Von Michael Wrase
Chancengleichheit als ein übergreifendes Ziel europäischer Politik
2007 ist von der EU-Kommission zum „Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle“ ausgerufen worden. Vielleicht wird deshalb heute vermehrt über dieses Thema gesprochen. Doch Nicht-Diskriminierung und Chancengleichheit haben in der Europäischen Gemeinschaft eine lange Tradition. Sie gehören zu den Grundpfeilern europäischer Politik und nicht zuletzt zum Rechtsaquis der Gemeinschaft. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Grundfreiheiten des EG-Vertrages schon früh als Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit interpretiert und für unmittelbar anwendbar erklärt, später sogar ein allgemeines Diskriminierungsverbot als ungeschriebenen Rechtsgrundsatz entwickelt (jetzt Art. 12 EGV). Art. 141 (Art. 119 a.F.) statuiert den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen seit 1962 verbindlich, auch wenn faktische Lohndiskriminierungen in den Mitgliedstaaten, insbesondere in Deutschland, bis heute fortbestehen. Die Richtlinie 76/207/EWG fordert seit 1976, dass beim Zugang zur Beschäftigung und Berufsbildung und bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts verboten sind.
Die vier neuen Antidiskriminierungsrichtlinien, die der Rat seit 2000 auf der Grundlage des im Amsterdamer Vertrag 1997 geschaffenen Art. 13 EGV erlassen hat, sind daher mehr als eine Umsetzung eines neuen, partikularen Politikziels der Gemeinschaft. Vielmehr müssen sie als eine konsequente Fortwicklung bereits vorhandener Politikziele verstanden werden. Die Kommission bezeichnet die Grundsätze der Gleichbehandlung und des Diskriminierungsverbots als „Kernstück des europäischen Sozialmodells“. „Sie sind ein Fundament der Grundrechte und grundlegende Werte, auf denen die heutige Europäische Union beruht“. Auch die prominente Stellung des Art. 13 EGV im EU-Vertrag spricht dafür, dass die Mitgliedstaaten hier ein grundlegendes Prinzip ihrer gemeinsamen Politik festgeschrieben haben: das Prinzip der Nicht-Diskriminierung und – positiv übersetzt – der Chancengleichheit im EU-Binnenraum.
Vor diesem Hintergrund nimmt es eigentlich nicht Wunder, dass sowohl Art. 13 EGV als auch die auf seiner Grundlage im Jahr 2000 einstimmig verabschiedeten Richtlinien (die so genannte Antirassismus- und die Rahmenrichtlinie sowie die Änderung der Gleichstellungsrichtlinie im Arbeitsleben) im Zeitpunkt ihres Erlasses zwischen den Mitgliedstaaten sowohl im Regelungsziel als auch in den Einzelpunkten wenig umstritten waren. Schließlich sollte vor dem konkreten Hintergrund wachsender Xenophopie und dem Erstarken rechtsextremer politischer Kräfte in den Mitgliedstaaten auch ein deutliches Zeichen gegen Ausgrenzung und für die Achtung aller Menschen gesetzt werden.
Die Kritik am Gleichbehandlungsrecht in Deutschland: Von Angriffen auf die Privatautonomie und Gesinnungsrecht
Umso mehr mussten die negativen Reaktionen in Teilen der deutschen Öffentlichkeit überraschen, als es zur Umsetzung der genannten Richtlinien kam. Erstaunlich ist gleichfalls, dass diese Kritik bis heute fortbesteht, auch wenn mittlerweile eine gewisse Beruhigung zu verzeichnen ist. Es ist anscheinend alles nicht so „schlimm“ gekommen, wie mancher wohl befürchtet hatte. Dennoch: Die in der Öffentlichkeit genannten Kritikpunkte müssen ernst genommen werden.
Vertreter hauptsächlich der mittelständischen Wirtschaft machen im Gleichklang mit einem Teil der Politik geltend, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das die EU-Richtlinien umsetzt, könne seine Ziele gar nicht erreichen. Vielmehr würde unnötige Bürokratie erzeugt, die erhebliche Kosten verursache. Die finanziellen Vorteile, die durch ein besseres Arbeitsklima durch Unternehmenspolitiken wie Nicht-Diskriminierung und Diversity erzielt werden können, bleiben allerdings von vornherein unberücksichtigt. Ich werde darauf zurückkommen.
Antidiskriminierung, so wird weiterhin geltend gemacht, sei in einer freien Gesellschaft nicht zu verordnen, sondern ließe sich nur durch eine freiwillige Veränderung der Wertüberzeugungen erreichen. Allerdings haben sich freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft im Bereich der Gleichstellung als weitgehend wirkungslos erwiesen. Dies lässt sich damit erklären, dass benachteiligende Strukturen nun einmal nicht allein durch Appelle, sondern nur durch konkrete Maßnahmen aufgebrochen und verändert werden können. Gilt es, Widerstände und Hindernisse zu überwinden, stoßen reine Absichtserklärungen und Goodwill schnell an ihre Grenzen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum rechtliche Maßnahmen bei einer so elementaren Gerechtigkeitsfrage wie die der (Chancen-)Gleichheit im Arbeitsleben bzw. beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen fehl am Platz sein sollen. Hier wird von den Kritikern oftmals sehr grundsätzlich argumentiert, und zwar mit dem Gut der Privatautonomie, der bürgerlichen Freiheit, Geschäfte zu machen und Verträge zu schließen (oder auch nicht), mit wem und wie man will. Diese Privatautonomie werde über Gebühr eingeschränkt, zumal von Arbeitgebenden und Leistungsanbietern nunmehr ein besonders moralisches Verhalten gefordert werde. „Moral“ hätte aber im System eines freien Wirtschaftsmarktes und gar im Recht des Wirtschaftsverkehrs nicht zu suchen.
Hier handelt es sich jedoch um einen Irrtum. Eine moralische Gesinnung wird von den neuen Antidiskriminierungsregeln nicht gefordert. So kommt es auch auf den Nachweis eines Verschuldens, wie die Richtlinien klar erkennen lassen und dies der EuGH ausdrücklich festgestellt hat, nicht an (s. EuGH, Rs. C-180/95 – Draehmpaehl, NJW 1997, 1839). Es soll und darf grundsätzlich nicht nach der Gesinnung der Diskriminierenden geforscht werden. Vielmehr werden bestimmte Verhaltensanforderungen gestellt, die an äußere Sachverhalte, wie sie in den Benachteiligungstatbeständen aufgeführt sind, anknüpfen (unmittelbare/ mittelbare Benachteiligung, Belästigung). So wird in § 3 III AGG ausdrücklich davon gesprochen, dass die dort beschriebenen Folgen einer Belästigung lediglich bewirkt sein müssen. Es geht also nicht zuletzt um Wirkungen, die durch diskriminierende Verhaltensweisen hervorgerufen werden. Auch der Hinweis von Diskriminierenden, man habe es nicht besser gewusst bzw. gar nicht so gemeint, ist daher unbeachtlich.
Doch was ist mit der Privatautonomie im Sinn der bürgerlichen Freiheit? Fakt ist, dass die Vertragsfreiheit heute in jenem formal unbegrenzten Sinne, wie es die Kritiker des AGG gern ausmalen, gar nicht existiert – schlechterdings nicht existieren kann, will man sie nicht zu einer bloßen Wahrerin wirtschaftsliberaler Partikularinteressen herabstufen. Sie ist notwendigerweise Bedingungen unterworfen, welche die Spielregeln des Marktgeschehens festlegen. Die Freiheit des Marktes, das ist eine Binsenwahrheit, führt nicht automatisch zu einem funktionierenden Wettbewerb, einem Mindestmaß an Chancengleichheit für alle Marktteilnehmenden und einen möglichst großen Wohlstand für möglichst große Teile der Bevölkerung. Doch dahin soll sie führen. Hier müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die das Funktionieren des Güteraustauschs gewährleisten und dabei zugleich einen einigermaßen fairen Zugang aller Menschen zum Arbeits-, Güter- und Dienstleistungsmarkt sicherstellen. Es geht um Mindestbedingungen realer Selbstbestimmung im Rahmen der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung. Diesem Ziel dient nicht zuletzt das Recht gegen Diskriminierungen.
Betrachten wir die Kritik am Antidiskriminierungsrecht also etwas genauer, so können eine ganze Reihe von Einwänden entkräftet werden. Es bleiben im Wesentlichen zwei Punkte. Der eine betrifft die mit der Umsetzung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verbundene finanzielle (Mehr-)Belastung der Unternehmen. Der andere betrifft die angeblich durch unbestimmte Rechtsbegriff und Regelungen verursachte Handlungsunsicherheit. Ich möchte auf diese beiden zentralen Kritikpunkte im Folgenden kurz eingehen und dabei mit dem letzteren beginnen.
Handlungsunsicherheit durch das AGG?
Grundsätzlich ist es nichts Ungewöhnliches, das Gesetze mit ausfüllungsbedürftigen Begriffen arbeiten und erst durch eine langjährige Praxis der Rechtsprechung konkretisiert werden. Insofern bietet auch das AGG erstmal nicht mehr Handlungsunsicherheit als andere Gesetze. Im Gegenteil, schaut man in den allgemeinen und in den arbeitsrechtlichen Teil des AGG, so findet sich dort eine durchaus sinnvolle Systematik, die zwischen Anwendungsbereich, geschützten Merkmalen, dem Benachteiligungsbegriff und den gesetzlichen Rechtfertigungsgründen unterscheidet.
Im Einzelnen ist – wie bei allen neuen Gesetzen – natürlich einiges umstritten; hier wird erst die Rechtsprechung Klarheit schaffen. Das wird sie gewiss auch tun. Wichtig aber ist, dass die von den gesetzlichen Regelungen betroffenen Unternehmen schon heute erkennen können, welche Verhaltensweisen diskriminierungsrelevant sind und welche nicht – genau diese Handlungssicherheit kann ihnen das Gesetz sehr wohl bieten.
Eine große Mitschuld an der (noch) vorhandenen Inkonsistenzen und der Unbestimmtheit einzelner Regelungen des AGG tragen indes ausgerechnet diejenigen, die diesen Misstand nun so vehement beklagen. Die meisten der wirklich problematischen Bestimmungen sind erst aufgrund des heftigen politischen Widerstandes in das Gesetz eingefügt worden. Dort, wo die Richtlinien detaillierte Vorgaben machen, verstößt das AGG in einer Reihe von Einzelpunkten gegen das europäische Recht. Genannt seinen hier nur die folgenden:
- Die europarechtswidrige Ausklammerung des Kündigungsschutzes in § 2 IV AGG.
- Die kurzen zweimonatige Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen nach § 15 IV AGG, der eine – verbotene – Schlechterstellung gegenüber § 611a BGB a.F. beinhaltet.
- Die Einschränkungen der § 19 III und V 1 AGG (Bewohnerstrukturen und besonderes Näheverhältnis), die in Bezug auf die Merkmale „Rasse“ und ethnische Herkunft keine Entsprechung in der Antirassismusrichtlinie finden.
- Die Begrenzung des Diskriminierungsverbots auf so genannte Massengeschäften iSv § 19 I Nr. 1 GG und die weite Rechtfertigungsmöglichkeit des § 20 I AGG, die jeden sachlichen Grund ausreichen lässt. Diese Regelungen entsprechen nicht den Anforderungen der Gender-Richtlinie 2004/113/EG, die bis Ende dieses Jahres umzusetzen ist.
Die Liste müsste noch um eine Reihe von Punkten ergänzt werden. Es wird darauf ankommen, die europarechtswidrigen Bestimmungen möglichst schnell mit den Vorgaben der Richtlinien in Übereinstimmung zu bringen; dann wäre bereits eine Vielzahl von (selbst geschaffenen) Problemen aus dem Weg geräumt.
Besonders spürbar wird der Kompromisscharakter des AGG jedoch im zivilrechtlichen Teil, wo die Regelungen bezüglich der Diskriminierungsmerkmale Behinderung, Religion (Weltanschauung ist nicht mehr enthalten), Alter und sexuelle Identität über die Vorgaben der Richtlinien hinausgehen. Problematisch ist vor allem die Beschränkung auf so genannte „Massengeschäfte“ bzw. Schuldverhältnisse, bei denen „das Ansehen der Person eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“ (§ 19 I Nr. 1 AGG).
Die Beschränkung auf Massengeschäfte ist von der Zielsetzung des AGG eigentlich sinnwidrig. Schließlich treten Diskriminierungen in der Lebenswirklichkeit vor allem dann auf, wenn Geschäfte nicht – sozusagen standardisiert – in allen Fällen zu vergleichbaren Bedingungen zustande kommen, sondern wenn der Leistungsanbieter sich den oder die Vertragspartner/in individuell aussucht. Gerade in solchen Fällen müsste der Diskriminierungsschutz am stärksten sein.
Zum anderen wirft die gesetzliche Definition eine Reihe von höchst komplizierten Abgrenzungs- und Einordnungsfragen auf. Was z.B. ist mit Verbraucherkrediten, die regelmäßig zu vergleichbaren Konditionen einer Vielzahl von Kunden und Kundinnen angeboten werden? Hier wird argumentiert, ein Kreditinstitut schaue sich die Kreditnehmenden selbstverständlich genauer an, bevor es den Darlehensvertrag abschließe. Letztlich kann es dabei jedoch nur um die Frage der Kreditwürdigkeit gehen, nicht aber um das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder das Alter des/ der Kreditnehmenden. Handelt es sich nun also um ein „Massengeschäft“ – oder doch nicht? Kommt es hierbei auf den einzelnen Anbieter an oder auf die Art des Geschäfts?
Es wäre nicht zuletzt im Sinne einer besseren Anwendbarkeit des Gesetzes und der notwendigen Anpassung an die Richtlinie 2004/113/EG dringend geboten, die höchst problematische Beschränkung auf „Massengeschäfte“ aufzugeben und den Rechtfertigungstatbestand in § 20 um die erforderliche (strengere) Verhältnis¬mäßigkeitsprüfung zu ergänzen.
Dies ließe sich aber im Weg der – ohnehin notwendigen – gesetzgeberischen Revision des AGG problemlos bewerkstelligen. Gleichzeitig werden Normen kürzer und übersichtlicher. Es sollte im Interesse aller liegen, die genannten Problemstellen des Gesetzes zu beseitigen. Wer sich für klare Regelungen einsetzt, sollte diese nicht gleichzeitig verhindern.
Nicht-Diskriminierung als Grundlage realer Freiheit und gesellschaftlichen Fortschritts
Nicht zuletzt sollten die positiven Effekte bedacht werden, die durch eine Strategie der Diversität und Chancengleichheit erzielt werden können. Nicht-Diskriminierung ist die Basis der Chancengleichheit. Sie soll Menschen ermöglichen, entsprechend ihrer Fähigkeiten selbst zu entscheiden, was sie tun wollen, welche Rolle sie in der Gesellschaft einnehmen möchten, ohne durch ihr Geschlecht, ihre ethnische Herkunft, ihre sexuelle Orientierung, ihre Religion oder das Lebensalter von vornherein auf bestimmte Rollenmuster und Positionen festgelegt zu sein. Das Aufbrechen von starren Rollen- und Machtgefügen führt zu einer Neuorientierung innerhalb der Gesellschaft, die letztlich allen zugute kommt.
Dies betont auch der Ansatz des Diversity Managements, der eine Reihe dieser positiven Effekte sichtbar macht: Chancengleichheit erhöht den Wettbewerb – es werden die besten Köpfe gesucht – und führt damit zu einer allgemeinen Steigerung der Leistungsfähigkeit und des Wohlstands innerhalb einer Gesellschaft. Das ist ganz offenkundig, wenn etwa Frauen in die Führungspositionen der Wissenschaft drängen oder Menschen mit Migrationshintergrund vermehrt im Polizei- und Verwaltungsdienst Verantwortung übernehmen.
Und: Chancengleichheit verhindert Ausgrenzung. Gesellschaftliche Exklusion verursacht erhebliche Kosten, im schlimmsten Fall auch Konflikte, und ist insofern eine dauerhafte soziale Belastung. Potentiale gehen verloren, Menschen werden an den Rand und in die Abhängigkeit anderer gedrängt. Als Beispiele sei nur auf die weitgehende Ausgrenzung behinderter oder auch älterer Menschen vom Arbeitsmarkt hingewiesen. Arbeitssuchende, die auf dem Jobmarkt – trotz durchaus vorhandener Nachfrage – sprichwörtlich „keine Chance“ mehr haben, sind gezwungenermaßen von staatlicher Fürsorge abhängig. Ein Gutteil dieser Ausgrenzung beruht aber auf jenen Vorurteilen, gegen die Prinzipien wie Chancengleichheit und Nicht-Diskriminierung mit Recht ankämpfen.
So scheint es heute in der Politik – auch unter den Parteien – weitgehend unstreitig, dass Menschen mit Migrationshintergrund besser in den Arbeitsmarkt integriert werden müssen. Doch wird dabei übersehen, dass dieses Ziel nur erreicht werden kann, wenn auch innerhalb der Mehrheitsgesellschaft ein Klima der Toleranz und Wertschätzung geschaffen wird. Das bedeutet unter anderem, nicht sofort und in jeder Hinsicht Assimilation an die strukturelle Mehrheitsgesellschaft zu fordern, sondern kulturelle Vielfalt unter Wahrung gemeinsamer demokratischer Werte zu ermöglichen. Oder einfacher ausgedrückt: aufeinander zuzugehen anstatt nur einseitig Bedingungen zu formulieren. So wird von der Politik zunehmend der Bedarf erkannt, mehr Lehrer und Lehrerinnen mit Migrationshintergrund an öffentlichen Schulen einzustellen. Gleichzeitig wurden aber in vielen Bundesländern Gesetze erlassen, die muslimischen Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen, per se von diesem wichtigen Berufsfeld ausschließen. Dies geschieht ganz unabhängig davon, ob die Lehrerin tatsächlich – wie oft pauschal behauptet wird – gleichstellungsfeindliche und extremistische Positionen vertritt. Das ist aber, wie empirische Untersuchungen zeigen, keinesfalls die Regel. Der richtige Weg wäre hier eine Einzelfallprüfung statt einer generellen Ausgrenzung.
Ein positives Beispiel, wie Vielfalt zum Nutzen aller gefördert werden kann, bietet die Stadtverwaltung von London. Der dortige Bürgermeister hat ein Programm für Gleichheit (equality programme) aufgestellt, das unter anderem konkrete Zielvorgaben für Bereiche wie Beschäftigung oder öffentliche Einrichtungen formuliert. Die vorhandenen Defizite und die erzielten Fortschritte werden in einem jährlichen Bericht festgehalten. Schon die kritische Selbsteinschätzung dürfte für manch deutsche Ohren ungewöhnlich klingen:
„… London is still far from being a place where equality of opportunity is a reality for each and every Londoner regardless of their age, disability, gender, faith, race and sexual orientation. In key areas of life, the levels of inequality and disadvantage experienced by many Londoners undermine the ability of us all to make the best of what this city has to offer. … the Mayor will continue to work towards reducing inequality so all Londoners can benefit from and participate fully in the city´s economic success.” (Mayor of London, „The Language of Equality“ – The Mayor´s Annual Equalities Report 2006/07, Pax Nidi 2007, S. 6).
Für ähnliche Einsichten und Programme ist es in Deutschland scheinbar noch ein längerer Weg. Die Umsetzung des europäischen Antidiskriminierungsrechts allerdings ist – trotz aller Unzulänglichkeiten im politischen Prozess – ein erster und wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Lesen Sie die Langversion des Beitrags von Michael Wrase
Michael Wrase arbeitet als Jurist an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er war Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien.Seine Arbeitsschwerpunkte sind Verfassungsrecht, Antidiskriminierungsrecht und Rechtssoziologie.