The Living Archive: kulturelle Produktionen und Räume

Colonialism Lack auf Blattgold, 42x29,7 cm © Melody LaVerne Bettencourt 2012

 

Kulturelle Produktionen lassen sich neben ihren ästhetischen Dimensionen als Wissensproduktionen und Wissensplattformen begreifen. Kunst undKultur bewegen sich nicht im luftleeren Raum, sondern transportieren Symbole, Ideen, sinnliche Erfahrungen und Bilder, die kontextualisiert werden müssen. Die oftmals symbiotischen Verflechtungen von Kunst und Politik stehen dabei im Fokus der Auseinandersetzungen.

Das Dossier „The Living Archive: kulturelle Produktionen und Räume“ stellt Standpunkte und kreative Prozesse aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteur_innen zusammen, um ein differenziertes Bild des komplexen Geflechts von Kunst/Kultur und Migration/Postkolonialismus in Deutschland und darüber hinaus zu kartografieren.

Im Kontext von Migration ist es unvermeidlich, Kunstprozesse mit postkolonialen Perspektiven auf die westliche Moderne und die Globalisierung zu verknüpfen. Verhandlungen von Identitäten und Differenz sind oftmals im Fokus vieler Kunstschaffender. Die globale Kunstszene scheint dabei besonders die „Grenzgängerinnen und Grenzgänger“ zwischen verschiedenen Kontinenten und Kontexten zu inspirieren. Viele dieser Arbeiten beschäftigen sich daher mit Themen wie Migration, Heimat, Exil und Diaspora, Flucht und Zugehörigkeit. Im Zusammenhang mit der Konstruktion und dem Affirmieren des/der „Anderen“ kann folgende Fragestellungen aufgeworfen werden: Wie werden Künstler_innen und Kulturschaffende of Color im deutschen und westlichen Kulturbetrieb repräsentiert? Wie verorten sich die Akteur_innen in ihrem professionellen Selbstverständnis? Welche (Gegen)Strategien werden imaginiert, entwickelt und umgesetzt?

Das Format von „The Living Archive: kulturelle Produktionen und Räume“

Als Ausgangspunkt nimmt das Dossier das „Archiv“ als Medium. Im klassischen Sinne ist ein „Archiv“ eine Sammlung, die nach bestimmten Ordnungskategorien funktioniert. In einem Archiv wird das Vergangene klassifiziert und fixiert. „The Living Archive“ versteht sich als imaginäres Archiv, welches die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen schriftlichen und alternativen Überlieferungen und zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren verwischt und neu miteinander verwebt. In diesem Dossier geht es primär darum, simplifizierende Binarismen, zugewiesene Identitätskategorien und Mechanismen von Ein- und Ausschluss in Frage zu stellen, neu zu verhandeln und zu durchbrechen. Behandelt werden Themen wie diasporische Identitäten, Repräsentationen, postkoloniale Verbindungen und deren Einflüsse auf Kunst und Kunstschaffende.

Die vier folgenden Sektionen des Dossiers fungieren als Öffnungen, die im Sinne von Interpenetration zwischen verschiedenen Reflektionen und ästhetisch-künstlerischen Genres im Dialog zueinander stehen. Darin werden Stimmen und Visionen von Künstler_innen und Kulturschaffenden in Form von Texten und audio-visuellen Beiträgen hörbar und sichtbar.

Framing It

In diesem Diskussionsraum stehen Herausforderungen, Ansätze und Forderungen nach Teilhabe und Zugehörigkeit in gesellschaftlichen Strukturen im Mittelpunkt. Wie verhalten sich der deutsche Kunst- und Kulturbetrieb und Kulturschaffende of Color zueinander? Worin bestehen die Ungleichheiten und die strukturellen Diskriminierungen? Welche Konzepte und Initiativen gibt es, um diesen entgegenzuwirken?

Re-telling

Dieser zweite Raum widmet sich der Geschichtsschreibung und den Legitimationsprozessen postmigrantischen und diasporischen Kunst- und Kulturschaffens. Wie sehen postmigrantische Positionen und Strategien aus? Welche alten und neuen Kunstformen und –sprachen können dadurch entstehen?

Shared Experiences

An dieser Stelle des Dossiers kommen Perspektiven aus kuratorischer und künstlerischer Praxis, zu Ausdrucksformen und Formaten im Kontext von diasporischen Bewegungen sowie zu Transkulturalität und Partizipation zum Vorschein.

Studio Visit

In diesem Teil geht es um einen virtuellen und erlebbaren Kunstraum. Die vier vorgestellten Künstler_innen greifen dabei Themen und Bilder auf, die sie beobachten und politisch und/oder persönlich bewegen. Das Leitmotiv ist auch hier das „Archiv“ als Medium.

 

Julia Brilling                                  Aicha Diallo
Heinrich Böll Stiftung                    Dossier Redaktion

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Colonialism Lack auf Blattgold, 42x29,7 cm
© Melody LaVerne Bettencourt 2012

 

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Aicha Diallo ist Kulturschaffende im internationalen Kunst- und Kulturbereich mit dem Fokus auf afrikanischen und afrodiasporischen Kontexten unter anderem im Rahmen des Literaturprojekts „Pilgrimages“ (Chimurenga und Chinua Achebe Center for African Writers and Artists, Kapstadt, 2010) und des Kunstprojekts „prêt-à-partager“ (ifa, Berlin, 2011-12). Seit 2012 arbeitet sie beim neuen Onlinemagazin für zeitgenössische afrikanische Kunst „C&\Contemporary And“ (ifa).