von Mirko Sporket
Hintergrund
Schon immer haben Menschen unterschiedlichen Alters in Organisationen mehr oder weniger gut zusammengearbeitet. Dabei wurde das Alter der Beschäftigten jedoch in den seltensten Fällen thematisiert. „Alter“ als eigenständige und strategische Kategorie der Personalpolitik ist erst in jüngster Zeit verstärkt ins Blickfeld von Organisationen geraten. Dabei sind es insbesondere die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen nunmehr größere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Galten Ältere in Organisationen bis vor kurzem gleichsam noch als betriebliche Manövriermasse im Rahmen von Personalabbau- und Umstrukturierungsmaßnahmen, so beginnen Unternehmen heute damit, das Altern der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Personalpolitik zu berücksichtigen. Age Management oder Age Diversity sind nur zwei Begriffe, die dieses neue Verständnis vom Altern in Organisationen widerspiegeln.
Wozu Age Diversity?
Unternehmen haben gute Gründe dafür, sich stärker als bisher mit dem Thema Alter bzw. Altern auseinanderzusetzen.1 Eine konstant niedrige Geburtenrate gepaart mit einer immer weiter steigenden Lebenserwartung führt zu einer Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung. Dies ist im Übrigen ein Prozess, der – mit je regionalen Unterschieden – in ganz Europa und allen anderen westlichen Industrienationen zu beobachten ist. Unternehmen, Verwaltungen und weitere Organisationen bleiben vom demographischen Wandel dabei nicht verschont. Der organisationsinterne aber auch der allgemeine demographische Wandel wird die Unternehmen vor eine Reihe neuer Herausforderungen stellen.
Mangel an Nachwuchskräften
Die demographisch bedingte Schrumpfung der Bevölkerung wird sich auch auf die Struktur der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, das heißt im Alter von 20-64 Jahren, niederschlagen. Um 10 Millionen wird die Anzahl derer, die dem Arbeitsmarkt potenziell zur Verfügung stehen, bis 2050 abnehmen. Falls die dieser Rechnung zugrundegelegte Zuwanderung von 200.000 pro Jahr nicht realisiert werden kann, fällt die Abnahme sogar noch stärker aus.2 Diese enormen Verwerfungen am Arbeitsmarkt haben direkte Auswirkungen auf die Unternehmen. Ihnen werden künftig weit weniger junge Menschen zur Verfügung stehen als bisher. Für die Organisationen hat das zur Folge, dass sie ihre oftmals eingefahrenen Rekrutierungsstrategien und -profile ändern müssen. MigrantInnen, Frauen und auch gerade Ältere müssen zukünftig bei Einstellungen stärker berücksichtigt werden.
Alterung der Belegschaften
Ebenso wie die Struktur der allgemeinen Bevölkerung ist auch die Organisationsdemographie Veränderungsprozessen unterworfen. Durch das Aufrücken der so genannten Baby-Boomer in die höheren Altersgruppen werden sich der Anteil der über 50-Jährigen sowie das Durchschnittsalter der Betriebe zum Teil massiv nach oben entwickeln. Problematisch erweist sich dieser organisationale Alterungsprozess vor allem, wenn man einen Blick auf das erhöhte Krankheits- und Qualifikationsrisiko der älteren Beschäftigten wirft: So weisen Beschäftigte in den höheren Altersgruppen – insbesondere in belastenden Berufen – höhere Krankenstände auf. Dagegen nimmt ihre Teilnahme an beruflicher und betrieblicher Qualifizierung mit zunehmendem Alter ab, wobei dies vor allem für weniger qualifizierte Beschäftigte gilt. Vor diesem Hintergrund stellt sich für Organisationen die Frage, wie sie auch mit alternden Belegschaften ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit erhalten können. Maßnahmen im Bereich der Gesundheitsförderung und des Lebenslangen Lernens bilden hier die Schlüssel.
Nutzung von Erfahrungswissen
Das gemeinsame Altern der Baby-Boomer hat noch eine weitere Konsequenz, die oftmals vernachlässigt wird. Große Gruppen älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in den kommenden Jahren nahezu gemeinsam die Unternehmen verlassen – und mit ihnen auch das in jahrelanger Tätigkeit erworbene und verfeinerte erfahrungsgesättigte Wissen und Know-how. Noch ist in vielen Organisationen völlig unklar, wie der Verlust dieses Wissens kompensiert werden kann. Eines jedoch scheint klar: Allein durch die Einstellung jüngerer Menschen mit aktuellem und frischem Wissen kann dies nicht geschehen. Vielmehr wird es darum gehen müssen, Ältere so lange wie möglich im Unternehmen zu halten und das Erfahrungswissen nutzbar zu machen. Dies kann z.B. durch das Arbeiten in altersgemischten Teams, Mentorenmodelle oder andere Formen des intergenerationellen Wissensaustauschs unterstützt werden.
Flankiert wird diese eher ökonomisch begründete Motivlage für Altersvielfalt durch sich verändernde politische Rahmenbedingungen. Hier hat in Bezug auf ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. War der Staat lange Jahre an der gesellschaftlichen Koalition der Frühverrentung beteiligt, so weisen die jüngsten Reformen in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik in eine andere Richtung. Mit der sukzessiven Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre wurde ein eindeutiges Signal zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit gesetzt. Darüber hinaus stellt auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) neue Anforderungen an die Unternehmen.3 So steht mit ihm in vielen Unternehmen eine altersselektive Personalpolitik auf dem Prüfstand, die Ältere vor allem bei der Beteiligung an Weiterbildung und bei Einstellungen benachteiligt.
Altersvielfalt bedeutet also vor diesem Hintergrund eine stärkere, bessere und längere Integration der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ist nicht allein politische Forderung, sondern auch und gerade ökonomische Notwendigkeit.
Was tun?
Organisationen haben eine Reihe von Möglichkeiten Altersvielfalt herzustellen und zu fördern. Im Folgenden seien besonders relevante Handlungsfelder skizziert und mit Beispielen aus der betrieblichen Praxis hinterlegt.4
Rekrutierung
Die altersbezogene Zusammensetzung der Belegschaft kann vor allem durch die jeweilige Rekrutierungsstrategie und -praxis von Organisationen beeinflusst werden. Die Fixierung der Rekrutierungsstrategien der meisten Organisationen in den vergangenen Jahrzehnten auf junge Männer hat zu homogenen Belegschaften geführt, die zumeist eine komprimierte Altersstruktur aufweisen. Den hiermit zusammenhängen Problemen kann entgegengewirkt werden, indem Menschen jeden Alters eingestellt werden. So können komplementäre Wissensbestände von Jung und Alt in Projekt- und Arbeitsteams zusammengeführt und eine stete „natürliche Fluktuation“ sichergestellt werden.
Für die Firma microTec aus Bad Dürkheim, Technologieführer im Bereich der werkzeuglosen Serienproduktion von Mikrokunststoffbauteilen und Mikrosystemen, spielt das Alter der Bewerberinnen und Bewerber bei Einstellungen keine Rolle. Allein die Kompetenzen und die Motivation (und nicht die formalen Qualifikationen) entscheiden darüber, wer einen Job bekommt. So arbeiten in dem Unternehmen mit etwa 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern junge und ältere Beschäftigte produktiv und innovativ in altersgemischten Teams zusammen. Die Firma Fahrion Engineering GmbH & Co. KG (etwa 100 Beschäftigte) setzt vor allem auf die Erfahrung älterer Ingenieure. In einer Anzeige wurden explizit über 45- und 55-Jährige dazu aufgefordert sich zu bewerben. Die Resonanz war überwältigend: Mehr als 500 Personen habe sich auf die Anzeige beworben, das Unternehmen stellte gleich 19 von ihnen ein. Der Geschäftsführer, Ottmar Fahrion, schätzt an seinen älteren MitarbeiterInnen vor allem die große Berufserfahrung, die breit gefächerten Kompetenzen sowie die Flexibilität. |
Lebenslanges Lernen
Bei der zunehmenden Humankapitalorientierung der Unternehmen bildet die permanente Entwicklung von Kompetenzen, Fertigkeiten und Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Grundlage für Wettbewerbs-, Innovations- und Beschäftigungsfähigkeit. Dabei gilt es, Lernen als „natürlichen“ Bestandteil von Arbeit über den Erwerbsverlauf hinweg zu institutionalisieren und mit alternsgerechten Entwicklungswegen (vertikale und horizontale Karrieren) zu verknüpfen. '
Das niederländische Chemieunternehmen DSM mit etwa 5.000 Beschäftigten hat seit einigen Jahren mit Erfolg ein so genanntes Integral Performance Management eingeführt. Kernelement dieses Managementsystems ist das halbjährliche MitarbeiterInnengespräch, in dem die Kompetenzen des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin erfasst und weitere Entwicklungsschritte (Qualifizierung, Stellenwechsel) mit dem Vorgesetzten oder der Vorgesetzten vereinbart werden. Bei Siemens Niederlande gibt es bereits seit einigen Jahren Job Rotation als festen, arbeitsvertraglich geregelten Bestandteil der Personalentwicklung. Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin, egal welcher Qualifikationsstufe, wechselt alle paar Jahre (die genaue Dauer ist abhängig von der jeweiligen Arbeit) die Tätigkeit. Unterstützt werden die Beschäftigten hierbei durch Mitarbeitergespräche und das breite Weiterbildungsangebot des Unternehmens. Durch diese Maßnahme werden Flexibilität und Einsatzbereitschaft über den Erwerbsverlauf erhöht. |
Gesundheitsförderung
Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in stärkerem Maße von Gesundheitsrisiken betroffen, die sich nicht selten über den Lebensverlauf, auch in Abhängigkeit der beruflichen Tätigkeit, entwickeln. Eine gute Gesundheit bildet jedoch die Grundvoraussetzung für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben und kann von den Unternehmen durch präventive Maßnahmen im Bereich der Verhaltens- und Verhältnisprävention unterstützt werden. Hierbei ist es wichtig, dass Maßnahmen nicht erst im höheren Erwerbsalter ansetzen, sondern bereits in jungen Jahren.
Aufgrund der vielfältigen psychischen und physischen Belastungen des Pflegeberufs ist ein gesundes Altern im Beruf oftmals nicht möglich. Die Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach, ein Pflegeanbieter mit etwa 900 Beschäftigten, steuert hier gegen und hat ein umfassendes Modellprojekt zur Gesundheitsförderung im Unternehmen umgesetzt. Bereits in der Pflegeausbildung werden die Altenpflegeschülerinnen und -schüler für das Thema Gesundheit sensibilisiert und hinsichtlich ihrer Gesundheitskompetenzen gestärkt. Darüber hinaus wurden Gesundheitszirkel umgesetzt, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die eigene Arbeitssituation analysieren, Probleme konkret benennen und gemeinsam Lösungen entwickeln. |
Flexible Arbeitszeitgestaltung
Die starre Dreiteilung des Lebenslaufs in eine Zeit der Ausbildung, der Berufstätigkeit und des Ruhestandes ist nicht mehr zeitgemäß und entspricht nicht den Wünschen und Bedürfnissen der und den Anforderungen an die Beschäftigten. Bereits heute wird die Erwerbsarbeit z.B. durch Phasen der Weiterbildung oder der Pflegetätigkeit unterbrochen. Darüber hinaus erweist sich ein gleitender Übergang in den Ruhestand oftmals als sinnvoller als ein abruptes Ende der Karriere. Arbeitszeiten sollten deshalb nicht nur in Bezug auf die Tages- oder Wochenarbeitszeit, sondern über den gesamten Erwerbsverlauf hinweg flexibilisiert werden und organisationale und individuelle Bedarfe berücksichtigen.
Die Sick AG aus Waldkirch hat so genannte Zeit-Wert-Konten eingeführt, die eine lebensphasengesteuerte Arbeitszeitgestaltung unterstützen und ermöglichen. In das Zeit-Wert-Konto wird von den Beschäftigten Mehrarbeitszeit überführt und in Geld umgewandelt. Dieses Geld geht in einen externen Fonds ein, der zusammen mit dem Betriebsrat ausgewählt wurde. Die Beschäftigten können nach einer Zeit der Ansparung selbst entscheiden, wie sie das angesparte Geld nutzen möchten. So können die Beschäftigten das Geld für eine bezahlte Freistellungsphase (Auszeit, Weiterbildung etc.), für eine befristete Verkürzung der Wochenarbeitszeit, für einen früheren Eintritt in die Rente, für die Verkürzung der Wochenarbeitszeit vor der Rente oder aber für eine zusätzliche Rente verwenden. |
Führung
Age Diversity stellt sich nicht von alleine ein, sondern muss von den Organisationen und insbesondere von deren Management aktiv angegangen werden. Doch oftmals herrschen in Organisationen Altersbilder vor, die dem so genannten Defizitmodell des Alters anhängen. Dieses besagt, dass die Leistungsfähigkeit generell mit dem Alter sinke und Ältere deshalb weniger produktiv seien als Jüngere. Auch wenn das Defizitmodell wissenschaftlich längst widerlegt ist, so wirkt es doch in vielen Köpfen von Personalverantwortlichen nach. Hier muss ein neues Bewusstsein für das Altern hergestellt werden, das eine realistische Einschätzung von Alterungsprozessen, die individuell höchst unterschiedlich verlaufen können, liefert. Es muss ein Verständnis für die oftmals unterschiedlichen Bedürfnisse von Beschäftigten verschiedener Altersgruppen geschaffen werden und in die Personalpolitik einfließen.
Das Finnish Institute of Occupational Health hat ein Age Management Training für Personalverantwortliche entwickelt, in dem die Rolle des Alters in Organisationen erläutert und ein Bewusstsein für individuelle Alternsprozesse und die daraus resultierenden Anforderungen an die Personalpolitik geschaffen wird. Anhand von Altersstrukturanalysen werden zudem organisationale Alterungsprozesse sichtbar gemacht. Solche Altersstrukturanalysen, vor allem wenn sie bis auf die Bereichs- oder Abteilungsebene herunter gebrochen werden, haben sich als wirksames Instrument zur Sensibilisierung von Verantwortlichen erwiesen. Darüber hinaus bilden sie die Grundlage für die Planung weiterer Maßnahmen.. |
Endnoten
1 Vgl. dazu den Text "Theory of diversity within Organisation Studies: Debates and future trajectories” von Maddy Janssens und Chris Steyaert (2003).
2 Vgl. dazu die 11. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes.
3 Vgl. dazu den Artikel „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in der arbeitsrechtlichen Praxis - ein Baustein für Chancengleichheit“ von Volker Roßocha auf der MID-Website der Heinrich-Böll-Stiftung.
4 Die folgenden Betriebsbeispiele stammen alle aus dem Projekt „Employment Initiatives for an Ageing Workforce“, das vom Institut für Gerontologie an der Technischen Universität Dortmund gemeinsam mit der Universität Cambridge für die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durchgeführt hat. In dem Projekt wurden in ganz Europa über 200 Beispiele der guten Praxis im Alternsmanagement identifiziert und dokumentiert. Die Datenbank mit den Fallbeispielen findet sich auf den Internetseiten der Stiftung.
Mirko Sporket ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gerontologie an der TU Dortmund. Im Arbeitsbereich „Demographischer Wandel und Arbeitswelt“ setzt er sich mit der Beschäftigungsförderung alternder Belegschaften auseinander.