Grundlagen & Ziele
In der Europäischen Union und in Deutschland wurden Positive Maßnahmen zunächst zugunsten von Frauen in der Arbeitswelt zugelassen und mit einer Vielzahl unterschiedlicher Instrumente u.a. im Rahmen von Gender Mainstreaming-Programmen in den Mitgliedsländern implementiert. Es folgten Positive Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen. Erst mit den vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien aus den Jahren 2000-2004 wurden Positive Maßnahmen zugunsten aller geschützten Gruppen ermöglicht. Der deutsche Gesetzgeber hat Positive Maßnahmen aus den EU-Gleichbehandlungsrichtlinien übernommen und in § 5 AGG als unverbindliche Handlungsoption verankert. Damit hat das AGG die Mindestanforderungen erfüllt, ohne sie zu konkretisieren oder weiterzuentwickeln.
Das AGG zielt darauf ab, Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft oder einer zugeschriebenen „Rasse“, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich der deutsche Gesetzgeber in weiten Teilen für ein Regelungsmodell entschieden, das davon ausgeht, dass die Geschädigten im Anschluss an eine erlittene Diskriminierung selbst die Sanktionierung übernehmen, indem sie Ansprüche erheben und ggf. vor den Gerichten durchsetzen. Es ist allerdings fraglich, ob dieser individualrechtliche Ansatz ohne verbindliche Verpflichtungen zu proaktiven Maßnahmen ausreicht, um mehr tatsächliche Gleichstellung zu erzielen.
Die Beiträge in diesem Schwerpunkt beleuchten die rechtlichen und politischen Grundlagen Positiver Maßnahmen sowie Fallstricke und Probleme bei ihrer Implementierung.
Instrumente & Strategien
In den Rechtskommentaren zum AGG und insbesondere der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wird näher definiert, was unter Positiven Maßnahmen verstanden werden soll und unter welchen Bedingungen sie rechtskonform und damit zulässig sind: Positive Maßnahmen sind geeignete, angemessene und verhältnismäßige Aktivitäten, die eine Verhinderung oder den Ausgleich von Benachteiligung der im AGG geschützten Personen und Gruppen zum Ziel haben.
Insbesondere im Rahmen des Gender Mainstreaming ist bereits eine breite Palette rechtlich zulässiger Positiver Maßnahmen eingesetzt und evaluiert worden. Diese reichen von „weichen“ Maßnahmen wie Anwerbungs- und Informationskampagnen bis hin zu „harten“ Maßnahmen wie der Quotenregelung. Nicht alle haben sich gleichermaßen als effektiv erwiesen und stehen daher in der öffentlichen Diskussion.
Positive Maßnahmen zugunsten der im AGG geschützten Gruppen umfassen sowohl zielgruppenorientierte Aktivitäten und Instrumente (z.B. die gezielte Ansprache von Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in Stellenangeboten oder betriebliche Fördermaßnahmen für ältere ArbeitnehmerInnen), zielgruppenübergreifende Maßnahmen (z.B. Work-Life-Balance-Programme, umfassendes Diversity Management als horizontale Handlungsoption Positiver Maßnahmen), wie auch auf den Abbau (potentiell) diskriminierender Strukturen abzielende Instrumente (wie z.B. die Überprüfung sämtlicher Richtlinien und Personalprozesse in einem Antidiskriminierungs- oder Diversity-Check).
Die Beiträge in diesem Abschnitt diskutieren Instrumente und Strategien Positiver Maßnahmen in Unternehmen, Organisationen und öffentliche Verwaltungen und Einrichtungen.
Internationale Perspektiven
Das Konzept der Positiven Maßnahmen hat seinen Ursprung in den USA, wo sie als affirmative action bekannt geworden sind. Die Forderungen der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung hatten zunächst vor allem das Ziel den allgegenwärtigen Rassismus zu bekämpfen, durch den die Schwarze Bevölkerung jahrhundertelang ausgebeutet und unterdrückt wurde. Später wurden mit der affirmative action weitergehende Ziele verfolgt, wie die Überwindung der Benachteiligung von Frauen und nicht-schwarzer ethnischer Minderheiten.
International sowie innerhalb der Länder der Europäischen Union gibt es indes sehr unterschiedliche Erfahrungen mit der Ausrichtung und dem Verständnis von Positiven Maßnahmen, die in den hier versammelten Beiträgen deutlich werden. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen, sozialer und politischer Systeme, gesellschaftlicher Veränderungen, wirtschaftlicher Entwicklungen sowie Rechtssysteme und -kulturen bilden die Erfahrungen anderer Länder einen wertvollen Erfahrungsschatz für den Umgang mit Positiven Maßnahmen hierzulande.