Konsequenzen aus der religiösen Revolution

von Josef Göbel

Von einigen kirchlichen Kreisen wird die alte Berliner Regelung, dass Religionsunterricht reines Wahlfach ist, als Nachteil angesehen, den man jetzt im Zuge des Volksbegehrens aufheben möchte.

Könnte es nicht sein, dass sich dieses Bemühen als kontraproduktiv für eine neue, vielleicht einzig mögliche Präsens der Religion in der Öffentlichkeit von heute erweist?

Denn das berühmte neue Interesse für Religion wird keine Rückkehr zur Religion im alten Gewand sein, in dem religiöse Instanzen zu den Offiziellen der Gesellschaft gehörten und vielfach noch gehören   Da nützt es auch nicht, wenn diese neuen Bewegung als Patchwork-Religion beschimpft wird, nur weil das gewohnt obrigkeitliche Denken auf dem religiösen Feld damit nicht umzugehen versteht.

Es scheint, dass jetzt erst die Früchte der Aufklärung im religiösen Bereich selbst angekommen sind. Die Aufklärung musste sich zunächst im Gegensatz und Widerstand zur Religion entwickeln -  eroberte sich dann eigenständig Bereiche in Natur- und Geisteswissenschaft mit Erkenntnissen über Evolution und textkritischen Einsichten bis hin zur historisch-kritischen Methode. Schwerer noch hatte es die Aufklärung in Politik und Wirtschaft – gerade jetzt erleben wir wieder  Folgen der anhaltenden Irrationalität im wirtschaftlichen Handeln.

Alle diese Erfolge in den Sachbereichen trugen dazu bei, dass die Aufklärung allmählich auch beim Einzelnen ankommen konnte in seinem Verhältnis zu sich selbst – spürbar u.a. in der sogenannten sexuellen Revolution, die trotz aller Einseitigkeit solcher Prozesse den Individuen allmählich ein persönliches Verhältnis zur  eigenen Sexualität ermöglicht hat. Das neue religiöse Interesse scheint eine Fortsetzung dieser Entwicklung zu sein im Sinn einer religiösen Revolution. Diese hilft trotz aller Umwege  dem Menschen, ein persönliches Verhältnis zu dem Geheimnis, das uns alle umfängt, zu gewinnen. Nicht mehr fremdbestimmt, wohl aber fremder Hilfe bedürftig, z.B. der religiösen Institutionen, wenn sie sich als „Helfer der Freude“ (Paulus) beim Entdecken des Geheimnisses verstehen und nicht als dessen eifersüchtige Hüter.
 
Wer diese geistige Befreiung mit vollzieht, kann es gar nicht anders wollen, als dass konfessionelles  Leben in religiöser oder weltanschaulicher Gestalt sich als Angebot darstellt – als freie Wahl  und nicht als ordentliches Schulfach mit Noten und Zeugnis.

Wer die neue religiöse Welle in dieser Richtung interpretiert, versteht auch, dass als Bildungsträger der religiös-weltanschaulichen Allgemeinbildung eben nicht mehr der konfessionelle Träger akzeptiert wird.  Also fällt auch der zweite, immer wieder genannte Grund für Religion als ordentliches Schulfach aus. Denn die „religiöse Basiskompetenz“ ist wie die naturwissenschaftliche oder geisteswissenschaftliche wirkungsvoller aufgehoben bei der Religions- und Kulturwissenschaft, damit ich sie zu gebrauchen lerne für das Leben - wie Rechnen, Lesen, Schreiben auch.

Durch diese Entwicklung wird Religion nicht zur Privatsache sondern zur Persönlichkeitsbildung. Sie verliert dabei vielleicht ihren offiziellen Charakter, kommt dafür aber als öffentliche Bildung besser zur Geltung. Freilich in der modernen Form einer zunehmenden Vermischung der religiösen Traditionen und Religionen, die eine Verständigung braucht, die gemeinsam mit Andersdenkenden gelernt werden muss – eben in einem ordentlichen Unterrichtsfach. In Berlin nennen wir dieses Fach Ethik – ein Fach, durch das die Jugendlichen Basiskompetenz für ein gemeinsames Leben in der demokratischen Gesellschaft lernen sollen.

 

 Josef Göbel ist katholischer Theologe und einer der InitiatorInnen der Berliner Initiative "Christen pro Ethik" (www.proethik.info).