Jüdische Realitäten in einer multikulturellen Gesellschaft - Heinrich-Böll-Stiftung
Direkt auf YouTube ansehenAm 21.06. sprachen wir mit unseren Gästen über das jüdische Leben in Deutschland. Welche Diskurse müssen wir führen? Wie funktioniert Zusammenhalt in einer sich verändernden Gesellschaft?
„Jüdische Realitäten“ - gibt es sie? Die einen werden sagen, Ja, es gibt sie. Andere würden sagen, sie sind konstruiert. Vermutlich stimmen beide Antworten. Die Grenzen zwischen beiden sind fließend. Menschen jüdischen Glaubens sind Deutsche, Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, sie sind Teil der Mehrheitsgesellschaft, aber auch Teil der Minderheiten, sie sind Teil der Migranten-Communities, von Hass, Rassismus und Antisemitismus betroffen … Die Liste könnte fortgeführt werden. Je nachdem, in welcher gesellschaftlichen Konstellation wir uns befinden, erleben wir verschiedene Realitäten.
Für die einzelnen Menschen sehen die Realitäten mal wie ein bisschen von allem, mal nur wie ein Teil davon aus. Diese vielfältigen und vielschichtigen Realitäten treffen natürlich auch auf alle anderen Minderheiten in der Gesellschaft zu, auf Menschen mit Migrationshintergrund, auf Menschen ohne Migrationshintergrund. Weshalb es auch nie die eine Antwort auf die vielen klugen Fragen, die wir alle stellen, geben wird.
Und trotzdem sind wir uns alle bewusst, dass Fragen über jüdisches Leben, über Repräsentation und Sichtbarkeit, über Antisemitismus und Rassismus gegenüber Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland in der Vergangenheit eine besondere gesellschaftspolitische Relevanz hatten, heute uneingeschränkt haben - und in Zukunft weiterhin haben werden.
Insofern müssen wir in Deutschland immer im historischen Kontext bleiben, und gleichzeitig für neue gesellschaftspolitische Entwicklungen und Realitäten die Augen öffnen. Wir müssen wachsam sein gegenüber alten und neuen Herausforderungen und Gefahren. Gleichzeitig müssen wir auch neue soziale und politische Bündnisse und Allianzen erkennen und würdigen.
In unserer Reihe „Perspektiven für eine offene Einwanderungsgesellschaft“ haben wir über Hass, Radikalismus und Terror diskutiert, aber auch darüber, wie es in der Einwanderungsrepublik Deutschland weitergeht. Dabei ging es immer um Strategien gegen Spaltung und Ausgrenzung und darum, wie wir das Zusammenleben gestalten wollen. Unsere Veranstaltung "Jüdische Realitäten" lenkt den Blick insbesondere auf das jüdische Leben und jüdische Realitäten in Deutschland, Europa und darüber hinaus.
Denn: in jüngster Zeit ist das jüdische Leben und die Situation von Jüdinnen und Juden in Deutschland Thema öffentlicher und medialer Debatten geworden. Die Einwanderung junger jüdischer Israelis nach Deutschland als Student/innen, Künstler/innen, Expert/innen oder aus Liebe verleiht der Debatte eine weitere Dimension und neue Dynamik. Im aktuellen Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung vom April 2017 wird gleichzeitig festgestellt, dass klassische Formen des Antisemitismus zurückgehen, eine große Mehrheit der Betroffenen Antisemitismus aber nach wie vor als gravierendes Problem erfährt. Die deutsche Gesellschaft tut sich weiterhin schwer im Umgang mit dem Thema Antisemitismus.
Umso wichtiger erscheinen also heute gesellschaftspolitische Debatten um Zusammenleben und sozialen Zusammenhalt. Verschiedene Lebensrealitäten, Bedürfnisse, Ängste und Zukunftsvisionen müssen behandelt und verhandelt werden - sowohl zwischen verschiedenen Gruppen und Religionsgemeinschaften als auch innerhalb der Communities. Welche Diskurse müssen wir führen? Und wie funktioniert Zusammenleben und Zusammenhalt in einer sich verändernden, multikulturellen und zunehmend globalisierten Gesellschaft?
An der Diskussion am 21.06.2017 waren als Vortragsredner/innen und Gesprächsteilnehmer/innen beteiligt:
Michal Bodemann, Prof. em Universität Toronto, Kanada/Berlin und Autor u.a. von "In den Wogen der Erinnerung - Jüdische Existenz in Deutschland"
Dani Kranz, Projektleiterin und Senior Researcher an der Bergischen Hochschule Wuppertal
Ármin Langer, Mitinitiator und Koordinator von „Salaam-Schalom“ und Autor des Buches "Ein Jude in Neukölln. Mein Weg zum Miteinander der Religionen"
Levi Salomon, Sprecher Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V. und Repräsentant der Jüdischen Gemeinde Berlins
Und Sergey Lagodinsky, Leiter des EU/Transatlantik-Referats der Heinrich-Böll-Stiftung und Repräsentant der Jüdischen Gemeinde Berlins, der das Gespräch und die Diskussion moderierte.
Kontakt: Anke Bremer
E-Mail: migration@boell.de
Telefon: 030-285 34 240