichtig, die ebenfalls marginalisiert sind. Gleichstellungsbeauftragte Pari Niemann erklärte im Januar 2004, sie halte „ein aktives Netzwerk“, das von zentraler Stelle koordiniert werde, „zur Zeit für den wichtigsten Schritt“. Ein solches Netzwerk von „ExpertInnen, ProgrammmacherInnen, Führungskräften und Aus- und Fortbildungsverantwortlichen, das sowohl kulturell als auch geschlechtlich paritätisch besetzt ist“, müsse mit genügend Mitteln ausgestattet werden, um handlungsfähig zu sein und zukunftsorientierte Vorschläge machen zu können.
Die Selbstorganisation von MigrantInnen sei sehr viel schwieriger als die von Frauen, gab Niemann bereits 1999 zu bedenken, denn sie seien eine „sehr heterogene Gruppe“ mit verschiedener Herkunft und Sprache und unterschiedlichster persönlicher Prägung vom „Berufsausländer“ bis zum „Ich bin kein Ausländer“-Typen. „heute“-Moderatorin Hayali zu ihrem Migrationshintergrund: „Das war aber nicht das Hauptaugenmerk. Eher so eine Art Zusatzqualifikation, für die ich natürlich nichts kann. Ich bin halt Araberin aufgrund der Tatsache, dass meine Eltern im Irak geboren sind. Wenn ich meinen Job nicht gut machen würde, hätte ich ihn aber nicht bekommen. Ich fahre nicht auf dem Ticket „Ich-bin-Migrant-und-kann-sonst-nichts“. Auch Journalistinnen wollten keine „Quoten-Frauen“ sein. Statt Frauenförderung und Quotierung hat jetzt Gender- oder Diversity-Mainstreaming Konjunktur – die Anerkennung vielfältiger Identitäten und die Nutzbarmachung ihrer Kompetenzen zur Lösung der Aufgaben in einer globalisierten Gesellschaft.
Durch Anpassung der journalistischen Qualifikationsprofile an diese gesellschaftlichen Veränderungen hin zur Vielfaltsgesellschaft können die Zugangsmöglichkeiten von Migrantinnen zu den Medien auf betrieblicher Ebene verbessert werden. Da die migrationsspezifischen Qualifikationen oft erst nach der Einstellung (an)erkannt werden, ist eine Gleichstellungspolitik mit Regelungen zu „positiver Diskriminierung“ etwa durch „Diversity-Mainstreaming“ auch auf gesetzgeberischer Ebene angebracht. Auf Freiwilligkeit der Medienunternehmen kann man dabei nur begrenzt zählen, wie eine Podiumsdiskussion im Januar dieses „Europäischen Jahres der Chancengleichheit für alle“ zeigte.
Gesellschaftspolitisch ist der Marsch in die Institutionen wichtig: Migranten-Vertreterinnen in die Rundfunkräte und Veranstaltergemeinschaften der Privatsender, eine noch stärkere Präsenz in den journalistischen Berufsverbänden und MigrantInnen-Medien in den Deutschen Presserat. Gleichstellungsbeauftragte müssen im Sinne einer Akzeptanz von Diversity auch gegen ethnisch bedingte und andere Diskriminierungen einschreiten. Die Medienfrauen von ARD und ZDF leisten hier hervorragende Lobbyarbeit. Bei ihrem 26. Herbsttreffen im November 2003 forderten sie, MigrantInnen in Sendungen und Personalpolitik stärker zu berücksichtigen. „Kulturelle Vielfalt in den Medien“ solle zum festen Bestandteil zukünftiger Treffen werden, heißt es in der Abschlussresolution.
Die multiperspektivische Berichterstattung gehöre zur öffentlichen Aufgabe der Medien und sei ein Gebot journalistischer Professionalität und Qualitätssicherung, erklärten Bernadette van Dijck vom niederländischen Fernsehen NOS und Dagmar Skopalik vom ZDF bereits während einer Tagung des Journalistinnenbundes 2002 zu Gender und Diversity. Beide Frauen gehörten 2006 auch zu den Herausgeberinnen eines Schulungspakets „Portraying Politics“, das eine Weiterentwicklung des Screening Gender-Projekts von 2000 darstellt, in dem nordeuropäische Rundfunkanstalten ihre Fernsehprogramme kritisch unter die Lupe nahmen. „Wie gelingt es, mit politischen Themen alle anzusprechen, also auch Frauen, junge Menschen oder ethnische Minderheiten?“ heißt es in der Einführung zu „Portraying Politics“, das im letzten Modul Diversity thematisiert, um zu „zeigen, dass eine breitere Herangehensweise zur Darstellung aller Bevölkerungsgruppen notwendig ist.“
Sowohl journalistisch als auch politisch ist eine Entwicklung hin zu mehr Diversity und Anerkennung vielfältiger Identitätskonzepte in Medienprodukten und -personal notwendig, damit alle Menschen in Deutschland gleiche Chancen der kommunikativen Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs erhalten - auch in den Medien.
Dr. Bärbel Röben ist freie Journalistin und Medienwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten internationale und interkulturelle Kommunikation, Entwicklungspolitik, Frauen, Medien, Migration. Sie lebt in Attendorn / Sauerland.