Organisation und Selbstdarstellung von AfrikanerInnen in Berlin

von Andrea Baumgartner-Makemba

In der Migrationsdebatte in Berlin nimmt die Situation von AfrikanerInnen bisher wenig Raum ein. In der Öffentlichkeit werden AfrikanerInnen hauptsächlich aufgrund ihrer kulturellen Aktivitäten oder als Opfer rassistischer Übergriffe wahrgenommen. Die Situation von Vereinen war bisher kaum Thema, woran auch die Gründung des Afrika-Rats – Dachverband afrikanischer Vereine und Initiativen in Berlin-Brandenburg e.V. als Zusammenschluss von 25 Vereinen im Mai 2005 nicht viel änderte. Der vorliegende Beitrag bietet daher eine kurze Einführung in die Geschichte von AfrikanerInnen in Berlin und beschäftigt sich sodann mit der großen Bandbreite an Vereinen der afrikanischen Diaspora in Berlin

Zur Geschichte der AfrikanerInnen in Berlin

Die Geschichte von AfrikanerInnen in der Gegend von Berlin begann vermutlich bereits im 18. Jahrhundert, da Friedrich II. von Brandenburg (1744-1794) auf zwei Gemälden aus jener Zeit in Begleitung schwarzer Pagen dargestellt wird (vgl. Müller 1993: 5; van der Heyden 2001). Ende des 19. Jahrhunderts wurden Menschen aus Afrika im Rahmen von Völkerschauen nach Deutschland gebracht. Andere kamen zur Ausbildung, um später in der Verwaltung der Kolonien tätig zu werden oder dort den christlichen Glauben zu verbreiten. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden AfrikanerInnen in Konzentrationslager gebracht und verloren dort ihr Leben oder konnten sich durch Mitarbeit bei Ufa-Filmen retten.

Die Migration von AfrikanerInnen nach Deutschland entwickelte sich unterschiedlich in West und Ost. Im Gegensatz zu den sog. „Gastarbeitern“ aus den Anwerbeländern, kamen AfrikanerInnen aus Ländern südlich der Sahara häufig aufgrund von Bürgerkriegen und sonstiger politischer Unruhen, die die Menschen zur Flucht trieben. Seit den 1960er Jahren, als viele afrikanische Staaten unabhängig wurden, waren die Gründe Studienzwecke oder Berufsausbildung, da Fachkräfte beim Aufbau der jungen Staaten benötigt wurden.

Sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR holte AusländerInnen durch Anwerbeverträge ins Land. In die Bundesrepublik kamen AfrikanerInnen zum Studium, zur Ausbildung sowie als AsylbewerberInnen, in die DDR sowohl als StudentInnen als auch als VertragsarbeiterInnen. Der Aufenthalt war in beiden Fällen geregelt durch Gesetze und Vorschriften, und in dieser Anfangszeit ähnelten sich die Lebensverhältnisse von AusländerInnen in der Bundesrepublik und in der DDR (Bindung des Aufenthalts an einen bestimmten Arbeitsplatz, Unterbringung in Wohnheimen). Die Wohnsituation in der Bundesrepublik änderte sich, als die ArbeitsmigrantInnen auch ihre Familien nachholten. Familienzusammenführung war in der DDR die Ausnahme. Es wurden nur unverheiratete ArbeiterInnen angeworben; wenn es zu einer Schwangerschaft kam, konnte dies ein Ausweisungsgrund sein.

Die Wohnheime in der DDR lagen isoliert, die AusländerInnen waren gegenüber der Restbevölkerung abgeschottet. In der Bundesrepublik hingegen wurde durch Aktivitäten der Kirchen und Gewerkschaften die Akzeptanz der AusländerInnen verbessert. Seit Mitte der 1980er Jahre spielte die Gruppe der „Afrodeutschen“ mit ihren Vereinen Initiative Schwarze Deutsche e.V. (ISD, heute Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) und ADEFRA e.V. eine wichtige Rolle für die Akzeptanz von AfrikanerInnen und anderer schwarzer Menschen. In der DDR begannen in dieser Zeit sozial engagierte Kreise der Diskriminierung von AusländerInnen entgegenzutreten, z.B. das Ökumenisch-Missionarische Zentrum (ÖMZ) in Berlin-Friedrichshain oder die Deutsch-Afrikanische Gesellschaft e.V. (DAFGRIG).

Gegenwärtige Situation

Der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland kann fast ausschließlich auf dem Weg der Ausbildung, der Familienzusammenführung oder eines Antrags auf Asyl erreicht werden. Eine langfristige Lebensplanung in der Bundesrepublik Deutschland ist unter diesen Bedingungen für die meisten NeuzuwanderInnen, ggf. mit Ausnahme der Fälle von
Familienzusammenführung, nicht möglich, da mit dem Wegfall des Aufenthaltszweckes (z.B. bei Studienabschluss) auch die Aufenthaltserlaubnis endet. Ein großer Teil der MigrantInnen – und somit auch der AfrikanerInnen – hat jedoch inzwischen einen mehr oder weniger gesicherten Aufenthaltsstatus.

Aus den Angaben des Statistischen Landesamts geht hervor, dass sich die Zahl der AusländerInnen, und auch die Zahl der AfrikanerInnen, abgesehen von geringfügigen Schwankungen ständig erhöht.(1) Am 31.12.1991 waren insgesamt 355.356 AusländerInnen melderechtlich registriert, davon waren 10.381 AfrikanerInnen, d.h. 2,9 Prozent. Bis zum 31.12.2005 erhöhte sich die Zahl der AfrikanerInnen auf 17.612 und die Gesamtausländerzahl auf 460.555, der Anteil der AfrikanerInnen daran betrug zu diesem Zeitpunkt also 3,8 Prozent. Von 1991 bis 2005 haben 4842 AfrikanerInnen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und werden somit nicht mehr als AusländerInnen geführt.

Vergleicht man die Zahlen für die einzelnen afrikanischen Länder südlich der Sahara, so stellt man fest, dass der größte Teil der MigrantInnen aus Ghana kommt (1901), gefolgt von Kamerun (1447), Nigeria (1273), Angola (1118), Äthiopien (670), Kenia (643), und Mosambik (537).(2

Migrantenvereine

Deutschland ist de facto ein Einwanderungsland. MigrantInnen geben ganzen Stadtteilen ein eigenes Gesicht, sie bestimmen einen großen Teil der Gastronomie und hinterlassen ihre Spuren im kulturellen Leben. So vielfältig wie die Gruppe der EinwanderInnen sind auch ihre Organisationen: „Klassische“ ArbeitsmigrantInnen, die durch Anwerbeverträge nach Deutschland kamen, gründen genauso Vereine wie StudentInnen, Flüchtlinge und AussiedlerInnen. Es gibt religiöse Vereine, Sportvereine, reine Frauenvereine, Elternvereine usw., kurz:  eine schier unüberschaubare Ansammlung unterschiedlicher Interessengruppen, die sich nach dem deutschen Vereinsrecht zusammenschließen.

In der Anfangszeit, d.h. in den 1950er Jahren, bestanden deren Aktivitäten hauptsächlich darin, Räumlichkeiten für die Religionsausübung zur Verfügung zu stellen oder gemeinsame Freitzeitbeschäftigungen, wie z.B. Sportveranstaltungen, zu organisieren und die Festivitäten des Nationalfeiertags auszurichten. Ab Anfang der 1960er Jahre begannen die bundesdeutschen Wohlfahrtsverbände, sich dieser Gruppierungen anzunehmen und sie durch Sozialberatung zu unterstützen (Fijalkowski 1997: 111). In den 1980er Jahren wurde der Begriff „Selbstorganisation“ in die Diskussion gebracht (Elwert 1982: 717-732), der der Tatsache Rechnung trug, dass sich die Vereine von der Unterstützung durch Wohlfahrtsverbände und Parteien lösten und eigenständige Institutionen gründeten. Das Vereinswesen ist inzwischen unter MigrantInnen so weit verbreitet, dass heute von einer „differenzierten, von Migranten getragenen Vereinslandschaft“ (vgl. Lehmann 2001: 13) gesprochen werden kann.

Für die wissenschaftliche Beschäftigung mit MigrantInnenvereine schlagen Fijalkowski und Gillmeister eine Kategorisierung anhand ihrer verschiedenen Funktionen und Aktivitäten vor. Sie unterscheiden hierbei in „ethnosolidarische, ethnokulturelle, spezifisch ethnoreligiöse, ethnopolitische und spezifisch diasporapolitische Aktivitäten“ (Fijalkowski 1997: 209), gestehen aber zu, dass sich die einzelnen Bereiche nicht immer klar von einander trennen lassen. MigrantInnenvereine sind also multifunktionale Einrichtungen, in denen je nach Präferenz der Mitglieder die eine oder andere Aktivität überwiegen kann. Diese Kategorisierung wird im Folgenden genutzt, um anhand von Auszügen aus den Satzungen von 23 Vereinen der afrikanischen Diaspora in Berlin einen Einblick zu vermitteln, in welchen Bereichen die Vereine ihre Arbeit ansiedeln. Die Mehrzahl dieser Vereine wurde erst in jüngster Zeit gegründet. In den Akten finden sich aber auch Vereine, die vor vielen Jahren gegründet wurden, z.B. die Sudanesische Studenten Vereinigung Berlin (SSVB), die bereits 1963 als Sudanesischer Studentenbund (SSWB) gegründet wurde.

Die folgenden Vereine wurden ausgewählt, weil sie mir aufgrund von persönlichen Kontakten bekannt waren oder sie die Breite des Spektrums dieser Vereine deutlich machen. Eine komplette Übersicht über alle existierenden Vereine ist an dieser Stelle unmöglich. Die Schreibweise entspricht der des Vereinsregisters, in Klammern ist das Gründungsjahr vermerkt:

  • Umoja wa watanzania Berlin/Brandenburg e.V. (UWATAB e.V.) (2002)
  • Afrikanische Fraueninitiative (AFI) e.V. (1990)
  • The Afro-German Islamic Jammat Berlin e.V. (AGIJB) (2000)
  • A.S.B.B. (Association des Bassa de Berlin/Verein der Bassa in Berlin) e.V. (1999)
  • Association des Ressortissants du Congo-Brazzaville de Berlin e.V. (2003)
  • Association des Ivoriens de Berlin (A.I.B.) e.V. (1990)
  • Ghanian Woman Association Berlin (Verein der ghanaischen Frauen in Berlin) e.V. (2006)
  • MAMA AFRIKA e.V. (2001)
  • MONARDA e.V. (2002)
  •  Sudanesische Deutsche Gesellschaft für Kultur, Demokratie und Entwicklung  e.V. (2006)
  •  The Sierra Leone Community-Berlin (SLCB) e.V. (1991)
  •  Freundeskreis für Guinea-Bissau eingetragener Verein (2000)
  •  BINI Gemeinschaft Berlin e.V. (2003)
  •  Djeli Association e.V. 
  •  AFRO-KULTUR-INITIATIVE e.V. (2001)
  •  ASSOCIATION DES GUINEENS DE BERLIN (AGB) e.V. (2005)
  •  Äthiopischer Kulturverein e.V. (1991)
  •  EGBÉ OMO ODÒDUWÀ BERLIN e.V. (1999)
  •  ABS  Verein von aus der Sawaregion in Kamerun stammenden Personen e.V. (2001)
  •  KAMERUN KULTUR INITIAIVE – KKI E e.V. (2001)
  •  Uganda Community in Berlin e.V. UCB e.V. (1992)
  •  Afrikanische Ökumenische Kirche e.V. (1991)
  •  Deutsch-Afrikanische Gesellschaft e.V. (1994)

Ethnosolidarische Aktivitäten

Diese Aktivitäten umfassen hauptsächlich das Angebot und die Durchführung von Sozialberatungen, wobei sich die Inhalte je nach Problemlage unterscheiden. Die Vereine erfüllen hierbei eine doppelte Funktion: Einerseits vermitteln sie ihren Mitgliedern Kenntnisse über die Lebensbedingungen in Deutschland, andererseits können sie die staatlichen Stellen über die Problemlage ihrer Landsleute informieren mit dem Ziel, die Dienstleistungsangebote zu verbessern. Ethnosolidarische Aktivitäten umfassen in den Vereinen der afrikanischen Diaspora in Berlin gemäß ihren Satzungen konkrete, materielle und ideelle Einzelfallhilfe (in speziellen Notsituationen wie Krankheit, Wohnungssuche oder Umgang mit Behörden). Auch beinhalten sie Aufklärung zum besseren Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse und über Möglichkeiten der Weiterbildung sowie Förderung des Kontakts untereinander als Hilfe zur Selbsthilfe.

Ethnokulturellen Aktivitäten

Unter ethnokulturellen Aktivitäten verstehen Fijalkowski und Gillmeister Kulturaktivitäten, die darauf zielen, die Werte der Herkunftsländer zu erhalten. Sie sollen die Identität der MigrantInnen in einer von anderen Werteordnungen geprägten Umwelt stärken und die Mehrheitsgesellschaft mit den kulturellen Gepflogenheiten der EinwanderInnen bekannt machen. Gemäß ihrer Satzungen umfassen diese Aktivitäten in den Vereinen der afrikanischen Diaspora in Berlin mehrere Aspekte: Zum einen dienen sie der Pflege der eigenen Kultur, die als Identifikationsmuster und auch als Zufluchtsmöglichkeit angesehen wird. Zum anderen wird auch die Kultur der Dominanzgesellschaft „vermittelt“, mit dem Ziel, die interkulturelle Zusammenarbeit zu fördern.

Ethnoreligiöse Aktivitäten

Religiöse Einrichtungen wie Kirchen oder Moscheevereine bieten diese Aktivitäten an. Sie beschränken sich nicht auf rein seelsorgerische Angebote, sondern dienen auch als Treffpunkt und Informationsbörse. Die in ihren Satzungen festgeschriebenen diesbezüglichen Aktivitäten der Vereine der afrikanischen Diaspora dienen in erster Linie die Verkündung des jeweiligen Glaubens (aufgeführt ist je ein christlicher und ein islamischer Verein). Politische Betätigung wird im Fall des islamischen Vereins strikt abgelehnt, wohingegen der christliche Verein politische Tätigkeiten bei einer Vereinbarkeit mit dem geistlichen Ziel für möglich hält. Beide Vereine richten sich an alle Menschen, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit.

Ethnopolitische Aktivitäten

Diese Aktivitäten haben damit zu tun, wie Konflikte zwischen den Eigenorganisationen der MigrantInnen und der Dominanzgesellschaft ausgetragen und reguliert werden. Die genannten ethnopolitischen Aktivitäten der Vereine konzentrieren sich laut deren Satzungen auf Meinungsbildung, Interessenvertretung und die Förderung von Artikulation und Partizipation, wobei der Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einen besonders wichtigen Stellenwert hat.

Diasporapolitik

Diasporapolitik besteht aus Aktivitäten von Vereinen, „die sich in irgendeiner Weise auf das Herkunftsland beziehen, sei es, dass Einfluss auf die deutsche Politik und Öffentlichkeit zugunsten des Heimatlandes (…) gesucht wird, sei es, dass auf staatliche Stellen des Herkunftslandes Einfluss genommen werden soll (…)“ (Fijalkowski 1997: 245-246). Aktivitäten in diesem Sinne werden in den Satzungen der Vereine nicht erwähnt. Das kann daran liegen, dass Aktivitäten dieser Art von den Vereinen nicht beabsichtigt und auch nicht durchgeführt werden. Wahrscheinlicher ist aber, dass diasporapolitische wie auch ethnopolitische Aktivitäten zu sensible Bereiche sind, um sich darüber öffentlich zu äußern.

Man kann zusammenfassend feststellen, dass die Aktivitäten der meisten dieser 23 Vereine in die Kategorien „ethnosolidarisch“ und „ethnokulturell“ fallen. Zwei Vereine üben „ethnoreligiöse“ Aktivitäten aus. Dass „ethnopolitische“ und „diasporapolitische“ Aktivitäten kaum erwähnt werden, kann mit dem unsicheren politischen Status vieler MigrantInnen zu tun haben.

Im folgenden möchte ich zwei der afrikanischen Vereine näher vorstellen:

Die Afrikanische Ökumenische Kirche e.V. (A.Ö.K.)

In Berlin gibt es ca. 60 afrikanische Kirchengemeinden, davon gehören allein 90 Prozent den sog. Pfingstkirchen an. Die Afrikanische Ökumenische Kirche gehört zu den restlichen 10%, unter denen sich u.a. KatholikInnen, ProtestantInnen, Orthodoxe und KimbanguistInnen (Mitglieder einer unabhängigen christlichen Kirche aus dem Kongo) (4) befinden.

Die Afrikanische Ökumenische Kirche ist stark geprägt durch die Person ihres Gründers Pfarrer Botembe, der sowohl in der DDR als auch in der BRD lebte. Die Gründung dieser Kirche hängt u.a. damit zusammen, dass er, nachdem er 1988 an der Humboldt-Universität sein theologisches Diplom erworben hatte (Stegemann 1988: 6), keine Möglichkeit erhielt, in der evangelischen Kirche als Pfarrer zu arbeiten. Ein weiterer Grund war der damals aufkeimende Rassismus (5) der „Nachwendezeit“.

Die Arbeit des Vereins umfasst über die seelsorgerische Tätigkeit hinaus u.a. folgende Bereiche: Kulturvermittlung, Abbau von Vereinsamung, Schaffung von Lebensfreude und Mitgestaltung der Gesellschaft.

Ausgehend von den kulturellen Unterschieden zwischen Afrika und Europa ist es das Ziel, die gegenseitigen Fremdheitsgefühle abzubauen. Durch Beratung und Betreuung wird Aufklärungsarbeit geleistet und das gegenseitige Verständnis erweitert. Durch die Schaffung von Räumen, in denen sich verschiedene Kulturen darstellen können, besteht die Möglichkeit, sich kennen zu lernen, Vorurteile abzubauen und so Integration zu fördern.

Die Kirche stellt sich in ihrer Arbeit als eine Institution dar, die der Vereinsamung in der Gesellschaft entgegenwirken kann. Durch den Besuch von Altersheimen werden ältere Menschen aktiv am Leben beteiligt und können durch Musik und Tanz wieder Freude am Leben bekommen. Soziale Arbeit wird also von kulturellen Aktivitäten begleitet.

Durch die Vernetzung mit anderen Organisationen und Institutionen (Flüchtlingsrat, Diakonisches Werk, Migrationsrat, Senat für Kultur) ist die Kirche an der Gestaltung des sozialen und politischen Lebens der Stadt aktiv beteiligt. Sie trägt zu einer veränderten Wahrnehmung von MigrantInnen bei – nicht mehr als Opfer sondern als mitbestimmende AkteurInnen.

Für ihre Selbstdarstellung nutzt die A.Ö.K. die Medien (Internet und Presse) und Elemente afrikanischer Kultur (Trommeln, Tanz, Musik), die bei Messfeiern und sozialen Aktivitäten außerhalb der Kirche zum Einsatz kommen.(6)

Nzuko Umu Igbo Berlin und Brandenburg e.V.

Die Ethnie der Igbo gehört neben Yoruba und Hausa zu den größten Bevölkerungsgruppen Nigerias. Was der Vereinsname bedeutet erklärt George Ibeka folgendermaßen: „Nzuko heißt „Gemeinde“, Umu Igbo hat zwei Bedeutungen: des Igbo-Volkes oder Kinder des Igbos, und so sind wir die Kinder des Igbos aus Berlin-Brandenburg e.V.“(7) Der Verein wurde 1996 gegründet und 1997 ins Vereinsregister eingetragen.(8) Er gehört zu einem ethnischen deutschlandweiten Dachverband, dem Igbo Council, sowie dem nationalen (d.h. nigerianischen) Dachverband, der Nigerian Community e.V. Dieser umfasst außerdem noch die Bini Community Berlin e.V. (Verein der Edo Volksgruppe), den Egbe Omo Oduduwa Berlin e.V. (Verein der Yoruba), den Image-Nigeria e.V. und den Nigerians in Diaspora Organisation Germany (NIDO) e.V. Alle sind jeweils zusätzlich wieder überregional vernetzt. Die Nigerian Community ist Mitglied im Migrationsrat Berlin Brandenburg e.V. und Gründungsmitglied des Afrikarats .

Nzuko Umu Igbo bekommt keine Unterstützung von der öffentlichen Hand und finanziert sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge, im Jahre 2006 fünf Euro pro Monat betrugen. Die gesamte Arbeit wird ehrenamtlich geleistet. Da der Verein Mitglied im Verein der Nigerian Community ist, können sich seine Mitglieder nach außen entweder als Nigerianer oder auch als Igbo darstellen. Aufgrund des geringen Bekanntheitsgrades der Igbo in der deutschen Bevölkerung wird oft die nigerianische Identität benutzt.

Die Nzuko Umu Igbo hat u.a. folgende Ziele: Sie will ein Treffpunkt zur Beratung und gegenseitigen Hilfeleistung (wie auch die Nigerian Community) und ein Ort kultureller Aktivitäten sein. Durch die veränderte Lebenssituation in der Diaspora entsteht auch das Bedürfnis, sich über die gemeinsame Kultur zu definieren, sich mit Menschen mit gleichem Hintergrund zusammen zu schließen und sich gegenseitig zu helfen. Die Hilfestellung umfasst die Bereiche Familienprobleme und Arbeitssuche. Die Funktion des Treffpunkts ist in diesem Verein besonders wichtig, nicht nur im Sinne eines geselligen Beisammenseins, sondern vor allem auch als Ort zur Entwicklung der eigenen Identität, an dem Informationen ausgetauscht und Probleme in gemeinschaftlicher Art und Weise bearbeitet werden.

Für George Ibeka ist wichtig, sich als Igbo von der Nation Nigeria abzugrenzen und die eigene Identität herauszustellen, da er vermutet, dass in Deutschland wenig Positives über Afrika und auch über Nigeria bekannt ist. Indem man die eigene Kultur präsentiert, ist es möglich, eine „schöne Seite von Afrika“ zu zeigen und ein Gegengewicht zu der meist negativen Medienberichterstattung herzustellen. Auch die Beschäftigung mit der Geschichte der Igbo ist ein wichtiges Anliegen dieses Vereins, denn sie zeigt, dass bereits in vorkolonialer Zeit von demokratischen Strukturen gesprochen werden kann. Mit der vereinseigenen Cultural Group tritt der Verein bei verschiedenen Veranstaltungen in der Stadt in Erscheinung. Als Mitglied der Nigerian Community ist Nzugo umu Igbo Mitglied im Afrikarat und im Migrationsrat.

Schluss

Das Vereinswesen gilt gemeinhin als typisch deutsche Organisationsform. Vereine haben eine lange Geschichte, in der wichtige Impulse für Gesellschaft und Politik von ihnen ausgegangen sind. Auch AfrikanerInnen in Berlin haben viele unterschiedliche Vereine gegründet. Ihre Aktivitäten sind vor allem im sozialen und kulturellen Bereich angesiedelt, aber auch im Bereich der Immigrantenpolitik. Die Vereine sind soziale und kulturelle Räume, in denen praktische Hilfe angeboten wird und die den Austausch zwischen Minderheiten untereinander und zwischen Minderheiten und der Mehrheitsgesellschaft möglich machen. Sie dienen der kulturellen Selbstverortung und der Identitätsfindung in der Diaspora. Die Vereine bilden meist die Basis für größere Organisationsformen wie Dachverbände und Räte, die sich u.a. die Verbesserung der Verhältnisse von MigrantInnen zum Ziel gesetzt haben. Die Vereine sind aber auch Teile eines Netzwerks, das den Kontakt innerhalb der Diaspora stärkt und die Situation im Herkunftsland im Auge behält. Für ihre Öffentlichkeitsarbeit nutzen einige Vereine das Internet. Außerdem präsentieren sie sich mit Informations- und Gedenkveranstaltungen. Kulturelemente wie Musik und Tanz sind wichtige Mittel der Selbstdarstellung.

Leider konnte hier nur ein Bruchteil der Aktivitäten von Vereinen der afrikanischen Diaspora in Berlin erörtert werden. Weitere Untersuchungen wären wünschenswert, um die ganze Vielfalt zu zeigen und um diesen Teil der Gesellschaft mehr ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Alimamy Sesey brachte es auf den Punkt: „Wenn nicht über einen geredet wird, bleibt man ausgegrenzt.“(9)

 

Dieser Text enthält Auszüge aus der Publikation: Andrea Baumgartner-Makemba: Organisation und Selbstdarstellung von Afrikanern in Berlin, GRIN Verlag , München 2007,  (ISBN 978-3-638-94486-1)

Endnoten

(1) Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum von 1991 bis 2006, da 1991 erstmals eine Einwohnerstatistik für Gesamtberlin erstellt wurde.
(2) Bei diesen Zahlen ist der Stichtag der 30. Juni 2006.
(3) Gespräch mit A. Sesay am 20.10.06.
(4) Gespräch mit A. Sesay.
(5) Im Sommer 1991 fand z.B. ein Überfall auf das Asylbewerberwohnheim in Hoyerswerda statt. Das von den Neonazis geprägte Wort „ausländerfrei“ wurde zum Unwort des Jahres 1991 gewählt vgl. Wikipedia. Online.
(6) Dass auch andere Mittel der Selbstdarstellung genutzt werden, zeigen folgende Beispiele: der Verein Gesellschaft für Afrikanische Philosophie e.V. (GAPh) unterhält eine Website und veranstaltet Tagungen, z.B. am 23.11.06 zum Thema „Islam in Schwarzafrika“, zu der neben namhaften WissenschaftlerInnen auch Imame und Marabouts aus Berlin eingeladen wurden. Die Afrikanische Fraueninitiative e.V. und der Verein Kulturforum Patrice Lumumba e.V. veranstalten Literaturlesungen. Der Verein Pro-Afrika e.V. eröffnete am 5. Oktober 2006 das Lokal Molokai als Treffpunkt für Menschen verschiedener Nationalitäten, in dem in Zukunft Lesungen, Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen geplant sind.
(7) Interview mit G. Ibeka: 2. Da der Name auf Deutsch „Gemeinde“ bedeutet, benutze ich den weiblichen Artikel.
(8) Vgl. Interview mit G. Ibeka: 37.
(9) A. Sesay im Gespräch am 20.10.06.

 

 

Literatur

  • Elwert, Georg. 1982. „Probleme der Ausländerintegration: Gesellschaftliche Integration durch Binnenintegration?“ Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 34 : 717-732.
  • Fijalkowski, Jürgen und Helmut Gillmeister. 1997. Ausländervereine – ein Forschungsbericht – über die Funktion von Eigenorganisationen für die Integration heterogener Zuwanderer in eine Aufnahmegesellschaft – am Beispiel Berlins. Berlin: Hitit.
  • Heyden, Ulrich van der. 2001. Rote Adler an Afrikas Küste. Die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg in Westafrika. Berlin: Selignow.
  • Lehmann, Karsten. 2001. Vereine als Medium der Integration: zu Entwicklung und Strukturwandel von Migrantenvereinen. Berlin. Hitit.
  • Müller, Martina, Paulette Reed-Anderson und Martin Issa. 1993. Afrikaner in Berlin. Berlin: Die Ausländerbeauftragte.
  • Stegemann, Peter. 1988. „“Ich will Simba rufen hören“ Pierre Botembe: Ein Afrikaner in Berlin“, Berliner Sonntagsblatt, 20.03.1988 : 6.
  • Zimmer, Annette. 1996. Vereine – Basiselement der Demokratie. Opladen: Leske + Budrich.

 

 

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Andrea Baumgartner-Makemba ist Diplompädagogin mit einem M.A. in Afrikawissenschaften. Sie leitete viele Jahre ein sozio-kulturellen Zentrums für Familien aus der Türkei in Berlin-Kreuzberg und arbeitete als Dozentin, Supervisorin und Teamberaterin.