„Türkisch für Anfänger“ - ein raffiniertes Spiel mit ethnischen Klischees?

Türkisch für Anfänger DVD

 

von Janina Henning, Franziska Spitzner und Sabine Reich

Die aktuelle Debatte über die multikulturelle Gesellschaft in Deutschland führt dazu, dass sich die Medien zunehmend mit diesem Thema auseinandersetzten. Kulturelle Vielfalt, Migration und Integration scheinen zu einem festen Bestandteil der Medienagenda gereift zu sein. Nicht nur im Produktionsprozess, sondern auch vor allem in den Medieninhalten, wird dieser Wandel deutlich. Fremdsprachige Radioangebote, multikulturelle Dokumentationen und Sitcoms, aber auch türkische ModeratorInnen zeigen diese gesellschaftliche Veränderung im medialen Raum auf.

Ein Beispiel für diesen Wandel der Medienlandschaft ist die ARD-Familienserie „Türkisch für Anfänger“. Auf humorvolle und überspitzte Art und Weise wird hier das Leben einer deutsch-türkischen Patchworkfamilie – den Schneider-Öztürks – gezeigt. Die Story wird aus Sicht der 16-jährigen Lena erzählt, die anfangs gar nicht darüber erfreut ist, dass ihre Mutter Doris mit Metin, einem türkischen Kriminalpolizisten, zusammen ziehen möchte. Damit nicht genug, muss sie sich fortan ein Zimmer mit Metins Tochter, der streng gläubigen Muslima Yagmur, teilen, während ihr Bruder Cem versucht, in Machomanier ihr Benehmen beizubringen. Die beiden Kulturen prallen zu Beginn hart aufeinander und die gegenseitigen Vorurteile und Missverständnisse treten deutlich hervor. Im Verlauf der Serie wächst die Familie jedoch immer mehr zusammen. Lena findet in Yagmur eine neue Freundin und sieht in Cem mehr als nur einen Bruder. Die vorerst klischeebehafteten Charaktere werden mit der Zeit individueller dargestellt und die gegenseitigen Vorurteile rücken zunehmend in den Hintergrund.

Die Unterhaltungsserie wurde bisher zweimal im Ersten ausgestrahlt und erhielt, trotz mäßiger Quoten, ein großes Medienecho. Die Welt betitelte einen Artikel über die Serie mit „Kulturkampf als Sitcom“ (Gangloff 2006), die FAZ berichtete, dass man die Serie „[…] als das Beste bezeichnen kann, was dem Ersten seit langer Zeit passiert ist.“ (Schader 2006). Obwohl die eigentliche Intention der Serien-Macher lediglich darin bestand, eine gute Unterhaltungsserie für das Vorabendprogramm zu schaffen, erhielt „Türkisch für Anfänger“ neben zahlreichen internationalen und nationalen Auszeichnungen im Mai 2007 den CIVIS Medienpreis für Integration und kulturelle Vielfalt.

Kann eine Serie dazu beitragen, Vorurteile abzubauen?

Vor dem Hintergrund dieser großen Medienresonanz und dem zugeschriebenen Potenzial zur Förderung von Integration, fragt man sich, inwiefern sich die Darstellung von deutschen und türkischen Charakteren in dieser Serie auf die gegenseitigen Vorurteile und Stereotype auswirkt. Hat eine einzelne Serie tatsächlich die Fähigkeit, positiv auf das Zusammenleben von Deutschen und türkischen Migranten Einfluss zu nehmen? Und welche Rolle spielt dabei die Auseinandersetzung mit medialen Charakteren der jeweils anderen „Ethnie“? Diesen Fragen wurden im Rahmen einer Studie an der Universität Erfurt näher nachgegangen.

Eine Studie am Beispiel von „Türkisch für Anfänger“

Mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse wurde die Darstellung der deutschen und türkischen Charaktere vor allem im Hinblick auf die Verkörperung von Stereotypen erhoben. Dadurch konnte ein genaues Bild über das Materialobjekt gegeben werden. Die Wirkung der Rezeption der Serie wurde anschließend durch ein Feldexperiment mit deutschen und türkischen ZuschauerInnen gemessen. Insgesamt nahmen 84 ProbandInnen an der Studie teil. Im Zentrum der Untersuchung stand die Erhebung von Stereotypen und Vorurteilen der Zuschauer vor und nach der Rezeption der Serie. Die abgefragten Stereotype wurden zuvor in der Inhaltsanalyse ermittelt. Während die vorhandenen Wissensstrukturen (Stereotype) mittels der modifizierten Messmethode des Trait-Ratings (Brigham 1971) erhoben wurden, wurde zur Messung der affektiven Komponente (Vorurteile) eine Auswahl von Items aus der „blatant and subtle prejudice scale“ von Pettigrew und Meertens (1995) verwandt. Zusätzlich wurde die Intensität der Auseinandersetzung mit den Charakteren der jeweils anderen „Ethnie“ durch die PSI-Skala nach Hartmann et al. (2004) erhoben. Um dem humorvollen Charakter der Serie gerecht zu werden, fand zusätzlich eine Analyse des Humorempfindens der einzelnen ProbandInnen anhand ausgewählter klischeehafter Szenen statt. Mittels dieser dualen Betrachtung konnten einerseits das vorhandene Potenzial der Serie und andererseits die tatsächlichen Auswirkungen dieser Darstellungsart auf die RezipientInnen nachgezeichnet werden.

Ergebnisse der Inhaltsanalyse

Insgesamt wurden im Rahmen der Inhaltsanalyse am Materialobjekt 437 Stereotype erhoben. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die jeweils am häufigsten erhobenen Stereotype.

Die 6 häufigsten der türkischen Stereotype Die 6 häufigsten der deutschen Stereotype

  • Türken sind Islamisten
  • Türken pflegen eine intensive familiäre Bindung
  • Türken bewachen ihre Frauen
  • Türken sind kriminell
  • Türkische Männer sind Machos
  • Glaube leitet den Alltag • Deutsche sind gegenüber Fremden nicht offen
  • Deutsche Frauen sind keine guten Hausfrauen
  • Deutsche pflegen geringen familiären Zusammenhalt
  • Deutsche sind unsozial
  • Deutsche Männer sind schwach
  • Deutsche Frauen sind freizügig

Auffällig ist, dass die Stereotype eher negativ dargestellt wurden. In der Betrachtung des Serienverlaufes verringert sich die reine Anzahl der Stereotypen deutlich. Dadurch erscheinen die deutschen und türkischen Charaktere nicht mehr nur als stereotype Vertreter ihrer „Ethnie“, sondern vor allem als individuelle Persönlichkeiten, die mit alltäglichen Teenager- oder Familienproblemen zu kämpfen haben.

Ergebnisse des Experimentes

Für fast alle TeilnehmerInnen der Studie konnte eine intensive Auseinandersetzung mit den Charakteren der jeweils anderen „Ethnie“ bestätigt werden. Das heißt, dass die Zuschauer sich mit den Charakteren gedanklich beschäftigt, mit ihnen gefühlt oder auch sich in sie hinein versetzt haben. Demnach bestand die Möglichkeit, dass durch dieses Kennenlernen und den damit einhergehenden Wissenszuwachs die Stereotype verändert und die Vorurteile abgebaut werden können. Letztlich zeigte sich jedoch sowohl bei den einzelnen Stereotypen als auch bei den Vorurteilen kaum eine Veränderung. Lediglich einzelne Effekte konnten beobachtet werden. So empfanden die deutschen Probanden die in Deutschland lebenden TürkInnen als sympathischer. Auf Seiten der türkischen TeilnehmerInnen der Studie konnte dies nicht bestätigt werden.

Die Analyse des Humorverständnisses zeigte zum einen, dass Humor individuell wahrgenommen wird. Die Analyse der ausgewählten klischeehaften Szenen konnte kein einheitliches Humorverständnis nachweisen, denn im Grunde lacht jeder Mensch über etwas anderes.
Die allgemeine Frage nach dem Empfinden von Witzen über die eigene „Ethnie“ zeigte jedoch eine interkulturelle Differenz. Die deutschen ProbandInnen fühlten sich davon deutlich weniger gestört, als die türkischen ProbandInnen. Dies mag zum einen darin begründet sein, dass die Stereotype und Vorurteile über in Deutschland lebende TürkInnen sehr viel extremer, d.h. negativer ausgeprägt sind. Es scheint einen Unterschied zu machen, ob man sich als Deutscher mit dem Stereotyp „Deutsche pflegen einen geringen familiären Zusammenhalt“ oder aber als Islamist und Krimineller, wenn man türkischer Herkunft ist, konfrontiert sieht. Zum anderen sind in Deutschland lebende TürkInnen als Minderheit einem alltäglichen Umgang mit Stereotypen ausgesetzt. Dies spiegelt sich auch in dem Ergebnis der Studie wieder, dass die deutschen ProbandInnen deutlich häufiger über Stereotype im Allgemeinen lachen, als die türkischen RezipientInnen.

Keine Effekte und doch ein Beitrag zur Integration?

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass eine einzelne Serie wie „Türkisch für Anfänger“ trotz der verminderten Darstellung von Stereotypen und trotz humorvoller Art kein Potenzial hat, um Vorurteile abzubauen und Stereotype positiv zu verändern. Dass sich lediglich bei den deutschen ProbandInnen geringe Effekte zeigten, entspricht der Konzeption der Serie. Sie wurde geschaffen, um vor allem das deutsche Publikum anzusprechen.

Trotz der fehlenden positiven Effekte der Veränderung der Stereotype und des Vorurteilsabbau kann der Serie durchaus ein Beitrag zur Integration zugesprochen werden. Zum Ersten wurde dadurch die mediale Auseinandersetzung mit dieser Thematik erst ermöglicht. Bisher gab es nur vereinzelte Serien, in denen türkische Charaktere eine Rolle spielten. Mit „Türkisch für Anfänger“ wurde nun das Zusammenleben von Deutschen und in Deutschland lebenden TürkInnen deutlich aufgezeigt. Zum Zweiten machte die große Medienresonanz auf die Rolle derartiger Formate aufmerksam. Es wurde deutlich, dass der Einfluss der Medien im Hinblick auf die Integration verschiedener Migrantengruppen deutlich verstärkt werden könnte. Basierend auf den Ergebnissen der Studie wurden Handlungsvorschläge zur Verbesserung der Berichterstattung mit und über die MigrantInnen formuliert.

Handlungsvorschläge

Verzicht auf Klischeedarstellungen
Die Auswertung der in der Serie verwendeten Stereotype zeigte, dass eher ein negatives Bild über die andere „Ethnie“ aktiviert wird. Wenn ausschließlich auf eine klischeehafte und zudem negative Darstellung gesetzt wird, ist es nicht verwunderlich, dass die interkulturelle Annäherung ausbleibt. Stattdessen sollte die Darstellung insgesamt differenzierter erfolgen. In Deutschland lebende TürkInnen sind nicht gleichzusetzen mit streng gläubigen Moslems, Machos und Kriminellen.

Realistische Charaktere
Durch mediale Interaktion mit Charakteren verschiedenster Ethnien ist ein positives Kennenlernen grundsätzlich möglich. Dies setzt jedoch voraus, dass die Medien ein möglichst realistisches Bild der „ethnischen Minderheiten“ bereitstellen. Ein türkischer Lehrer, eine türkische Managerin, türkische Studenten, die nicht durch ihre Herkunft, sondern durch ihre Position in der Gesellschaft definiert werden, sollten in den Medien präsent werden. Der ethnische Hintergrund sollte jedoch bei der Wahl der Mediencharaktere gewahrt bleiben.

Ansiedlung im Unterhaltungssektor
„Türkisch für Anfänger“ hat gezeigt, dass eine Ansiedlung im Unterhaltungssektor eine breite Masse anspricht und damit eine öffentliche Debatte anregen kann. Allerdings wäre die Abhandlung des Themas ausschließlich in Komödien ein falsches Signal, denn hier wird zu sehr auf eine überspitzte Darstellung gesetzt. Die Verbindung von Unterhaltung und Information ist dabei ein guter Ansatz.

Langfristige Formate
Das Thema Integration und im Speziellen die Berücksichtigung und Involvierung von „ethnischen Minderheiten“ in einem Programm muss langfristig ausgerichtet werden. Am Beispiel „Türkisch für Anfänger“ hat sich gezeigt, dass eine Staffel keine umfassenden Veränderungen bewirken kann. Das heißt, das Thema Integration sollte z.B. in dauerhaft ausgestrahlten Formaten, wie Daily Soaps aufgegriffen werden.

Produktionsprozess
Um die realistische Darstellung auch garantieren zu können, bedarf es innerhalb des Produktionsprozesses der Einbindung von türkischen MigrantInnen vor und hinter der Kamera, die diese Lebenswelt verstehen. Innerhalb der Produktion der Serie „Türkisch für Anfänger“ wurde das durch den deutsch-türkischen Drehbuchautor Bora Dagtekin schon gut umgesetzt.

Diese Handlungsvorschläge richten sich an alle Akteure im TV-Produktionsprozess. Integration ist durch Medien möglich und muss nicht zwangsläufig ein mit Problemen beladenes Thema sein. Allerdings zeigt die einjährige Studie auch wie komplex Integration und wie schwierig aber gleichzeitig wichtig die Rolle der Medien dabei ist. Als Massenmedium erreicht das Fernsehen alle Gruppen und kann somit die gegenseitige Annäherung anregen. Daher sollte Fernsehen ein positives Bild der Integration vermitteln!

Weitere Informationen finden Sie unter: http://www.integratv.de/

Zitierte Literatur

  • Brigham, John R. (1971): Ethnic Stereotypes. In: Psychological Bulletin, 76, S. 15-39.
  • Esser, Hartmut (2000): Assimilation, Integration und ethnische Konflikte: Können sie durch „Kommunikation" beeinflußt werden? In: Schatz, Heribert/Holtz-Bacha, Christina/Nieland, Jörg-Uwe (Hrsg.): Migranten und Medien. Neue Herausforderungen an die Integrations¬funktion von Presse und Rundfunk. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 25-37.
  • Gangloff, Tilmann P. (14.03.2006): Kulturkampf als Sitcom: "Türkisch für Anfänger". .
  • Hartmann, Tilo/Schramm, Holger/Klimmt, Christoph (2004): Personenorientierte Medienrezeption: Ein Zwei-Ebenen-Modell parasozialer Interaktionen. In: Publizistik, 49, S. 25-47.
  • Pettigrew, Thomas F./Meertens, Roel W. (1995): Subtle and blatant prejudice in western Europe. In: European Journal of Social Psychology, 25, S. 57-75.
  • Schader, Peer (2006): Öztürks von nebenan. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.03.2006: 44

 

Bild entfernt.

Janina Henning, Franziska Spitzner und Sabine Reich sind Mitglieder von IntegraTV, einer jungen Forschergruppe an der Universität Erfurt. Die hier vorgestellten Erhebungen wurden im Rahmen ihrer Bachelorabschlussarbeit durchgeführt. (www.integratv.de)