Migrantinnen und Fußball - Fußballerinnen zwischen ethnisierenden Vorurteilen, realen Diskriminierungen und dem Spaß am Sport

Fußballmannschaft mit "Fußball gegen Rassismus" Banner

von Esther Lehnert

Migrantinnen und Fußball? Geht das überhaupt zusammen? Was haben Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund denn im Konkreten mit einer der wenigen letzten unverstellten Bastionen „richtiger Männlichkeit“ zu tun?

Bei der Beschäftigung mit diesem Thema betreten wir sehr schnell unwägbares und steiniges Gelände. Zwar wird allgemein und in der Regel verkürzt und plakativ sowohl von Sportfunktionären als auch von PolitikerInnen über das große Integrationspotential von Sport im Allgemeinen und von Fußball im Besonderen gesprochen. Fußball erscheint mitunter gar - in einer Gesellschaft, in der ein alltäglicher Rassismus weit verbreitet ist - die einzige reale Partizipationsmöglichkeit für viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zu sein.

Unabhängig davon, dass Fußball an sich weder Jugendliche zu „besseren“, friedvolleren oder sozial engagierten Mitmenschen macht und ohne das entsprechende pädagogische Konzept keinesfalls zu einer besseren Integration beitragen kann, geht es mir darum, darauf hinzuweisen, dass üblicherweise beim Thema Fußball und Integration eine Hälfte der Kinder und Jugendlichen, nämlich Mädchen und junge Frauen schlichtweg vergessen werden. Im Fokus des allgemeinen Interesses steht der männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Bereits hier wird deutlich, dass wir beim Thema Migrantinnen und Fußball mit unterschiedlichen Exklusionsmechanismen konfrontiert sind.

Erfolgreiche Frauen in einem männlichen System

Fußball war und ist in Deutschland immer noch exklusiv männlich konnotiert (im Unterschied z. B. zu den USA). Das männliche System Fußball bleibt nicht zuletzt dadurch vital, dass sich auf den unterschiedlichsten Ebenen (Vereine, DFB, FIFA, UEFA, Fanclubs, Fanprojekte) Männer oder männlich bestimmte Organisationen und Institutionen begegnen und aufeinander beziehen. In dieser männlichen Bezugnahme können eine Reihe von harten Fakten immer wieder in den Hintergrund treten: Fußballspielende Frauen befinden sich seit Jahren auf einem Siegeszug, seien es die internationalen Erfolge der Frauennationalmannschaft (Welt- und Europameisterinnen, Olympiasiegerinnen) oder die Tatsache, dass der Mädchenfußball laut Zuwachsszahlen des DFB von 2005, boomt wie niemals zuvor. Trotzdem werden fußballspielende Mädchen und Frauen  immer noch als Exotinnen betrachtet.

Migrantinnen im Sport

Wenn wir uns dem Thema Fußball und Mädchen bzw. Frauen dann noch unter der Frage von Migration bzw. Integration annähern, sind wir mit einem weiteren Herrschaftsverhältnis unserer Gesellschaft konfrontiert: Der deutschen Mehrheitsgesellschaft fällt es bekanntermaßen schwer, Zuwanderung als eine Tatsache und mehr noch als einen Gewinn anzusehen. Dieses Unvermögen spiegelt sich auch im Sport und im Fußball wieder. Die wenigen Untersuchungen, die sich mit dem Thema Sport und Migration jenseits von publicity wirksamen positiven Annahmen kritisch mit der Frage nach dem integrativen Potenzial von Fußball auseinandersetzen, haben die Mädchen nicht im Blick.

Untersuchungen, die sich explizit mit dem komplexen Feld von Sport, Migration bzw. Integration und Gender beschäftigen kommen einerseits zu vermutbaren aber andererseits zu ganz erstaunlichen Feststellungen. Um nicht in die Falle von ethnisierenden und kulturalisierenden Zuschreibungen zu verfallen, lohnt es sich einen Blick auf diese Ergebnisse zu werfen: Die Frage, wie wichtig Sport für Migrantinnen ist, ist vor dem Hintergrund des dürftigen Datenmaterials nicht umfassend zu klären. 

Grundsätzlich können wir jedoch festhalten, dass wenn Migrantinnen Sport treiben, insbesondere Mädchen türkischer Herkunft, sie es sehr selten in Sportvereinen tun. Der Anteil türkischer Mädchen, die in Sportvereinen engagiert sind, liegt überproportional niedriger im Vergleich zu deutschen Mädchen aber auch verglichen mit dem Engagement türkischer Jungen. Professorin Kleindienst-Cachay verweist darauf, dass diese Mädchen jedoch keinesfalls als „sportabstinent“ bezeichnet werden können. Viele türkische Mädchen treiben  innerhalb ihrer Community Sport, engagieren sich in eigenethnischen Vereinen oder suchen kommerzielle Sportstudios auf. Zusätzlich greifen viele Mädchenprojekte, die gezielt mit Mädchen mit Migrationshintergrund arbeiten, das zunehmende Interesse der Mädchen am Fußball auf, bilden Mädchenteams und organisieren Mädchenfußballtuniere.

Spezielle Räume für Migrantinnen

Viele Mädchen mit Migrationshintergrund bevorzugen  Räume, die anders als das traditionelle Sportvereinswesen nicht „rein deutsch“ geprägt sind. Das ist insofern nicht weiter verwunderlich, als dass neuere Erhebungen zum Thema Integration durch Sport auf den alltäglichen Rassismus verweisen, der sich, wie sollte es auch anders sein, auch in Sport- und Fußballvereinen wieder findet. Dieser alltägliche Rassismus, dem viele MigrantInnen auch auf Fußballplätzen begegnen, kann Ausgrenzungserfahrungen verstärken und bewirken, dass sich die MigrantInnen bewusst aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft zurückziehen.

Ein weiterer möglicher Grund für das geringe Engagement türkischer Mädchen in Sportvereinen liegt jedoch auch in der traditionell patriarchalen Struktur vieler türkischer Einwanderungsfamilien. Mädchen und Frauen, die sich innerhalb der Community bewegen und dort Sport treiben, z. B. Fußball in eigenethnischen Vereinen spielen, erscheinen für Väter und Brüder besser kontrollierbar.

Andererseits, und das stellt in der Tat eine bemerkenswerte Erkenntnis dar, gibt es indessen einen kleinen, aber stetig wachsenden Anteil hochsportiver türkischer Mädchen. Die Sportarten, die diese Mädchen bevorzugen sind in der Regel männlich konnotiert, wie z. B. Kampfsportarten oder aber auch Fußball. Es scheint also einen ganz besonderen Reiz für Mädchen mit Migrationshintergrund zu geben, sich in männlich besetzten Sportarten zu beweisen. Interessant hieran ist auch, dass gerade hochsportive türkische Mädchen häufig von ihren Vätern unterstützt werden. Interessant ist dieser Aspekt insofern, als dass aktive Fußballerinnen grundsätzlich auch auf die wichtige Rolle von Vätern oder Brüdern für ihre Fußballsozialisation verweisen.

Fußball als emanzipatorische Strategie

In einer der wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Mädchen und Fußball verweist Professorin Claudia Kugelmann auf unterschiedliche positive Effekte von Fußball für die Entwicklung von Mädchen und benennt hierbei drei Ebenen:

  •  Die persönliche Ebene gibt den Mädchen das Gefühl etwas Besonderes zu sein. Ein Gefühl, das wesentlich zur Stärkung des Selbstbewusstseins beitragen kann
  • Die interaktionale Ebene: Fußballspielen ermöglicht den Mädchen, gleichaltrigen Geschlechtsgenossinnen und Jungen etwas zu beweisen. Sie können so Anerkennung und Status hinzu gewinnen.
  • Die gesellschaftliche Ebene: Die Mädchen erweisen sich als Könnerinnen in einer gesellschaftlich anerkannten (und männlichen) Sportart.

Für Mädchen mit Migrationshintergrund können diese positiven Effekte einen zusätzlichen Gewinn bedeuten. Gelten doch insbesondere moslemische Mädchen in der üblichen gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung als Opfer. Wenn die bisherigen Ergebnisse darauf verweisen, dass der Fußballsport ein emanzipatorisches und stärkendes Potenzial für Mädchen besitzt, haben Mädchen mit Migrationshintergrund die Möglichkeit zusätzlich die ihnen von der Mehrheitsgesellschaft zugeschrieben Opferrolle zu überwinden.

Fußball erscheint hier ein geeignetes Mittel zu sein, sich von sexistischen und rassistischen Zuschreibungen zu befreien und einen eigenen multiidentitären Lebensentwurf zu entwickeln.  Gleichzeitig können diese positiven Befunde nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für fußballspielende Migrantinnen in und außerhalb von eigenethnischen Vereinen immer noch ungleich schwerer ist, Wahrnehmung und Anerkennung für Engagement und Leistung zu bekommen. So berichteten  der Jugendbetreuer und die Trainerin  einer Mädchenmannschaft von Türkiyem Spor anlässlich einer Podiumsdiskussion zum Thema Migrantinnen und Fußball sehr offen über die Widerstände und Schwierigkeiten mit denen die fußballbegeisterten Mädchen konfrontiert sind.

Die Leistungsbereitschaft der Mädchen und der persönliche Einsatz mancher Mädchen ihren Wunsch Fußball zu spielen auch gegen väterliche Interessen durchzusetzen, wird selten entsprechend gewürdigt und die Integrations- und Emanzipationsmöglichkeiten, die der Fußball auch für Mädchen mit Migrationshintergrund bereit hält, werden kaum wahrgenommen. Damit sich diese Phänomene langfristig ändern und das Integrationspotenzial des Fußballs für Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund in umfassender Weise (und nicht nur exemplarisch) genutzt werden kann, ist zu wünschen, dass sich viele Mädchen und Frauen ihren Spaß am Spiel auch weiterhin nicht nehmen lassen!

Juni 2006

Literatur

  • Kleindienst-Cachay, Christa: Zur Bedeutung des Sports für die Sozialisation und Integration junger Migrantinnen
  • Kugelmann, Claudia/Pfister, Gertrud (Hrsg.): Geschlechterforschung im Sport. Differenz und/oder Gleichheit.
    Beiträge aus der dvs-Kommission „Frauenforschung in der Sportwissenschaft“ Schriften der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, Band 143, 2004, Hamburg
  • Hagel, Antje/Selmer, Nicole; Suelzle, Almut (Hrsg.): Gender Kicks, Texte zu Fußball und Geschlecht, Frankfurt a. M., 2005
  • Westphal, Manuela: Integrationschancen für Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund im und durch den Sport, in: Deutsche Jugend, Jg. 52, 2004, S. 480-485

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Dr. phil. Esther Lehnert ist Erziehungswissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Mobilen Beratung gegen Rechts- extremismus (mbr) in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Nationalsozialismus, Rechtsextremismus, Gender.