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Die Dokumentation „Residenzpflicht“ begleitet Menschen, die durch dieses Gesetz massiv in ihrer Bewegungsfreiheit gehindert werden. Was hat Sie dazu bewegt diese Dokumentation zu machen?
Als ich 2008 aus Brasilien nach Berlin zog, habe ich mich das gefragt, was sich die meisten Migrant_innen fragen: wie geht dieses Land mit Migrant_innen um? Weil ich ohnehin über Frauen und Migration forschen wollte, bin ich auf die Gesetzgebung zum Thema Residenzpflicht gestoßen. Ich habe mich dann entschieden darüber nachzuforschen und zu verstehen, warum ein Land, eines das die Internationale Flüchtlingskonventionen unterschrieben hat, Menschen erlaubt hier Asyl zu beantragen und gleichzeitig Flüchtlinge in Gebieten einsperrt, die sie nur mit einer Sondergenehmigung verlassen dürfen. Das hat für mich einfach keinen Sinn ergeben.
Mit welchen Organisationen haben sie für die Dokumentation zusammen gearbeitet?
Ich habe mit The Voice Refugee Forum, The Refugees Emancipation und Women in Exile zusammen gearbeitet. Das sind selbstorganisierte Gruppen von Flüchtlingen hier in Deutschland, die seit 10 Jahren aktiv in der Arbeit sind und eng mit Asylsuchenden zusammen arbeiten. Ihre Arbeit besteht darin in Lager zu gehen, Menschen über ihre Rechte aufzuklären, die Wichtigkeit an Aktionen teilzunehmen aufzuzeigen, Widerstandsgruppen innerhalb der Lager zu organisieren, um die Isolation zu brechen in der die Menschen gezwungen sind zu leben.
Wie und in welchem Zeitraum ist der Film entstanden?
Es hat ungefähr drei Jahre gedauert den Film zu machen. Die ersten beiden Jahre habe ich mit Aktivist_innen verbracht, an Treffen teilgenommen, Demonstrationen, die Lager besucht, die Menschen kennenzulernen und mir ihre Geschichten anzuhören. Ich musste versuchen zu verstehen, was es bedeutet als Asylsuchende_r in Deutschland zu leben. Das dritte Jahr habe ich damit verbracht in Archiven zu forschen und den Film zu editieren.
Wie schätzen Sie die Lage von Asylsuchenden in Deutschland ein?
Es ist katastrophal. Eine Person kommt hier her um Asyl zu suchen, was bedeutet eine Form von Schutz zu finden, und was die Menschen bekommen, ist ein “Open Air”-Gefängnis. Ab dem Zeitpunkt an dem ein Flüchtling Asyl in Deutschland beantragt, werden sie wie Kriminelle behandelt. Das Recht auf Bewegungsfreiheit wird einem durch die Residenzpflicht verweigert, ebenso wie das Recht auf (Aus)Bildung oder auf Arbeit. Und als ob das noch nicht genug wäre einem Menschen das Leben schwer zu machen, kann der Prozess zur Gewährung oder Ablehnung von Asyl Jahre dauern. Jahre in denen Menschen in ständiger Angst deportiert zu werden leben müssen; Jahre des Lebens in einem Schwebezustand.
Dann gibt es noch den alltäglichen Rassismus. Mehr als einmal bin ich in kleinen oder großen Städten mit Schwarzen Flüchtlingen herum gelaufen und habe Leute rassistische Beleidigungen rufen hören. Einmal, an einem sonnigen Sommer Nachmittag gegenüber des Potsdamer Hauptbahnhofs, hat eine Gruppe Jugendlicher gebrüllt: „Geh zurück nach Hause, du verdammter N***!“ Der Flüchtling mit dem ich in diesem Moment zusammen war hat einfach nur gesagt: „und das passier tagsüber, es wird schlimmer wenn es dunkel ist.“ Das ist nur ein Beispiel, dass ich selbst miterlebt habe, aber ich habe unzählige anderer Geschichten wie dieser gehört während ich den Film gemacht habe.
Außerdem hast du die Polizei, die „fremd“ aussehende Menschen an öffentlichen Orten kontrolliert, nach Dokumenten fragt oder in Zügen nach den „Urlaubsscheinen“ fragt. Du hast die Gemeinden in den kleinen Städten in denen die Lager sind, die nicht wissen oder nicht wissen wollen warum so viele „fremd“ aussehende Menschen dort sind, die Sprachen sprechen die sie nicht verstehen und mit Gutscheinen Lebensmittel in den Supermärkten kaufen.
Und dann, anstatt dass die Politik rassistisches Verhalten bekämpft, gibt es noch die Propaganda in allen Medien, die dir suggeriert, dass Europa von Flüchtlingen “überschwemmt” wird. Das stimmt einfach nicht. Die geschätzte Menge an Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, ist ca. 34 Millionen. Laut UN Kommisar für Flüchtlinge sind fast 2/3 aller Flüchtlinge im Nahen Osten und Afrika. In 2011, hat Deutschland zum Beispiel laut Aussagen des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ungefähr 56.000 Anträge auf Asyl gehabt. Das sind weniger als 0,2% aller Flüchtlinge weltweit. Und davon wurden laut Bamf nur 1,5% nach Artikel 16a GG anerkannt.
Wie sehen sie ihre Rolle als Regisseurin des Films? Wie gehen sie damit um nicht für die Betroffenen zu sprechen und sie zu bevormunden?
Als Journalistin sehe ich meine Rolle darin eine bestimmte Situation zu registrieren und das der Öffentlichkeit als Anregung für weitere Reflektionen und Diskussionen zur Verfügung zu stellen. Ich kann nicht direkt für jemanden sprechen, aber ich spreche für mich selbst, wenn ich die Stimmen und Positionen für meinen Film aussuche.
Ich sehe mich außerdem als betroffene Person, als Mensch und möchte auch nicht als Kriminelle behandelt werden, wenn ich nichts getan habe außer in einem anderen Land nach Schutz zu fragen.
Welche Folgen hat die Residenzpflicht für die davon betroffenen Menschen?
Ich habe Menschen getroffen die wahnsinnig geworden sind auf Grund der Angst abgeschoben zu werden. Ich habe Menschen interviewed, die in einem sehr schlechten psychischen und physischen Zustand sind und ich daher nicht im Film exponieren wollte. Ich habe von vielen Fällen gehört, in denen Menschen Selbstmord begangen haben, aber ich war mir von Anfang an sehr bewusst darüber, dass ich nicht daran interessiert war „Opfer“ darzustellen. Es gibt schon zu viele Filme und Fernsehprogramme darüber. Ich wollte mit Menschen arbeiten, die nicht aufhören für ihre Rechte zu kämpfen, was im Endeffekt das gleiche ist, wie für seine geistige Gesundheit zu kämpfen.
Welche Aktionen sind in nächster Zeit geplant um die rassistische Praxis der Residenzpflicht ins öffentliche Bewusstsein zu rücken?
Wir haben in verschieden Städten in Deutschland Vorführungen geplant und hoffen dadurch zu einer breiteren öffentlichen Debatte über Residenzpflicht und anti-rassistische Politik und Praxis beitragen zu können.
Wir planen außerdem den Film an so viele Asylsuchende wie möglich zu verbreiten, weil die meisten Leute die Lager nicht verlassen dürfen, um an einer Filmvorführung teilzunehmen – wegen der Residenzpflicht. Und ich kann mir keinen Beamten bei einer Ausländerbehörde vorstellen der sagt: „Ah, ok! Du willst in die Nachbarstadt fahren, um dir einen Film anzugucken. Hier ist deine Genehmigung.“ Das wird sicher nicht passieren.
Auf der Website des Films www.residenzpflicht.doc gibt es einen Kalender, in dem die Vorstellungen eingetragen sind.
Das Interview führte Julia Brilling im Mai 2012.
English Version
The documentary „Residenzpflicht“ accompanies people whose ability to move has been incredibly restricted by this law. What inspired you to do a documentary on the topic?
In 2008, when I moved from Brasil to Germany, I asked myself what I think most migrants ask themselves: how does this country treats migrants? And as I was going to start a research about women and migration, I came across the Residenzpflicht law and decided to dedicate myself on trying to understand why a country, which is one of the signatory of the Refugee Convention, allows people to apply for asylum here and at the same time imprisoned the refugees in districts from where they can only leave with a special permission. It didn't sound logic to me.
Which organizations did you cooperate with for the documentary?
I worked with The Voice Refugee Forum, The Refugees Emancipation and the Women in Exile basically. They are self-organized groups of refugees here in Germany and have a 10 years tradition of working very close together with the asylum seekers. Their actions are based on going to the lagers, informing the people of their rights, showing the importance of participating in actions, of forming groups of resistance inside the lagers, to break the isolation they've been forced to live in.
How much time did it take you to do the documentary?
It took me around three years to make the film. The first two years I spent with the activists, taking part in the meetings, demonstrations, visiting the lagers, getting to know the people and listening to their stories. I needed to understand at least a bit of what was like to live in Germany as an asylum seeker. The third year I spent researching for archive footage and editing the film.
What are the conditions of living for asylum seekers in Germany like?
It is catastrophic. A person comes here to seek for asylum, which means, to seek for some sort of protection and what he or she gets is an open air prison. From the moment a refugee applies for asylum in Germany he or she will be treated as a criminal. The right to move will be denied because of the Residenzpflicht, the right to get an education or to work either. And as if this was not enough to make someone's life miserable, the time taken to analyse the processes of asylum can take years. Years in which people will live in constant fear of being deported, years of a life in limbo.
Then there is the everyday racism. More than once I was walking around in a small or a big town with black refugees and heard people shouting racist words to them. In one case, it was a sunny summer afternoon, in front of the Potsdam Hauptbahnof, and a group of youngsters shout: „go back home fucking neger“. The refugee who was with me at that moment just said: „and this is in daylight, it gets worse when it is dark“. This is just an example of something I saw by myself, but I heard countless stories like this during the time I spent making the film.
You have the police controlling foreign looking people in public places, asking for documents, inside the trains, asking for the Urlaubshein. You have the communities in the small towns where the Lager is, who doesn't know, or doesn't want to know, why there are so many foreigner looking people, speaking languages they don't understand, buying goods in the local supermarket with Gutschein.
And then, instead of policies to fight the racist behaviour, you have the propaganda, in every media, saying that Europe is being „flooded“ by refugees. This is simply not true. The estimated number of displaced people globaly is around 34 million. According to the UN High Commissioner for Refugees nearly two thirds of all refugees are hosted in the Middle East and in Africa. Germany, for example, in 2011, according to the Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, had around 56 thousand applications for asylum. That makes less than 0,2% of the total number of refugees in the world. From which, in 2011, also according to Bamf, 1.5% got recognized by the Artikle 16.a GG.
How do you negotiate your role as director of the documentary? How do you balance between giving the protagonists space for their stories and not talking for them in your work?
As a journalist I understand my role as of one who registers a certain situation and gives it to the public as a material for further reflexion and discussion. I can not speak directly for anyone, but I do speak for myself when I choose the voices of the film.
I also see myself as an affected person because I am a human being and wouldn't like to be treated as a criminal when all I have done was to try and ask for protection somewhere else other than the place of my birth.
Which are the consequences of „Residenzpflicht“ for the people affected by the law?
I met people who went mad because of the fear of being deported. People who are in a very bad psychic and physical condition, whom I interviewed but decided not to expose in the film. I heard of many cases of people who committed suicide, but I had it very clear from the begining that I was not interested in working on a victim portray. There are too many films and TV programs about that already. I wanted to work with people who don' t give up fighting for their rights, which in the end is the same as fighting for their mental health.
Are there any actions planned in the near future to raise aware about the racist “Residenzpflicht“ law?
We have public screenings of the film scheduled for many different German cities and by that we hope to contribute to a broader public debate about the Residenzpflicht and anti-racist policies and practices.
We are also planning to distribute the film to as many asylum seekers as we can as the large majority of the people will not leave the Lager to attend one of the screenings because of the Residenzpflicht. And I can not imagine an Ausländerbehörder beamte saying: „ah, ok, you want to go to the neighbour town to watch a film, here is your permission“. No, it won't happen.
In the website of the film www.residenzpflichtdoc.com there is a calender with the next screenings.
The interview was conducted by Julia Brilling May 2012.
Regisseurin Denise Garcia Bergt