„Der Türke in der Mülltonne“ oder wie die Türken den Türkenwitz retteten

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Clown

von Murat Kayi


Der Türkenwitz ist auch nicht mehr das, was er mal war.
Und zwar, weil die Türken es geschickter gemacht haben,

als die Spanier seinerzeit.

Alle liebten "Fawlty Towers", die britische Sitcom um einen cholerischen und unhöflichen Hotelbesitzer, gespielt von John Cleese. Die Serie erlangte in den 1970er Jahren schnell Kultstatus und wurde in 17 Länder verkauft. Eine wichtige Figur war der spanische Kellner Manuel, der kaum englisch sprach. Manuel war liebenswert und enthusiastisch, leider jedoch begriffsstutzig wie hundert Kilo Mett und stets chaotisch. Viele der lustigsten Situationen kreisten um ihn und die Wutanfälle seines Chefs, der ihm bei jeder Gelegenheit Prügel androhte. Engländer, Deutsche, US-Amerikaner und Italiener lachten über Manuel. Auch ich lachte über Manuel. Alle fanden es urkomisch, bis auf die Spanier. Dort floppte die Serie sofort. Das war rätselhaft, denn Manuel war lustig! Hatten die Spanier keinen Sinn für Humor?

Ein Produzent hatte schließlich den rettenden Einfall. Für das spanische Fernsehen wurde aus dem spanischen Trottel namens Manuel ein italienischer Trottel namens Paolo. Mit einem Mal konnten die Spanier die ganze Komik erkennen! Was für ein Idiot, dieser Paolo! Die Serie wurde ähnlich beliebt wie andernorts auch.

Lachen befreit. Gerade über die unerträglichsten oder aber beklemmendsten Dinge Witze zu machen, ist besonders wichtig. Dafür muss man nicht erst die deutsche Geschichte und Witze im dritten Reich bemühen. Der amerikanische Komiker Jeff Dunham hat mit seiner Bauchrednerpuppe "Achmed - der tote Terrorist" Millionen von Amerikanern vor allem deswegen so begeistert, weil diese seit Jahren schon in einem Dauerzustand von Alarmbereitschaft und aufkeimender Terrorpanik gehalten wurden. Irgendwann ist dann einfach Schluss mit der Anspannung. Der Mensch macht innerlich einen Schritt zur Seite und beginnt über die eigenen Ängste und Vorbehalte zu lachen. Diese wunderbare Fähigkeit, eine Wende herbei zu lachen ist es, was man unter Humor versteht. Ein Lachen über eine solche Schreckensfigur ist eben auch immer Lachen über einen Teil von sich selbst.

Die Sehnsucht nach Ent-Sorgung

Wieviel Spanier nun wirklich in Manuel steckt ist unklar. Zumindest konnten die Spanier sich nicht selbst in ihm erkennen, nachdem man den Kellner als Italiener ausgegeben hatte. Manuel oder Paolo, wichtig ist ja, dass er Südländer ist, kaum ein Wort versteht und nicht besonders helle ist.

Diese Kurzbeschreibung der südländischen Einwanderer dürfte ungefähr den Halbwissensstand der meisten einheimischen Mittel- und Nordeuropäer zur Entstehungszeit von "Fawlty Towers" wiedergeben. Es waren die siebziger Jahre. Die Ausländer waren da. Sie machten wenig Anstalten, wieder abzureisen. So hatten sich die Deutschen das aber nicht vorgestellt.

Der Plan war, dass die Gastarbeiter kurz in Deutschland aufkreuzen, ein bisschen beim Aufschwung mithelfen und sich dann eigenständig wieder in großen Karawanen auf den Rückweg machen würden. Die Deutschen winken am Wegesrand, dann Tor zu, durchfegen und Ruhe im Karton!

Stattdessen wurden Ehen geschlossen, Autos gekauft und Geschäfte gegründet. Die Gastarbeiter richteten sich häuslich ein und waren schon längst etwas ganz anderes: Einwanderer nämlich. Nur hießen sie nicht so, sondern eben „Gastarbeiter“. "Einwanderer" aber war als Wort immer noch tabu. Sie dürfen selbst heute noch nicht so heißen. Um das Wort "Einwanderer" zu umgehen und auch einen neuen Sammelbegriff für eingebürgerte Südländer zu haben, gibt es heute das Wort "Migranten". Darin steckt zwar "wandern", aber die Richtung ist noch nicht raus. Mit ein bisschen Glück könnte ja vielleicht doch noch "abwandern" draus werden, oder was auch immer hier der stiftende Gedanke war - ich weiß es nicht.

Tatsache ist jedenfalls, dass vom soliden Halbwissen der siebziger Jahre bis zum heutigen Tag eine gewisse Sehnsucht zu erkennen ist, „der Türke“ möge doch woanders hingehen. Und diese Grundhaltung zeigte sich in einem Zyklus von Mülltonnen-Witzen, die zu den ganz frühen Exemplaren von Türkenwitzen zählen. Witze, in denen Türken und Mülltonnen vorkommen, sind nämlich meine ganz frühen Erinnerungen an Türkenwitze.

"Was ist eine Mülltonne unter der Ampel? - Türkendisco!"
"Warum hat ein türkischer Sarg nur zwei Griffe? - Weil eine Mülltonne nur zwei Griffe hat!"
"Was ist ein Türke mit zwei Mülltonnen? - Ein Immobilienmakler!"

Die Mülltonne als natürlicher Lebens- und Ablebensraum der Türken. Hier ging es nicht in erster Linie um den Gestank. Hier ging es darum, dass man sich dringend wünschte, man könne die Türken irgendwie zur Entsorgung abgeben und sei sie los. Was macht man denn mit so einem Türken, wenn die Arbeit getan ist? Wohin mit ihm?

Der Duft der großen weiten Welt

Ich erinnere mich natürlich noch genau so gut an die Beschwerde, Türken brächten einen unglaublichen Gestank mit. Dieses Vorurteil ist nur auf den ersten Blick eines, denn tatsächlich rochen Türken anders. Ich muss oft daran denken, wie meine Mutter irgendwann in einem großen Entrüstungsanfall beteuerte, Deutschland habe keinerlei Kultur gehabt, als sie hier angekommen sei. Es gab kein Gemüse, außer Kohl und Kartoffeln. Auberginen, Zucchini, Okraschoten, Olivenöl - alles unbekannt und nicht zu haben. Tomaten waren suspekt und Knoblauch verpönt. Winters wie Sommers saß man in der Gastronomie in dunklen eichenvertäfelten Wirtshöhlen, schaute grimmig drein und aß schwer Verdauliches. Freude am Genuss und vielschichtige Esskultur seien türkisches Verdienst, und überhaupt hasse sie Mehlschwitzsoßen. Dabei schwang sie einen hölzernen Kochlöffel.

Deutschland war mir bis dato nicht als kulturfreies Land aufgefallen, aber ich erinnere mich noch gut an das Wort "Kümmeltürke", das man heute so gut wie gar nicht mehr hört. Heute kaufen alle Olivenöl, aber "extra vergine", bitte schön, obwohl niemand so recht weiß, was das heißen soll. Und wer inzwischen sogar mit Glasnudeln, Wok und Stäbchen hantiert, findet den Geruch nach Kümmel alles andere als ungewöhnlich.

"Kümmeltürke" ist ein schöner Begriff, denn er beschreibt die Nase eines Menschen, der auf ungewohnte Düfte stößt. Außerdem gefallen mir die zwei "ü"’s darin. Ich war als Kind noch nicht so begeistert von dem Wort, aber schließlich waren da ja die Mülltonnenwitze und auch ein paar Witze, in denen es ums "Vergasen" ging. Und wenn die Nachbarskinder begeistert Udo Lindenbergs "Sie brauchen keinen Führer" sangen ("Früher waren's die Juden und heute sind die Türken dran!"), dann missverstanden sie ihn katastrophal falsch als Türkenhass-Rocker.

In einem derart undifferenzierten Wirbel aus Abscheu ging "Kümmeltürke" als eher harmlos unter. Rückblickend aber steht dieses Schimpfwort am Anfang einer Entwicklung. Hier hatte jemand schon mal türkisch gehört und mitbekommen, dass sich mitunter tatsächlich irrwitzige Umlautverkettungen ergeben. Als deutschsprachiger Zuhörer weiß man zwar nichts von kleiner Vokalharmonie und den grammatikalischen Zusammenhängen im Türkischen, aber das muss man auch nicht, um ein Wort mit siebzehn Umlauten lustig zu finden. Dazu das Wundern über fremde Würze, fertig ist das Schimpfwort.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich eines Tages sehr bestürzt war, im Kochtopf meiner Mutter ein Gericht mit einem umwerfenden Geruch nach Kümmel vorzufinden. Großartig, dachte ich, sind wir am Ende doch Kümmeltürken. Und die Italiener sind Spaghettifresser. Und die Deutschen? Die Deutschen sind natürlich "Kartoffeln".

Der real existierende Türke – Abnutzungserscheinungen

Etwas sehr wichtiges hatte damals in dem Wort Kümmeltürke seinen Anfang genommen. Die Deutschen begannen, ihre Türken kennen zu lernen, ob sie wollten oder nicht. Man kann nun wirklich nicht Jahrzehnte Tür an Tür mit jemandem leben, ohne mindestens ansatzweise etwas über den anderen Menschen dort zu erfahren. Die Witze allerdings blieben lange auf dem Niveau der stumpfen Abarbeitung üblicher Vorurteile, wie Gestank, Faulheit und natürlich notorischer Hang zum Diebstahl. Diese Eigenheit scheint Türken und Polen so eng zu einen, dass sie sich oft denselben Witz teilen müssen.

"Ein Türke und ein Pole sitzen im Auto. Wer fährt? - Die Polizei!"
"Ein Türke wechselt den Reifen an seinem Auto. Ein Pole sieht ihn, steigt ins Auto ein und fummelt am Radio herum. Der Türke steht auf und spricht ihn an:
'Eh, was machst Du da?!'
Der Pole: 'Shh, ich das Radio, du die Reifen!'"

Es ist mir unbegreiflich, warum ich mich aus all den Jahren an keinen Witz über türkische Lärmpegel erinnern kann, denn meine Mutter sowie eigentlich alle ihre Bekannten und Verwandten brüllten stets in den Telefonhörer, als müsse man die Distanz mit den Stimmbändern allein überbrücken. Deutsche Familienfeiern in der Pflegefamilie waren dagegen stets gesittet und ruhig, mit Kaffee und Kuchen und Katzentisch. Beim Essen spricht man nicht. Wenn aber auf türkischer Seite Familie und Freunde zusammenkamen, hatte ich manchmal den Eindruck, sie telefonierten alle noch miteinander. Vielleicht ließe sich da was machen, Türken und Lärm - damit kann jeder etwas anfangen. Aber so nah dran an echten Eigenheiten soll der Witz nun auch nicht sein. Ein Witz funktioniert nur mit handfesten Vorurteilen. Das macht ihn letztlich auch so harmlos.

Und das ist schließlich und endlich auch der Grund, warum der Türkenwitz sich verändert hat. Die Vorurteile waren da, aber sie hatten einfach auf Dauer zu wenig Bestand neben den realen Türken der zweiten und irgendwann sogar dritten Generation. Mit denen stimmte natürlich auch so einiges nicht, aber spätestens Ende der achtziger Jahre betrachtete man die Türken anders als in den sechziger oder siebziger Jahren. Es war Zeit für eine neue Generation von Witzen.

Mit den Wölfen heulen, nur lauter! Und genau hier ging der Türkenwitz durch einen wundervollen Wendepunkt, den ich in meinem Leben bis zu einem ganz bestimmten Abend in eben den späten achtziger Jahren zurückverfolgen kann. Meine Schulfreunde und ich kamen beim Geburtstag von ich-weiß-nicht-mehr-wem zusammen. Das Essen lag hinter uns, mit Tanzen würde es nichts werden, also saß man im Wohnzimmer und knabberte Snacks beim Blödzeuglabern. Irgendwann stimmte jemand einen Türkenwitz an. Ich gäbe was drum, wenn ich mich noch erinnerte, um welchen Witz es sich gehandelt hatte, aber das ist hier nicht so wichtig.

Der Witz war passabel schlecht, aber vor allem war er falsch platziert, denn er wurde mit Eiseskälte aufgenommen. Die Oberstufe eines handelsüblichen Gymnasiums mit halbwegs aufgeklärten Geistern und zweistelligem Prozentsatz türkischer Mitschüler stand natürlich weit über solchen Dingen wie Türkenwitzen. Oder zumindest hätten sich wahrscheinlich alle gewünscht, der Idiot hätte einfach gewartet, bis die beiden anwesenden Türken bereits auf dem Heimweg waren. Ich finde, man muss diesem jungen Mann hoch anrechnen, dass ihm unsere Anwesenheit schnurzpiep-egal war. Wie dem auch sei, der Witz stand im Raum wie plötzlicher Furzgestank. Es entstand eine peinliche Stille. Man meinte, das Witzvakuum direkt zu sehen. Diese Art Witz ging einfach nicht mehr. Und in diesem Augenblick übernahm Suat die Kontrolle. Er grinste und lehnte sich vor.

"A propos Türkenwitz, kennt ihr den? Was ist ein Türke mit 'nem Taschenrechner auf einem Esel? - Knight Rider!"

Wir brachen in unverhältnismäßig schallendes Gelächter aus, das wohl auch einer gewissen Erleichterung zuzuschreiben war. Dieses Gefühl von Leichtigkeit, das Suat da praktisch für uns alle erfunden hatte, reißt seitdem einfach nicht mehr ab. Was hatte er getan? Zunächst einmal hatte er Absolution erteilt. Es wurde ein Türkenwitz erzählt? Kein Problem. Die Gesäßmuskulatur der deutschen Ureinwohner entspannte sich geradezu sichtlich, allein weil niemand eine Toleranzdebatte eröffnete. Damit entwaffnete er den Witz und den Erzähler. Außerdem war der Witz auch noch lustig. Ich glaube, man kann diesen Witz auch genau so in Istanbul erzählen, vorausgesetzt, der Zuhörer weiß mit David Hasselhoffs sprechendem Supercomputer-Automobil noch etwas anzufangen. Vielleicht müsste man, getreu des Manuel-Prinzips, aus dem Türken noch einen "Anatolen" machen.

Ich war sofort von all diesen Punkten begeistert. Ich ging auf die Suche nach guten Türkenwitzen, um sie in solchen Situationen parat zu haben. Doch schon bald reichte mir das nicht mehr aus. Ich wartete gar nicht erst ab, bis ein Nicht-Türke den Anfang machte. Mit diebischer Freude brachte ich auch lebendigste Unterhaltungen zum Verstummen, indem ich anfing mit: "Kommt ein Türke und ein Deutscher zum Arzt…"

Die Verwirrung über den Rollentausch hätte auch nicht größer sein können, wenn ich mit Frauenkleidern aufgekreuzt wäre. Die Gesichter waren unbezahlbar. Aber auch das war mir aufgefallen: Wenn der Türkenwitz lustig genug war, lachten sogar die intellektuell auf Toleranz getrimmten Gymnasiasten, quasi leicht unter Niveau. Konnte man mit dem richtigen Witz vielleicht etwas über die Lachenden erfahren?

Die meisten Menschen, mit denen ich seither über das Thema Türkenwitze gesprochen habe, sind eher der Meinung, ein Witz verrate etwas über den Charakter des Erzählers. Das halte ich für problematisch, denn ein Witz muss oft Dinge verunglimpfen, die einem Erzähler ebenfalls wichtig sind, denn wo bliebe sonst die Grenzüberschreitung? Viel interessanter finde ich da die Frage, warum die Zuhörer etwas lustig finden. Und so platzierte ich Türkenwitze besonders gern in jenen Kreisen, die sich selbst für am weitesten fortgeschritten hielten, wenn es um Toleranz ging. Türkenwitze für die Scheißliberalen!

Heimisch im Dazwischen: die Geburtsstätte des neuen Türkenwitzes

Warum war mir das nicht früher eingefallen? Wahrscheinlich, weil ich und die anderen Türken in meinem Alter viel zu lange mit dem Versuch beschäftigt gewesen waren, dazu zu gehören. Wir wollten die Unterschiede einebnen, sprachen mit Hingabe hochdeutsch und vertieften uns in deutsche Lyrik. Als wollten wir sagen: „Seht her! Wir sind wie Ihr!“ Doch irgendwann ahnten wir, dass all das nicht ausreichte. Man konnte noch so gut deutsch sprechen, das einzige Ergebnis war, dass man allerorten erklären musste, warum man eigentlich die Sprache so gut sprach.

In dieser Zeit ging eine Wandlung mit den Türken in Deutschland vor sich, und mit ihnen veränderte sich der Türkenwitz. Wenn ihnen jetzt jemand vollendete Toleranz auf dem Silbertablett angeboten hätte, er hätte nur Schulterzucken geerntet. Es ging bereits um mehr. Wer zu alt war, igelte sich vielleicht ein, aber die jungen Türken planten eine Zukunft in diesem Land. Also gingen sie herum und sprengten beispielsweise Gesprächsrunden mit dem neuesten Türkenwitz. Sie wollten nicht nur sehen, wer lacht. Wenn schon jemand Türkenwitze erzählt, dann bitte sie selbst. Und sie durchschauten ihre Zuhörer erschreckend gründlich.

Ein Deutscher, ein Russe, ein Franzose und ein Türke sitzen im Flugzeug. Sie geraten in Turbulenzen. Der Pilot sagt durch, dass Ballast abgeworfen werden muss. Der Franzose schmeißt einen ganzen Koffer mit Baguettes raus. 'Davon habe ich eh zuviel!' Der Pilot ist noch nicht zufrieden, sie sinken immer noch. Darauf nimmt der Russe eine ganze Tragetasche voll mit Wodka und ruft 'Das kann auch noch raus, davon haben wir noch genug zu Haus!' Immer noch ist das Flugzeug zu schwer, der Pilot will noch mehr Ballast `raushaben, da wendet sich der Türke an den Deutschen: 'Alter, bau jetzt bloß keinen Scheiß, klar?!’

Der Türkenwitz war zum türkischen Witz geworden, und zwar zu einem, wie es ihn nur in Deutschland geben konnte.

Was noch durch den Kakao muss

Heute haben die Türken ihr eigenes Klischee fest im Griff. Die türkische Comedy ist ein eigenes Genre, Kanaksprak, oder wie ich in meinem Soloprogramm noch lieber sage "Assisch", ist schon längst nicht nur Gegenstand sprachwissenschaftlicher Untersuchungen sondern auch Gemeingut für die ad-hoc Parodie von Entertainmentallaien zwischen Schulhof und Büroflur. Die Frage ist, ob und wann sich das Klischee tot läuft. Der Schnauzbartproll oder der renitente Rentner sind ja Typen, die man im Lauf der Jahrzehnte immer wieder auf der Bühne sieht. Wird das mit den Türken auch so sein? Werden wir jetzt bis ins Jahr 2050 über türkische Türsteher, Drogendealer und Discotussis lachen? Das wäre grausig. Vielleicht wird ja auch irgendwann einfach die Belegschaft erweitert: der bigotte Imam, der schlitzohrige Gemüsehändler und so weiter. Am Ende hätten wir dann so eine Art Schwank im Soziolekt des Assischen. Das Millowitsch-Theater auf Migrant. „Heute Abend live aus dem Müllowitsch-Theater in Marxloh: Alis Tante und die zwanzig Brüder!“

Dann doch lieber die Grenze zum Theater abseits der Hauptverkehrsstraßen übertreten. Wenn Serdar Somuncu die Bühne räumt, um störende Neonazis darauf zu postieren und dann weiter Hitler zitiert, bis der Saal sich vor Lachen biegt, dann ist die Entmachtung der früheren Türkenwitzerzähler perfekt.

Der witzige Türke im Fernsehen hat noch eine große Zukunft. Also alles in Butter, könnte man meinen. Aber ich trau dem Braten nicht, noch lange nicht. Denn inzwischen sind die Deutschen einen Schritt weiter und nehmen den Türken nicht in seiner Eigenschaft als türkischstämmig wahr, sondern in seiner Eigenschaft als Moslem. Die in den Neunzigern bereits vorbereitete Hysterie um den Islam als gesamtgesellschaftlichen Erbfeind richtet den Blick der Vorurteile auf einen Bereich, über den die Türken einfach noch keine Witze machen. Das entmachtet sie in einer ähnlichen Art und Weise, wie sie seinerzeit den Witzen um Türken in der Mülltonne nur hilflos zuschauen konnten. Ich warte noch auf einen solchen Befreiungsakt, wie ich ihn damals mit Suat und seinem Türkenwitz erlebt habe. Ich warte darauf, dass Moslems sich ein paar gute islamische Witze einfallen lassen. Dann wäre der Anfang für eine Entmachtung derjenigen gemacht, die sich vor allem Fremden fürchten. Denn wer lacht, vertraut.

 

November 2011

 

Bild entfernt.

Murat Kayi ist mit seinem Soloprogramm auf Deutschlands Kleinkunst- und Theaterbühnen unterwegs. Als freier Autor hat er journalistische Beiträge für Magazine, Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht.