von Alexander Weheliye
Wenn hier die Präsenz von Schwarzen Deutschen in der Popmusik beleuchtet werden soll, so stellt sich zu allererst die Frage, welche KünstlerInnen z. B. in diese Rubrik aufgenommen werden sollen - Dance acts wie The Real McCoy, Lou Bega, Milli Vanilli, oder Roberto Blanco und Ramona? All diese MusikerInnen sind zwar afro-deutsch, aber präsentieren sich weder in ihren Texten noch in Interviews als solche. Mit anderen Worten, afro-deutsche Identitäten spielen eine sehr untergeordnete Rolle in den performativen Dimensionen der oben genannten KünstlerInnen, so dass ihre Schwarzen Identitäten letztlich als beiläufig erscheinen, obwohl diese einen nicht minder wichtigen Teil des Reizes ihrer Musik ausmachen. Gerade weil diese SängerInnnen eben diese Identitäten selber nicht thematisieren, werden verschiedene Bedeutungen von Außen auf ihre künstlerischen Produktionen projiziert. So erscheint Roberto Blanco’s übertriebene „Deutschtümlichkeit“ eher belustigend im Hinblick auf sein äußeres Erscheinungsbild.
Rassismuskritik im HipHop der 90er Jahre
Die Wende zu einer expliziten Artikulierung des Themas; Schwarze Identitäten kam vor allem durch die Entstehung von Hip-Hop in den USA und dessen spätere Adaption und Reformulierung im deutschen Kontext zustande. Hip-Hop ermöglichte Schwarzen KünstlerInnen ihre Identität in einer offensiven Art und Weise zu präsentieren. Obwohl es schon in den achtziger Jahren einige afro-deutsche Rapper gab und die Gruppe Exponential Enjoyment einen Track mit dem Titel „Afrogerman“ veröffentlicht hat, war es die afro- und italo-deutsche Gruppe Advanced Chemistry, die mit ihrem Lied „Fremd im eigenen Land“ 1992 ein eindeutiges Zeichen setzte.
„Fremd im eigenen Land“ ist ein wichtiger Meilenstein in der afro-deutschen Musikgeschichte, nicht nur weil der Track in deutscher Sprache gerappt wurde, sondern vor allem, weil der Text sich explizit auf die Situation von Schwarzen und anderen People of Color und MigrantInnen in Deutschland bezieht, die zwar deutsche Staatsbürger sind, aber nicht als solche anerkannt werden, da sie nicht dem weißen Idealbild des „genuin-Deutschen“ entsprechen. Obwohl Advanced Chemistry’s Track kommerziell nicht erfolgreich war, übte er doch einen entscheidenden Einfluss auf die nachfolgende Generation von Schwarzen (deutschen) MusikerInnen aus. „Fremd im eigenen Land“ war ein Beispiel für die explizite Formulierung einer afro-deutschen Identität in der deutschsprachigen Popmusik. Advanced Chemistry beleuchteten vor allem den alltäglichen Rassismus in Deutschland, jenen, der sonst wenig Beachtung in den Medien fand. Dort werden meist nur die spektakulären Fälle ins Visier genommen:
- "Eh, bist du Amerikaner oder kommste aus Afrika?"
- "Ach du bist Deutscher, komm erzähl kein Scheiß!"
- „Du willst den Beweis? Hier ist mein Ausweis: Gestatten sie mein Name ist Frederik Hahn ich wurde hier geboren, doch wahrscheinlich sieht man's mir nicht an, ich bin kein Ausländer, Aussiedler, Tourist, Immigrant, sondern deutscher Staatsbürger und komme zufällig aus diesem Land.”
In diesem Kontext befähigte die ursprünglich afro-amerikanische Musikgattung Hip-Hop, Advanced Chemistry die Rekurrierung auf und Analyse von spezifisch deutschen Umständen.
Brothers Keepers und Sisters Keepers: positive Eigenbilder
Die im Jahre 2001 lancierten Brothers Keepers und Sisters Keepers sind Zusammenschlüsse von verschiedenen Schwarzen Deutschen MusikerInnen, die sowohl musikalisch als auch politisch auf den fortwährenden Rassismus in Deutschland aufmerksam machen wollen. Während afro-deutsche MusikerInnen sich vorher vereinzelt gegen Rassismus wandten und diesem positive Eigenbilder entgegensetzen, geht es Brothers- und Sisters Keepers hauptsächlich darum im Kollektiv öffentlichen Raum zu besetzen und somit die Aufmerksamkeit auf die gemeinsamen Erfahrungen von Schwarzen Deutschen als Community zu lenken.
Da diese beiden Projekte aus schon bekannten Persönlichkeiten bestehen (z. B. Xavier Naidoo, Afrob, Torch von Advanced Chemistry, Joy Denalane, Sammy Deluxe, Denyo von Absolute Beginner) konnten sie die antirassistische Arbeit von „Fremd im eigenen Land“ fortführen und ausweiten, indem sie diese einem viel größeren Publikum zugänglich machten. Auch wenn die kulturpolitische Arbeit von Brothers Keepers und Sisters Keepers sehr zu begrüßen ist, so fällt die Geschlechtertrennung als negativ auf, insbesondere weil der Feminismus in der Geschichte der Schwarzen Deutschen Community eine sehr zentrale Rolle spielt. Wieso erscheinen die männlichen und weiblichen KünstlerInnen auf separaten Tracks und warum reichen die Brothers „geballte Fäuste und keine Hände”, während die Sisters ihr Publikum bitten: „Komm reich uns deine Hand, wir können etwas ändern mit Liebe und Verstand”? Infolgedessen wird die kollektive Dimension dieser Projekte untergraben.
Afro-diasporische Traditionen in der Popmusik
Im Gegensatz zu denn dezidiert politischen Zielen und Aussagen von Brothers- und Sisters Keepers befassen sich die meisten anderen zeitgenössischen Schwarzen MusikerInnen wie Xavier Naidoo, Joy Denalane, Chima, Bintia, Mic, Seeed, Patrice, J-Luv, Glashaus oder Joachim Deutschland nicht explizit mit sozialkritischen Themen. Jedoch gibt es auch Ausnahmen wie Joy Denalanes Song „Im Ghetto von Soweto”, D-Flames Album "Daniel X: Eine schwarze deutsche Geschichte" oder Afrob’s Album "Made in Germany".
Tendenziell fällt bei den neueren R&B und manchen Reggae Produktionen (Xavier Naidoo, Glashaus und Patrice) auf, dass eine verstärkte Hinwendung zur Religion stattfindet und somit die säkulare Politik aus dem Blickfeld verliert. Diese religiösen Diskurse stellen eine andere Form der Politik dar: für die Gerechtigkeit ist nicht mehr der Staat zuständig, sondern der Allmächtige Gott. Wiederum sind Naidoo, Cassandra Steen von Glashaus und Patrice alle auf der zweiten Brothers Keepers CD vertreten, was ihren eigenen Texten eine weitere politische Dimension verleiht (obwohl nicht religiös, verhält es sich bei Eased von Seeed und Joachim Deutschland ähnlich). Die Mitgliedschaft bei Brothers und Sisters Keepers ermöglicht diesen Schwarzen deutschen MusikerInnen in diesem Kontext politisch Stellung zu beziehen, so dass sie in ihren eigenen Produktionen andere Themen ansprechen können. All diesen musikalischen Formationen ist gemein, dass sie sich auf die eine oder andere Art und Weise auf „externe“ afro-diasporische Musikrichtungen (US amerikanischen Hip-Hop, und R&B, jamaikanischen Reggae etc.) berufen.
Diese Tendenzen in der Popmusik fügen sich nahtlos in die afro-diasporische Tradition der jüngeren Schwarze deutschen Geschichte ein, denn eine ähnliche Kollaboration mit der afro-karibischen Dichterin und feministischen Theoretikerin Audre Lorde ermöglichte Schwarzen Frauen in Deutschland sowohl den Begriff „Afro-Deutsch“ einzuführen, als auch die bahnbrechende Anthologie Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte (1986) zu veröffentlichen. In all diesen Fällen führt die Aneignung qua Reformulierung von Schwarzen kulturellen und politischen Praxen jenseits der Grenzen Deutschlands zu einer diasporischen Ausrichtung, die sich mit der Lebenssituation von Schwarzen Deutschen auseinandersetzt, aber dies oftmals im Zusammenhang mit anderen Schwarzen Communities tut.
Literaturhinweis
Zu den zahlreichen Veröffentlichungen des Autors zählt auch die Buchpublikation „Phonographies: Grooves in Sonic Afro-Modernity“ (2005).
Alexander Weheliye, geb. 1968 in Nordhausen, studierte Nordamerikastudien und Kulturwissenschaften in Berlin und New Brunswick, New Jersey. Er ist Assistant Professor für English and African American Studies an der Northwestern University bei Chicago.