von Stanislawa Paulus
Mit verschiedenen filmischen Strategien wird vor allem in TV-Dokumentationen Denk-, Sag- und Sichtbares über muslimische Frauen konstruiert und strukturiert. Unter diesem Blickwinkel habe ich Fernsehdokumentationen öffentlich-rechtlicher Sender aus den Jahren 2000 – 2006 untersucht.
In Darstellungen von Musliminnen in TV-Dokumentationen lässt sich zunächst eine Pluralisierung feststellen: Gezeigt werden Studentinnen, selbstständige Geschäftsfrauen, Mütter und Hausfrauen, Journalistinnen, Hauptschülerinnen und Abiturientinnen, Anwältinnen, Akademikerinnen, Büroangestellte, Radio- und Fernsehmoderatorinnen, gläubige und säkulare Musliminnen. Auf den ersten Blick scheint der Heterogenität muslimischer Frauen bzw. von Frauen, denen ein muslimischer Glaube zugeschrieben wird, Rechnung getragen zu werden. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass diesen Darstellungen nach wie vor eine zentrale Referenz zu Grunde liegt: das implikationsreiche Motiv der Kopftuch tragenden Muslima, die als Sinnbild eines Modernitätsdefizits und einer damit verbundenen unüberbrückbaren Differenz zur Mehrheitsgesellschaft gesetzt wird. In diesem Motiv verdichtet sich die Gegenüberstellung von Moderne und Traditionalismus, die als ein alles durchdringender Gegensatz die medialen Darstellungen von Muslimen insgesamt prägt. Mit ihm werden Themen der religiösen und kulturellen Differenz, patriarchale Geschlechterverhältnisse, Unterdrückung und Gewalt implizit wie explizit aufgerufen und miteinander verschränkt. Dem Thema des Geschlechterverhältnisses kommt hierbei die zentrale Funktion eines Gradmessers für Integriertheit und Modernität von Muslimen zu (vgl. Lutz/Huth-Hildebrandt 1998: 163). Diese Funktion kann es nur unter bestimmten diskursiven Voraussetzungen erfüllen: ihm geht eine generalisierende Setzung der patriarchalen Unterdrückung muslimischer Frauen durch muslimische Männer voraus. Zugleich werden patriarchale Verhältnisse der Mehrheitsgesellschaft dem Blick entzogen.
Lebensweisen oder Auftreten muslimischer Frauen, die keine Übereinstimmung mit dem Stereotyp der als unterdrückt gezeichneten Kopftuchträgerin aufweisen, werden als Zeichen der Entwicklung zu fortschrittlichen Werten der Mehrheitsgesellschaft interpretiert. Sie erhalten meist eine anerkennende Inszenierung und werden zugleich als Ausnahmen dargestellt. Die erkannte Abweichung vom Stereotyp führt folglich nicht zu einer Hinterfragung von Klischeebildern, sondern bestärkt im Gegenteil die dominante Selbstwahrnehmung einer modernen, emanzipierten, fortschrittlichen und überlegenen deutschen Gesellschaft. Damit enthalten Repräsentationen muslimischer Frauen trotz der gezeigten Vielfalt letztlich eine Engführung: Es gibt in den von mir untersuchten Dokumentationen keine Bilder von Musliminnen, die ohne einen Bezug zu den Themen von Unterdrückung und patriarchaler Gewalt auskommen. Aus Perspektive der Mehrheitsgesellschaft ist eine Muslima außerhalb des thematischen Bezugs weder denk- noch sichtbar.
Produktionen von Sicht- und Denkbarkeiten in TV-Dokumentationen
In Anschluss an Michel Foucaults Verständnis der produktiven Wirkungsweise von Macht kann das Fernsehen als eine Machttechnologie angesehen werden, die spezifisches Machtwissen hervorbringt: Sachverhalte, von denen die Rede ist, werden erst als spezifisch gedeutete Wissenselemente hervorgebracht (vgl. Foucault 1995: 74). Foucault geht stets von einer engen Verzahnung von Sehen, Wissensbildung und Macht aus (Rajchman 2000: 43). Das Evidente ist demnach etwas Zu-Sehen-Gegebenes, dessen Sichtbarkeit ein begrifflich konzeptionelles Schema zu Grunde liegt, welches bestimmt, was überhaupt gesehen werden kann (ebd.). Dem fotografisch-filmischen Bild kommt eine wesentliche Bedeutung in der diskursiven Strukturierung von Realtitätswahrnehmungen zu (vgl. Silverman 1997: 42). Als nicht-fiktional charakterisierte Formate sind auch TV-Dokumentationen auf besondere Weise daran beteiligt, Sichtbarkeitskonventionen dessen zu strukturieren, was für wahr genommen werden kann. Dokumentarische Sendungen, die sich auf die Darstellung des Lebens von MuslimInnen fokussieren, prägen wesentlich, was in der Repräsentation einer sozialen Realität von Menschen mit muslimischem Hintergrund als evident gilt und welche sichtbaren Indikatoren und Anordnungen herangezogen werden können, damit Aussagen über Muslime und den Islam für das antizipierte Publikum als realistisch gelten.
Adressierungen und Konstruktionen fremder Welten
TV-Dokumentationen stellen massenmediale Produktionen dar, die sich an eine breite vielschichtige ZuschauerInnenschaft wenden. Zugleich offenbart eine genauere Analyse, dass ihnen eine Perspektivität zu Grunde liegt, die ein bestimmtes Publikum voraussetzt, während ein anderes ausgeschlossen wird. Bereits in Filmtiteln wie z.B. „Fremde Nachbarn. Muslime zwischen Integration und Isolation“ (Chiara Sambucci, 2004) oder „Die Türken – oder warum Faruk einen grünen Mecedes fährt“ (Rita Knobel-Ulrich, 2000) wird deutlich, dass MuslimInnen als die ‚Anderen’ der deutschen Gesellschaft ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden. Filmische Einleitungen wie: „Besuch bei gläubigen Muslimen in Deutschland. Einblicke in eine fremde Glaubenswelt, in eine Welt, die überraschend anders sein kann, als viele denken“ („Fremde Nachbarn“) bringen zum Ausdruck, dass Muslime nicht als zugehörig zur deutschen Gesellschaft betrachtet werden. Mit dieser Wortwahl werden diejenigen als ZuschauerInnen vorausgesetzt, die die Welt ‚der Anderen’ nicht kennen: Angehörige einer christlichen bzw. christlich säkularen Mehrheitsgesellschaft. Die Nicht-Adressierung von MuslimInnen in diesen Sendungen zeigt, „dass die Mehrheitsgesellschaft ethnische Minderheiten nicht als Teilnehmende am Diskurs repräsentiert, sondern hauptsächlich als Objekte ihres eigenen Diskurses“ (Yildiz 1999: 230). Auf muslimische Frauen trifft dies in besonderem Maße zu, kommen sie in diesen Filmen nur unter besonderen Bedingungen zu Wort.
Filmische Inszenierungen von Fremdheit und Isolation
Die Objektivierung von Musliminnen wird besonders in Darstellungen Kopftuch tragender Frauen deutlich. Ihnen kommen meist nur anonyme Funktionsrollen zu: Es wird über sie berichtet, d.h. sie tragen nicht mit eigenen Äußerungen zur filmischen Erzählung bei. Durch diese Inszenierungen erscheinen sie passiv und marginal. Ihre persönliche Perspektive ist nicht von Belang. Die Kopftuchträgerin dient häufig als visueller Hintergrund filmischer Erzählungen über kulturelle Differenz und Fremdheit. Auch mithilfe weiterer filmischer Strategien wird ein Bild der Kopftuch tragenden Muslima als ‚unterworfene Andere’ geprägt (vgl. Paulus 2007). Ihr wird selten ein direkter Blick in die Kamera eingeräumt, so dass entsprechend dominanter kultureller Codes der Eindruck entsteht, sie würde keinen Kontakt aufnehmen. Eine solche Inszenierung bietet den ZuschauerInnen keine Möglichkeit eines Aufbaus von Nähe, Identifikation oder Empathie mit der dargestellten Person – vielmehr befördert es den Eindruck von Unerreichbarkeit und Fremdheit. Der filmisch erzeugte Anschein der Isolation findet seine Untermauerung in der Verschränkung mit Themen wie einer vermeintlichen Parallelgesellschaft, mangelnder Integrationswilligkeit und kultureller Abschottung, die häufig in Off-Kommentaren parallel zu Bildern Kopftuch tragender Frauen aufgeworfen werden.
Ihre filmische Verortung finden Kopftuch tragende Musliminnen meist in innerstädtischen Wohngebieten mit einem hohen MigrantInnenanteil. Auch in der Filmraumgestaltung sind wiederkehrende Elemente zu erkennen: Häufig weisen die Bilder, in denen diese Frauen erscheinen, eine Fülle, Unruhe und Enge auf; auf dem Markt, in einer belebten Straßenszene (häufig Einkaufstüten tragend und/oder Kinderwagen schiebend) oder in einer engen Küche bei der Hausarbeit. Es fehlen weite Einstellungen. Diese Bildgestaltungen evozieren den Eindruck eines engen Bewegungsradius und Tätigkeitsfeldes der Kopftuch tragenden Muslima innerhalb eines Milieus, das kaum Raum für eine persönliche Entfaltung bietet. Sie erzeugen schichtspezifisch konnotierte Vorstellungen von Kopftuchträgerinnen als unselbstständige, auf geschlechtsspezifische, familiäre Reproduktionstätigkeiten reduzierte Frauen.
Ein verbreitetes Interesse von TV-Dokumentationen über Musliminnen widmet sich Frauen, die sich aus unterdrückerischen Verhältnissen der Herkunftsfamilie oder aus einer gewalttätigen Beziehung befreit haben und nun unabhängig leben. Die Darstellung dieser Frauen ist gerahmt durch Erzählungen von Leidenserfahrungen und der schließlichen Herauslösung aus einer bedrohlichen Lebenssituation. Während emotional bewegter Erfahrungsschilderungen werden die Frauen in Nahaufnahmen ins Bild gesetzt. Im Gegensatz zur stereotypisierten Kopftuch tragenden Muslima wird hier ein Moment der Identifikation und Nähe aufgebaut. Der Fokus auf individuelle Erzählungen lässt die gezeigte Frau als Persönlichkeit wahrnehmbar werden. Zugleich bleibt sie jedoch an einen Opferstatus rückgebunden und ihre Darstellung ist nicht auf Egalität ausgerichtet: Ihr Ausbruch aus einer unterdrückerischen Beziehung wird als Aufbruch in die moderne deutsche Gesellschaft gezeichnet. Darstellungen muslimischer Frauen und Mädchen, die keinerlei Repressalien durch Verwandte erleiden, sondern vielmehr durch diese in einer selbstständigen Entwicklung bestärkt werden, finden sich hingegen nur sehr selten. Die familiäre Unterdrückung der Muslima erscheint als Normalfall.
Authentisierungen und Verifizierungen
Ein wesentliches Moment in TV-Dokumentationen ist die Befragung porträtierter Personen. Im Interview scheinen dargestellte Personen Auskunft über sich selbst bzw. über ihre Ansichten zu geben. Auch muslimische Frauen sind in diese Darstellungskonvention einbezogen. Es sind dies die typischen Filmpassagen, in denen Musliminnen gezeigt werden, die nicht den gängigen Klischeevorstellungen entsprechen.
Es lässt sich fragen, ob die Stellungnahmen dieser Frauen über sich selbst oder über andere Muslime nicht letztlich auf eine Weise in die filmische Erzählung eingesetzt wird, die die Vorannahme einer wesentlichen Differenz bestätigt. Denn auffallend häufig sind sie es, die von ihren „Landsleuten“ oder „Glaubensbrüdern“, wie es oft heißt, stärkere Integrationsbemühungen fordern. Aus einer Vielfalt von möglichen Stimmen und Aussagen werden in TV-Dokumentationen diejenigen herangezogen, die eine generelle Unvereinbarkeit des Islams mit westlichen Werten betonen. Über solche filmischen Anordnungen werden dominante Perspektiven mithilfe vermeintlicher Insider-Stimmen authentisiert und verifiziert. Anstelle einer Reflexion der Heterogenität, die die große Gruppe von MuslimInnen in Deutschland charakterisiert, wird Diversität auf ein polares Raster von Integrationsfähigkeit = modern versus Integrationsunwilligkeit = traditionell reduziert. Sozio-strukturell bedingte Lebenslagen werden auf kulturelle Unterschiede bzw. Ähnlichkeiten zurückgeführt. Solche Darstellungskonventionen haben zur Folge, dass eine Erkennbarkeit und Sichtbarkeit von wirklich prekären Lebenslagen muslimischer Frauen innerhalb der deutschen Einwanderungsgesellschaft eher behindert als befördert werden. Darüber hinaus wird eine Perspektive, die eine Integration von modernen Werten und islamischen Werten erlaubt, verweigert: In der Konsequenz wird die Position einer Kopftuch tragenden Muslima gänzlich unsichtbar, für die Modernität und Religiosität keine Gegensätze bilden, die selbstbestimmt lebt und für die eine Gleichberechtigung der Geschlechter selbstverständlich ist.
Literatur
- Foucault, Michel (1995): Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M.
- Lutz, Helma und Huth-Hildebrandt, Christine (1998): Geschlecht im Migrationsdiskurs. Neue Gedanken über ein altes Thema. In: Das Argument, Heft 224/1998. 159-173.
- Paulus, Stanislawa (2007): Ethnisierung von Geschlecht und die diskursive Reproduktion von Differenz in der Fernsehdokumentation „Fremde Nachbarn. Muslime zwischen Integration und Isolation“. In: Wischermann, Ulla / Tanja Thomas (Hrsg.): Medien – Diversität – Ungleichheit. Zur medialen Konstruktion sozialer Differenz. Wiesbaden. (im Erscheinen)
- Raijchman, John (2000): Foucaults Kunst des Sehens. In: Holert, Tom (Hg.): Imagineering. Visuelle Kultur und Politik der Sichtbarkeit. Köln. 40-63.
- Silverman, Kaja (1997): Dem Blickregime begegnen. In: Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Edition ID-Archiv. 41-64.
- Yildiz, Jasemin (1999): Keine Adresse in Deutschland. Adressierung als politische Strategie,” In: Gelbin, Cathy/ Konuk Kader/Piesche, Peggy (Hg.) AufBrüche: Migrantinnen, Schwarze und jüdische Frauen im deutschsprachigen kulturellen Diskurs. Königstein: Ulrike Helmer Verlag, 2000. 224-36.
Stanislawa Paulus ist Soziologin und arbeitet am Institut für Kommunikationswisseschaft und Medienkultur an der Leuphana Universität Lüneburg. Forschungsschwerpunkte: Medien- und Diskursanalyse, Postkoloiale Kritik und queer-feministische Theorien.