Offen statt bunt! Einwanderer als Journalisten in deutschen Massenmedien

bunte Mikrofone

 

von Miltiadis Oulios

 

Deutsche Massenmedien – im Wandel?

Lange Zeit reichte der Blick in das Impressum einer großen Tageszeitung oder eines Nachrichtenmagazins in Deutschland, um den Eindruck zu gewinnen, Deutschland sei gar kein Einwanderungsland. Noch immer sitzen die Nachkommen der Einwanderer selten in einer Redaktion oder einem Studio eines deutschen Massenmediums. Gleichwohl sind MigrantInnen heute sichtbarer als noch vor 10 Jahren, sie bleiben aber als JournalistInnen unterrepräsentiert. Wer ist schuld? Sind es die deutschen Verlage und JournalistInnen, die im Zweifelsfall lieber jemand einstellen, der Hans statt Hassan heißt? Oder sind die Einwanderer selbst schuld, weil ihr Nachwuchs lieber an Autos schraubt, statt an Texten zu feilen?

Im Herbst versprachen die Intendanten von ARD und ZDF mehr Zuwanderer vor und hinter die Kamera zu holen. Im Rahmen des von Bundeskanzlerin Angela Merkel initiierten „Integrationsgipfels“ berieten MedienvertreterInnen über geeignete Strategien, die sie auf dem 2. Integrationsgipfel im Juli 2007 vorstellten. Was sind aber die strukturellen Gründe für die geringe Repräsentation? Wie lässt sich das ändern? Und wie gehen deutsche Programm-Verantwortliche und JournalistInnen mit Einwanderungshintergrund im täglichen Nachrichtengeschäft mit dieser Herausforderung um? Mit Unterstützung der „Stiftung für interkulturelle Forschung Sawasya“ wurden 10 ausgewählte Chefredakteure und -redakteurinnen deutscher Massenmedien und 13 migrantische Journalistinnen und Journalisten in Deutschland auf diese Fragestellung hin Ende 2006 und Anfang 2007 interviewt.

Daten und Fakten

Anders als in der Vergangenheit sehen FernsehzuschauerInnen heute eine Reihe „ausländisch“ aussehender ModeratorInnen in Deutschland. Diese Entwicklung der letzten Jahre kann jedoch die Wahrnehmung verzerren. Beim Magazin „Focus“ etwa arbeitet der Redakteur Kayhan Özgenc. Ein Blick in das Impressum offenbart aber, dass unter circa 200 JournalistInnen nur drei weitere einen ausländischen Namen tragen (inklusive der AuslandskorrespondentInnen). Laut der 2006 erschienenen Expertise „Ausbildung von Volontären in den Medien“ liegt der Anteil der MigrantInnen unter den Journalisten in Deutschland heute zwischen 2 und 3 %.

Die stichprobenartigen Befragungen im Rahmen dieser Studie bestätigen, dass die Zahl der JournalistInnen mit ausländischer Staatsbürgerschaft klein ist – zum Beispiel 3,2 % bei RTL, 2,3 % beim ZDF, 2,5 % bei der Gruner & Jahr Verlagsgruppe. Die sinnvolle Frage nach dem Einwanderungshintergrund ist schwieriger zu beantworten. Bei den Nachwuchs-JournalisInnen  reicht die Spanne von etwa 7 % der Volontäre bei der Berliner Axel-Springer-Akademie und dem Bayerischen Rundfunk bis hin zu 20 % der Volontäre beim WDR und sogar noch etwas mehr beim SWR. Bei den VolontärInnen handelt es sich um eine kleine Gruppe. Dennoch lässt sich ein Trend zur Öffnung nicht leugnen.

Es bleibt aber dabei, dass die Einwanderer in Deutschland nicht ihrem Bevölkerungsanteil gemäß im Nachrichtengeschäft repräsentiert sind, wenn etwa laut Statistischem Bundesamt bei den Unter-25-jährigen in Großstädten 40 % einen Einwanderungshintergrund besitzen.

Leistungsmythos oder Bewerbermangel?

Das Problembewusstsein ist nicht immer vorhanden. Beispielsweise der „Spiegel“ in Hamburg, die „WAZ“ in Essen oder „Pro7Sat1“ in München lehnten ein Interview ab und antworteten schließlich mit kurzen, schriftlichen und unkonkreten Statements. Meist sollte  das Argument der fehlenden Statistik die fehlende Auseinandersetzung erklären. In der Regel waren die Medien kooperativ. Die meisten Entscheider erklärten, dass ihnen die BerwerberInnen mit Einwanderungshintergrund fehlen. Der geringe Anfangsverdienst spiele auch eine Rolle. Auch die befragten migrantischen JournalistInnen bestätigten: Wer es als Einwanderersproß an die Uni schafft, wird lieber Ingenieur, Arzt oder Rechtsanwalt. Nicht nur wegen der besseren Verdienstaussichten, sondern auch, weil schon im Elternhaus diese akademischen Berufe bekannter und prestigeträchtiger sind als der des Journalisten. Deutsche Entscheider in Redaktionen beklagen zudem, dass sich junge Menschen aus Einwanderermilieus wenig für deutsche Politik und Allgemeinbildung interessierten. Bei manchen BewerberInnen sei die sprachliche Qualifikation nicht vorhanden.

Kaum einer gab aber Gründe an, die mit den deutschen JournalistInnen selbst zu tun haben. WDR und SWR betonten immerhin, dass Migration in der Vergangenheit als Spartenprogramm gesehen wurde und dass sich die Verantwortlichen weniger darum kümmerten, MigrantInnen als JournalistInnen ins allgemeine Programm zu holen. Diskriminierung gibt es aber in jedem Bereich der Gesellschaft. Insofern ist es erstaunlich, dass Verantwortliche in den Medien sagen, es gebe in ihrem Bereich keine Diskriminierung. Die Beteuerungen lassen keine Aussage darüber zu, ob dies wirklich so ist. Sie legen aber den Schluss nahe, dass das Thema eher geleugnet wird oder zumindest keine offene Auseinandersetzung stattfindet.

Gleich und gleich...

Alle Entscheider verneinten zum Beispiel, dass strukturell selektiert werde. Dies steht aber zumindest im phänomenologischen Widerspruch zu der Tatsache, dass alle interviewten Chefredakteure und RedaktionsleiterInnen aus dem Bürgertum stammen. Die Eltern übten alle bürgerliche Berufe aus: Arzt, Richter, Ingenieur, häufig Lehrer. Die befragte Gruppe ist in diesem Sinne sozial exklusiv. Im Gegensatz dazu stammte die Hälfte der interviewten JournalistenInnen mit Einwanderungshintergrund aus der Arbeiterschicht. Auch hier sind die JournalistInnen bürgerlicher Herkunft überproportional vertreten, da die wenigsten Einwanderer in Deutschland Ärzte oder Lehrer sind.

Die Befragung ergab, dass die Erfahrung der Zeitungslektüre im bürgerlichen Elternhaus wichtig für das Faible zum Schreiben war. Ebenso das Engagement bei einer Schülerzeitung – auch bei den migrantischen JournalistInnen. Die meisten berichteten zudem, dass sie Geschwister oder Verwandte als Vorbild besaßen, beziehungsweise das erste Angebot, in den Journalismus einzusteigen dadurch zustande kam, dass sie die „richtigen Leute“ kannten oder kennen lernten. Besonders migrantische JournalistInnen, die sich mit dem Einstieg schwer getan hatten, berichteten wiederum, dass ihnen genau dies fehlte. Sie nannten häufiger das Praktikum als ersten Schritt und berichteten von Schwierigkeiten, beruflich weiter zu kommen, weil die richtige „Empfehlung“ fehlt. Können allein reiche nicht, „wenn man nicht zu denen gehört, die auf der Wunschliste der Redaktionsleitungen stehen“, berichtete eine Journalistin bosnischer Herkunft. Einen Extremfall stellt ein kamerunischer Journalist dar, der trotz deutschem Journalistik-Studium keinen Volontariatsplatz fand. Zudem gaben diese JournalistInnen an, dass es einfacher sei, freiberuflich tätig zu werden, aber weiterhin schwierig in programmprägenden Bereichen eine feste Stelle zu erhalten.

Komplementär zum „Vertrauensvorschussist die Tendenz, migrantischen JournalistInnen, insbesondere aus Arbeiterfamilien, weniger als deutsch-stämmigen aus der Bürgerschicht zuzutrauen. Extrem aber bezeichnend ist die Erfahrung eines Journalisten griechischer Herkunft. Obwohl er von einem Redakteur empfohlen wurde, wurde gefragt, ob er deutsch kann. Eine muslimische Journalistin berichtete, dass sie trotz Praktikums-Zusage am Telefon den Platz nicht erhielt, weil sie Kopfuch trägt. Lediglich ein Drittel der migrantischen JournalistInnen gab an, gar keine Erfahrungen mit Diskriminierung als JournalistIn gemacht zu haben. Drei mit bürgerlichem Hintergrund, nur eine mit Arbeiter-Hintergrund.

Nischenfallen und Streichelzoos

Auch trotz aktueller Entwicklungen zur Förderung von JournalistInnen aus Einwandermilieus bleiben inhaltliche Konfliktlinien bestehen. Die Erfahrungen sind dreierlei.

Erstens besteht bei der Tätigkeit für „multikulturelle“ Programme oder als Experte für „Türkenthemen“ die Gefahr, aus dieser Nische nur schwer herauszukommen. Die JournalistInnen wünschen sich eher eine Normalität im Mainstream-Programm.

Zweitens möchten sie durchaus ihre herkunftsbedingte Kompetenz einbringen können, ohne aber auf Klischees reduziert zu sein. Lieber eine Reportage über das migrantische Nachtleben in Deutschland als schon wieder eine Story über „innerlich zerrissene Jugendliche“.

Drittens entstehen Hindernisse, wenn diese JournalistInnen ihren eigenen, zumal kritischen Blickwinkel in die Berichterstattung einbringen.

Ein Journalist aus einer Einwandererfamilie berichtete, dass er ein Casting sehr gut absolvierte, dann aber stolperte, weil er nicht unkommentiert von einem Einwandererviertel als „Ghetto“ sprechen mochte. Ein italienisch-stämmiger Journalist machte die Erfahrung, dass Reportagen über die wirklichen sozialen Probleme der ItalienerInnen in Deutschland die Redaktionen nicht interessieren – anders als Stories, die das Klischee vom „Cappucino-Lover“ bedienten.

Eine türkische Fernsehjournalistin stieg aus der Arbeit für eine Magazin-Redaktion aus, nachdem ein Redakteur gegen ihre Willen „platte“ Bilder von „Kopftuchfrauen“ in einen Bericht über Islam in Schulbüchern geschnitten hatte. Unter den Entscheidern redete aber nur der Chefredakteur des „Tagesspiegel“ Lorentz Marold offen über solche Konflikte. Etwa über Diskussionen um rassistische Klischees in der Polizei-Berichterstattung. Diese Dinge sind sicherlich im Fluss, verändern sich, hängen aber auch von politischen Entwicklungen ab. Das Gefühl einer möglichen inneren Zensur kann auch ein Faktor sein, der MigrantInnen davon abhält, es im Journalismus zu versuchen. Die befragten Profis schätzten sich selbst denn auch als offen, selbstbewusst und hartnäckig ein und sahen dies als Erfolgs-Voraussetzung an.   

Was tun und was lieber nicht?

Der im Juli vorgestellte „Nationale Integrationsplan“ umfasst eine Reihe von bestehenden und angekündigten Maßnahmen, die zum Ziel haben, den Anteil der Einwanderer-Journalisten in deutschen Massenmedien zu erhöhen. Zum einen geht es nur um eine überfällige Sensibilisierung, die sich etwa der Verband Deutscher Zeitschriftenverlage zum Ziel gesetzt hat. Die Erfahrungen der befragten Entscheider bei Tageszeitungen zeigen aber, dass mehr nötig ist. Der Berliner „Tagesspiegel“ etwa berichtet, dass allgemeine Schulprojekte nicht automatisch das Interesse arabischer oder türkischer Schüler weckten. Die Axel-Springer-Akademie möchte ab 2008 an Schulen in Einwanderervierteln Schülerzeitungsprojekte gründen, wo keine sind. Die taz bietet Volontariatsplätze für Bewerber mit Einwanderungshintergrund an. Andere Zeitungen wie die F.A.Z. möchten keine explizite Förderung betreiben.

Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien e.V. möchte private Sender für die  Unterzeichnung einer „Charta der Vielfalt“ gewinnen. Mit konkreten Selbstverpflichtungen haben die Privaten aber Probleme, weil sie Unternehmen seien und „keine Förderinstitute“, so RTL-Nachrichtenchef Peter Kloeppel. Er werde jedoch in Zukunft im Rahmen eines Schülerprojekts mit migrantischen Jugendlichen über das Programm diskutieren. Die Chancengleichheit werde durch ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren gewahrt.

Bei den Öffentlich-Rechtlichen ist man uneins. Beim BR sind MigrantInnen neuerdings als ExpertInnen zu Integrationsthemen im „Interkulturellen Ressort“ angesiedelt. Der WDR bemüht sich laut Integrationsbeauftragtem Gualtiero Zambonini über Talentworkshops und „Integrationsprogramme“ um migrantische Journalisten, die es dann auch in Mainstream-Sendungen schaffen sollen. Bettina Schausten, Hauptredaktionsleiterin beim ZDF, hält hingegen nichts von „Migrantenvolontariaten“. In Kooperation mit Universitäten sollen interessierte MigrantInnen für das Normalprogramm gewonnen werden. Diesen Weg favorisiert auch der SWR.

In den USA verpflichteten sich Redakteure erstmals 1978, die ethnische Vielfalt bei Einstellungen zu berücksichtigen. Inwieweit jetzt in Deutschland das Bild nachhaltig geändert wird, bleibt abzuwarten. In der Medien AG des Integrationsgipfels waren die MigrantInnen in der Minderheit. Projekte wurden nur mit türkischen Medien initiiert. Dieses Vorgehen bestätigt zum einen das Stigma und ignoriert andererseits die Mehrheit der Einwanderer in Deutschland, die anderer Herkunft sind. Auch dass der Bund „integrative“ Formate unterstützen will, ist kontraproduktiv, weil das JournalistInnen in eine Schublade steckt, wo es um Chancengleichheit gehen soll.

Am wirksamsten sind daher jene Projekte, die die gezielte Gewinnung und Qualifizierung von Migranten im Mainstream erreichen, wenn sie mit einem grundlegenden Mentalitätswandel in den Medienhäusern einhergehen. Was aber im „Nationalen Integrationsplan“ als Fortschritt bewertet wird, grenzt zum Teil an Realsatire. Da wird etwa auf die Formate wie Spiegel, Stern- und Focus-TV verwiesen, die sich „auch Integrationsthemen“ widmen. Dass deren beliebtestes Reportagemotiv der ausländische Kriminelle ist, scheint da nicht zu stören. Stolz werden auch „wichtige Programmakzente“ erwähnt, wie der ARD-Film „Wut“, der das Bild vom jugendlichen, muslimischen Gewalttäter bestätigt. Dessen Hauptdarsteller erzählte in Interviews nach der Ausstrahlung, dass er so „extrem krass“ wie im Film im Alltag nicht sprechen würde und nur für solche Rollen gebucht werde.

Es reicht daher nicht, MigrantInnen ins Programm zu holen, man muss schon auch offener werden für kritische Standpunkte.

Literatur

  • Berliner Beiträge zur Integration und Migration: Expertise „Ausbildung von Volontären in den Medien“, MMB Institut für Medien- und Kompetenzforschung, Berlin 2006
  • Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede, Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M., 1982
  • Geißler, Rainer und Pöttker, Horst (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland, Problemaufriss, Forschungsstand, Bibliographie, Bielefeld 2005
  • Hartmann, Michael: Der Mythos von den Leistungseliten, Spitzekarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft, Frankfurt am Main, 2002
  • Iglesias, Mercedes Pascual: Migranten-Journalisten in Deutschland - Eine explorative Untersuchung über Chancen und Hindernisse im deutschen Journalismus, Diplomarbeit, Köln 2005
  • journalist 2/2007: „Schwieriger Zugang“
  • Koch, Ralf : Medien mögen's weiß – Rassismus im Nachrichtengeschäft – Erfahrungen von Journalisten in Deutschland und den USA, München, 1996
  • Terkessidis, Mark: Die Banalität des Rassismus, Bielefeld 2004

Weblinks

Plattform für interkulturellen Journalismus e.V.

Interkulturelles Netzwek im Deutschen Journlistenverband

Natonaler Integrationsplan der Bundesregierung

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Miltiadis Oulios ist Freier Journalist und lebt in Köln.