Möglichkeiten einer partizipativen Integrationspolitk - Das Beispiel der Stadt Leipzig

Streetart in Leipzig

von Dr. Birgit Glorius

Im Vergleich zu westdeutschen Ballungsräumen mag das Thema Migration und Integration in Ostdeutschland marginal erscheinen. In Leipzig besaßen 2011 ganze 8,6 Prozent der Gesamtbevölkerung einen Migrationshintergrund (Stadt Leipzig, AfSW 2011), während zum Beispiel in der etwa gleich großen Stadt Nürnberg 2010 der Migrant_innenanteil bei 39,5 Prozent lag (Stadt Nürnberg 2011: 11). Der Prozess der internationalen Zuwanderung wurde in Ostdeutschland in den vergangenen Dekaden  von regionaler Zu- und Abwanderung begleitet. Gerade in den Großstädten kam es so zu einer umfassenden Heterogenisierung und Pluralisierung der Bevölkerung.
 

Während der DDR-Zeit beschränkten sich die Erfahrungen im Zusammenleben mit Ausländer_innen meist auf die Begegnungen mit Vertragsarbeitnehmer_innen aus den sogenannten sozialistischen Bruderländern, die jedoch sehr isoliert lebten und vielfach mit der politischen Wende in ihre Heimatländer (z.B. Polen, Vietnam) zurückkehrten. In den Jahren nach der Wende stieg die Zahl der Ausländer_innen rasch an, wobei zunächst der Schwerpunkt bei temporär in Leipzig lebenden Vertragsarbeitnehmer_innen aus Ostmitteleuropa lag. Um die Jahrtausendwende differenzierte sich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund mehr und mehr aus. Neben dem meist zugewiesenen Zuzug von Spätaussiedler_innen und Flüchtlingen prägten zunehmend auch internationale Studierende und binationale Familien die städtische Gesellschaft.

Heute (2011) leben in Leipzig rund 44.000 Menschen mit Migrationshintergrund, die aus 164 Ländern stammen. Die häufigsten Herkunftsländer sind die Russische Föderation mit über 5.000 Personen, die Ukraine mit rund 3.000, Vietnam mit rund 2.800 sowie Kasachstan mit rund 2.000 und Polen mit rund 1.800 Personen. Weitere relativ häufige Herkunftsländer sind die Türkei, Irak und China (Stadt Leipzig, AfSW 2011). Von den 2009 in Leipzig gemeldeten Ausländer_innen besaßen 39 Prozent eine befristete Aufenthaltserlaubnis und 28,8 Prozent eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. 30 Prozent genossen als EU-Bürger_innen die Freizügigkeit des Aufenthalts, 2,1 Prozent verfügten über eine Duldung (vgl. Stadt Leipzig 2010: 8).

Instrumente städtischer Integrationspolitik

Der Umgang mit Migrant_innen war eine von vielen Aufgaben, die die städtischen Gesellschaften Ostdeutschlands nach der politischen Wende neu definieren und einüben mussten. In der ehemaligen DDR hatte man keinerlei Instrumente für eine etwaige „Integration“ entworfen, nun begann man, politische Instrumente und planerische Ansätze zu entwickeln und zu erproben, die das Zusammenleben in der Stadt ordnen und gestalten sollten. Die Stadt Leipzig war die erste ostdeutsche Kommune, die bereits im Frühjahr 1990 die Stelle eines Ausländerbeauftragten berief, der sich um die Belange der in Leipzig lebenden Migrant_innen kümmern sollte. Die Stelle wurde zu einem eigenständigen Referat ausgebaut, das sich als städtische Behörde ämterübergreifend darum bemüht, Diskriminierung abzubauen und Integration zu fördern.


Ein wichtiger Faktor von Integration ist die Möglichkeit, an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben zu können. Migrant_innen in Leipzig sind nach dem geltenden Kommunalwahlrecht aktiv und passiv wahlberechtigt, insofern sie die deutsche Staatsbürgerschaft oder die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedsstaates besitzen. Seit Februar 2009 existiert ein Migrantenbeirat, der als beratendes Gremium fungiert und sich über Anfragen, Stellungnahmen und Empfehlungen in die Kommunalpolitik einbringt. Dem Migrantenbeirat gehören neben sechs Vertreter_innen der Stadtratsfraktionen 16 in Leipzig lebende Migrant_innen an. Er stellt eine wichtige Partizipationsmöglichkeit und Interessensvertretung für Migrant_innen dar. Gleichwohl ist seine Wirksamkeit durch die lediglich beratende und empfehlende Rolle klar begrenzt.

Ein wichtiger Meilenstein der kommunalpolitischen Integrationsarbeit war die Verabschiedung der kommunalen Integrationsleitlinien am 19.01.2011 durch den Stadtrat (Stadt Leipzig 2011). In ihnen wird „Integration“ als beiderseitiger Prozess verstanden, „der gleichermaßen die Integrationsbereitschaft und die Integrationsbemühungen der Migrantinnen und Migranten einerseits und die Integrationsoffenheit und eine Willkommenskultur der Aufnahmegesellschaft andererseits voraussetzt“ (ebd., S. 1). Als übergeordnetes Ziel der städtischen Integrationspolitik wurde die Herstellung von Chancengleichheit für Migrant_innen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens formuliert. Die zentralen Handlungsfelder sind dabei Bildung und Erziehung, Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung, sozialräumliche Integration, der interkulturelle und interreligiöse Dialog, die interkulturelle Öffnung von Institutionen, politische Teilhabe und die Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus.

Zur Unterstützung der Integrationsleitlinien wurde erst vor kurzem (in den Jahren 2011/2012) durch das Referat für Migration und Integration ein Handlungskonzept erarbeitet, das in allen benannten Themenfeldern eine Problemanalyse durchführte und Handlungsempfehlungen formulierte. In die Konzeptentwicklung wurden neben Vertreter_innen aller relevanten Ämter der Stadtverwaltung auch Akteur_innen aus über 70 externen Institutionen, Interessenverbänden, Vereinen, Initiativen und nichtstädtischen Behörden eingebunden. In der Konsequenz der Problemanalysen wurde eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen identifiziert, die von den verschiedenen Ämtern der Stadt nun umzusetzen sind. Das Handlungskonzept soll im Laufe des Jahres 2012 vom Stadtrat verabschiedet werden. Seine Wirksamkeit wird stark davon abhängen, inwieweit der Integrationsgedanke als Querschnittsthema in den relevanten Fachabteilungen ausreichend verankert werden kann. Hierzu bedarf es mit Sicherheit der kontinuierlichen Lobbyarbeit und einer Förderung von bisher nur ansatzweise verbreiteten interdisziplinärer Denk- und Arbeitsansätzen. Zusätzliche Mittel zur Umsetzung der Maßnahmen sind kaum zu erwarten, und so kommt es, dass ein beträchtlicher Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen von den zuständigen Ämtern vorläufig als nicht durchführbar eingeschätzt wird.

Integration als Thema der räumlichen Planung und Stadtentwicklung

Integration ist eine Querschnittsaufgabe. Damit reiben sich entsprechende Handlungsansätze an der vorwiegend sektoral organisierten Verwaltungsarbeit. Allzu häufig stellt sich Verwaltungshandeln als situatives Reagieren auf akute Bedürfnisse oder Erlasslagen dar, und zwar innerhalb der Logik der einzelnen Fachressorts. Zudem sind die ressortspezifischen Planungen und Strategien nicht immer deckungsgleich, was die unterschiedlichen Teilräume der Stadt betrifft. Eine ausgleichende Funktion mit mittel- und langfristiger strategischer Ausrichtung hat die integrierte Stadtentwicklungsplanung, in der versucht wird, die Grenzen der Fachplanungen zu überwinden und der Heterogenität der städtischen Gesellschaft und der städtischen Teilräume gerecht zu werden. Stadtentwicklungsplanung ist grundsätzlich dem Gemeinwohl verpflichtet und zielt darauf ab, „die Chancengerechtigkeit von verschiedenen Teilräumen sowie von unterschiedlichen Alters- und Sozialgruppen der Stadtgesellschaft zu wahren“ (DST 2011: 6).

Bestandteil der (integrierten) Stadtentwicklungsplanung ist die Entwicklung von Beteiligungsinstrumenten, die allen gesellschaftlichen Gruppen eine aktive Mitwirkung in Planungsprozessen und die Wahrnehmung ihrer Interessen ermöglichen soll. Dies stellt sich immer wieder als große Herausforderung dar, vor allem dann, wenn es um die Frage der Verbindlichkeit von im Rahmen der Bürgerbeteiligung entwickelten Vorstellungen oder Forderungen geht. Problematisch ist auch das Abwägen von Gruppeninteressen gegenüber dem Gemeinwohl, wobei gesellschaftliche Minderheiten oder auch sozialräumlich weniger beachtete Quartiere mit weniger durchsetzungsstarken Bewohner_innen stets Gefahr laufen, in ihren Bedürfnissen gegenüber der gesellschaftlichen Mehrheit zurückstecken zu müssen. Sind Bedürfnisse von Migrant_innen betroffen, so kommen ihre gesellschaftliche Minderheitenposition und ihre sozialräumliche Verankerung in weniger bevorzugten Stadtvierteln oft zusammen und verstärken somit das Ausmaß der Benachteiligung.

Integration und Diversität im Leipziger Osten- eine Bestandsaufnahme

Die soziale Ausdifferenzierung der städtischen Bevölkerung führte weltweit in allen größeren Städten zur Entstehung spezifischer Quartiere, die mit Migrant_innen in Verbindung gebracht werden, weil diese sich dort bevorzugt niederließen. In Leipzig ist es ein östlich des Stadtzentrums  gelegenes innerstädtisches Quartier, das sich als Ankunftsraum für internationale Zuwander_innen herausgebildet hat. Der sogenannte „Leipziger Osten“ umfasst im Kern die statistisch abgrenzbaren Ortsteile  „Volkmarsdorf“ und „Neustadt-Neuschönefeld“. Das Quartier ist geprägt durch eine relativ schlichte gründerzeitliche Bausubstanz, durchzogen von Gebäuden in Plattenbauweise.

Der bauliche Verfall war zum Zeitpunkt der Wende stark fortgeschritten. Die Bewohnerschaft war geprägt von einem hohen Anteil traditioneller Arbeiterwohnbevölkerung, die von den Folgen der ökonomischen Transformation besonders stark betroffen war (Glorius, Hanslmaier, Schultz 2010: 35). Nach der politischen Wende traten sehr rasch soziale Entmischungsprozesse auf. Innerhalb von zehn Jahren verlor der Leipziger Osten ein Drittel seiner Bewohner_innen, teils durch Umzug in andere Stadtteile, teils durch Fernwanderung. Hohe Leerstandsraten und niedrige Mietpreise bewirkten einen selektiven Zuzug von einkommensschwächeren Haushalten, darunter viele Personen mit Migrationshintergrund. Die wichtigsten Herkunftsländer waren bis Ende der 1990er Jahre der Irak, Vietnam, die Ukraine sowie die Russische Föderation. Im Jahr 2009 hatte ein Viertel der Bewohner_innen einen Migrationshintergrund, während in der Gesamtstadt der Anteil bei 8,4 Prozent lag. Der Leipziger Osten besitzt aus der gesamtstädtischen Perspektive ein negatives Image, das selbst von seinen Bewohner_innen in den regelmäßig stattfindenden Bürgerbefragungen reproduziert wird. So werden die Faktoren „Kriminalität/Sicherheit“ und „Zusammenleben mit Ausländern“ ungleich häufiger als Problem benannt, als dies für die Gesamtstadt geschieht (vgl. Glorius, Hanslmaier, Schultz 2010: 56).

Die Bevölkerung des Leipziger Ostens war und ist überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit und Einkommensarmut betroffen. Fast zwei Drittel der hier lebenden Kinder unter 15 Jahren waren 2011 auf Transferzahlungen (Sozialgeld) angewiesen (Stadt Leipzig, AfSW 2011). Die schlechten sozioökonomischen Bedingungen, unter denen viele Menschen mit und ohne Migrationshintergrund im Leipziger Osten leben, fallen häufig mit geringem kulturellem Kapital in den Familien zusammen. Die Folgen zeigen sich deutlich anhand von zentralen Bildungsindikatoren. So ist an den Grundschulen des Quartiers der Anteil gymnasialer Bildungsempfehlungen stark unterdurchschnittlich, während der Anteil der Mittelschulabgänger_innen ohne Abschluss stark überdurchschnittlich ist (Stadt Leipzig, AfJFB 2011). Die Schüler_innen mit Migrationshintergrund haben mit multiplen Benachteiligungen zu kämpfen: Neben Einkommensarmut und einem wenig anregenden sozialen Umfeld sind sie oft von zuwanderungsbedingten Problemlagen betroffen, wie zum Beispiel schwachen Deutschkenntnissen oder geringen Unterstützungspotenzialen der Eltern.

Seit Anfang der 1990er Jahre wurden im Leipziger Osten großflächige bauliche Erneuerungsprozesse durchgeführt. Mit der Aufnahme in das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ und in das Europäische Förderprogramm EFRE „Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung“ begann im Jahr 2000 eine Phase der integrierten und akteursbezogenen Stadtteilentwicklung. Inzwischen überlagern sich im Leipziger Osten verschiedene Förderkulissen mit unterschiedlicher Laufzeit, die von verschiedenen Ämtern gesteuert werden. Daneben haben sich im Leipziger Osten auch eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen wie Vereine oder Stadtteilinitiativen etabliert. Eine große und aktive Rolle spielen Migrantenselbstorganisationen und interkulturelle Vereine, die teilweise aus dem Leipziger Osten heraus in die gesamte Stadt wirken. Als wichtige Beteiligungsform fungiert das mehrmals jährlich tagende öffentliche „Forum Leipziger Osten“, in dem themenbezogen aktuelle Entwicklungen und Handlungsoptionen diskutiert werden (vgl. Behling 2010, Gerkens, Hochtritt 2010).

Das Stadtteilentwicklungskonzept Leipziger Osten und seine Umsetzung

Im Rahmen der integrierten Stadtentwicklung wurde in den Jahren 2011 und 2012 ein Stadtteilentwicklungskonzept für den Leipziger Osten erstellt. Der Prozess wurde eingeleitet durch eine zweitägige „Stadtwerkstatt“, in der sich Akteur_innen des Stadtteils, Vertreter_innen aus Politik und Verwaltung sowie externe Expert_innen themenbezogen zusammenfanden, um eine Bestands- und Problemanalyse zu erstellen und erste konzeptionelle Bausteine zusammengetragen. Daraus formten sich thematische Arbeitsgruppen, die im Verlauf eines Jahres fachspezifische Teilkonzepte erarbeiteten. Integration wurde von Beginn an als wichtiges Querschnittsthema erkannt, Integrationsbelange wurden dementsprechend konzeptübergreifend geprüft. Ein maßgeblicher Impuls der Stadtwerkstatt war die aktive Umdeutung des Leipziger Ostens zu einem Quartier, das aufgrund der starken Präsenz von Migrant_innen eine überdurchschnittliche Integrationsleistung zum Wohle der Gesamtstadt erfüllt. Daraus wurde die Forderung abgeleitet, diese Leistung sowohl ideell als auch faktisch zu würdigen, zum Beispiel durch bevorzugte Berücksichtigung bei gesamtstädtischen Standortplanungen. Ein weiterer wichtiger Impuls war der Hinweis, angesichts des negativen Images des Begriffs „Leipziger Osten“ diesen im öffentlichen Diskurs möglichst zu vermeiden und stattdessen die einzelnen Teilquartiere zu benennen, die in den vergangenen Jahren eine sehr heterogene Entwicklung genommen haben. Auch dies war neben der Anerkennung der gesellschaftlichen Pluralität und sozialräumlichen Vielfalt der Versuch, das Quartier zu destigmatisieren und damit aufzuwerten.

Ein Gymnasium für den Leipziger Osten

Die Arbeit der Themengruppen wurde durch die im Stadtteil etablierten Formen der Bürgerbeteiligung begleitet. Ein Vorschlag, der sehr intensiv diskutiert wurde, war die Etablierung eines Gymnasiums an einem zentralen Ort im Quartier, von dem man sich verschiedene Impulse erhofft. Derzeit existiert kein Gymnasium im Leipziger Osten, die Gymnasiast_innen des Viertels sind gezwungen, auf andere Stadtviertel auszuweichen was gerade für einkommensschwächere Familien eine Hürde darstellt. Denn die geographische Nähe kann entscheidend bei der Wahl des gymnasialen Bildungsgangs für die eigenen Kinder sein. Zum anderen wurde der Neubau eines Gymnasiums mit einem besonderen Profil als notwendiger „Leuchtturm“ im Quartier gewünscht, das bislang praktisch keine Einrichtungen mit gesamtstädtischer Funktion besitzt. Die zu erwartenden Schüler_innenzuströme aus anderen Quartieren würden eine weitere Chance bieten, den Leipziger Osten wieder stärker in das Bewusstsein der Gesamtstadt zu rücken.

Da im Rahmen der zeitgleich aktualisierten Schulentwicklungsplanung ein mittelfristiger Bedarf an mehreren neuen Gymnasialstandorten in der demografisch wachsenden Stadt formuliert wurde, stieß der Vorschlag, ein Gymnasium im zentrumsnahem Osten der Stadt zu etablieren, grundsätzlich auf Interesse. Im Rahmen der Bürgerbeteiligung im Stadtteil wurde der Vorschlag ausformuliert, eine Stadtratsfraktion unterstützte den Vorschlag dann und brachte ihn in den Stadtrat ein. Dieser beschloss, die Verwaltung mit der Suche nach einem geeigneten Baugrundstück zu beauftragen, unter Einbeziehung des Forums Leipziger Osten (Stadt Leipzig 2012).
Die fachliche Weiterverarbeitung des Beschlusses sah unter anderem die Prüfung geeigneter Liegenschaften vor, die zeitnah und kostengünstig zur Verfügung stehen. Als derzeit günstigste Option wurde die Reaktivierung eines zum Leipziger Osten randlich liegenden Schulgebäudes priorisiert, was die erhofften Impulse für das Quartier vermutlich nicht auslösen wird. Im Forum Leipziger Osten fand der Standort dementsprechend keine Zustimmung und man entwickelte Alternativvorschläge. Da das Gremium jedoch lediglich empfehlenden Charakter hat, hängt seine Durchsetzungskraft davon ab, inwiefern sich eine entsprechende Lobby für das Quartier bzw. die Belange der Integration im Stadtrat findet.

Es stehen sich hier zwei Dinge gegenüber: Zum einen die grundsätzliche Bekenntnis zu querschnittsbezogenen Aufgaben wie der Integration von Migrant_innen und der integrierten Stadtteilentwicklung, was auch die Vorrangstellung sozial benachteiligter Quartiere beinhaltet. Zum anderen die Erfordernisse der gesamtstädtischen Schulnetzgestaltung, die derzeit auf rapide wachsende Schülerzahlen zügig und kostenschonend reagieren muss. Wie die Entscheidung für den Schulstandort aussehen wird, ist zur Zeit noch nicht absehbar.

Neue Partizipationskonzepte für Leipzig - Ein Fazit

Mehr und mehr fordern Migrant_innen und ihre Organisationen eine partizipative Integrationspolitik ein, was das Aufgeben von Defizitorientierung und Abgrenzung voraussetzt. Zugleich wird deutlich, dass Integration eine Querschnittsaufgabe ist, die sich durch alle Planungs- und Lebensbereiche zieht und in allen Institutionen berücksichtigt werden müsste. Dieser Herausforderung wird im Leipziger Osten im Rahmen der integrierten Stadtteilentwicklung durch Maßnahmen der Bürgerbeteiligung entsprochen, so dass der Stadtteil eine Vorreiterrolle für die Gesamtstadt einnimmt. In diesem Prozess ergeben sich immer wieder Konfliktpunkte zwischen den im Rahmen von Beteiligungsprozessen erarbeiteten mittel- und langfristigen Entwicklungsstrategien einerseits und kurzfristigen Handlungserfordernissen andererseits, die häufig durch situative Entscheidungen entstehen und teilweise die bereits beschlossenen Entwicklungsstrategien konterkarieren.

Diese Verfahrensweise ist nicht migrationsspezifisch, sondern sie zeigt vielmehr, dass Elemente der direkten Demokratie bislang nicht ausreichend in die Entscheidungsprozesse von kommunalen Verwaltungen und politischen Verfahren integriert sind. Dieses Manko wirkt sich auf gesellschaftliche Minderheiten besonders stark aus, da sich hier verschiedene Kategorien der Nicht-Berücksichtigung wechselseitig überschneiden.

Zukünftig sollte weiter an der strategischen Vernetzung der Akteur_innen gearbeitet werden, die die Umsetzung des neuen Stadtentwicklungskonzepts im Leipziger Osten kritisch begleiten. Das „Forum Leipziger Osten“ wird weiter ein wichtiges Sprachrohr der Bürgerschaft sein, das auch die Wirkmächtigkeit besitzt, konkrete Forderungen an den Stadtrat zu stellen. Dabei muss immer wieder aufs Neue sichergestellt werden, dass das Forum Leipziger Osten allen Bewohner_innen des Stadtteils offen steht, unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialem Status oder Art des Migrationshintergrundes.

Literatur

 

 

Dr. Birgit Glorius, geb. 1970, Diplom-Geographin, promovierte zur polnisch-deutschen Migration und dem Phänomen der Transnationalisierung. Derzeit ist sie im Rahmen des Strukturprogramms "Lernen vor Ort" als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stadt Leipzig tätig. In ihren Forschungsarbeiten und Publikationen beschäftigt sie sich unter anderem mit internationaler Migration, Integration und Identitätsentwicklung sowie mit dem Nexus von Integration, Bildung und sozialräumlicher Entwicklung.


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Dr. Birgit Glorius, ist im Strukturprogramm der Stadt Leipzig "Lernen vor Ort" als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Sie forscht u.a. zu internationaler Migration, Bildung und sozialräumlicher Entwicklung.