von Kenan Kolat
Der Vorstoß der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Prof. Dr. Maria Böhmer im Januar dieses Jahres „mehr Migranten im öffentlichen Dienst zu beschäftigen“ hat zu Recht eine Welle von Diskussionen entfacht. Frau Böhmer begründete ihren Vorstoß damit, dass jeder fünfte Mensch in Deutschland einen Migrationshintergrund hat. Dies sollte sich auch im öffentlichen Dienst widerspiegeln. 20 Prozent der Beschäftigten sollten künftig aus EinwandererInnenfamilien kommen – vor allem LehrerInnen und ErzieherInnen.
Dieser Vorstoß von Frau Böhmer wurde von vielen als eine Forderung nach einer Quote für MigrantInnen verstanden. Das Resultat ist eine rege Diskussion zu der Thematik und das ist gut so. Jedoch nahm Frau Böhmer ihre Aussage hinsichtlich einer Quote umgehend zurück.
Die Argumente der KritikerInnen einer Quotenregelung für MigrantInnen sind im Wesentlichen folgende:
- Eine Quote für MigrantInnen sollte nur letzter Ausweg sein.
- Die Erfahrungen mit der Quote aufgrund des Geschlechts sind negativ. „Quote“ ist und bleibt ein Reizwort. Lange Jahre galt es das Allheilmittel, um Benachteiligungen von Minderheiten (wobei Frauen keine Minderheit waren und sind) in Beruf und Bildung zu beheben. Unterdessen mehrten sich die kritischen Stimmen vieler Frauen, denn sie wollten nicht mit Sondermaßnahmen „behandelt“ werden. Quotiert zu sein hätte einen Makel, frau war nicht wegen ihrer Leistungen, sondern aufgrund des Geschlechts auserkoren worden.
- Die Quote sei das völlig falsche Instrument, da das einzig entscheidende Kriterium Können, also Leistung sein müsse“.
- Quote sei ein rechtlicher Automatismus, der zu Missbrauch führe. Mehr EinwandererInnen in Behörden seien nur in Ballungsräumen nötig, auf dem Land sei der MigrantInnenanteil hierfür zu niedrig, so der Innenexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl.
- Das Ziel, mehr EinwandererInnen in den Staatsdienst einzustellen, sei zwar richtig, eine Quote dafür aber ungeeignet. Sinnvoll sei ein aktives Personalmanagement der Behörden, das mehr Menschen aus EinwandererInnenfamilien in den öffentlichen Dienst hole, so der SPD-Fraktionsvize und Innenexperte Olaf Scholz in der Süddeutschen Zeitung.
Dem Gedanken, dass die Quote für MigrantInnen nur ein letzter Ausweg sein sollte, kann ich folgen. Die Frage stellt sich nur, wie und wann der letzte Ausweg ausfindig gemacht werden kann.
Zu diesem Zweck bedarf es einer Analyse der Lage. Wie ist denn die Situation der MigrantInnen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt? Hierzu liefern verschiedene Studien eine Reihe von aufschlußreichen Daten und Fakten:
OECD-Studie 2008
Die OECD kommt in ihrem Beschäftigungsausblick 2008 zu folgendem Ergebnis:
„Ebenso liegt in Deutschland bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund (20 bis 29-jährigen, Migranten 2. Generation) die Beschäftigungsquote um etwa 15 Prozentpunkte niedriger als bei der vergleichbaren Gruppe ohne Migrationshintergrund. Dies ist nur knapp zur Hälfte durch Unterschiede im Bildungsniveau zu erklären. Ein weiterer bedeutenderer Faktor dürfte die Diskriminierung am Arbeitsmarkt sein“.
Selbst MigrantInnenkinder, die ihre komplette Ausbildung in Deutschland absolviert haben, hätten geringere Jobchancen als BewerberInnen ohne Migrationshintergrund mit dem gleichen Bildungsniveau (vgl. OECD-Experte für Arbeitsmarktintegration Thomas Liebig). Menschen mit ausländisch klingenden Namen müssten drei bis viermal so viele Bewerbungen wie „Deutsche“ schreiben, bis sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden.
Selbst mit Universitätsabschluss sind die Chancen der Kinder von EinwanderInnen, eine Beschäftigung zu bekommen, zum Teil erheblich geringer. Bildungs- und Sprachdefizite können somit nur einen Teil der niedrigen Beschäftigung erklären. Der niedrigere Bildungshintergrund kann somit auch ein bequemer Vorwand sein, um diskriminierende Einstellungen zu verdecken.
BIBB-Studie 2009
In der öffentlichen Diskussion wie auch im wissenschaftlichen Diskurs wurden lange Zeit häufig Defizite bei den Jugendlichen selbst, wie unzureichende Kompetenzen oder mangelnde Schulabschlüsse, unzureichende Informationen oder unangemessene Suchstrategien bzw. ein geringes Interesse an einer Ausbildung als Ursachen für den geringeren Zugang zu einer Berufsausbildung genannt. Dieses widerlegen die vorliegenden Ergebnisse der Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung „Übergänge in eine berufliche Ausbildung – Geringere Chancen für junge Menschen mit Migrationshintergrund“ von Ursula Beicht und Dr. Mona Granato und fordern damit zu einem grundlegenden Perspektivwechsel auf: Zentral ist, von den Ressourcen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund auszugehen und diese in das Blickfeld zu rücken. Die Ergebnisse der Studie zusammengefasst:
- Jugendliche mit Migrationshintergrund haben nach Beendigung der allgemeinbildenden Schule ein ebenso hohes Interesse an einer Berufsausbildung wie „einheimische“ Jugendliche.
- Bei den angewandten Strategien der Ausbildungsplatzsuche gibt es gleichfalls keine wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Gruppen.
- Dennoch sind die Chancen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund -selbst mit gleichen schulischen Voraussetzungen- wesentlich geringer.
- Erheblich häufiger durchlaufen SchulabgängerInnen aus MigrantInnenfamilien daher schwierige und langwierige Übergangsprozesse bei der Suche nach einer beruflichen Ausbildung.
- Die Chance, einen Ausbildungsplatz zu finden ist bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund (MigH) geringer: Mit Hauptschulabschluss liegt der Anteil der Jugendlichen mit MigH bei 42 % (im Vergleich 62 % ohne MigH); mit mittlerem Schulabschluss liegt der Anteil bei Jugendlichen mit MigH bei 55 % (74 % ohne MigH).
- Die geringeren Einmündungschancen von Jugendlichen mit MigH lassen sich somit keineswegs mit Schulnoten erklären.
Aus den genannten Studien und darüber hinaus auch aus vielen anderen Studien wird ersichtlich, dass die MigrantInnen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt benachteiligt und diskriminiert werden. Die Ausmaße der Benachteiligungen sind enorm. Die deutsche Gesellschaft ist eine Arbeitsgesellschaft. Die Menschen definieren sich ausgehend von ihrer Rolle und Stellung im Arbeitsleben. Vom Erwerbsleben ausgeschlossen zu sein, bedeutet zugleich den Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben. Ohne die erfolgreiche Integration der MigrantInnen in den Arbeitsmarkt, kann eine gesellschaftliche Teilhabe nicht gelingen.
Schon im Jahre 2007 hatte die Türkische Gemeinde in Deutschland erklärt, dass eine Selbstverpflichtung der Unternehmen vermehrt Jugendliche mit MigH auszubilden, zu begrüßen wäre. Aber die Appelle der politischen EntscheidungsträgerInnen an Unternehmen können nur dann glaubwürdig empfunden werden, wenn der Staat selbst Jugendliche mit MigH ausbildet und mit gutem Beispiel voranschreitet. Hier hat der Staat noch enormen Nachholbedarf.
Ob der Zeitpunkt einer Quotenregelung gekommen ist, sollte diskutiert werden. Natürlich gibt es auch andere gute Ansätze, die sich bewährt haben, wie z.B. die politische Zielsetzung des Berliner Senats oder das 20 %-Ziel des Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust, den Anteil der MigrantInnen im öffentlichen Dienst analog zu ihrem Anteil an der Bevölkerung zu erhöhen.
Aus diesen verschiedenen Gründen bedarf es neuer Vorschläge für Positive Maßnahmen im Rahmen einer Diversity-Strategie, die wie folgt sein können:
(1) Zielgrößen in den öffentlichen Verwaltungen definieren, mit dem Zweck, den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in den öffentlichen Verwaltungen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung zu erhöhen.
(2) Monitoring und jährliches Reporting zur Zielverfolgung einführen.
(3) Menschen mit Migrationshintergrund bei Stellenausschreibungen gezielt ansprechen; migrantische Medien beim Personalmarketing verstärkt nutzen.
(4) Kampagne(n) zu Vorbildern durchführen, bestehende unterstützen.
(5) Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompetenzen u.a. als Ressource bei Einstellungen einführen.
(6) Interkulturelle Kompetenzerweiterung in den Betrieben, Managing-Diversity-Prozesse fördern, spezifische Förderprogramme entwickeln und umsetzen.
(7) Anreize für Unternehmen schaffen, damit sie Auszubildende mit Migrationshintergrund einstellen.
(8) Mentoringprogramme einrichten, um potentielle BewerberInnen mit den ArbeitgeberInnen zusammenzubringen (Netzwerk-Defizite abbauen).
(9) Instrumente zur selbstkritischen Überprüfung von Diskriminierungen bei Bewerbungsverfahren und Beförderungen entwickeln, individuelle und „statistische Diskriminierungen“ bekämpfen.
(10) Ziele im SGB II ergänzen, um bestehende Nachteile aufgrund der Herkunft, Hautfarbe etc. zu überwinden.
(11) Ein Gesetz zur Verbesserung der Bedingungen für die Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikationen schaffen.
Falls all das zu keinem Erfolg bei der Herstellung von Chancengerechtigkeit führen sollte, müssen wir über Quoten ernsthaft diskutieren.
Kenan Kolat ist Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD).