von Dr. Antonietta P. Zeoli
Im folgenden Beitrag untersuche und bewerte ich Begriffe im Umfeld der „interkulturellen partizipativen Schulentwicklung“. Dazu gehören auch Ansätze zur Beschreibung eines ressourcenorientierten Umgangs mit qualifizierten schulischen und außerschulischen Fachkräften mit Zuwanderungsgeschichte. Der Beitrag wird sich nicht darin erschöpfen Wörter wie „Inklusion“, „Partizipation“ und „Integration“ zu deuten, sondern Schlaglichter auf die Bandbreite der Ansichten auf diese Begriffe werfen. Wie professionsethisches Verhalten in der Auseinandersetzung mit einer zunehmend heterogen zusammengesetzten Gesellschaft aussehen könnte, steht im Vordergrund der Ausführungen.
Das eine ist es mehr Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst zu fordern, erfolgreiche Vorbilder mit Zuwanderungsgeschichte penibel auszusuchen und als Erfolgsmodell für Folgegenerationen zu vermarkten. Das andere Institutionsenwicklungs-prozesse in Ministerien, Senatsverwaltungen, Bezirksregierungen, Schulen usw. zu initiieren. Im letztgenannten Prozess müssen Haltungen aller Mitarbeiter_innen in einer sich wandelnden Gesellschaft miteinander ausgehandelt werden.
Leider wurden diese zwei fundamentalen Unterscheidungen am 31.01.2012 nicht trennscharf formuliert. Die Klarheit der Vorhaben, die im vorgelegten Integrationsbericht vorgestellt werden, bleibt so ungenau. Geht es um eine interkulturelle Öffnung oder um die interkulturelle Ausrichtung der Landesverwaltung? Beide Wege sind zweifelsohne sinnvoll, aber bedürfen unterschiedlicher Management-Strategien. Beide Vorhaben implizieren auch, dass eine Vielzahl von selbsternannten Expertinnen und Experten Zuschreibungshabiti, die sich in den letzten 30 Jahren eingestellt haben, aufgeben müssen. Denn in der Regel sind vielschichtige Problemlagen Gründe für schulisches oder/und professionelles Scheitern und somit letztlich nicht der Migrationshintergrund per se, sondern die soziale Herkunft entscheidend. Allzuoft fiel der Satz: „Ich will nicht als Zuwanderer immer nur zuhören, sondern auch sprechen!“ Interessante neue Menschen und neue Gesichter hatten die Möglichkeit in einen fachkundigen Austausch miteinander zu treten. Umso bedauerlicher ist es, dass gerade aus dem Land Nordrhein-Westfalen Integrationsvorhaben von einigen Zuwander_innen aus der „Opferperspektive“ vorgetragen wurden. Der Generationenwechsel unter den diversen Migrantengruppierungen wurde bereits eingeläutet – und zwar von den Zuwander_innen selbst. Umso bedauerlicher erschien es, dass der Habitus einer spezifischen Migrantengruppe einer spezifischen Zuwanderergeneration, die längst nicht mehr für die jungen türkischen, italienischen, persischen usw. Deutschen sprechen kann, einen überdurchschnittlich langen Redebeitrag beisteuern durfte. Der thematische Leitfaden, den die Kanzlerin konstruktiv in wertschätzender Haltung allen Teilnehmer_innen gegenüber vortrug, ging so einen zu langen Augenblick verloren.
Wer ist eigentlich gemeint mit Partizipation und Teilhabe im Kontext interkultureller Schulentwicklung ?
Die Debatte zur interkulturellen Öffnung von Schule, Unterricht und Lehrerkollegien wird von Begriffen wie „Multikulturalismus“, „Integration“ und im günstigsten Fall von „Inklusion“ getragen. Unsere Schulen bilden eine in sich höchst diverse Schülerschaft nach homogenisierenden Mustern in patriarchal angelegten kulturphilosophischen Diskursen aus. Eine Vielzahl der Lehr-Habiti ist auf unsere vielfach heterogene gesellschaftliche Realität nicht anwendbar. Menschen können weder nach dem Muster des Multikulturalismus der 80er und 90er Jahre nach Herkunft, Ethnizität oder Religion gruppiert werden, noch kann auf Basis dieses Paradigmas gleichberechtigte Teilhabe von Minderheiten gefordert werden. Ein fehlerhafter Analogieschluss, der durch zum Beispiel, die Unterstellung identischer Zuwanderungserfahrungen argumentativ nicht tragbarer wird. „Wir befinden uns geistig immer noch im 19. Jahrhundert", so der Publizist und Migrationsforscher Mark Terkessidis. (1)
Im Kontext von Zuwanderung wird allzuoft keinerlei Unterscheidung getroffen zwischen folgenden Menschen:
- die kommen wollen: „Ich kam als Mathematik Studentin aus Rumänien nach Deutschland. Die Liebe zu meinem deutschen Mann hat nach 20 Jahren Ehe dieses Land zu meiner Heimat und der unserer Kinder gemacht.“ (Roswita Weber, 51)
- die kommen sollen: „Seit zwei Jahren lebe ich in Deutschland. Bayer suchte Chemieingenieure und es war ein leichtes aus England überzusiedeln.“ (Aaron Schneider, 32)
- die kommen müssen: „Die lebensgefährliche Bootspassage von Tunesien habe ich aus Liebe zu meinen Kindern, Angst vor dem Terror im Dorf und aus reiner Verzweiflung gewagt.“ (Mehdi Tammar, 26)
- die kommen dürfen: „Ich habe mir immer vorgestellt, in einem anderen Land als Portugal zu leben. Haben einfach geschaut, wo es für mich am einfachsten wäre, Fuß zu fassen. Ich bin schon lange kein Portugiese mehr, sondern Europäer.“ (Manuel Ramelhe, 42)
Darin erschöpft sich die Differenz noch lange nicht:
- die als „Gastarbeiter_innen“ kamen und geblieben sind: „Mich begrüßte ein deutscher Arzt am Frankfurter Bahnhof mit einer Zahnuntersuchung. Ich hatte einen Pappkoffer mit dabei. Nun leben ich seit über 30 Jahren in Deutschland, mein neues Zuhause.“ (Vincenzo Bafundi, 72)
- die Kinder der sogenannten „Gastarbeiter_innen Generation“: „Ich bin eine griechische Deutsche und noch nie zu Gast in Deutschland gewesen. Obwohl Düsseldorf mein Zuhause ist, fühle ich mich mit Griechenland verbunden.“ (Eleana Vaja, 27)
- die Pendelmigrant_innen: „Im Winter kommen wir mit den Kindern nach Deutschland. Albanien hat uns nichts zu bieten. Dann arbeiten wir für eine Zeit, wo es etwas zu tun gibt und bleiben, wo man uns haben möchte oder wohl eher duldet. Dann ziehen wir weiter. Die Familie ist es nicht anders gewohnt.“ (Gjon Kastrioti, 42)
- die deutsche Bildungselite mit Migrationshintergrund: „Meinen Facharzt mache ich noch in Deutschland. In einem Jahr wandern meine Familie und ich nach Istanbul aus. Es ist sicher spannend, sich im Land seiner Eltern einmal umzuschauen. Geboren und aufgewachsen bin ich und meine portugiesischstämmige Frau in Deutschland. Ich bin mit der kurdischen Tradition und der türkischen Sprache in Deutschland erzogen worden.“ (Mesut Tonk, 37)
Alle diese Menschen haben eines gemein: Irritation über ihre Zugehörigkeitserfahrungen in Deutschland. Eben diese Erfahrungen können als Topoi gelesen werden, die aus der Konfrontation mit sozialen sowie sprachlich-kulturell homogenisierenden Mustern der Aufnahmegesellschaft resultieren. Diese Erfahrungen stehen nicht für sich allein und können somit auch nicht mehr als singuläres Eigentum der einzelnen Zuwander_innen betrachtet werden. Sie sind in diskursive Zusammenhänge eingebettet, welche es zu untersuchen gilt es.
Menschen, die sich in Deutschland nicht in – tegrieren sind a priori des – integriert. Die Möglichkeit in seiner Andersartigkeit auf gleiche Rechte für alle Lernerinnen und Lerner zu bestehen, ist in der deutschen Bildungsdebatte noch nicht angekommen. Es scheint ein Paradoxon der Integrationsbemühungen Nordrhein Westfalens der letzten 30 Jahre zu sein, eine formell angestrebte Chancengleichheit zu propagieren, indem u.a. ethnische Unterscheidungsmerkmale forciert werden. Michael Bodemann beschreibt dieses Paradoxon wie folgt: „In Deutschland […] ist das explizit Nationale, explizit Patriotistische heute nur schwach ausgeprägt und Migranten werden zur Integration in eine […] in ihrer Nationalität vermeintlich schwache Gesellschaft gezwungen. […]“ Weiter schreibt er: „Nicht nur Einwanderer müssen in die Mehrheitsgesellschaft integriert werden, sondern auch ethnische Deutsche in die Einwanderungsgesellschaft." (2)
Das kosmopolitische komplexe Zusammenleben heterogener Gruppen wird durch einseitige Beschreibung von Anpassungsleistung der sogenannten „Menschen mit Migrationshintergrund“ reduziert. Titel fachlicher Publikationen wie „Was wird aus unseren Kindern mit Migrationshintergrund (2010)“ oder „Migrantischer Schulmisserfolg 2008“ erscheinen in diesem Kontext geradezu absurd, zumal in der Autorenschaft ein homogenisierendes Muster in der Auswahl der Themen (z. B. Probleme der Migrant_innen), Autor_innen (z. B. autochtone Forscher_innengruppe einer Forschergeneration) und einheitlichen patriarchalen Sprachduktus (z. B. Fördermaßnahmen, Förderbedürftigkeit, Perspektivlosigkeit ausländischer Lerner_innen) verfasst werden.
Das Scheitern der Begriffe
In der fachlichen Auseinandersetzung mit Migrationsgeschichte kommt man nicht um die Beschreibung von Differenzlinien umher. Die Grenze lautet allerdings nicht „mit oder ohne Zuwanderungsgeschichte“, „mit oder ohne Beeinträchtigung“, sondern „Zugehörigkeit“. Unter Zugehörigkeit versteht Heckmann „die Beschreibung einer relativ großen Gruppe von Menschen, die durch den Glauben an eine gemeinsame Herkunft, Geschichte oder aktuellen Erfahrungen verbunden sind, und ein bestimmtes Identitäts- und Solidarbewusstsein besitzen.“ (3)
Zwischen Vorstellungen dessen, was Zugehörigkeit sein könnte und der politisch wie sozialen Wirksamkeit einer Zuschreibung, wird eines klar: Das Zuschreibungsmerkmal und somit auch eine derartige Differenzlinie ist für die Beschreibung (nordrhein-westfälischer) gesellschaftliche Realität nicht anwendbar. Zugehörigkeit zu Menschen „mit oder ohne Migrationshintergrund“ impliziert eine konstruierte Hierarchisierung zur Hervorbringen von Differenz. Eine Art Metapher für alle „Migrationsanderen.“ (4)
Der Begriff Inklusion ist in diesem Kontext eine positiv behaftete Assoziation und wahrlich notwendig. David Hollinger bringt es mit folgender Aussage auf den Punkt: „Wer gehört zu wem, mit welcher Absicht, und wer entscheidet das überhaupt?“ (5)
Diversity Management Strategien im öffentlichen Sektor
Erstmals wurde im Jahre 2007 im „Nationalen Integrationsplan“ darauf hingewiesen, dass die „interkulturelle Kompetenz und die Unterrichtsqualität an Schulen“ durch die Erhöhung des Anteils von „Migrantinnen und Migranten in der Lehrerschaft“ positiv beeinflusst werden könnte. (6) Daraufhin wurden in Kürze unterschiedliche Projekte unter Aufsicht der Administrative ins Leben gerufen oder/und unterstützt. Es handelt sich dabei bundesweit um lose ehrenamtliche Zusammenschlüsse von Lehrerinnen und Lehrern, die eine erfolgreiche Zuwanderungsbiographie vorzuweisen haben. Die koordinierende Instanz der Vorhaben ist in der Regel eine aus dem Schuldienst abgeordnete Lehrkraft. Die Arbeit der Ehrenamtlichen hat maßgeblich dazu beigetragen, dass es inzwischen bundesweit Netzwerke nach NRW Vorbild gibt.
Diese Strategie – Integrationsprojekte unter staatlicher Aufsicht zu initialisieren und über Jahre zu „beraten“ - kann lediglich mit Einschränkungen als progressiv oder in der Anlage als diversitysensibel bezeichnet werden, zumal die ehrenamtlichen Zusammenschlüsse keinerlei Veränderung im institutionellen interkulturellen Ausrichtungsprozess per se nach sich ziehen. Dennoch ist dies ein Prozess, der derzeit politisch nicht hinterfragt wird.
„Projektitis Dilemma“ versus „Institutionalisierte Teilhabe“
Projekte rund um das Thema Integration gibt es in Deutschland wie Sand am Meer. Integrationsprojekte haben sich geradezu zu einem konkurrierenden Marktsegment entwickelt. Seit Beginn der Arbeitsmigration der 60er Jahre gibt es Bemühungen, jenen die gekommen sind, eine Funktion und Rolle in der Aufnahmegesellschaft zuzuweisen. Dabei standen vor allem die Deutung und Zuschreibung jener Regeln, die Zuwander_innen verfolgen bzw. nachahmen und damit im Vorfeld lernen mussten, im Vordergrund. Für autochthone Beamt_innen, die sich im Integrationsbereich über Jahre erfolgreich profiliert haben, tritt jener Effekt ein, den zuvor eine ganze ausländische Arbeitergeneration durchlebt hat. Durch die Beschäftigung der „Gastarbeiter_innen“ im Niedriglohnbereich bekamen deutsche Arbeiter_innen, die zuvor im identischen Segment gearbeitet hatten, erstmals die Möglichkeit, beruflich und sozial aufzusteigen. Die vielen erfolgreichen Zuwander_innen in Deutschland werden von Nicht–Eingewanderten als „Vorbilder“, als „gelungene Aufstiegbiographien“ oder wahlweise als „Integrationsexpert_innen“ erforscht und sind zum selbsternannten Sprachrohr für Zuwanderinnen und Zuwanderer in den jeweiligen Kommunen sowie Landesregierungen mutiert. Verwechslungen von Ethnizität und Nationalität oder Türk_innen und Kurd_innen sowie von pädagogischen wie politischen Begriffen stehen nach wie vor auf der Tagesordnung. Die Überzeugung, die politische Organisation genüge, um Menschen innerhalb eines Landes einander weniger fremd erscheinen zu lassen, ist in Anbetracht des Zahlenmaterials kläglich gescheitert.
Knapp 50 Jahre sind seit der ersten Arbeitsmigration nach Deutschland vergangen. Die Institutionen unserer Demokratie spiegeln die zunehmende gesellschaftliche Vielfalt dennoch nicht wider. (7) Der Grad erreichter Gleichberechtigung und Integration scheint sich derzeit an der Zahl durchgeführter Projekte im Bereich der Thematik zu bemessen. Expert_innen weisen allerdings immer wieder darauf hin, dass nicht die Anzahl der Projekte Indikator für erfolgreiches integrationspolitisches Handeln ist, sondern inwieweit Migrantinnen und Migranten an politischen Entscheidungen teilhaben und Zugang zu verwaltungspolitischer Macht besitzen. (8) Die Positionen der Menschen in einer Mehrheitsgesellschaft zu integrationspolitischen Themen, die ein hohes gesellschaftliches Ansehen genießen, sind von Bedeutung. Somit sollten erfolgreiche wie prominente Personen des öffentlichen Lebens mit und ohne Zuwanderungsgeschichte besonders aufgefordert werden, durch differenzierte Diskurse negative Stereotypisierungen und die daraus resultierenden Vorurteile entgegenzuwirken. (9) Christine Lüders dazu: „Soziale Diskriminierung führt nicht nur zu Frustration und Ärger über die Mehrheitsgesellschaft, sondern auch zu einer Festigung der sozialen Identifikation mit der Herkunftsgesellschaft und einer stärkeren Selbstsegregation.“ (10)
Gruppenkohäsion kann nur dann erfolgreich gelingen, wenn die Gemeinsamkeiten zwischen Zuwandererbevölkerung und Mehrheitsgesellschaft in den Vordergrund gerückt wird. Dies kann auf lange Sicht die Wahrnehmung des vermeintlich „Fremden“ positiv verändern. Minderheitenperspektive müssen bei Problemlösungsprozessen berücksichtig werden. Dabei können Migrantenorganisationen als pressure groups fungieren, indem sie sich zu gesellschaftlichen Problemlagen äußern, ohne selbst Druckmechanismen befürchten zu müssen.
„Projektitis“ ist ein Indiz dafür, welchen Habitus allzuoft öffentliche Institutionen im Umgang mit Forderungen zur partizipativen interkulturellen Öffnung an den Tag legen. Die Anlage als „Projekt“ weist daraufhin, dass die Vorhaben aus dem internen institutionellen integrationspolitischen Diskurs oftmals, nicht nur räumlich, sondern auch intellektuell ausgelagert werden. Wohingegen das bildungspolitische Ziel, z.B. der „inklusiven Bildung“ in Nordrhein-Westfalen thematisch nicht nur im Ministerium für Schule und Weiterbildung, sondern auch an den Schulen in kürzester Zeit thematisch angenommen wurde. Die Diskussion in den Lehrerverbänden, Schulen und Ausbildungszentren laufen auf Hochtouren. Der Grund dafür ist die thematische Deklinierung: Personal-, Institutions- und Unterrichtsentwicklung. Alle drei Bereiche werden dabei konsequent mitgedacht. Inwiefern der neue Integrationsplan alle Entwicklungsschienen abdeckt, bleibt und blieb am 31.01.2012 jedoch ungeklärt.
Mecheril (2010) schreibt treffend „der historische Umgang der Institution Schule mit Heterogenität und Differenz hat eine bestimmte Funktion: Das Ziel ist eine möglichst homogene Schülerschaft. Wenn Homogenität der Regelfall bleibt, bleiben auch die institutionellen Grundstrukturen unangetastet.“ (11) Krüger-Potratz geht noch einen Schritt weiter: „Würden die ausländischen Schülerinnen und Schüler, für die die Fördermaßnahmen gedacht sind, von einem Tag auf den andere fortbleiben und die Maßnahmen eingestellt, so würde dies die Schule als Institution auch nach mehr als dreißig Jahren Integration ausländischer Schülerinnen und Schüler in ihrer Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigen, im Gegenteil: Sie könnte nun wieder tatsächlich störungsfrei arbeiten." (12)
Einen Konsens über den Nutzen von Diversität würde eine aktive Teilhabepolitik nach sich ziehen. Nach heutigem Wissensstand können Aussagen darüber getroffen werden, dass erfolgreiche Bemühungen um die vollständige Teilhabe von Zugewanderten am gesellschaftlichen und politischen Leben vorteilhaft für alle Beteiligten ist. (Angerstedt, 2010). (13)
Über die Jahre hat sich eine soziologische Konditionierung der Wahrnehmung des „Anderen“ als Denkmuster eingestellt. Dieser Modus der Wahrnehmung des „Fremden“ behindert bewusst oder unbewusst, die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur interkulturellen Ausrichtung der Schulverwaltung. Impulse einer diversitysensiblen Schulenwicklung scheitern bereits an der zunehmenden Darstellung der Differenzlinie „mit Migrationshintergrund“, so Stickweh 2010. Das erfolglose Ringen nach Homogenität und romantische Erinnerungen an die eigene Schulzeit geprägt von Einsprachigkeit, verhindern die Aufhebung der Differenzlinien. Welche Haltung nehmen unsere Kolleginnen und Kollegen an, wenn es darum geht, Aspekte interkultureller Bildung, Öffnung und Ausrichtung in ihren Arbeitsabläufen tagtäglich zu berücksichtigen? Dazu gehört auch Schüler_innen individuell zu fördern. Die interkulturelle Öffnung wird nicht in Sonderprojekten oder durch zusätzliche Förderstunde am Stundenplanrand voran getrieben werden.
Die Idee „Wir sind bun(d)“ (14) kann nur der Ausgangspunkt für zahlreiche in sich schlüssige Maßnahmen im Bereich der interkulturellen Ausrichtung der Personal- und Strukturentwicklung sein. Das Durchdeklinieren einer Idee gesellschaftlicher Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen in öffentlichen Ämtern impliziert die konsequente Berücksichtigung gesellschaftlicher Realität in allen Bereichen. Dazu gehören:
- Personalentwicklung: Ist die Belegschaft in allen Hierarchiestufen heterogen Zusammengesetzt?
- Öffentlichkeitsarbeit: Entspricht die Bildsprache gesellschaftlicher Realität?
- Diversity-Management Strategien: Wird die bilinguale, bikulturelle Bildungs- und Milieuerfahrung der Belegschaft ressourcenorientiert eingesetzt?
Oftmals werde ich gefragt „Wie war es auf dem Integrationsgipfel?“ Ich antworte stets „Ich bin mit Migrationshintergrund hin- und mit Migränehintergrund zurückgefahren. Und beides habe ich mit Sicherheit immer im Gepäck. Wenn die Vorhaben der Bundesregierung wahrhaftig, ehrlich und konstruktiv gemeint sind, fällt so hoffe ich, der Migränehintergrund einfach weg.“
(1) Mark Terkessidis. Interkultur. Bpb. S. 208ff. 2010.Mark Terkessidis. Interkultur. Bpb. S. 208ff. 2010.
(2) Michael Bodemann. „Zur politisch-sozialen Integration von Migranten in Nordamerika“. In: Wer gehört dazu? Zugehörigkeit als Voraussetzung für Integration. Bertelsmann Stiftung (Hg.). 2011. S. 17ff.
(3) “Ethnizität, moderner Nationalstaat und ethnische Minderheiten, in Glatzer, W. S. 489-490. (Hg.), Die Modernisierung moderner Gesellschaften. 25. Deutscher Soziologentag, Beiträge der Sektionen, Arbeits- und Ad Hoc-Gruppen. Westdeutscher Verlag, Opladen 1991, S. 488-492.
(4) Paul Mecheril u.a. Migrationspädagogik. BELTZ Verlag, 2011. S. 15
(5) David A. Hollinger. „Warum die multikulturellen Konzepte der Bürgerrechtszeit anachronistisch sind.“ S. 63 In: Susanne Stemmler (Hg.) Multikultur 2.0. Wallstein Verlag, 2011.
(6) Presse- und Informationsdienst: Nationaler Integrationsplan 2010, S. 117.
(7) Vielfalt im Stadtparlament. Erste umfassende Studie über Einwanderinnen und Einwanderer in den Räten deutscher Großstädte. Heinrich Böll Stiftung/mpimmg/Stiftung Mercator. Mai 2011.
(8) Ebd. S.3 ff. (Kurzfassung)
(9) Haci-Halil Uslucan. „Migrantische Selbst- und Fremdplazierungen“. In: Wer gehört dazu? Zugehörigkeit als Voraussetzung für Integration? Bertelsmann Stiftung, 2011, S. 201 ff.
(10) Christine Lüders. „Migrantische Selbst- und Fremdplazierungen“. In: Wer gehört dazu? Zugehörigkeit als Voraussetzung für Integration? Bertelsmann Stiftung, 2011, S. 183 ff.
(11) Ebd. S. 58
(12) Krüger-Potratz, M. Interkulturelle Bildung. Eine Einführung. Münster. Waxmann Verlag. 2000. S. 380
(13) Angenendt, S. u. A. “Migration policymaking under the Stockholm Program and the Lisbon Treaty: Getting back to the serious business of governing?” In: Fabry, E. u. A. (Hg) Think global, Act European. Paris, 2010. S. 105ff.
(14) "Wir sind bun(d)" Zugriff: 04.03.2012.
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Dr. Antonietta P. Zeoli ist im Vorstand von Public Diversity e.V. - Verein zur interkulturellen Ausrichtung öffentlicher Institutionen und Dozentin für Diversity Management an der Ruhr Universität Bochum.