von Stephanie Gerlach
Regenbogenfamilien sind trotz der voranschreitenden Pluralisierung der Lebens- und Familienformen in der Regel noch nicht selbstverständlich mitgemeint und mitgedacht. Aus diesem Grund sind in den folgenden Ausführungen Basisinformationen zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und ihrer gesellschaftlichen Einbettung enthalten.
Mit dem Begriff „Regenbogenfamilie“ wird eine Familienform bezeichnet, bei der sich mindestens ein Elternteil als lesbisch oder schwul definiert bzw. der LGBT-Community (LGBT: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) zugehörig fühlt.
Regenbogenfamilien lassen sich zahlenmäßig nicht genau erfassen. Einige Orientierungszahlen gibt es dennoch – ein fünfprozentiger homosexueller Bevölkerungsanteil gilt als sicher, in etwa jeder achten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft wachsen Kinder auf. Dies bedeutet, dass es ungefähr zwischen 20 000 und 200 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland gibt, die bei lesbischen und schwulen Eltern groß werden.
Regenbogenfamilien sind kein neues Phänomen, allerdings stammten die Kinder bis vor kurzem mehrheitlich aus heterosexuellen Verbindungen. Seit einigen Jahren wird ein immer größerer Teil von Kindern in gleichgeschlechtliche Beziehungen hinein geboren oder aufgenommen. Innerhalb der Community lässt sich eine große Vielfalt an Familienformen finden. Neben der lesbischen Kleinfamilie mit Mama, Mami und Kind tun sich auch Lesben und Schwule zusammen, um gemeinsame Elternschaft zu zweit, zu dritt oder zu viert in so genannten Queerfamilies zu leben (Queer: bezeichnet eine Identität, die sich von „heterosexuell“ unterscheidet). Die Gründung einer Regenbogenfamilie kann über eine Insemination (privat oder mit ärztlicher Unterstützung), Adoption oder Pflegschaft erfolgen.
Insemination
Am unkompliziertesten lässt sich eine Insemination privat durchführen. Der Samenspender liefert Sperma, das bei der Frau zum Zeitpunkt des Eisprungs mit Hilfe einer Spritze in die Vagina eingebracht wird. In einer Praxis/Klinik geschieht dasselbe, allerdings ist das Sperma getestet, aufbereitet und wird direkt am Muttermund platziert. In Kinderwunschpraxen wird mit dem Thema „Kinderwunsch in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften“ wegen der nicht ganz eindeutigen rechtlichen Lage sehr unterschiedlich umgegangen.
Der Samenspender
Lesben mit Kinderwunsch benötigen einen Samenspender. Die Entscheidungen rund um den Samenspender sind mit vielen Konsequenzen verbunden. Deshalb ist es unerlässlich, sich eingehend mit der Frage auseinanderzusetzten, wie die Familiengründung vonstatten gehen soll. Möglicherweise ist eine juristische Beratung sinnvoll. Der Austausch mit anderen Regenbogenfamilien, die schon ein Stück weiter in der Familienplanung sind, kann helfen, sich über grundsätzliche Fragen klar zu werden. Bekannter oder unbekannter Spender? Soll er aktiver Vater oder freundschaftlicher Außensatellit sein? Wieviel Kontakt ist gewünscht? Wer übernimmt eine Elternfunktion in der Regenbogenfamilie?
Ein Kind kann Kontakt haben, wenn der Spender bekannt ist. Dies kann allerdings familienrechtliche Konsequenzen in Form von Unterhaltspflichten und Umgangsrechten nach sich ziehen, falls ein Spender plötzlich Vatergefühle bekommt und Rechtsansprüche geltend macht. Die nicht-biologische Mutter kann nur durch eine Stiefkindadoption ihre rechtliche Beziehung zum Kind absichern. Ist die Vaterschaft amtlich anerkannt, ist es fraglich, ob der biologische Vater einer Stiefkindadoption durch die soziale Mutter zustimmt. Und: Einmal getroffene Entscheidungen gelten für immer.
Rechtlich kann es nur zwei Elternteile geben – für Regenbogenfamilien, die Elternschaft auch manchmal zu dritt oder zu viert leben, ist dies eine nicht ganz einfache Situation.
Samenbank
Neben der medizinischen Absicherung hat die Zuhilfenahme einer Samenbank den Vorteil, dass familienrechtliche Komplikationen ausgeschlossen sind und damit die Familienidentität von Anfang an klar ist. Allerdings kann das Kind (und nicht die Eltern!) erst im Alter von 16 bzw. 18 Jahren einen Kontakt zum Samenspender aufnehmen. Deutsche Samenbanken sind wegen der ablehnenden Haltung der Bundesärztekammer sowie wegen rechtlicher Unklarheiten häufig nicht gewillt, lesbische Frauen bei der Familienplanung zu unterstützen. Im Gegensatz dazu heißen Samenbanken der Nachbarländer Dänemark und Niederlande lesbische Frauen explizit willkommen. Deshalb nehmen auch viele deutsche Lesben mit Kinderwunsch deren Dienste in Anspruch.
Schwule Männer und leibliche Elternschaft
Schwule Männer, die leibliche Eltern werden wollen, müssen dafür eine Frau oder ein lesbisches Paar finden, mit dem sie die Elternschaft teilen – kein leichtes Unterfangen. Zudem haben Schwule immer noch mit den herrschenden Vorurteilen zu kämpfen, wenn sie einen Kinderwunsch haben. Ein sehr teurer und auch umstrittener Weg ist die Leihmutterschaft, die im Gegensatz zu den USA in Deutschland verboten ist. Daher entscheiden sich schwule Paare eher für Pflegschaft oder Adoption.
Pflegschaft
Es gibt viele Gründe dafür, ein Pflegekind aufzunehmen. Allerdings warten durchaus Hindernisse, gibt es doch nach wie vor keine einheitlichen Standards, wie mit lesbisch-schwulen Bewerber_innen in Jugendämtern umgegangen wird. Letzten Endes hängt es vom örtlichen Jugendamt ab, ob Homopaare im Eignungsverfahren wie Heteropaare behandelt werden oder eben doch nicht. Heutzutage ist offene Diskriminierung eher selten, mit subtiler Ablehnung muss in Einzelfällen gerechnet werden. Gerade diese Unberechenbarkeit veranlasst eine Reihe von möglichen Bewerber_ innen dazu, das Jugendamt gar nicht aufzusuchen, obwohl die Offenheit steigt und viele Jugendämter gleichgeschlechtliche Paare gerne in die Bewerbungsverfahren aufnehmen würden. Grundsätzlich gilt: Es werden Eltern für Kinder gesucht und nicht Kinder für Eltern.
Adoption
Es ist viel schwieriger, in Deutschland ein Kind zu adoptieren als in Pflege zu nehmen. Die Anzahl der Bewerber_innen für ein zur Adoption frei gegebenes Kind übersteigt bei weitem die Zahl der Kinder, die tatsächlich adoptiert werden können. Hinzu kommt, dass ein gleichgeschlechtliches Paar nach wie vor nicht gemeinsam ein fremdes Kind adoptieren darf, eine Einzelperson dagegen schon. Diese absurde rechtliche Lage führt dazu, dass ein Adoptivkind von lesbischen oder schwulen Eltern zwar de facto zwei Eltern hat, rechtlich aber nur ein Elternteil und damit erheblich benachteiligt ist. Aus diesem Grund wird ein passendes Heteropaar einem gleichgeschlechtlichen Paar in den meisten Fällen vorgezogen. Lesben- und Schwulenpaare entscheiden sich daher möglicherweise für eine Auslandsadoption.
Auslandsadoption
Die rechtlichen Probleme bestehen allerdings weiter, denn damit eine Adoption in Deutschland anerkannt wird, darf wiederum nur ein Elternteil als rechtliche Mutter/rechtlicher Vater eingetragen sein. Außerdem sind nicht viele Länder bereit, Kinder an gleichgeschlechtliche Paare zu vermitteln.
Eine Auslandsadoption birgt viele Herausforderungen. Ein Kind aus seinem Heimatland in eine fremde Kultur zu holen, ist eine weitreichende Entscheidung. Adoptivkinder mit lesbischen/schwulen Eltern und evtl. einer nicht-weißen Hautfarbe fallen durch diese Besonderheiten, die in Deutschland das Diskriminierungsrisiko erhöhen, auf. Hier sind die Adoptiveltern besonders gefordert, sich mit Homophobie und Rassismus auseinanderzusetzen.
Die Eingetragene Lebenspartnerschaft (ELP)
Seit 2001 gibt es die Eingetragene Lebenspartnerschaft (ELP). Auch wenn es keine sachlichen Gründe dafür gibt: Die ELP ist nach wie vor eine Ehe zweiter Klasse. Die eingetragenen Lebenspartner_innen haben exakt dieselben Pflichten wie Eheleute, sind aber in anderen Bereichen stark benachteiligt. Am größten ist die Ungerechtigkeit im Steuerrecht: Lebenspartner_innen werden nicht gemeinsam veranlagt, sondern wie Fremde behandelt. Dies bedeutet für Regenbogenfamilien, bei denen ein Elternteil häufig wegen der Kinder weniger erwerbstätig ist, einen großen finanziellen Nachteil, da das Ehegattensplitting nicht angewendet werden kann.
Stiefkindadoption
Trotzdem ist die Eintragung als Möglichkeit der rechtlichen Absicherung ein großer Fortschritt. Gerade Regenbogenfamilien können erheblich davon profitieren: Seit 2005 ist es möglich, dass innerhalb einer Lebenspartnerschaft die eine Partnerin das leibliche Kind ihrer Lebenspartnerin im Rahmen einer Stiefkindadoption adoptieren kann, sofern der andere biologische Elternteil zustimmt. So kann über diesen „Umweg“ ein Kind von lesbischen Eltern auch rechtlich zwei Mütter bekommen. Diese gemeinsame Elternschaft schließt familienrechtliche Komplikationen aus.
Das Verfahren zur Stiefkindadoption ist, weil es sich an die Stiefkindadoption im heterosexuellen Kontext anlehnt, umfangreich und langwierig, dauert meist etwa 12 Monate und schließt neben einem Bericht der annehmenden Mutter Gespräche sowie einen Hausbesuch mit ein. Trotz aller Freude über diese Möglichkeit schwingt in der Community auch Ärger mit. Diese Kinder sind reine Wunschkinder, die in der Regel in eine stabile Beziehung hinein geboren werden. Man/frau fragt sich, warum diese Kinder nicht einfach ehelich erklärt werden. Möglicherweise bliebe einigen Kindern aus Heterofamilien ein schlimmes Schicksal erspart, würde sich der Staat derart in eine Familiengründung einmischen, wie das bei Regenbogenfamilien der Fall ist.
Coming out
Auch wenn erwiesen ist, dass fünf bis zehn Prozent aller Menschen lesbisch bzw. schwul leben – die meisten blenden diese Tatsache einfach aus. Manche Eltern fallen immer noch aus allen Wolken, wenn sich Tochter oder Sohn outen. Dabei sitzen in jedem Klassenzimmer ein bis zwei heranwachsende Lesben/Schwule. Und trotzdem ist beispielsweise die Schule ein Ort, an dem homofeindliche Sprüche nach wie vor geduldet werden, weil Lehrkräfte kein Rüstzeug dafür bekommen, wie sie mit homophoben Sprüchen umgehen sollen.
Jeder Mensch ist heterosexuell?
Dass die Umwelt erst einmal jeden Menschen für heterosexuell hält, wird bei der Veröffentlichung der eigenen Lebensform deutlich – für Heterosexuelle selbstverständlich und alltäglich. Spricht eine Frau von ihrem Mann, ist dies nichts Besonderes. Spricht sie von „ihrer Frau“, wird die damit verbundene Veröffentlichung ihrer Lebensform im Gegensatz dazu von manchen Menschen als intim empfunden, obwohl sie durch diese Information nichts Intimes erzählt hat. Dies ist ein Beispiel dafür, wie Lesbisch- bzw. Schwulsein nicht selbstverständlich im öffentlichen Raum seinen Platz hat, sondern im Privaten bleiben soll. Lesben und Schwule werden dadurch auf ihre Sexualität reduziert – neben dem Totschweigen eine häufige Form der Diskriminierung.
Regenbogenfamilien sind unsichtbar
Bewegt man sich als Mutter oder Vater mit Kindern in der Öffentlichkeit, denkt sich die Umwelt in der Regel einen gegengeschlechtlichen anderen Elternteil dazu. Regenbogenfamilien sind in der modernen Familienvielfalt bisher weder mitgemeint noch mitgedacht, sondern müssen stets selbst dafür sorgen, sichtbar zu sein. Deshalb kommen sie um ein ständiges Coming out nicht herum.
Im Kita-Alltag kommt es schnell zu Situationen, in denen Eltern und Kinder aus Regenbogenfamilien auf Fragen reagieren müssen, die ihr Familienmodell betreffen. Es ist wichtig, mit diesen Fragen souverän und selbstbewusst umzugehen und den Kindern damit ein Vorbild zu sein. Wer nicht zu seiner sozio-sexuellen Identität steht, belastet sein Kind mit einer Hypothek. Ganz offen, manchmal auch offensiv mit der eigenen Lebensform umzugehen bedeutet, keine Angriffsfläche zu bieten und das Kind bestmöglich zu schützen.
Regenbogenfamilien im Kita-Alltag
Immer out zu sein ist ein hoher Anspruch und kostet viel Kraft. Und: Regenbogenfamilien sind erst einmal selbst für ihr Coming out verantwortlich. Haben sie dies hinter sich, können sie durchaus erwarten, dass die Kita sich des Themas annimmt, aber nicht unbedingt im Vorfeld. Eine Kita kann nur so offen sein, wie es die Familie selbst ist.
Was bedeutet dies für die pädagogischen Fachkräfte?
Zunächst ist es unerlässlich, sich aus fachlicher Sicht zum Thema „Regenbogenfamilien“ schlau zu machen. Das Wissen um Familienvielfalt sollte zum professionellen Standard gehören. Dazu gehört auch, die Vielfalt der Lebens- und Familienformen in das Leitbild einer Einrichtung aufzunehmen. Wie eine Regenbogenfamilie mit ihrem Coming out umgeht, hängt auch davon ab, wie eine Einrichtung sich nach außen hin darstellt. Werden „alternative“ Familienmodelle in Informationsflyern einer Kita konkret benannt, wird damit eine grundsätzliche Offenheit gegenüber allen Familien transportiert. Liest eine Regenbogenfamilie im Leitbild einen Begriff, der lesbische und schwule Eltern bezeichnet, dann kann sie davon ausgehen, in der Einrichtung willkommen zu sein – eines der wirksamsten Mittel, Regenbogenfamilien zu einem schnellen und unkomplizierten Coming out zu ermuntern. Regenbogenfamilien sind gewohnt, „kein Thema“ zu sein. Im Zusammenhang damit registrieren sie sehr aufmerksam, wenn auch sie tatsächlich mitgemeint, weil mitgenannt sind.
Kleine Kinder haben noch keine Vorurteile
Es gibt viele Gründe, die für die Thematisierung von gleichgeschlechtlichen Lebensweisen in Kindertagestätten sprechen. Kleine Kinder haben noch keine Vorurteile, sie stellen Fragen und geben sich mit klaren Antworten zufrieden. Auch ihnen unbekannte Lebensweisen bewerten sie nicht automatisch negativ. Es sind die Eltern, die ihren Kindern Zusammenhänge erklären und je nach Wertung damit Vorurteile implantieren, vielfach auch unbewusst.
Erzieher_innen/Pädagog_innen können hier gegensteuern. Morgenkreise zum Thema Familie können Kindern ermöglichen, verschiedene Lebens- und Familienformen kennenzulernen. In Gesprächen erfahren auch schon sehr kleine Kinder, dass die Liebe oft unerwartete Wege einschlägt und man selbst nur sehr wenig Einfluss darauf hat, wen man warum sehr gerne mag.
Wichtig ist hierbei für die Fachkräfte, dass es bei diesem Thema nicht primär um sexuelle Zusammenhänge geht, sondern um Lebensformen. So kann eine Erzieherin Eltern beruhigen, die bei der Thematisierung lesbischer Frauen und schwuler Männern sofort an Sexualität denken und nicht nachvollziehen können, dass jedes Kind davon profitiert, wenn es ein Grundwissen über gleichgeschlechtliche Lebensweisen erhält. Denn nicht nur Kinder mit zwei Mamas finden sich mit ihrer Lebensgeschichte wieder, sondern auch all diejenigen Kinder, die „aus der Norm fallen“, spüren, dass sie mit ihrer individuellen Biografie willkommen sind. Da gibt es die Kinder, die schon ganz früh wissen, dass sie bestimmten Normalitätskriterien nicht genügen. Oder die lesbische Praktikantin, die froh ist, dass ihre Lebensform als Bereicherung verstanden wird und nicht als Bedrohung, über die am besten nicht gesprochen wird, weil es ja Privatsache ist.
Für alle gilt: Das Wissen um und die Offenheit dafür sind ein wichtiger Schutz gegen Diskriminierung und schafft Widerstandsfähigkeit (Resilienz).
Hoher fachlicher Anspruch bedeutet hohe Professionalität
Fachliche Kompetenz heißt (neben vielen anderen Punkten), sich mit der eigenen Haltung zur Vielfalt der Lebensformen auseinanderzusetzen. Dazu gehört auch, sich mit geschlechtergerechter Pädagogik zu beschäftigen, sein Mädchen- und Jungenbild zu hinterfragen und damit die Verhaltensspielräume von Mädchen und Jungen zu vergrößern. In Bilderbüchern können zwei große Bären und ein kleiner Bär auch als eine andere Familienform als „Papa-Mama-Kind“ gelesen werden und Marie kann mit Jana Hochzeit spielen, ohne dass ihr gleich Leon als besser geeigneter Heiratskandidat vorgeschlagen wird.
Kinder aus Regenbogenfamilien wollen im Kita-Alltag vorkommen. Selbst wenn sie andere Kinder aus einer Queerkonstellation kennen - oft sind sie in ihrer Kitagruppe die einzigen. Umso wichtiger ist es zu berücksichtigen, dass Enno beispielsweise zum Muttertag selbstverständlich zwei Geschenke basteln möchte. Oder dass Hannah eine Mama und eine Mami hat und die Erzieher_innen auch wissen, welche Mutter wie genannt wird.
Eine offene Kita ermöglicht den Kindern, sich in verschiedenen Rollen auszuprobieren und dafür von fachlicher Seite Unterstützung zu bekommen. Sie wachsen damit auf, dass sie mögen/lieben dürfen, wen sie wollen. Sie sprechen darüber, dass es in einer Familie wichtig ist, dass man füreinander da ist und sich versteht – und nicht welches Geschlecht die Eltern haben. Kinder aus Regenbogenfamilien können sich selbstverständlich einbringen und Fachkräfte gehen durch den täglichen Umgang souverän mit den unterschiedlichen Familienformen um.
Zusammenfassung von Handlungsempfehlungen für pädagogische Fachkräfte (1):
- Reagieren Sie, wenn homofeindliche Äußerungen fallen. Kinder müssen sicher sein, dass es für Diskriminierung keine Toleranz gibt. Als Erzieher_in sind Sie Schlüsselfigur und für das Klima in der Gruppe verantwortlich.
- Thematisieren Sie unterschiedliche Lebensformen, sprechen Sie über Lesben und Schwule, erklären Sie unterschiedliche Familienmodelle. Setzen Sie Bilderbücher ein, in denen auch Regenbogenfamilien vorkommen.
- Besuchen Sie entsprechende Fortbildungen und informieren Sie sich, welche Bezeichnungen für Regenbogenfamilien stimmig sind und mit welchen Begrifflichkeiten sich Töchter und Söhne aus diesen Familien wohl fühlen.
- Verwenden Sie eine geschlechtergerechte Sprache und vermeiden Sie die Annahme, dass die Kinder in Ihrer Gruppe alle heterosexuelle Eltern haben und sie selbst einmal heterosexuell leben werden.
- Rechnen Sie damit, dass zu einem Elternabend auch Regenbogeneltern kommen könnten und sorgen Sie dafür, dass sie sich willkommen fühlen.
- Überprüfen Sie Ihre Haltung zu Regenbogenfamilien und setzen Sie sich mit Ihren Vorurteilen auseinander. Kinder aus Regenbogenfamilien entwickeln sich genauso gut wie Kinder aus Heterofamilien.
- Sensibilisieren Sie Ihre Kolleg_innen und die Einrichtungsleitung und sorgen Sie dafür, dass Ihre Kita zu einem offenen und sicheren Ort für alle Kinder wird.
Regenbogenfamilien in der Forschung
Im Jahr 2009 erschien die erste repräsentative Studie über Kinder aus gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften in Deutschland(2). Die wichtigsten Ergebnisse: Kinder aus Regenbogenfamilien entwickeln sich gut. Sie haben Eltern, die ihre Elternrolle in der Regel sehr kompetent annehmen. Für eine gute Entwicklung der Kinder ist die Qualität des Familienklimas, respektive eine harmonische Elternbeziehung und nicht das Geschlecht der Eltern maßgeblich.
Kinder von lesbischen/schwulen Eltern verfügen über ein höheres Selbstwertgefühl als Kinder aus vergleichbaren heterosexuellen Familiensettings. Auch weisen sie eine hohe Autonomie bei gleichzeitig starker Bindung zu beiden Elternteilen auf. In der psychosexuellen Entwicklung lassen sich keine signifikanten Unterschiede finden. Lesbische Mütter und schwule Väter achten in ihrem Familienalltag darauf, ihren Kindern sowohl männliche als auch weibliche Bezugspersonen bzw. Rollenvorbilder anzubieten. Die Kinder selbst berichten, dass sie durch ihre Erziehung tolerant und offen sind. Ca. 50 Prozent der Kinder haben bereits Hänseleien durch (hauptsächlich) Gleichaltrige erlebt. Gleichzeitig berichtet etwa die Hälfte der Kinder, bisher keine Diskriminierung erlebt zu haben. Die Forschungsergebnisse der Studie des Bundesjustizministeriums bestätigen, was Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum seit etwa 30 Jahren besagen.
Eine Untersuchung der Berliner Humboldt Universität aus dem Jahr 2011(3), die sich mit Kindern und Jugendlichen zwischen acht und 18 Jahren aus Regenbogenfamilien im Kontext Schule beschäftigt hat und die in Deutschland, Schweden und Slowenien durchgeführt wurde, kommt zu folgenden Ergebnissen:
Kinder und Jugendliche stehen unter einem starken Normalitätsdruck. In der Regel bedeutet „normal“ heterosexuell, das heißt, Kinder mit homosexuellen Eltern müssen sich innerhalb heteronormativer Strukturen positionieren. Sie müssen sich Strategien zulegen, um sich entweder mit den Peers oder mit der Familie zu identifizieren, sich abzugrenzen oder die eine „Partei“ gegenüber der anderen zu verteidigen. Kinder und Jugendliche meistern diese Loyalitätskonflikte auf unterschiedliche Weise. Ein Teil von ihnen nimmt eher keinen Bezug darauf, in einer „besonderen“ Familie aufzuwachsen, auch wenn die Jugendlichen selbst ihr Aufwachsen positiv erleben. Gerade zum Beispiel in Bezug auf Geschlecht und die damit verbundenen Zuschreibungen berichten Töchter und Söhne aus Regenbogenfamilien von größeren Frei- und Spielräumen, um die sie auch teilweise von ihren Peers beneidet werden. Ein anderer Teil der interviewten Kinder und Jugendlichen geht allerdings durchaus offensiv mit der individuellen Familiengeschichte um und ist stolz darauf.
Trotz aller rechtlichen Fortschritte und der damit einhergehenden größeren gesellschaftlichen Freiheit dominiert im Ort Schule nach wie vor das große Schweigen. Das Nicht-Vorkommen von Regenbogenfamilien in Schulbüchern und überwiegend auch in den Köpfen von Pädagog_innen führt potenziell zu Diskriminierung: Was nicht im Lehrbuch steht, gibt es nicht bzw. ist nicht „normal“. Diese Unsichtbarmachung schließt Kinder und Jugendliche mit lesbisch-schwulen-queer Eltern aus der Normalität aus. Daraus kann ein Gefühl entstehen, sich nicht „zugehörig“ zu fühlen.
Ausblick
Die oben genannten Forschungsarbeiten zu Regenbogenfamilien zeigen deutlich, dass gerade im Kontext Schule Handlungsbedarf besteht. Zum einen ist eine Erweiterung der Aus- und Fortbildungsinhalte unerlässlich, um allen Kindern und Jugendlichen die große Bandbreite von möglichen Familienkonstellationen wertfrei nahezubringen. Gleichzeitig gibt die Auseinandersetzung mit LGBT-Lebensformen allen Schüler_innen die Möglichkeit, sich mit erweiterten Spiel- und Handlungsräumen in Bezug auf Gender auseinanderzusetzen und so selbst möglicherweise zu mehr Freiheit zu kommen. Diese emanzipatorischen Aspekte können bereits in der Kita nutzbar gemacht werden. Denn für einen kreativen Umgang mit „Vielfalt“ ist es nie zu früh.
Fußnoten
(1) Aus: Familien- und Sozialverein des LSVD (2007): Regenbogenfamilien – alltäglich und doch anders.
(2) Rupp, Marina (Hrsg.) (2009): Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Bundesanzeiger Verlag, Köln
(3) Uli Streib-Brzič/Christiane Quadflieg (Hrsg.) (2011): School is Out?! Vergleichende Studie ›Erfahrungen von Kindern aus Regenbogenfamilien in der Schule‹ durchgeführt in Deutschland, Schweden und Slowenien. Teilstudie Deutschland.
Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin.
Literatur
- Familien - und Sozialverein des LSVD (Hrsg.) (2007): Regenbogenfamilien – alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogenes Fachpersonal. Köln.
- Gerlach, Stephanie (2010): Regenbogenfamilien – ein Handbuch. Querverlag, Berlin.
- Rupp, Marina (Hrsg.) (2009): Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Bundesanzeiger Verlag, Köln.
- Streib-Brzič, Uli/Gerlach, Stephanie (2005): Und was sagen die Kinder dazu? Gespräche mit Töchtern und Söhnen lesbischer und schwuler Eltern. Querverlag, Berlin.
- Streib-Brzič, Uli/ Quadflieg, Christiane (Hrsg.) (2011): School is Out?! Vergleichende Studie ›Erfahrungen von Kindern aus Regenbogenfamilien in der Schule‹ durchgeführt in Deutschland, Schweden und Slowenien. Teilstudie Deutschland. Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin.
Stephanie Gerlach ist Dipl.Sozialpädagogin und arbeitet in München als freiberufliche Referentin und Autorin zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen.