Migranten im deutschen Vereinsfußball

Fußballmannschaft mit "Fußball gegen Rassismus" Banner

von Hans-Georg Soeffner und Dariuš Zifonun

Bei der Fußball-WM 2002 in Japan und Korea erhielt die ohnehin große Begeisterung für die türkische Mannschaft unter den türkischen Migranten in Mannheim eine besondere Note. Einer der Stars der Mannschaft, Ümit Davala, wurde in Mannheim geboren und hatte seine Karriere bei Türkspor Mannheim begonnen, ehe er Profi in der Türkei, Italien und in der Bundesliga wurde. Es zu schaffen wie Ümit’ ist seither eine häufig geäußerte Wunschvorstellung unter türkischen Fußballern in der Region. So wichtig solche Phantasien für das Denken und Fühlen von Spielern auch sein mögen, dem Alltag des Amateursports entwachsen die wenigsten der Spieler. Und die Wirklichkeit des Profisports unterscheidet sich in vielem von den Realitäten in den niedrigen Klassen des Ligenbetriebs des DFB.

‚Ethnische’ Vereine und Rassismus

Je niedriger die Spielklasse und damit das fußballerische Können, so lässt sich generell sagen, desto mehr mischen sich unter professionelle Leistungsanforderungen und Organisationsformen andere Vorstellungen und Kriterien, die die Orientierungen und das Handeln von Aktiven, Zuschauern und Funktionären bestimmen. Zur Normalität des Amateurfußballs gehören insbesondere die ethnische Gruppenbildung von Migranten und der Rassismus gegenüber Einwanderern.

Frank Kalter ist in einer Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass die strukturelle Integration im deutschen Ligensystem aufs Ganze gesehen weit fortgeschritten ist. Sowohl im prozentualen Anteil der Migranten im Fußball als auch in ihren Chance, höherklassig zu spielen, sind kaum Unterschiede zu Deutschen feststellbar. Außerdem ist ethnische Gruppenbildung kaum ausgeprägt: Ethnizität spielt nur eine geringe Rolle bei der Besetzung von Positionen, Ausländer sind annähernd proportional verteilt. Das gilt umso mehr, je höher die Spielklasse ist.

Den Grund dafür sieht Kalter in der institutionellen Vorgabe der Fußballsports: jeder Einzelne ist leistungsorientiert, weil er das Ziel hat, im Wettbewerb für sich möglichst erfolgreich zu sein. Obwohl Kalter also feststellt, dass Integration relativ stark ausgeprägt ist, konstatiert er in seiner empirischen Untersuchung des Mannheimer Fußballkreises auch, dass in der Verbandsliga 28% der Ausländer den Verein wechseln müssten, um eine perfekte Verteilung herzustellen und auf der Ebene der niedrigsten Klassen (Kreisliga) sogar etwa 60%. Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen sind es unter den Einwanderern aus den ‚klassischen’ Gastarbeiterländern insbesondere türkische Migranten, die vom Bild einer allmählichen Assimilation in die Mehrheitsgesellschaft am stärksten abweichen.

Zum anderen sind auch Vorurteile und Benachteiligungen im Amateurfußball häufig beschrieben worden. Gunter Pilz und seine Mitarbeiter haben in einer Untersuchung im Fußballkreis Hannover festgestellt, dass türkische Spieler für die selben Vergehen von den Sportgerichten mit deutlich höheren Strafen belegt werden als deutsche. Außerdem sehen sich Türken auf dem Platz regelmäßig Beleidigungen ausgesetzt, durch die sie zu Tätlichkeiten provoziert werden sollen und die von den Schiedsrichtern und Sportgerichten kaum geahndet werden.

So herrscht auch in der öffentlichen Wahrnehmung die Vorstellung vor, dass nicht friedlicher Wettbewerb und Integration, sondern Segregation und ‚Fremdenfeindlichkeit’ das Verhältnis zwischen Deutschen und Einwanderern im Amateurfußball beherrschen. Insbesondere türkische Vereine gelten als ethnische ‚Rückzugsräume’, die desintegrativ wirken und Abschottungstendenzen verstärken. Berichte über gewalttätige Auseinandersetzungen bei Spielen zwischen Migrantenvereinen und der Umstand, dass manche Vereine von politischen und religiösen Organisationen tatsächlich für die Rekrutierung und Mobilisierung von Anhängern genutzt werden, scheinen das zu bestätigen. Allerdings kommt man der Wirklichkeit wohl näher, wenn man ethnische Vereine als zugleich segregierend und integrativ begreift.

Kontaktarena Fußball

Wenn man sich von der ‚Mehrheitsgesellschaft’ abschotten will, ist Fußball die denkbar schlechteste Weise, das zu tun, ist man doch beim Fußballspielen auf einander angewiesen. Ohne die deutsche bzw. türkische Mannschaft, die am Sonntag auf dem Spielplan steht, kann das Spiel nicht stattfinden. Dabei findet das Zusammentreffen zwischen Migranten und autochthoner Bevölkerung in einem explizit und genau geregelten Rahmen statt.

Das Regelwerk des DFB und die Bestimmungen der Kreisverbände stellen dabei keine abstrakten Vorgaben dar, sondern werden im Aufeinandertreffen jedes Mal neu eingeübt und – wenn die Gegenseite sich nicht daran hält – eingefordert. Fußball ist eine Klatsch- und Meckerwelt. Die anderen werden peinlich genau beobachtet. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, beschwert sich. Das ist ein ganz wesentliches Handlungsregulativ im Fußball. Viele der ethnischen Vereine existieren bereits seit zwanzig Jahren und mehr. Ihre Vorstände und Mitglieder kennen das genau und wissen mitzuspielen. So ist es auch zu erklären, dass selbst dort, wo Probleme auftauchen und Konflikte ausbrechen, diese in der Regel nicht eskalieren und von den Beteiligten – nach der ersten Erregung – deeskaliert werden.

Wenn Einwanderer sich dazu entscheiden, sich gerade im Fußballbereich selbst zu organisieren, hat das Folgen für die Art ihrer Selbstorganisation. Die ‚Logik’ des Fußballs liegt gerade in der Einheit aus Konflikt (man tritt gegeneinander an und will den anderen besiegen) und Konsens (man ist sich einig über die Regeln, die ein Eskalieren des Konflikts verhindern sollen). Abschotten im ethnischen Verein geht also gerade nicht. Selbst diejenigen, die das intendieren, sehen sich zu einem Minimum an Austausch gezwungen. Eine Mehrzahl der Verantwortlichen in ethnischen Vereinen wissen, dass Fußball ein ‚Kontaktmedium’ ist, und wählen ihn nicht zuletzt auch deshalb für sich aus.

Stereotype der Interkulturalität

Zugleich provoziert ethnische Selbstorganisation bei der ‚Mehrheitsgesellschaft’ auch immer die Wahrnehmung ethnischer Differenz, egal ob das von den Einwanderern gewollt ist, weil sie den Verein auch als Darstellungsform ihrer ‚Kultur’ verstehen, oder nicht. Allerdings wird in der Regel die Differenz nicht als eine absolute, unüberbrückbare dargestellt und es wird keine starke Hierarchisierung vorgenommen. Eher werden die Unterschiede zwischen Migranten und Deutschen als graduelle dargestellt und nicht mit starken moralischen Bewertungen verbunden. Besonders eindrücklich zeigen dies ‚Stereotype der Interkulturalität’ wie zum Beispiel das Stereotyp vom ‚heißblütigeren Südeuropäer’. Dieses Stereotyp ist in der Fußballwelt sehr verbreitet und wird nicht nur von deutscher Seite vorgebracht, sondern auch von ‚Südeuropäern' verwendet. Es herrscht mithin ein geteiltes Wissen über ethnische Differenzen.

Eng damit hängt zusammen, dass das Stereotyp in Kontaktsituationen kommuniziert wird und nicht allein unter Abwesenheit von Mitgliedern der stereotypisierten Gruppe. Schließlich steht diese Stereotypisierung – empirisch – in einem interessanten Verhältnis zu anderen Stereotypisierungen: Zuschreibungen wie ‚aggressiv’, ‚brutal’, ‚gewalttätig’ werden vermieden und durch das Stereotyp ‚heißblütiger sein’ überdeckt. Andererseits werden Verhaltenszuschreibungen wie ‚die ziehen sich zurück’, ‚die halten immer zusammen’ u.ä., die nicht vom Stereotyp ‚heißblütig’ abgedeckt werden, sondern ethnisch-kulturelle Differenzen betreffen, von deutscher Seite durchaus artikuliert. Die damit bezeichneten kulturellen Unterscheidungspraktiken und ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühle, so z.B. die ‚türkische Solidarität’, werden als problematisch erachtet und kritisiert. Drastische, herabwürdigende und ausschließende Zuschreibungen (‚Kümmeltürke’, ‚Scheißtürke’) sind im Fußballmilieu ebenfalls anzutreffen, genauso wie ‚mittelschwere’, (die genannten ‚aggressiv’, ‚gewalttätig’ etc.). Diese werden aber kollektiv abgelehnt und wenn sie aufgebracht werden, werden sie skandalisiert oder durch Gegenstigmatisierungen beantwortet (‚Nazi’, ‚Bauer’). Sie können ungestört nur in geschlossenen Zirkeln kommuniziert werden. Solche Kreise sind jedoch im Fußballmilieu rar geworden.

Diese eigentümliche Form der Stereotypisierung lässt sich als Reaktion auf die Situation in der Fußballwelt verstehen, die nicht nur durch den erwähnten ständig wiederkehrenden Kontakt zwischen den beteiligten Gruppen und die wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichnet ist. Darüber hinaus ist die Fußballwelt gekennzeichnet durch wechselnde Mitgliedschaften. Ein südeuropäischer Spieler, der heute noch beim Gegner spielt, kann morgen Teil der eigenen Mannschaft sein. Der Erfolg der Mannschaft kann somit von dessen Kooperation abhängen. Charakteristisch sind auch überschneidende Mitgliedschaften in den Teilwelten des Milieus: Mitglieder südeuropäischer Vereine sind zugleich z.B. als Schiedsrichter Mitglied der Schiedsrichtervereinigung. Aber auch intern sind die ‚deutschen’ Vereine abhängig von Migranten: viele Vereine könnten keine Mannschaften stellen ohne ausländische Spieler. Schließlich ist man auch auf Verbandsebene (und kommunaler Ebene) auf die ausländischen Vereine und Spieler angewiesen: Der Spielbetrieb würde ohne ‚Ausländer’ zusammenbrechen.

Kennzeichnend ist außerdem, dass Migranten innerhalb des Milieus prestigeträchtige Positionen einnehmen: Migranten sind erfolgreiche Sportler, sie sind in ihren Mannschaften wichtige Spieler. Ethnische Mannschaften sind erfolgreich, steigen auf, gewinnen Pokale und Meisterschaften. Schließlich erlauben die relative Ressourcenstärke, ihre über die Jahre gewachsene Position im Milieu und die Kenntnis der formellen und informellen Regeln des Milieus den ‚Außenseitern’ in Krisensituationen die Gegenwehr: die Gegenstereotypisierung habe ich bereits genannt, erwähnt werden soll noch, dass bei Konflikten auch juristischen Auseinandersetzungen von Seiten der Migranten nicht aus dem Weg gegangen wird.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass das geteilte Stereotyp in einer Situation wechselseitiger Relevanz und relativer Interaktionsdichte und sozialer und personaler Nähe auftritt, bei gleichzeitig aufrechterhaltener ethnisch-kultureller Selbstorganisation und der Zuschreibung von Differenz. In einer solchen Situation ist das Entstehen solcher ‚Stereotype der Interkulturalität’ kein Wunder. Nicht nur kann man es sich nicht erlauben, den anderen ernsthaft zu verletzten und ihn zu vergraulen. Vor allem stellen die Handelnden, aufgrund ihrer Alltagserfahrung, selbst in Frage, ob ‚die Anderen’ tatsächlich so anders sind. Sie wissen, dass Unterschiede nicht einfach gegeben sind, dass sie manchmal wichtig sind und manchmal nicht. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass Kategorien, die klare Unterschiede machen, nicht viel taugen, dass sie aber ohne Unterscheidungen auch nicht auskommen. Da erweist sich ein Stereotyp, das von der Gegenseite akzeptiert wird und das man auch unernst oder ironisch einsetzen kann, als sehr alltagstauglich.

Die Normalität des Konflikts

Auch die Tatsache, dass es beim Fußball regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Migranten kommt, muss nicht unbedingt als Anzeichen von Desintegration gedeutet werden, sondern eher als ein Zeichen von Normalität. Wenn es in pluralistischen Gesellschaften zwischen Gruppen keine Konflikte gibt, dann in der Regel, weil die Machtunterschiede zwischen beiden zu groß sind: Die überlegene Gruppe kann die unterlegene problemlos kontrollieren, die unterlegene hat nicht die notwendigen Ressourcen zur Gegenwehr. Konflikte treten dann auf, wenn sich die Positionen angleichen und das scheint bei Einwanderern im Bereich des Fußballs der Fall zu sein. Wir verstehen diese Auseinandersetzungen besser, wenn wir sie nicht als Abweichung interpretieren, sondern zu den normalen Streitigkeiten rechnen, die wir aus unserem Leben in allen Bereichen kennen, wo unterschiedliche Interessen und Orientierungen aufeinander treffen.

So verlockend die Unterscheidung zwischen Integration und Desintegration ist und so klar beides analytisch geschieden werden kann, so sehr scheint beides in der Welt des Amateurfußballs aufeinander zu verweisen. Die Einheit von Teilhabe und Segregation, von universellen Normen und partikularistischen Zuschreibungen, scheint diese Welt geradezu auszuzeichnen. Die Akteure der Fußballwelt setzen sich dieser sozialen Ambivalenz freiwillig aus und schaffen – jenseits der ideologischen Selbstbeschreibungen moderner Gesellschaften – alltagsweltliche Lösungen für die Widersprüche, in denen sie leben.

Die Fußballwelt lehrt uns, dass nicht allein (individuell) erworbenes ‚Kapital’ über den sozialen Ort eines Menschen bestimmt, sondern auch soziale Zuschreibungen, die über eine lange Geschichte verfügen und im Wissenshaushalt der Gesellschaft entsprechend tief verankert sind sowie ganz gezielt eingesetzte strategische Zuschreibungen in Klassifikationskämpfen. Der Blick in die Fußballwelt ermöglicht uns darüber hinaus, unsere Vorstellungen davon, was Integration in modernen pluralen Gesellschaften überhaupt heißen kann, zu überdenken.

Über das Forschungsprojekt Integration und Assimilation im Fußballsport

Juni 2006

Literatur

  • Blecking, Diethelm (2001): Polen – Türken – Sozialisten: Sport und soziale Bewegungen in Deutschland. Münster 
  • Heitmeyer, Wilhelm/Imbusch, Peter (Hrsg.) (2005): Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft.
    Wiesbaden
  • Kalter, Frank (2003): Chancen, Fouls und Abseitsfallen. Migranten im deutschen Ligenfußball. Wiesbaden
  • Pilz, Gunter A. (2002): Rote Karten statt Integration? Eine Untersuchung über Fußball und ethnische Konflikte. 
  • Zifonun, Dariuš/Cındark, Ibrahim (2004): Segregation oder Integration? Die soziale Welt eines ‚türkischen’ Fußballvereins in Mannheim. In: Deutsche Sprache, Jg. 32, H. 3, 270-298
     

Bild entfernt.

Prof. Hans-Georg Soeffner leitete an der Uni Konstanz das Projekt ‚Integration und Assimilation im Milieu des Fußballsports'. Dariuš Zifonun, Mitarbeiter des Projekts, ist Visiting Professor am Center for European Studies der University of N. Carolina.