von Christiane Hutson
...In vier Lektionen: Lektion 1:
Im studentischen Projekt zu postkolonialer Kritik erzählt ein Student, wie eine Studentin, die zu einer Verabredung zu spät kam, von dem auf sie wartenden Studenten mit Kuhf**** beschimpft wird, ohne dass es zu irgendeiner Gegenwehr von Seiten der Studentin kam. Alle Projektteilnehmenden nicken das Erlebnis mit Verständnis ab: Die benutze K-F-Kombination ist nicht „politisch korrekt“, zudem diskriminierend und eindeutig sexistisch. Das steht fest ganz egal, ob nun die beschimpfte Person diese Wortwahl als absoluten Fehlgriff markiert oder nicht. Darin stimmen alle überein.
Wenig später wird ein anderes Erlebnis erzählt. Hier geht es um das N****-Wort. Es kommt (paradoxerweise) zu Gegenerzählungen, Diskussionen, Durcheinander. Die vorausgegangene Übereinkunft hat sich lauthals aufgelöst.
Warum fange ich mit einer solch frustrierenden Erfahrung an? Weil sie meine Situation als Schwarze (deutsche) Studierende versinnbildlicht und weil sie meines Erachtens zwei Dinge verdeutlicht. Erstens: als vereinzelte Schwarze Person kann ich mich noch so viel engagieren, meinen Standpunkt klar haben und beständig verkünden, es wird - zumindest so lange mein Leben noch währt - vermutlich immer wieder Situationen geben, in denen sich weiße Perspektiven und Definitionsmacht (was ist als „politisch korrekt“ zu erachten, was ist diskriminierend, was ist nicht eindeutig rassistisch...) durchsetzen wird. Und das völlig unabhängig von meiner Befähigung für mich selbst bzw. gar auch für andere einzutreten oder gegenüber Übergriffen jeglicher Art Grenzen zu setzen. Zweitens zeigt diese Situation aus meiner Perspektive als Frau aber zugleich, dass politische Kämpfe zumindest manche gesellschaftlichen Macht- und Partizipationshierarchien geschuldete Übergriffe als solche in der Gestalt markieren, dass sie schließlich auch von der privilegierte(re)n Position aus (an)erkannt werden (müssen). Aber, sind wir auf diese Anerkennung angewiesen? Nicht unbedingt.
Zur Illustration eine weitere Lektion: Lektion 2:
Auf einer Konferenz wird von einer weißen Wissenschaftlerin ein Vortrag zur aktuellen Situation von AfrikanerInnen in einer deutschen Stadt gehalten. In der sich anschließenden Diskussion wird die Wissenschaftlerin von mehreren Schwarzen Personen kritisiert. Sie bedient sich der gängigen Stereotypen in ihrem Vortrag. Ihr Vorgehen erscheint darüber hinaus fragwürdig aufgrund der Ausblendung ihrer Interpretationsposition als weiße Wissenschaftlerin. Sie reproduziert sich als neutral, objektivierte Berichtinstanz und genau das wird zu einer Hauptkritik ihrer Sprecherinposition. Die Wissenschaftlerin wehrt die Kritik gereizt ab, mit Unverständnis.
Auch diese Situation erscheint auf den ersten Blick frustrierend. Gibt sie doch einen Alltag im deutschen Wissenschaftsbetrieb wieder, der sich durch weiße Perspektiven und „Expertise“ in (der Auswahl von) Inhalten, Themen und bezüglich der Dozierenden auszeichnet. Des weiteren führen die Strukturen, die die Scientific Community formen, stabilisieren und erhalten gleichzeitig zur Konservierung weißer Perspektiven. So stellen verschiedenste Hierarchien, festgelegte Settings und jede Fachsprache nicht nur ExpertInnen und Laien her, sondern bieten auch einen festen Rahmen und feste Verhaltensregeln. Deren Befolgung führt manchmal zum (formellen) Erfolg, zumindest zu einem „bestanden“.
Weiße Dominanz bedeutet diesbezüglich, dass diese Vorgaben Erfahrungen und Perspektiven Schwarzer Menschen kaum bis keinen akzeptablen Raum bieten. Auf dieser Grundlage kann die Kritik Schwarzer Menschen individualisiert und überhört werden. Praktisch geschieht dies mit dem Hinweis auf die Spezifik der deutschen Situation. – Als ob wir als Schwarze (deutsche) kein Teil dieser Situation wären. Mit dem Hinweis auf die deutsche Geschichte wird jede Universalisierungskritik abgewehrt, wie sie bspw. in dem von Schwarzen amerikanischen Feministinnen entwickelten Intersectionality-Ansatz oder in (feministischen) Ansätzen postkolonialer Kritik verankert ist. “Rasse“ und Rassismus werden mit dieser Strategie auf die Zeit des Nationalsozialismus begrenzt und darin eingefroren. Kolonialismus erscheint allenfalls als nichtrelevante abgeschlossene Epoche. Es wird also die Allgemeingültigkeit eines weißen deutschen Erfahrungshorizontes fortgeschrieben, indem die Diskurse Schwarzer Menschen als marginal konstruiert werden.
Für mich als Schwarze Studentin entsteht daraus die Notwendigkeit mir Zusammenhänge und Situationen zu erschaffen, die es ermöglichen mit diesen Strategien und Prozessen brechen.
Und genau diese Erkenntnis war es, die ich aus der oben erwähnten Situation gewann. Für mich selbst war diese nämlich eine der ersten Erfahrungen, in denen ich mit den unguten Gefühlen die der Vortag in mir ausgelöst hatte offensichtlich nicht allein war. Und mehr noch, in der ich erleben konnte, dass es eben nicht zwangsläufig darum gehen muss von der weißen Person auch „gehört“ zu werden, sondern dass die Artikulation der Infragestellung der als neutral und universell gültig konstruierten weißen Perspektive an sich schon wichtig war – für uns, unser Selbstverständnis, unsere Selbstachtung und -wertschätzung. Daraus stellt sich mir die Frage: wie kann ich mir in meiner Situation, an meiner Uni solche Erfahrungen ermöglichen?
Hierzu die beiden letzten Lektionen: Lektion 3:
Eine weiße Akademikerin ist über die massive Präsenz von Forschung, die Ge-Anderte /Others (re)produziert so empört, dass sie gemeinsam mit zwei Schwarzen Studentinnen ein Seminar zu Schwarzer Geschichte und Präsenz in Deutschland entwickelt und gemeinsam durchführt. Das Seminar wird zu einem Ort, an dem die historische und gegenwärtige Anwesenheit Schwarzer Menschen als Kultur- und Wissensproduzierende innerhalb Deutschlands kenntlich wird. Durch die Mitwirkung und Präsenz von Schwarzen Dozentinnen und StudentInnen entsteht ein Raum, in dem Schwarze Erfahrungen (mit)geteilt werden können, da sie genuiner Bestandteil des Seminars sind und hier nicht von weißen Erfahrungen marginalisiert bleiben.
Abschließend Lektion 4:
Schwarze und weiße StudentInnen einer AG organisieren zusammen Veranstaltungsreihen zu (post)kolonialen, migrations- und rassismustheoretischen Ansätzen. Aus den daraus entstandenen Zusammenhängen und Kontakten gründet sich wiederum ein als Studienleistung anrechenbares studentisches Projekt zu postkolonialer Kritik. Moment. War es nicht gerade dieses Projekt, welches über das N****-Wort stolperte? Ja, war es. Und so erscheint meine eingangs gemachte Behauptung, dass es immer wieder Situationen sich durchsetzender weißer Dominanz geben wird als self-fullfilling-prophecy und meine Argumentation als Zirkelschluss. Fast.
Sicherlich ist es so, dass wir zur grundlegenden Abschaffung von Rassismus und Diskriminierung auf die Anerkennung unserer Erfahrungen durch Weiße angewiesen sind. Wichtig erscheint mir dabei allerdings folgende Unterscheidung: Will ich von einer weißen deutschen Mehrheit Anerkennung und glaube sie in potentieller politischer Partizipation zu finden? Oder fordere ich politische Partizipation, weil ich weiß, dass auch meine „Ideen zur Verbesserung der Welt“ es wert sind diskutiert zu werden? Im ersten Fall ist die Befriedigung meines Bedürfnisses so wahrscheinlich wie Regen in der Wüste. Abgesehen davon bleibt meine Selbstwertschätzung fremdbestimmt, was meines Erachtens nicht die günstigste Ausgangsposition für politische Forderungen ist. Im zweiten Fall besteht die Forderung nach politischer Partizipation auf einer sich selbst wertschätzenden Perspektive. Diese wird uns nicht unbedingt in einer weiß geprägten deutschen Bildungslaufbahn vermittelt, aber in den von uns geschaffenen und noch zu schaffenden Räumen innerhalb und außerhalb dieser. Die Arbeit daran ist, so klein der Raum auch sein mag, nicht zu unterschätzen. Schließlich werden damit Orte und Momente von Unterstützung und Herausforderung auf der Basis gegenseitiger Wertschätzung möglich. Das wird nun (leider) mit großer Sicherheit nicht von heute auf morgen alle rassistischen und diskriminierenden Strukturen der Welt umwerfen, aber unsere Perspektive darauf.
Christiane Hutson, 1978 in Bad Oeynhausen geboren, ist verheiratet und hat 2 Kinder. Sie studierte Sozialwissenschaften in Oldenburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte: Rassismus/Rassifizierung, Gesundheit/Krankheit, Gender/Vergeschlechtlichung.