von Carmen Wienand
Chinese ist kein Schimpfwort – trotzdem ist mir diese Bezeichnung schon als abschätziges oder gar feindseliges Wort begegnet. Es hat lange gedauert, bis ich überhaupt realisiert habe, was es mit dieser Bezeichnung auf sich hatte. Heute bedeutet dieses So-bezeichnet-Werden für mich vor allem eins: ethnisiert zu werden. Es spielt für mich auch keine Rolle, ob es böse, freundlich oder bewundernd gemeint ist. In meiner Kindheit zum Beispiel kannten die meisten Gleichaltrigen nur die Drei Chinesen mit dem Kontrabass, die, wie ja viele wissen, auf der Straße saßen und sich was (Ja was eigentlich?) erzählten, bis die Polizei auftauchte. Die drei Protagonisten habe ich mir immer wie Clowns vorgestellt: nicht ernst zu nehmen. Vor allem im Gegensatz zu den sehr ernst zu nehmenden Nebenfiguren, die vielleicht verwundert, aber autoritär fragen: „Ja, was ist denn das!?“ Ein Unsinn, der durch alle Vokale und Umlaute durchexerziert werden kann. Als Kind habe ich es mindestens einmal erlebt, dass ein anderes Kind dieses Lied anstimmte, als es mich sah. Ich mochte dieses Lied nie besonders.
Mit zunehmendem Alter änderte sich diese Erfahrung kindlicher Überlegenheitsdemonstrationen und zeigte weniger oberflächlich-naive Facetten in der alltäglichen Interaktion. Aber auch dabei hinterließ bereits die Feststellung meines Gegenübers, dass ich ja „irgendwie asiatisch“ sei, eine Verunsicherung bei mir. Die Vorstellung meiner Gesprächspartner_innen, ich hätte ein bunteres oder vielleicht exotischeres Leben als sie, empfand ich immer als absurd, zumal ich davon ausgehe, dass diese Idee auf homogenisierenden Klischees gründet.
Die Asiat_innenschablone
Meiner Alltagserfahrung nach steht das Wort „Chinese“ für viele Mitmenschen, symbolisch für den Prototypen des asiatischen Klischees: Chinese (sozusagen im Neutrum) hält häufig als Synonym für Asiat_in her. Ich schätze, dass diese Verallgemeinerung die Vorstellung widerspiegelt, dass Asiat_innen in gewisser Weise alle gleich seien. Und so scheint sich mancher Mitmensch zu freuen, sobald das asiatisch markierte Gegenüber ein oder mehr Kriterien auf der Klischeeliste erfüllt. Es ist so lustig, dass ich Sushi mag und gut in Mathe bin! Warum? Weil es eben aussagt: Irgendwie sind die alle gleich. So vorhersehbar. Die ist so, weil sie Asiatin ist.
Deutlicher sind Feststellungen wie „Asiat_innen vertragen ja keinen Alkohol“, oder „Asiat_innen sind fleißige Menschen“ (vielleicht nicht wörtlich, aber sinngemäß). Diese Aussagen bewegen sich auf dem gleichen rassistischen Niveau wie „Schwarze können gut singen und tanzen“. Es handelt sich um Homogenisierungen, die suggerieren, dass ethnisch bzw. „rassisch“ markierte Menschengruppen nicht so ausdifferenziert seien, wie die eigene „unmarkierte“, in diesem Fall also „weiße“, Gruppe. Folgen wir dieser Idee, können also „Wir Weißen“ als Individuen betrachtet werden, denn „Wir“ sind gewiss: „Wir“ unterscheiden uns alle voneinander. Aber ein_e Asiat_in steckt schon durch diese Benennung in einem anderen Kollektiv. Die vergleichen „Wir“ mal direkt mit der Asiat_innenschablone.
Meine Selbstwahrnehmung ließ mich nie zu dem Schluss kommen, dass ich asiatisch sei. Trotzdem wurde dies mir gegenüber immer wieder in Alltagssituationen festgestellt. Mit einem „Nein, bin ich nicht“ konnte ich dieser Sache nicht beikommen. Mein Mund kann schließlich lügen, mein Aussehen nicht. Zur Vermeidung der Peinlichkeit, „überidentifiziert“ zu werden, umschiffte ich lange Zeit jeden asiatischen Anschein. Mich in die Mensaschlange für die Frühlingsrollen einreihen? Niemals! In Bus und Bahn setzte ich mich nach Möglichkeit bewusst nicht neben phänotypische Asiat_innen, damit niemand denkt: „Die gehören zusammen“.
Die nervige Wirkmächtigkeit von Ethnizität
„Ethnizität“ ist eine Idee, die von uns allen stets aufs Neue reproduziert wird, die von Wir- und Ihr-Vorstellungen lebt und immer wieder, auch oder vielleicht vor allem in alltäglichen Interaktionen, belebt wird. Die im Ethnizitäts-Konzept gefasste Konstruktion kollektiver Wesenhaftigkeit, die auf die vermeintlich Zugehörigen übertragen wird, hält auch heute noch allzu oft „als universales Erklärungsmuster für individuelles Handeln“ (Polat 2013: 211) her. Ich wünschte mir, Ethnizität einfach als irrelevant abhaken zu können. Zumindest für mich selbst. Ohne immer mal wieder zur eigenen ethnischen oder kulturellen Vereindeutigung aufgefordert zu werden. Eine „klassische“ Abgrenzung funktioniert bei mir nicht, da ich eine Mischung bin. Das scheint für manche erst recht die Frage aufzuwerfen, in welchem Maße ich Asiatin und in welchem ich Europäerin/Deutsche bin, kulturell wie ethnisch oder „rassisch“ – es kam auch schon vor, dass ich frei heraus nach meiner genetischen Zusammensetzung gefragt wurde. Ich selbst frage mich das alles nicht. Vielleicht sind mir diese Fragen nicht wirklich egal, aber dies ist meine aktuelle Strategie, die die oben genannten Vermeidungstaktiken ersetzt hat: Der Irritation von außen mit einer Irritation meinerseits zu begegnen.
Um es mit den Worten der Kulturwissenschaftlerin Umut Erel (1999) auszudrücken, besteht das für mich Irritierende darin, dass das, was ich als selbstverständlich empfinde, also mein unbehelligtes Dasein, durch solche Fragen prekär wird. Durch die Bewusstheit darüber, dass ich immer wieder mit diesen Fragen konfrontiert werden könnte, erscheint das Nicht-gefragt-Werden wie etwas, das mir von der sogenannten Mehrheitsgesellschaft großzügig gewährt wird. „Durch solche Darstellungen nehmen wir uns oft selbst verzerrt war, wir sehen uns selbst durch die Augen der Dominanz als ‚Andere’“ (ebd.: 175). Und dieses Gefühl der Deplatzierung ist nervig und oft frustrierend. Eine auf diese Weise immer wieder stattfindende Verschiebung der Selbstwahrnehmung ist in meinen Augen der Schaden, den ein scheinbar harmloses Interesse an meiner unterstellten Andersartigkeit mitbringt. Und deswegen gebe ich die Nervigkeit und den Frust gerne zurück, indem ich so tue, als wüsste ich nicht genau, was gemeint sei, wenn ich so altmodisch nach meiner eigentlichen Herkunft oder meinen asiatischen „Wurzeln“ befragt werde. Ich finde es aber sprachlich wie gedanklich schwer, dazu Stellung zu beziehen, inwiefern ich etwas als Zumutung betrachte, das ja vielleicht oft „eigentlich nicht so gemeint“ sein mag. In Auseinandersetzungen, die sich um meine (genetischen) „Wurzeln“ und meine ethnische oder kulturelle Zugehörigkeit drehen, schaffe ich es meist nicht, mich meinem Gegenüber verständlich zu machen. Oder anders gewendet: Mein Gegenüber schafft es nicht zu fassen, was ich sagen will.
Geht’s nicht auch anders?
Wie komme ich also weiter? Hat etwa doch meine Identitätsarbeit versagt, nach dem Motto: Ich weiß nicht so genau, was ich bin? So schnell will ich nicht aufgeben. Es erscheint mir hilfreich, sich die Begrenztheit von Namen und Benennungen vor Augen zu halten. Beziehen wir also die Sprache als einen weiteren Aspekt dieser vermeintlichen Identifizierungsproblematik ein. Wie der Erziehungswissenschaftler Mark Schrödter (2007) treffend bemerkt, unterliegen Aussagen über ethnische und kulturelle Identitäten „den Bedingungen des Ethnozentrismus der deutschen Sprachgemeinschaft“ (ebd.: 88). Dieser sprachliche Ethnozentrismus berücksichtigt keine Mischungen. Er orientiert sich an der Vorstellung „reiner“ Ethnien, Nationen und Kulturen. Mit der inzwischen recht routinierten Praxis, dieses sprachliche Reinheitsgebot durch die Bildung von Synthesen bzw. Bindestrich-Identitäten zu durchkreuzen, wird man jedoch nicht immer – ich würde sagen, meistens nicht – der Lebensrealität der betreffenden Personen gerecht. Was könnte zum Beispiel „Deutsch-Asiat_in“ alles bedeuten (und was nicht)? Solche Bezeichnungen stehen in keiner definierten Relation zu dem, was sie ausweisen sollen. Jedenfalls habe ich noch keinen Ausdruck gefunden, der bezüglich meiner asiatischen, aber auch meiner deutschen „Wurzeln“ verdeutlicht, welchen Stellenwert sie in meiner alltäglichen Lebenswelt haben: so gut wie gar keinen. Die Journalistin Sheila Mysorekar (2007) zieht ebenfalls die Möglichkeit in Betracht, dass „die eigene Identität als deutsche biracial Person of Color womöglich gar nicht als problematisch empfunden wird, wohl aber die eindeutige Darstellung nach außen“ (ebd.: 168f., H.i.O.). Für sich selbst kommt sie zu dem Schluss: „Ich möchte mich selbst definieren können, ohne zur Rechtfertigung jedem Hergelaufenen meinen Gencode zu entschlüsseln. Und wie ich mich definiere, ist einzig und allein meine Sache“ (ebd.: 165).
Dem schließe ich mich an.
Dieser Text ist die leicht überarbeitete Fassung des gleichnamigen Beitrags und erschien erstmalig im Kultur- und Gesellschaftsmagazins freitext, Nr. 21, April 2013, S. 46-48. Die Ausgabe „auftauchen – Empowering Asian Germany“ wurde gemeinsam mit dem asiatisch-deutschen Kulturnetzwerk korientation herausgegeben.
Literatur
Erel, Umut (1999): Grenzüberschreitungen und kulturelle Mischungen als antirassistischer Widerstand? In: Gelbin, Cathy/Konuk, Kader/Piesche, Peggy (Hg.): AufBrüche. Kulturelle Produktionen von Migrantinnen, Schwarzen und jüdischen Frauen in Deutschland. Königstein: Ulrike Helmer Verlag. S. 172–194.
Mysorekar, Sheila (2007): Guess my Genes. Von Mischlingen, MiMiMis und Multiracials. In: Ha, Kien Nghi/Lauré al-Samarai, Nicola/Mysorekar, Sheila (Hg.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Münster: UNRAST. S. 161–170.
Polat, Serpil (2013): Ethnizität revisited. Zur Bedeutung von Lebensvorstellungen im Kontext transnationaler Biographisierungen. In: Pusch, Barbara (Hg.): Transnationale Migration am Beispiel Deutschland und Türkei. Wiesbaden: Springer VS. S. 197–214.
Schrödter, Mark (2007): Die Objektivität des Rassismus. Anerkennungsverhältnisse und prekäre Identitätszumutungen. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul (Hg.): Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: IDA-NRW. S. 69–93.
Carmen Wienand hat Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Migrationspädagogik an der Uni Bielefeld studiert. Sie wohnt im Ruhrgebiet und forscht im Rahmen eines DFG-Projektes der Uni Duisburg-Essen.