Wer die Gesellschaft spalten will, erzählt vom „integrationsunwilligen Islam“. Ozan Zakariya Keskinkiliç geht der Frage nach, welche Erkenntnisse aus der Antisemitismusforschung für eine Kritik dieses antimuslimischen Rassismus hilfreich sein könnten.
Unter dem Begriff des „antimuslimischen Rassismus“ sammeln sich verschiedene wirkmächtige Diskurse und Praktiken, die Musliminnen und Muslime und als Musliminnen und Muslime wahrgenommene Menschen zur Zielscheibe von Anfeindungen und Diskriminierung machen. Die Figur des Muslims speist sich dabei allem voran aus den Merkmalszuschreibungen Religion und Kultur, erklärt diese zum Wesen einer gesichtslosen Masse. Am Beispiel des antimuslimischen Rassismus kann die Rassifizierung und Einschreibung von Fremdheit auf Körperlichkeiten der „Anderen“ beobachtet werden, die Ansprüche auf Privilegien und Dominanz für „uns“ geltend machen sollen. Vorstellungen von Norm und Moral, Geschlecht, Sexualität, Kultur und Religion verdichten Erzählungen jahrhundertealter Dualismen zwischen „Orient“ und „Okzident“ und „dem Islam“ als Kontrastbild zu „dem Westen“.
Der antimuslimische Rassismus artikuliert sich in Wechselwirkung zu anderen Ungleichheiten im historischen Kontext. Wesentliche Anknüpfungspunkte ergeben sich insbesondere zum Antisemitismus [1], dessen Beispiel die „Transformation von einem vormodernen zu einem modernen Rassismus […] sehr gut an der Umarbeitung des christlichen Antijudaismus in einen rassistischen Antisemitismus“ (Rommelspacher 2009, 26) veranschaulicht.
Der Vergleich von Antisemitismus und Antimuslimischem Rassismus ist in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Ausgangspunkt kontroverser Debatten. Obgleich beide Diskriminierungsformen nicht identisch sind, sich in Entstehungskontexten und spezifischen Ausdrucksarten unterscheiden können, sehe ich in einer kritischen In-Beziehung-Setzung, nicht Gleichsetzung, die Chance, grundlegende Strukturen sozialer Exklusion nachzuzeichnen. So erkennt der Historiker Wolfgang Benz (2009, 9) in antimuslimischen Feindbildern Parallelen zum Antisemitismus, seinen Stereotypen und Konstrukten. Der analytische Transfer des Antisemitismus trage dazu bei, Ressentiments gegenüber anderen Minderheiten zu analysieren, Dynamiken und Funktionen von Feindbildern zu ergründen (ebd., 18f.).
In dieser Hinsicht kann die Kritik des antimuslimischen Rassismus von Erkenntnissen aus der Antisemitismusforschung und seiner paradigmatischen Funktion in der Erforschung anderer Feindbilder profitieren, insbesondere in der Analyse von Argumentationsfiguren, Funktionsweisen und der Rolle von Religion und Kultur in der Konstruktion „der Anderen“. Gleiches trifft auf den Transfer von aus dem Antisemitismus bekannter, tabuisierter Fantasien auf Muslim/innen zu. Damit manifestiert sich der antimuslimische Rassismus in seiner Beziehung zu anderen Dominanzverhältnissen.
Religion, Kultur und Dominanz
„Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Die aus der hiesigen Debattenkultur nicht wegzudenkende Polarisierung eines nicht zur Bundesrepublik zugehörigen Islams findet aktuell Widerhall im Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland (AfD) [2]. Mit ihrer Position erklärt die rechtspopulistische Partei den Islam als unvereinbar mit einem deutschen Kultur- und Wertekanon. Die bipolare Gesellschaftsordnung „deutsch/nicht-deutsch“ soll Einschränkungen in der Religionsausübung begründen, Angehörigen einer vermeintlich demokratiefeindlichen, frauenverachtenden und gewalttätigen Religion die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft absprechen.
Unter dem Banner der Islamisierung des Abendlandes skandiert zudem PEGIDA auf regelmäßigen Demonstrationen gegen Geflüchtete und Muslim/innen, beschwört den Verlust deutscher Identität und Kultur und warnt vor fremder Übernahme (Keskinkilic 2015). Antimuslimische Rhetorik findet zugleich im Internet entsprechende Verbreitung, wie Yasemin Shooman (2014) am Beispiel des islamfeindlichen Blogs „Politically Incorrect“ herausarbeitet. In der Verschwörungsfantasie einer Islamisierung Europas, dem wachsenden Einfluss der Minderheit und der Unterwanderung und Überfremdung der deutschen Gesellschaft erkennt Shooman (2008, 71) diskursive Anknüpfungspunkte zu antisemitischen Topoi.
Analog zur Denunziation und Zitation des Talmuds in antisemitischen Schriften des 19. Jahrhunderts werden antimuslimische Kollektivzuschreibungen mit dem Verweis auf den Koran untermauert, Angehörigen des Judentums, respektive des Islams, Illoyalität, Betrug und Täuschung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft vorgeworfen (ebd., 81). So kommt auch Benz (2011, 183) zu dem Schluss, dass in antimuslimischen Diskursen „mit Stereotypen gearbeitet wird, die aus der Antisemitismusforschung bekannt sind, etwa der Behauptung, die jüdische bzw. die islamische Religion sei inhuman und verlange von ihren Anhängern unmoralische oder aggressive Verhaltensweisen gegenüber Andersgläubigen“. Entsprechend findet der Topos einer „Islamisierung“ des Abendlandes in der antisemitischen Figur der „Verjudung“ eine metaphorische, begriffliche Analogie.
Daran setzen auch Debatten über Geschlechterverhältnisse „der Anderen“ an. Die Argumentationsfigur einer Muslimen und dem Islam inhärenten Gewaltkultur gegenüber Frauen und dem Kopftuch als vermeintlich ultimatives Unterdrückungssymbol nährt das Fremdbild muslimischer Geschlechterungleichheit („nicht-deutsch“) und stützt das Selbstbild einer „westlichen“ Geschlechtergleichheit („deutsch“). Den vergeschlechtlichten Erzählstrang lese ich im Kontext einer völkischen „Antithese vom ‘Sklaventum der Frau im Orient‘ - einer antisemitischen Chiffre für ‘die Juden‘ - und einer nordisch-germanischen ‘Frauenachtung im Okzident‘“ (Spilker 2013, 356), unter der völkische Protagonist/innen vor einer „jüdischen Unterjochung“ der Frau warnten. Ausgangspunkt der völkisch-antisemitischen Ordnung ist ein gegensätzliches Netz von „Wir“/„Nicht-wir“ bzw. „Germanen“/“Juden“ (Ziege 2002, 251), das hierarchisiert, homogenisiert und damit Gewalt, Kriminalität, Morallosigkeit, Geschlechterungleichheit als auch primitive Sexualität der „jüdischen Anderen“ zu „unserer“ Bedrohung erklärt.
Negative Kollektivzuschreibungen, begleitet von der Markierung als „nicht-deutsch“, begründen so den Ausschluss der Minderheit aus dem öffentlichen Raum. Konflikte um den Bau repräsentativer Moscheen stehen sinnbildlich für die Problematisierung „der Anderen“, ihr Verdrängen an den Rand der Gesellschaft. Ähnlich stehen Debatten im 19. Jahrhundert um die Errichtung von Synagogen für gesellschaftliche Ausschlussmechanismen entlang religiöser Trennlinien und den damit einhergehenden Kämpfen um Anerkennung und Gleichberechtigung (Königseder 2009, 25f.).
In diesem Zusammenhang zieht Sabine Schiffer (2009, 40) Analogien der Leitkulturdebatte 2005 zu dem von Heinrich von Treitschke ausgelösten Berliner Antisemitismusstreit um 1880 und den damit verbundenen Fragen rund um Assimilation und Loyalität, wie „der Forderung nach der Kontrolle der Talmud-Schulen, der Übersetzung religiöser Texte sowie von Predigten in deutscher Sprache“. Ansprüche nach Dominanz, Sehnsüchte nach Homogenität und der Vorwurf, die religiös-kulturelle Minderheit sei nicht assimilations- bzw. integrationsbereit, überfremde hingegen die deutsche Gesellschaft, findet im Besonderen in den Thesen des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin und seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ Aktualität (Brumlik 2012, 76ff.; Shooman 2016, 136).
"Islamkritik" und die Singularitätsthese des Antisemitismus
Antimuslimische Narrative beziehen sich fundamental auf religiöse und kulturelle Kollektivmerkmale, die muslimisches Verhalten in ihrer Differenz zur sozialen Norm erklären sollen. „Islamkritiker/innen“ zitieren Kriminalität, Terrorismus, „Ehrenmorde“, traditionelle Rituale und Praktiken in der „Parallelgesellschaft“, um das Bild eines fremden Islams zu untermauern und „Ängsten“ Berechtigung zu verleihen. Das Rekurrieren auf ihrer Religion und Kultur nach integrationsunwillige, frauenverachtende und gewaltvolle Muslim/innen normalisiert dualistische Denkfiguren in der Mehrheitsgesellschaft, schreibt Menschen genuin „muslimische“ Charaktereigenschaften zu und kultiviert einen antimuslimischen Rassismus (Attia 2014). Die unter diesen Bedingungen am Wesensmerkmal Islam gezogene Differenzierungslinie „wird der Pluralität muslimischer Bezüge nicht gerecht, sie subsumiert spezifische problematische Äußerungen und Handlungen unter ‚Islamkritik‘ und sie spezifiziert grundsätzliche Religionskritik als ‚Islamkritik‘ bei gleichzeitigem Fehlen einer analogen ‚Christentumskritik‘“ (ebd., 25).
In diesem Sinne läuft Armin Pfahl-Traughbers (2012, 18ff.) Plädoyer für eine „legitime Islamkritik“ unter gleichzeitigem Verweis auf das diskriminierende Frauenbild des Islams und der angeblich tatsächlich geringeren Integrationsbereitschaft von Muslim/innen Gefahr, Narrative einer muslimischen Gruppenrealität zu reproduzieren und antimuslimischer Fiktion als Ausdruck einer scheinbaren Religionskritik Legitimität zuzusprechen. Auch die Vorstellung, dass die „Feindschaft gegenüber einer Religion […] nicht mit der Benachteiligung von deren Anhängern verbunden sein“ muss (ebd., 20) kommt zu kurz. So bezeichnet Shooman (2011) Religion als „Umwegkommunikation“, die analog zum antisemitischen Topos eines rachsüchtigen Gottes des Judentums negative Charaktereigenschaften auf Angehörige der Religion übertrage. Demnach bestehe ein zentraler Zusammenhang zwischen dem Bild einer Religion und dem der Anhänger/innen, so Shooman weiter. Entsprechend ihrer Fremdverortung in den „orientalischen“ Herkunftsraum werden „die Anderen“ zu einer homogenen Religionsgruppe zusammengefasst, als Muslim/innen markiert. Demzufolge verfehlt die Suche nach der Erklärung antimuslimischer Ressentiments in der muslimischen Andersartigkeit den Kern des Problems, wiederholt stattdessen die Logik des Rassismus.
Das Phänomen, empirische Plausibilitäten für antimuslimischen Rassismus im Verhalten von Muslim/innen und dem Islam zu suchen, drückt sich bezeichnenderweise auch in Differenzierungsversuchen zum Antisemitismus und seiner Singularitätsthese aus. Monika Schwarz-Friesel und Evyatar Friesel (2012, 29) betonen, Antisemitismus stelle „nicht ein Vorurteilssystem unter vielen dar, sondern zeichnet sich als ein irrationales und konzeptuell geschlossenes Weltbild aus, das nicht mit anderen Formen von Rassismus oder Xenophobie verglichen werden kann“.
Daraus folge die Einzigartigkeit des Antisemitismus als „eine Feindschaft ohne Grund gegenüber Juden, eine Abneigung ohne empirische Basis, gekoppelt an negative, unreflektierte Gefühle und mentale, nicht verifizierte Stereotype, […]“ (ebd., 30). Das Argument einer antijüdischen Feindschaft ohne reale Bezugspunkte suggeriert, dass es sich im Unterschied beim Rassismus (und dem antimuslimischen Rassismus im Speziellen) um ein rationales Feindbild mit Grund handele, und damit eine Reaktion auf „tatsächliche“ Differenz sei. Differenzierungsversuche dieser Art sind irreführend und problematisch. Zum einen schreiben sie Betroffenen im Sinne eines „victim blaming“ Schuld an Diskriminierung zu. Zum anderen verkennt die These, dass es im Spezifikum jedes Rassismus liegt, sein Gegenüber im Zuge hegemonialer Unterwerfung zu erfinden. Um Machtansprüche geltend zu machen, sucht und erfindet der Rassismus kollektive Erklärungsstränge im sozialen Umfeld und begründet damit Ungleichbehandlung.
Hier liegt der entscheidende Schnittpunkt des antimuslimischen Rassismus zu einer Orient-Okzident-Dichotomie, die Edward Said (1978) in seiner Kritik des Orientalismus als koloniales Herrschaftsinstrument beleuchtet. Die Figur der orientalischen, islamischen Welt als Kontrastfolie zur Selbstidealisierung und Zentrierung des Westens und als Strategie der Exklusion existiert, wie Iman Attia (2009a) in ihren Studien zum antimuslimischen Rassismus herausarbeitet, schon vor 9/11 und aktuellen argumentativen Rückgriffen auf islamistischen Terrorismus und Fundamentalismus. Damit stehen antimuslimische Diskurse in Zusammenhang zu verschiedenen Ausprägungsformen des Rassismus, die „den Anderen“ im Zuge eines „Othering“ zum Gegenbild erzeugen.
Frantz Fanon (1985), Psychiater, antikolonialer Denker und Wegbereiter der postkolonialen Kritik, drückte den erfinderischen Geist des Rassismus nicht zuletzt in Bezug zum Schwarzen Körper als Projektionsfolie weißer Fantasien, Gewalt, Ängste und sexueller Gelüste aus. Schwarz-Sein existiert in seiner gemachten Relation zu Weiß-Sein, einer gesellschaftlichen Norm und Dominanzposition. „Die Inferiorisierung auf Seiten der Eingeborenen entspricht der europäischen Superiorisierung. Haben wir den Mut, es auszusprechen: Es ist der Rassist, der den Minderwertigen schafft.“ (ebd., 68) Das Zitieren angeblicher Fakten und Beweise für das Sein, Denken und Verhalten „der Anderen“ folgt der Logik des Rassismus, er abstrahiert sie zu Repräsentationen der Differenz. In diesem Sinne handelt es sich auch im Falle antimuslimischer Diskurse und Praktiken um einen antimuslimischen Rassismus ohne Muslim/innen.
Ungeachtet, ob Individuen den Islam praktizieren oder nicht, subsumiert der antimuslimische Rassismus Menschen entlang von Aussehen, Namen und vermeintlicher Herkunft. Er adressiert Menschen als Muslim/innen, ethnisiert Religion und erklärt zugeschriebene negative Merkmale als genuin muslimisch, anders und fremd. Darin liegt das entscheidende Moment des modernen Rassismusbegriffes, wenn „mithilfe naturalisierter Gruppenkonstruktionen ökonomische, politische und kulturelle Dominanzverhältnisse legitimiert werden“ (Rommelspacher 2009, 27). Das sei auch im Antisemitismus der Fall, so Rommelspacher weiter. Letztlich erfüllen Muslim-Sein, Jüdisch-Sein und Schwarz-Sein Symbolfunktionen im Rassismus, ihre Figuren sind Effekte des Rassismus, nicht umgekehrt.
Zur Figur des „christlich-jüdischen Abendlandes“
Das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus geht jedoch über diskursive Parallelen in stereotypen Wissensordnungen hinaus. Beide Ungleichheitsformen als auch Angehörige der jeweiligen Gruppen werden in spezifischer Weise in Bezug zueinander adressiert und in gesellschaftlichen Dominanzverhältnissen gegeneinander ausgespielt. Die identitäre Neuformation eines „christlich-jüdischen Abendlandes“ in Abgrenzung zu anderen Minderheiten im Allgemeinen und Muslim/innen im Speziellen nimmt eine Symbolstellung ein. Philosemitische Selbstpositionierungen und eine ausdrückliche „Israelsolidarität“ erfreuen sich gerade in islamfeindlichen Kreisen großer Beliebtheit, wie Shooman (2014) am Beispiel des Blogs „Politically Incorrect“ zeigt.
Die Unterstützung Israels resultiere zum einen aus rassistischer Motivation gegen Muslim/innen, zum anderen lasse sie sich als Abwehrstrategie gegen Rassismusvorwürfe instrumentalisieren (ebd., 51f.). Der plakative Philosemitismus sei jedoch brüchig, „sobald Jüdinnen und Juden sich nicht mehr in antimuslimische Argumentationen einbinden lassen“ (ebd., 53). Divergieren ihre politischen Positionen zum Thema Islam und im Umgang mit Muslim/innen werden auch sie zum Angriffsziel, mitunter des Verrats an „westlichen“ Werten und Idealen bezichtigt. Debatten rund um rituelle Beschneidung und das Schächten sind Ausdruck dieser ambivalenten Position zwischen Fronten, die je nach Kontext neu gezogen werden. Wie Shooman feststellt, erfüllen Jüdinnen und Juden in diesem funktionalistischen Verhältnis den Zweck, politischen Agenden zu folgen, sich Prinzipien anderer zu unterwerfen. Widerspruch werde mit Ausschluss sanktioniert und nicht selten in antisemitischer Tradition artikuliert.
Die Proklamation eines „christlich-jüdischen Abendlandes“ erfüllt Symbolfunktion, positive Rückbesinnungen auf europäische und deutsche Identität zu garantieren, besonders dann, wenn es um die Abwehr eines Dritten, in diesem Fall den Islam, geht. Die Metapher vereinnahmt das Jüdische zur diskursiven Abwehr, spielt „gute Fremde“ gegen „böse Fremde“ aus. Bei dieser neuen Formel eines christlich-jüdischen Erbes, das zur Diskriminierung von Muslim/innen Gebrauch findet, handele es sich laut Benz (2011, 166) gerade in Anbetracht jahrhundertealter jüdischer Erfahrung von Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung um eine kühne Berufung. Attia (2013, 13) kritisiert, die Metapher revitalisiere nationale europäische Identität gegen den Islam, so diene auch der „Antisemitismusvorwurf gegenüber als Muslim/innen Markierten der Konstruktion einer positiven historischen Identität als weiße Deutsche“. In dieser Erzählung werde Antisemitismus vermehrt als Problem Zugewanderter aus Nahost verhandelt, dadurch Antisemitismus innerhalb der „eigenen“ Reihen kaschiert, das Problem externalisiert. In traditioneller Teile-und-Herrsche-Manier erfüllt der Antisemitismusvorwurf gegen Muslim/innen demnach eine Ventilfunktion, Ressentiments gegenüber der Gruppe im Deckmantel eines Anti-Antisemitismus zu artikulieren.
Fazit
Antimuslimischen Rassismus mit anderen Unterdrückungsformen in Beziehung zu setzen bedeutet nicht, ihn wie in diesem Falle mit Antisemitismus gleichzusetzen, geschweige denn Nationalsozialismus und Schoah zum Referenzpunkt zu machen. Wie Shooman (2016, 150f.) feststellt, finden sich Anknüpfungspunkte für einen Vergleich „in den vielfältigen anderen Ausprägungen des Antisemitismus, die aus dem Blickfeld geraten, wenn man ihn einzig in Verbindung mit dem Holocaust betrachtet“. Darüber hinaus unterliegt der analytische Vergleichspunkt schon gar nicht der Vorstellung einer linearen Abfolge von neuen auf alte Feindbilder oder der Idee, ‚Muslime seien die neuen Juden‘.
Analogien dieser Art negieren die Gleichzeitigkeit von Ungleichheiten, ihr komplexes Auf-einander-Wirken und Verschränkt-Sein. So existieren antisemitische Stereotype auch weiterhin in der Mitte der Gesellschaft, passen sich sozialen Kontexten an und formieren sich entsprechend. Selbst im vermeintlich „christlich-jüdischen Abendland“ unterliegt die Figur des Jüdischen einer grundlegenden Dialektik von Philosemitismus und Antisemitismus (Brumlik 2012, 78f). Jüdinnen und Juden werden so Gegenstand politischer Instrumentalisierung, nicht zuletzt gegen „gemeinsame Andere“.
Interessant ist in diesem Zusammenhang der gesellschaftliche Umgang mit Stereotypen und Feindbildern, die nicht mehr offen artikuliert werden dürfen, oder mit anderen Worten: „Sollte es also möglich sein, dass hier eine Verschiebung stattgefunden hat derart, dass das, was gegen Juden nicht mehr gesagt werden darf, nun gegen Muslime gerichtet wird? Das würde ein düsteres Licht auf die Auseinandersetzung mit Antisemitismus der letzten Jahrzehnte werfen. Dann würde der antimuslimische Rassismus […] in seiner gegenwärtigen Form auch den Antisemitismus meinen.“ (Attia 2009b, 88)
Dementsprechend plädiere ich für eine kritische Perspektivierung des antimuslimischen Rassismus aus dem Blickwinkel einer Antisemitismuskritik. Dadurch ließen sich strukturelle Muster in Figuren und Funktionsweisen nachzeichnen, insbesondere, wenn antisemitische Bilder und Spielarten im antimuslimischen Rassismus ein Ventil finden. Damit stehen wir vor der grundlegenden Frage, wie eine Sensibilisierung gegen Antisemitismus, seiner Instrumente und Funktionsweisen, zum einen judenfeindlichen Ressentiments und aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus entgegentreten kann, und zum anderen die Projektion und Entladung ansonsten tabuisierter Gewaltfantasien und Ausschlussmuster auf andere Minderheiten vermeidet.
Quellen
[1] Helen Fein (1987, 67) versteht unter Antisemitismus „eine anhaltende latente Struktur feindseliger Überzeugungen gegenüber Juden als Kollektiv, die sich bei Individuen als Haltung, in der Kultur als Mythos, Ideologie, Folklore sowie Einbildung und in Handlung manifestieren […], die dazu führen und/oder darauf abzielen, Juden als Juden zu entfernen, zu verdrängen oder zu zerstören“. Zur Definition, Geschichte und verschiedenen Ausdrucksformen des Antisemitismus siehe Benz, Wolfgang (2004).
[2] Wahlprogramm der AfD, letzter Zugriff am 24.11.2016.
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