Zur Situation der Roma in Spanien

Protestierende Roma-Frauen
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Protestierende Roma-Frauen: Noch immer ist die Volksgruppe in Spanien sozial und gesellschaftlich ausgeschlossen

 

von José Antonio Plantón García

Die „gitanos“ kamen im Jahre 1425 nach Spanien. Sie erreichten die Halbinsel über die Pyrenäen. Der König in jener Zeit, Juan II de Aragón, bewilligte Juan und Tomás, die sich Grafen von Kleinägypten nannten, per königlicher Urkunde den Grenzübergang. Aus diesem Namen „Kleinägypten“ entstand das Wort „gitano“, unter dem man in Spanien die Gruppe der Roma kennt. Seitdem haben sie sich im ganzen Land niedergelassen. Anfangs wurden sie wohlwollend aufgenommen, aber nach wenigen Jahren erließen die Könige gegen sie gerichtete Gesetze und ihre Verfolgung setzte ein.

Die gegenwärtige Situation

In Spanien leben etwa 700.000 Roma, das sind 2% der spanischen Bevölkerung. Sie waren schlimmen Verfolgungen ausgesetzt und lebten unter extrem schwierigen Bedingungen. Seit fünf Jahren ist diese Zahl mit der Ankunft von Roma aus den östlichen Ländern gestiegen. Von den Regionen ist Andalusien diejenige, in der die meisten „gitanos“ leben, schätzungsweise sind es ungefähr 300.000 Roma.

Nach sechs Jahrhunderten ihres Aufenthalts in Spanien erleben die Roma nun ihre beste Zeit, denn zum ersten Mal in der Geschichte sind sie als gleichberechtigte Bürger anerkannt. Es gibt für diese Volksgruppe erkennbare soziale Veränderungen und verbesserte Lebensbedingungen. Aber die Roma sind noch immer die bedürftigsten Spanier, sie werden am stärksten abgelehnt, sie leben in bedrückender Armut und sind sozial ausgeschlossen.

Die Hauptprobleme der spanischen Roma sind Beschäftigungs-, Bildungs- und Wohnungsprobleme. Bei diesen Themen spielt die Wohnungsfrage eine zentrale Rolle, noch gibt es abgesonderte Elendsviertel – in einem Land wie Spanien, das in der Wohnungsfrage eine gute Entwicklung zu verzeichnen hat. In der spanischen Verfassung heißt es, dass “alle spanischen Bürger das Recht auf eine menschenwürdige Wohnung haben”. Dieses Recht können nicht viele zu den Roma gehörende spanische Bürger genießen.
Zwei Gesichtspunkte fallen für die Roma-Gemeinschaft in Spanien besonders ins Gewicht: zunächst das Bildungsproblem. Eine kürzlich angefertigte Studie zeigt, dass 70% der über 16 Jahre alten Roma die Grundschule nicht abgeschlossen haben. Das bringt mit sich, dass diese weniger gebildeten Menschen noch weniger Chancen haben, aus ihrer ausgegrenzten Lage herauszufinden. Ein gebildeter und gut gerüsteter Mensch ist viel freier, und gerade das ist ein soziokultureller Wert der Roma, denn sie lieben die Freiheit. Beim Bildungsthema ist auch zu berücksichtigen, dass der Anteil von Analphabeten unter den Roma bei etwa 60% liegt. Wir haben es also mit einem Volk zu tun, das nicht ausreichend für die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft gewappnet ist und vor allem einer Mehrheitsgesellschaft wehrlos gegenüber steht. 

Im Hinblick auf die Bildung ist nicht alles negativ, sondern es gibt einen als besonders positiv hervorzuhebenden Aspekt: In jedem akademischen Jahr steigt hier in Spanien die Zahl der Jugendlichen, die an der Universität studieren. 80% der zum Volk der Roma gehörenden Universitätsstudenten sind Frauen. Das ist ein sehr wichtiger Umstand, denn die Roma-Frauen in Spanien tun mehr für ihre Bildung als die Männer, und sie werden ihren Kindern positive kulturelle Werte vermitteln und dabei unter anderem Wert auf die Bildung legen, da sie diesem Thema größere Bedeutung beimessen werden. Auf diesem Gebiet gibt es also – wenn auch langsame – Fortschritte.

Der zweite Gesichtspunkt ist das Beschäftigungsproblem. Die Arbeitslosenquote unter den spanischen Roma ist sehr hoch. Ein großer Teil der Roma in Spanien lebt heutzutage vom ambulanten Verkauf, außerdem arbeiten sie – jedoch in einem viel geringeren Ausmaß als in der erstgenannten Tätigkeit – in der Landwirtschaft, in der Sammlung von Altpapier, Schrott oder Antiquitäten und in der Welt der Künste. Eine Schwierigkeit für die Roma in der Arbeitswelt ist auch die mangelnde Qualifikation und Ausbildung, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt. Es gibt auch Probleme mit Vorurteilen in der Zusammenarbeit mit einem „gitano“. Nur wenige Unternehmer wagen es, Roma einzustellen, schon gar nicht für verantwortungsvolle Aufgaben. 

In Spanien ist kürzlich eine Studie über die Beschäftigungssituation der Roma-Bevölkerung angefertigt worden, aus der hervorgeht, dass die Roma ein Volk sind, das arbeiten will und auch viel arbeitet. Die Erwerbstätigenquote unter den Roma ist deutlich höher als die Erwerbstätigenquote der spanischen Bevölkerung insgesamt. 

Darüber hinaus heißt es in der Studie, dass die Roma schon in sehr jungen Jahren zu arbeiten beginnen – bereits mit 16 Jahren sind sie auf dem Arbeitsmarkt vertreten. Und sie arbeiten sehr lange, bis zu ihrem 65. Lebensjahr, während die spanische Bevölkerung im Allgemeinen weniger Jahre arbeitet. Nachteilig ist hierbei folgendes: Während die anderen Jugendlichen lernen und sich bilden, arbeiten die jungen Roma bereits und versuchen, zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen.

Daneben kommt die Studie zu dem Schluss, dass es bei den Roma einen bedeutenden Anteil an Lohnempfängern gibt, 51% der Roma über 16 Jahre sind Lohnempfänger. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ist dies eine geringe Prozentzahl, aber angesichts der bestehenden Vorstellungen über die Roma-Gemeinschaft ist der Prozentsatz sehr beachtlich. Allerdings fällt ein Schatten darauf, wenn man nach der Qualität der Beschäftigung fragt. Von diesen Lohnempfängern sind nur 15 % unbefristet beschäftigt, der Anteil der befristeten Beschäftigtenverhältnisse beträgt 70% und auch der Anteil der Teilzeitbeschäftigung ist sehr hoch. Die Studie zeigt auch, dass sich die Roma-Frauen die Welt der Arbeit eröffnen und sich mehr als die Männer mit der Bildung befassen.

Maßnahmen gegen den sozialen Ausschluss der Roma

Der soziale Ausschluss, den die Roma in Spanien erfahren, verlangt dagegen von allen öffentlichen Verwaltungen eine aktive Sozialpolitik, die deren ethnische und kulturelle Besonderheiten berücksichtigt. Diese Politik müsste auf die heiklen Themen eingehen und Maßnahmen ergreifen, um die soziale Anerkennung der Roma-Gemeinschaft zu verbessern. Gleichfalls wäre es angebracht, die Medien bei den Nachrichten, die sie über die Roma verbreiten, zu Sorgfalt aufzufordern und die bereichernden und positiven Elemente der Roma-Kultur zu verbreiten. Die Informationsfachleute müssen gegenüber dem Volk der Roma einen Pflichtenkodex erarbeiten.

Ebenso scheint es geraten, den Zugang der Roma zur Information sowie zu denjenigen sozialen und repräsentativen Foren zu fördern, in denen sie direkt betreffende Fragen diskutiert werden.

Besondere Erwähnung muss die Roma-Frau finden, die in der Gruppe traditionell und der Gewohnheit entsprechend ihren Platz im engsten familiären Rahmen hat, an dem sie eine ganz konkrete Tätigkeit ausübt. Ihre gesellschaftliche Rolle bestand in der Vermittlung der Werte, der Gewohnheiten und der Kultur der Roma. Die Situation der Roma-Frauen hat in der Gegenwart einen Entwicklungsprozess durchlaufen, der allerdings wegen ihrer sozialen und familiären Gegebenheiten langsamer verlief als in der Gesamtgesellschaft. Die Roma-Frauen besitzen eine nicht sehr hohe Bildung und eine geringe Berufsqualifikation, und das erschwert ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt. Es wird also erforderlich sein, dass die Frauenverantwortlichen der verschiedenen Verwaltungen in den Frauengremien fachliche und finanzielle Hilfe geben und informieren. Es geht darum, den Roma-Frauen, die studiert haben, Unterstützung zu geben, damit sie anderen Roma-Frauen als Vorbild dienen können.

Die Massenmedien sind einzubeziehen, denn der schnelle und maßgebliche Einzug der audiovisuellen Mittel in die Roma-Gemeinschaft steht in engem Zusammenhang damit, wie diese ihre Inhalte mündlich und visuell vermittelt, wie es auch bei der Vermittlung der Roma-Kultur der Fall war. Die Medien verändern die Gepflogenheiten der Bevölkerung, aber in der Roma-Gemeinschaft ist das Vordringen der Medien noch viel stärker und verändert ihre Verhaltensweisen, wobei ein Teil ihrer kulturellen Traditionen verloren geht. Deshalb sind es im Kommunikationszeitalter die audiovisuellen Mittel.

Die verstärkte Verbreitung von Inhalten der Roma in den Medien sowie eigene Medien der Roma, Radiofrequenzen und Veröffentlichungen werden zum Beispiel zu einem besseren Verständnis der Roma-Problematik beitragen und können eine enorm positive Rolle für die Förderung des Volkes spielen.

Ein weiteres erwähnenswertes Thema sind rassistische Vorurteile, denen die Roma sehr häufig begegnen. Deshalb müssen glaubhafte Maßnahmen zum Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung ergriffen werden. Auch ist die unzureichende Beteiligung der Roma an der Ausarbeitung und Durchführung der Politiken zur Überwindung ihrer Diskriminierung durch die mangelnde Effektivität des diesbezüglichen Handelns begründet. Es scheint angebracht, diese Beteiligung zu fördern, weil sich so die ergriffenen Maßnahmen effektiver gestalten und die Einbeziehung der Roma in das normale gesellschaftliche Leben erleichtert würde.

Auf Grund der Darlegungen in diesem Artikel wird mit dem Ziel der Chancengleichheit für alle vorgeschlagen, dass sich die Regierungen gründlicher mit der Roma-Problematik beschäftigen und die am besten geeigneten Maßnahmen ergreifen, damit diese Volksgruppe unter den gleichen Bedingungen wie alle anderen Spanier leben kann.

Übersetzung aus dem Spanischen: Bärbel Diehlmann

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José Antonio Plantón García arbeitet als Lehrer der Sekundarstufe an einer Schule in Málaga. Er engagiert sich in der öffentlichen Verwaltung und in NGOs für die Belange der Roma-Minderheit.